Indien - immer wieder Indien. Dabei ist es nicht so, dass mich andere Teile der Welt nicht reizen würden - ganz im Gegenteil - aber ich habe das Gefühl, dass es gerade hier noch viel für mich zu lernen gibt - und dass gerade in der Meditation ein Schlüssel für mich liegt. Zudem mag ich es Orte, die ich schon kenne, mit neuen zu kombinieren, auch um Erinnerungen aufzufrischen, Menschen und Orte wieder zu sehen und Veränderungen wahr zu nehmen. Im Moment fühlt es sich so an, als sei dies meine vorerst letzte große Reise nach Asien.
Von Hamburg flog ich über Paris nach Delhi. Im ersten Licht der Sonne sah ich die zerklüftete Berglandschaft Afghanistans unter mir, bevor wir die indische Tiefebene erreichten. Dann bot sich einmal mehr der Blick auf das wuchernde Delhi mit seinen Hochhäusern in der Peripherie – ein einschüchterndes Bild. Doch trotz meiner wenig erfreulichen bisherigen Begegnungen mit Delhi, hatte ich mir vorgenommen zumindest ein paar Tage zu bleiben, um vielleicht doch noch eine Beziehung zu dem Moloch aufzubauen. Am Flughafen nahm ich nach einigem Umherirren den local bus zur Delhi Main Station. Nachdem ich zunächst hin und hergeschickt wurde, durchquerte ich den Bahnhof, um auf die andere Seite des Gebäudes zu gelangen, wo sich auch die Main Bazaar Road befindet – der Ort, der seit jeher Backpacker mit günstigen Unterkünften, Restaurants und unzähligen Geschäften anlockt. Schon beim Schlängeln durch die Menschenmassen (soweit man mit zwei Rucksäcken von schlängeln sprechen kann…) kamen tausende Erinnerungen in mir hoch. Ich fühlte mich zugleich berauscht, aber auch ein wenig angespannt – aber gerade die Anspannung hatte ich mir schlimmer vorgestellt. Nachdem ich ein bezahlbares Guest House in eine der Seitenstraßen bezogen hatte, dachte ich an einen gelungen Start und streunerte ziellos durch die Main Bazaar Road. Der Ort ist berüchtigt für seine Schlepper. Oftmals beginnen die Gespräche mit „where are your from“, etwas befremdlicher schon „i like your hair / beard / shirt“. Es ist absehbar, dass die meisten (nicht alle) Gespräche relativ schnell in eine bestimmte Richtung zielen. Oftmals wird der eigene Shop angepriesen (bzw. einer bei dem der Schlepper eine Kommission erhält), bisweilen ist es Haschisch oder der Klassiker – der Hinweis auf ein „offizielles Touristenbüro“. In der Tat gibt es ein offizielles – aber mit Sicherheit hunderte, die ungeniert damit werben. Dieser Art von Werbung erteilte ich jeweils eine schnelle Absage und versicherte, dass ich auf diese Weise schon einmal in Kaschmir gelandet wäre – eine Erfahrung, die ich auf diese Weise sicher nicht wiederholen werde! Aber komplett alle Gespräche zu ignorieren kommt für mich nicht in Frage.
Ein wenig befremdet war ich, dass kein Geldautomat
Geld ausspucken würde. Das sollte sich in den nächsten Tagen fortsetzen und ich
musste erfahren, dass die Bankkarten außerhalb
Europas inzwischen völlig unbrauchbar sind - ich hatte nie Probleme gehabt. Zunächst dachte ich, ich könne mit der
Kreditkarte an Geld kommen – zumindest in drei Wochen, wenn die Karte gültig
sein würde – bis es mir eines Nachts wie Schuppen von den Augen fiel – die Kenntnis der Nummer wäre dafür von Vorteil…
Zwar dachte ich, mich dunkel erinnern zu können,
aber das war ein Trugschluss meines Unterbeusstseins. Ich hatte die Nummer drei Jahre nicht gebraucht. Als letzte Option blieb schließlich Western
Union. Ohnehin echte 1. Welt-Probleme, wenn man sich die Bilder von Menschen
vor Augen hält, die unter armseligsten Bedingungen leben und die auf den
Straßen von Delhi zu überleben versuchen. Und doch: es ist ein sehr
befremdliches Gefühl sein Hotel immer wieder vertrösten zu müssen und nahezu
ohne Geld dazustehen. Und ich hatte wirklich etwas Sorge, meinen Trip gar nicht
erst richtig starten zu können.
Nach der brutalen Hitze des ersten Tages, begann es zu
regnen und die Main Bazaar Road verwandelte sich in eine Wasserlandschaft. Endlich kam ich an etwas Geld; es ist ein wenig ungewöhnlich
Geld von einem „Büro“ zu erhalten in dessen Vorraum schwere Bronzestatuen mit
den unzähligen Erscheinungsformen der Götter des Hinduismus verkauft werden und ich
war ein wenig nervös, auch wenn in Indien wenig wirklich ungewöhnlich erscheint.
