Samstag, 6. Februar 2021

Künstlervorstellung: Das Kollektiv "Erotik Toy Records"

Heute nehme ich meine Reihe von "Künstlervorstellungen" wieder auf. Diesmal geht es nach Bremen.
Ich möchte Euch das Künstlerkollektiv "Erotik Toy Records" vorstellen, deren Musik ich schon seit einigen Jahren verfolge und zu schätzen gelernt habe. Ihre Kunst ist sperrig, daher habe ich ein bisschen gebraucht, um mich mit ihr anzufreunden, dafür hat sie mich danach umso mehr begeistert. 
 
Zu Beginn hatte ich vor allem Tightill & Doubtboy auf dem Schirm, die ihre Platte "RnB & Anarchy" 2017 veröffentlicht haben. Auch von Ali Whales hatte ich schon ein paar Tracks gehört. Zur Crew, die sich nach und nach formierte, gehören auch Skinnyblackboy, der kürzlich auch mit einer Kollaboration mit dem großartigen "Kitschkrieg"-Kollektiv und einem Beitrag zum Projekt "Surf" von Tightill mit dem Produzenten Dexter glänzen konnte. Dazu kommt "Young Meyerlack", der zuvor als Ali Whales in Erscheinung getreten ist. Jay Pop ist vor allem verantwortlich für die Hooks und zeichnet sich durch eine starke und einprägsame Singstimme aus und hat mit seiner EP "Oceanspray" nochmal unterstrichen, welches Potential er auch als Solokünstler hat. Schließlich baut der Producer Florida Juicy einen Großteil der vorzüglichen Beats, die das Kollektiv auf einem atmosphärischen Klangteppich tragen.
Tightill ist der Künstler, der das Kollektiv vor allem nach außen verkörpert. Nach Jahren des Herumziehens zwischen Barcelona, Zürich und Berlin, ist er nach Bremen zurückgekehrt. Er changiert zwischen Skaten, Muay Thai, Tanzvideos und gepflegtem Absturz an der Straßenecke.
Mindestens so spannend ist für mich Doubtboy, der sich etwas Mysteriöses bewahrt, und der mich genauso mit nachdenklichen, wie heiteren aber auch dystopischen Reimen überzeugt.
Ihre Musik verbindet vor allem Einflüsse aus Rap und "Neuer Deutschen Welle". Sie verkörpern eine rotzige, anarchische Punk-Attitüde, beherrschen aber auch Pop-Songs und ausgesprochen amüsante Videos.
Wer jetzt versuchen will, das Kollektiv in eine Schublade zu stecken, wird krachend scheitern.
 
Den Bremer Lokalkolorit mag ich schon lange. Tatsächlich habe ich immer wieder einige Zeit in Bremen verbracht und mag das Flair des "Viertels", das oft zur Kulisse der Gruppe wird. Gerade die schmalen, verwinkelten Gassen des Viertels mit ihren vielen Graffitis, den "Spätis", zahlreichen Bars, Cafés und kleinen Läden haben viel Flair. Ein bisschen hat mich die Szenerie immer an das Schanzenviertel in Hamburg erinnert, nur im Kleinformat. "Ostertor bleibt dreckig" ist vielfach zu lesen. Gerade für Nachtschwärmer und Flaneure ein wunderbarer Ort.
Man muss aber kein Bremen-Fan sein, um die Jungs zu mögen. Hört doch einfach mal rein.
 
 
Richtig angefixt hat mich zu Beginn das Video und die Musik vom Song "Kolibri":
 
 
 
Sehr schön fand ich auch den Track und das Video zu "Psst sag jetzt nix". Hier brechen Tightill & Doubtboy das Klitschee des maskulinen Rappers auf amüsante Art und Weise. Wie sagen sie über sich selbst: "the most sensitive Rap-Crew alive":

 
Wunderbar auch der Track "Blüten zählen", der die Erwartungen wieder intelligent bricht:



2018 legten dann Tightill & Doubtboy das Album "Deutsch-Amerikanische Schaft" nach. Sehr begeistert war ich unter Anderem von den beiden Tracks "Komm vorbei" und "Wo ist das Geld?". 
In einigen Passagen muss man unwillkürlich an "Falco" denken.
 