Aber man lernt nie aus. Am Nachmittag traf ich einen sympathischen Landsmann,
mit dem ich am Abend in einigen Hotelbars einkehrte. Das erste Mal seit langer
Zeit hatte ich richtig Lust Reisegeschichten zu erzählen und es war ein
ausgesprochen angenehmer Abend. Am Tag drauf würde er nach Varanasi
weiterreisen. Endlich war ich entspannt.
Doch in der Nacht schlug der
Magenteufel zu. Gleichgültig ob es ein verunreinigtes Glas aus einer der Bars
war, die Anspannung oder drei scharfe Gerichte in vier Tagen in einem
Straßenrestaurant. Wahrscheinlich von allem etwas. Jedenfalls steigerte das die
Frequenz meiner Aufenthaltsdauer in meiner Gruft – ein Zimmer ohne Fenster nach
draußen mit dem schweren Ventilator, der über mir kreist und mich unweigerlich
erschlagen würde, wenn die Deckenkonstruktion beschloss, dass es an der Zeit
war, aufzugeben. Mein Magen hatte sich in einen Salzsee verwandelt – und doch war ich im
Glück – es hätte deutlich schlimmer sein können.
Die sechs Tage kamen mir vor wie zwei Wochen.
Meine Besuche auf dem Main Bazaar wurden immer seltener. Es ist einfach
Reizüberflutung pur: die extrem schmalen Straßen mit den ausladenden
Geschäften, fahrenden Händlern, Ochsenkarren, Kühen, dauerhaft hupenden
Motorrikschas, Eisverkäufern, Schleppern, Dealern, vereinzelten Touristen, Indern
aus allen Teilen des Subkontinents, Bettlern, Straßenkindern. Alles drängt sich durch die Straßen. Jeder Millimeter erhält eine Funktion. Der Straßenbelag ist an manchen Stellen in sehr
schlechtem Zustand, die Kanalisation kann dem Regen kaum standhalten und immer wieder sieht man
zerfallene Häuser. Spannend ist das allemal – ein Fest für die Augen – weniger
für die Ohren. Und man kann kaum stehenbleiben ohne sich in Gespräche
verwickelt zu sehen oder Bettler einzuladen, sich hartnäckig an die Fersen zu
hängen. Ohnehin manchmal schwer auszuhalten. Eine ältere Frau will mir einern
Zettel überreichen – ich lehne ab – es ist die Aufforderung für irgendetwas zu
spenden und landet mit höchster Wahrscheinlichkeit in der eigenen Tasche. Das
schmälert ihre Armut sicherlich nicht – doch man kann nicht jedem etwas geben –
„bastard“ ruft sie mir hinterher.
Die Oasen sind die Roof Tops auf denen sich
Restaurants befinden und die zum Verweilen einladen – man kann dem (scheinbar)
anarchischen Treiben aus der Distanz zusehen.
Am letzten Tag war es erneut
brutal heiß und ich fuhr mit der Metro zum Red
Fort. Schon das empfand ich als Abenteuer. Das Fort selbst ist ein Relikt
der Mogulherrschaft über Indien und DIE Touristenattraktion in Old Delhi.
Allein die schiere Größe der Anlage ist beeindruckend.
Man kann sich entfernt
vorstellen in welchem Luxus der Mogul gelebt haben muss. Mit einem Thron, von
dem aus er den Audienzen lauschte, einem großzügigem Garten, eigenem Tempel und
Hammam, einem eigenen Gebäude für die Gemahlin. Früher dienten die Kanäle auf
dem Gelände als Klimaanlage. Heute fließt kein Wasser mehr darin und in den
frühen Nachmittagsstunden kam ich mir vor wie in einer finnischen Sauna. Am
Abend verließ ich Delhi mit dem Nachtbus nach Manali. Der Versuch als
Alleinreisender mit Delhi Freundschaft zu schließen darf getrost als
gescheitert angesehen werden. In Gesellschaft oder zu Besuch bei einer
einheimischen Familie könnte das aber noch einmal eine völlig andere Erfahrung
sein – das durfte ich einmal in Bombay erleben. Zudem war jeder Start zu meinen
Reisen ein wenig schleppend. Faszinierend finde ich Delhi allemal –
allerdings bin ich lieber Beobachter als mittendrin –zumindest, wenn ich allein
unterwegs bin.
Auf der Fahrt lernte ich Callum, einen Schotten
und Nadine, eine Französin mit portugiesischen Wurzeln kennen. Wir haben uns
auf Anhieb blendend verstanden.
Nadine erzählte uns von ihrer
Vipassana-Meditation, die sie in Nepal erlebt hatte. Zehn Tage Schweigen,
Meditieren. Die ersten Tage müssen kaum auszuhalten sein. Und dennoch sehr
faszinierend. Sie erzählte uns, wie viele Erinnerungen in ihr hochgekommen
waren, wie schwierig es gewesen war, den Gedankenstrom zu stoppen und wirklich
zu meditieren und wie beglückend es war, wenn es zunehmend gelang und auch die
Schmerzen aufgrund der ungewohnten Körperhaltung (stundenlanges sitzen im
Lotussitz) verschwanden. Das würde ich gerne einmal erleben, aber ich habe auch
großen Respekt vor dem, was da aus dem Unterbewusstsein hochkommen würde. Eines
Tages!
Nadine ist schon viel rumgekommen in der Welt und
wohl ähnlich vom Reisefieber infiziert wie ich. Callum befindet sich hingegen
auf seiner ersten großen Reise – one-way-ticket nach Indien. Ein sehr feiner
Kerl und da er mit mir das Schicksal teilt auf Reisen nicht schlafen zu können, unterhielten wir uns die ganze Nacht und versuchten die Probleme der Menschheit
zu lösen. Wie hatten aber auch viel Spaß – Es macht immer wieder Spaß mit
Stereotypen zu spielen.
Überhaupt interessant wie viele Details einem
wieder einfallen und wie viele Erinnerungen an vergangene Reisen plötzlich
wieder sehr viel präsenter sind.
In den Morgenstunden konnten wir endlich die
phantastische Kulisse sehen, durch die wir uns bewegten. Die Schluchten wurden
immer schmaler – an den Hängen dieser subtropischen Täler wuchsen neben
Nadelgehölz auch Palmen. Schließlich fuhren wir durch einen mächtigen Tunnel
mitten durch den Berg und erreichten das Kullutal – Mandi, Kullu und
schließlich Manali.
Ich war sehr glücklich wieder dort zu sein und wir
bezogen ein Drei-Bett-Zimmer in einem Gasthaus, das angenehm ruhig gelegen ist.
Ich war bereits zweimal in Manali – beide Male allerdings in der Off-season im
Oktober. Der Kontrast könnte kaum größer sein. Während im Oktober kaum noch
Touristen da sind und die meisten Läden längst dicht gemacht haben (viele Geschäfte
ziehen dann weiter nach Goa, um ganzjährig am Tourismus zu verdienen) ist im
Moment noch High-Season. Gerade auf dem Weg von New nach Old Manali reihen sich
Restaurants, Kleidergeschäfte, Trekkingagenturen, Juweliere, Cafes und
Tante-Emma-Läden nebeneinander – Trance schallt aus den Lautsprechern, der
Verkehr überlastet die schmale Straße massiv – es ist einfach zu viel. Nunja,
ich wusste ungefähr, was mich erwarten würde. Die ersten beiden Tage war sehr
schönes Wetter und ich war mit den beiden unterwegs auf kleinen Wanderungen.
Leider wollte Nadine schnell weiter nach Dharamsala, um den teachings des Dalai
Lama zu lauschen. Nichtsdestotrotz zu einer sehr intensive Begegnung mit tiefreichenden
Gesprächen und Momenten und es wäre eine Freude sie einmal in Südportugal zu
besuchen.
Auch Callum zog es schnell weiter nach Leh in Ladalkh. Dort
möchte ich zwar auch hin, aber ich hatte das Gefühl, es wäre besser noch ein
wenig in Manali zu bleiben. Wie werden uns dort aber höchstwahrscheinlich
nochmal treffen – wir kamen ausgesprochen gut miteinander aus.
Leider ist es zur Zeit sehr neblig und es hat auch
viel geregnet in den letzten Tagen – das ist aber auch kaum verwunderlich – der
Monsun steht vor der Tür. Das macht die Wanderungen stellenweise recht abenteurlich. Weiter östlich in Uttarkhand und nicht weit entfernt in Rupshu kam es vor zwei Wochenzu verheerenden Überschwemmungen und Erdrutschen. Sehr viele
Menschen sind dabei ums Leben gekommen und viele mussten mit dem Militär
gerettet werden. Inzwischen kommt es jährlich zu diesen Überschwemmungen – ein
deutliches Zeichen, dass sich das Klima ändert.
Am liebsten vermeide ich den ganzen
Touristentrubel hier, esse mein Sandwich in der english bakery und mache mich auf zu meinem Lieblingsplatz – einem
kleinen Shiva-Tempel zu dem man auf einem steilen Weg in weniger als zwei
Stunden erreichen kann.
Die Einheimischen sind sehr freundlich und offen und
gerade in Old Manali gibt es noch viele traditionelle Holzhäuser mit ihren
Balkonen und Verzierungen.
Neben Obst und Yakkäse (immer wieder sieht man schön
geschmückte Naks auf den Straßen) ist es das Charras, das wesentlich für den
Lebensunterhalt sorgt. Charras wird aus Marihuana gewonnen, das überall wächst
und gehört zu den stärksten natürlichen Haschischsorten. Ich muss also
aufpassen, dass ich hier nicht hängenbleibe. Aber ich freue mich auch schon auf
Ladakh und hoffe dort einen schönen Trek realisieren zu können. Danach möchte
ich die Hochtäler von Spiti sehen, bevor ich noch einmal nach Manali
zurückkehren werde.
Doch angesichts der erneut riesigen Veränderung
auf dem Weg nach Ladakh bin ich ganz zufrieden, noch ein bisschen zu warten und
mein eigenes Tempo zu finden, auch wenn ich gerne mit Callum gefahren werde. So
ganz realisiert habe ich noch nicht, dass ich in Indien bin…