Komm vorbei



Wo ist das Geld?
 

 
 
Es folgen einige Solotracks, um die einzelnen Charaktere vorzustellen:


Skinnyblackboy - Alone

Es gibt nur wenige Rapper in Deutschland, die derartig überzeugend auf englisch und deutsch rappen können. Von ihm ist sicher noch viel in der Zukunft zu erwarten.



Doubtboy - guns & roses - Extrem eindrücklicher Song und Video - große Kunst!



Ali Whales alias Young Meyerlack - Descuid
 
Gerade als Ali Whales hat er schon eine umfangreiche Diskographie vorgelegt.
 



Florida Juicy - Out of my Head
 
purer Beat mit künstlerisch ansprechender Visualisierung
 


Jay Pop - Windschutzscheibe
 
aus der EP "Oceanspray"



Erst kürzlich hat die Crew mit "Hafenwind" ihren ersten Label-Sampler realisiert. Florida Juicy versteht es einen Sound zu kreieren, der die unterschiedlichen Künstler gekonnt miteinander verbindet. 
Es lohnt sich auf jeden Fall reinzuhören. Zum Beispiel der Track "Möwe":

 

Besonders gerne mag ich auch das Intro mit dem melancholischen Zeilen von Jay Pop - Hafenwind




Auch noch relativ jung ist die "Dokumentation", in der sich die "Stadtmusikbande" präsentiert. Hier schlüpft die Crew in die Rolle von Statisten einer fiktiven Reportage über ihre angeblichen Anfänge. Hier zeigt sich noch einmal ihr schauspielerisches Potential (Doubtboy arbeitet als Schauspieler am Züricher Theater). Sie nehmen sich gerne selbst auf die Schippe und ich finde ihren Humor herrlich:







Weiterführende Links:


Arte TRACKS: "Supersanfter Rap: Erotic Toy Records"
 

 
 
 
 
"Kommt aus Bremen, riecht nach Bier, ist aber gut: Das Hip-Hop-Kollektiv Erotik Toy Records führt neue Bilderwelten, Gefühle und Gerüche in die deutsche Rapmusik ein."
 
 
Weitere Künstlervorstellungen: 


Käptn Peng

"Seine Texte sind kreativ, nachdenklich, verschachtelt , philosophisch. In einem Moment sind sie bedeutungsschwanger und dann scheinen sie (auf den ersten Blick) sinnfrei. Und beides passt zusammen. Verbunden durch eine lässige (Selbst)-Ironie. Dazu kommt ein beachtlicher Flow, mit dem er seine komplexen Texte zum Leben bringt."
 

Lemur 

"Seine Texte sind gesellschaftskritisch, hinterfragen den aktuellen Zeitgeist, oft sind sie dystopisch und/oder sarkastisch. Lemur beschäftigt sich mit den Abgründen der Menschheit. Er ist ein sehr politischer Künstler, egal ob er Rechtsruck, Verschwörungstheorien oder Gentrifizierung thematisiert. Man hört, wie sehr er sich mit den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen beschäftigt. Trotzdem hat seine Musik in vielen Tracks eine angenehme Leichtigkeit, seine Kritik ist gewürzt und gebrochen durch ironische Einflechtungen, die das Ganze gut hörbar und besser verdaubar machen." 
 
 
 
Tua schneite 2009 mit dem großartigen, düsteren und melancholischen Album "Grau" unerwartet in mein Leben und er und seine Musik werden immer einen Platz in meinem Herzen haben. Tua überzeugte mich mit seinen melodiösen Klängen. Was mich von Anfang an gefesselt hat, ist seine (oft schmerzhafte) Wahrhaftigkeit und die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Wandlung. Tua trägt seine Seele nach außen und das auf sehr intelligente und berührende Art und Weise. Johannes Bruhns (so heißt er mit bürgerlichem Namen) scheut sich nicht, auch über die schlimmsten eigenen Verfehlungen und Abgründe zu schreiben und zu rappen oder zu singen. 
 
 
 
Das legendäre Liedermacher-Duo aus den 90er-Jahren bestach mit seinen heiter-anarchischen Texten, Tiefgang, viel Emotion und Melancholie.

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