Einleitung:
Diesmal möchte ich Euch auf die Insel Gili
Trawangan entführen. Meine psychedelischen Erlebnisse finden sich unter diesem Blog; ich möchte
jedoch meinen Bericht von der Insel voranstellen. Denn diese Insel in erster
Linie als Ort für psychedelische Reisen zu präsentieren, hätte einen äußerst
faden Beigeschmack und würde mein Hauptanliegen dieses Blogs Ad Absurdum
führen; schließlich möchte ich mit meinen Reisereportagen Interesse an und
Respekt für andere Kulturen wecken. Meine eigenen Erlebnisse sind in erster
Linie Mittel dazu und illustrieren, wie ich zu meinen Ansichten gekommen bin.
Ausgangspunkt:
Nach wundervollen Tagen in Ubud, die mich
nach dem ersten schockierenden Begegnung mit dem Massentourismus in Kuta mit Bali versöhnt und dem kulturellen Erbe Balis näher gebracht hatten, zog es mich
wieder ans Meer. In Ubud hatte ich meinen Rückflug nach Europa gebucht und so
lagen weniger als zwei Wochen vor meiner Abreise. Es war keineswegs so, dass
ich Asien verlassen wollte; es war vielmehr eine Notwendigkeit. Ich war nahezu
pleite; meine Versuche dies Einheimischen zu erklären, scheiterten kläglich; man
glaubt sehr wohl, ein Europäer möge töricht sein, fernab der Familie nach sich
selbst zu suchen, aber er ist per se reich. Diese Vermutung ist nicht weiter
verwunderlich. Es ist auch kaum von der Hand zu weisen, dass allein die
Flugkosten für die meisten Menschen der Länder, die ich bereist habe, unbezahlbar
sind. Und trotz Billigflügen sind es in der Regel die Menschen, die es sich
leisten können, die den Tourismus prägen. Im Übrigen ist das Ansinnen, solange
zu reisen, bis – abgesehen vom Geld für den Rückflug – alles aufgebraucht ist, auch
in westlichen Breitengraden nicht übertrieben salonfähig. Um es freundlich
auszudrücken. Mit einigem Recht: bei der Rückkehr steht man vor dem Nichts.
Aber ich bleibe dabei: für mich ist wahres Reisen davon geprägt, jederzeit alle
Pläne über den Haufen zu werfen, kein Rückflugticket zu besitzen, sich treiben
zu lassen und immer dort länger zu bleiben, wo es einem gefällt oder man eine
interessante Witterung aufgenommen hat. Aber in gewisser Weise war mein
Erfahrungshorizont ein wenig erschöpft und ich freute mich darauf die bekannten
Gesichter in der Heimat zu sehen.
Ubud
- Padangbai:
Auf der Fahrt im Bus an die Ostküste Balis, kam
ich mit meinem Nachbarn Paul ins Gespräch. Er war einer dieser raren
Reisegefährten, denen ich mich auf Anhieb nahe fühle. Es reichten wenige Worte,
um zu erkennen, dass uns gemeinsame Erfahrungen verbanden – unabhängig davon,
wo wir diese gemacht hatten. Ich hatte mir offengehalten in Padangbai einen
Zwischenstopp einzulegen; doch da der kleine Küstenmeiler an diesem trüben Tag
keinerlei Charme versprühte, beschloss ich gleich mit dem Boot nach Gili
Trawangan weiterzufahren. Dieses Ziel war mir mehrfach empfohlen worden. Ich
muss gestehen, dass die Aussicht dort Marihuana und psychedleische Pilze kaufen
zu können, nicht abschreckend waren (so viel zu meinen guten Vorsätzen…). In Kuta
hatten mir sogar die Beachboys abgeraten, Marihuana zu kaufen und das wollte
etwas heißen. Die Angebote, die mir in finsteren Gassen entgegenschallten, waren
mir eindeutig zu heikel. Die Chancen standen nicht schlecht, nach dem Deal
direkt einem Polizisten in die Arme zu laufen. Eine Hand wäscht die andere. Ich
wäre nicht der Erste, der für ein wenig Gras für einige Jahre in indonesischen
Gefängnissen gelandet wäre. Gleiches gilt für Goa und vielen anderen Orte der
Welt, an denen Gras scheinbar
toleriert wird. Von Malaysia und Singapur ganz zu schweigen! Wer sich zu sicher
fühlt, lebt gefährlich. Freilich sollte ich schön ruhig sein: ich hatte mich
auf meinen Reisen auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Aber man muss ja nicht
jede Dummheit ausplaudern…
Überfahrt:
Schon lange freute ich mich auf eine Schiffpasssage
in Indonesien. Die letzte musste die Fahrt auf der Adria von Venedig nach
Patras gewesen sein. Das war lange her. Eigentlich empfinde ich Schifffahrten als
die angenehmste Art der Fortbewegung. Ich liebe den Fahrtwind an Deck, die
Gemächlichkeit des Reisens (sofern nicht gerade ein Sturm tobt…) und die
Bewegungsfreiheit unter freiem Himmel. Das tiefdunkle Blau des Meeres, das in
das Hellblau des Himmels übergeht. Ich kann stundenlang am Heck des Schiffes
stehen und zusehen, wie sich die Wellen rechts und links der Fahrrinne ausbreiten.
Am Horizont zeichnet sich die Landmasse ab, die man hinter sich gelassen hat. Pure
Freiheit.
Leider existieren viele klassische Schiffsrouten heute nicht mehr und
wurden komplett vom Flugzeug ersetzt. Tiziano Terzani beschreibt in seinem Buch
„Fliegen ohne Flügel“, wie schwierig es war, nach seiner Bahnfahrt von Bangkok
über Peking, Moskau und Berlin (!) von Italien aus eine Schiffspassage nach
Singapur zu finden - trotz seiner Bekanntheit. Er geriet bei manchen
Unternehmen sogar in den Verdacht, terroristische Aktivitäten zu verfolgen - so
ungewöhnlich schien sein Ansinnen. Wer kam schon auf die Idee mit dem Schiff zu
reisen, wenn die Reise mit dem Flugzeug so viel schneller ans Ziel führte.
Schließlich fand er über Kontakte einen Platz auf einem Containerschiff. Das
war 1997…
Heute gibt es zwar die Möglichkeit,
Frachtschiffreisen als Passagier zu buchen, aber die Preise sind horrend; auch
hier hat sich eine eigene Industrie gebildet. Weltweit werden die meisten
Besatzungsmitglieder inzwischen von den Philippinnen rekrutiert – über die
Bezahlung muss ich wohl kein Wort verlieren. Sich die Überfahrt mit Arbeit zu
verdienen, fiel also flach. Zumindest, wenn man nur von A nach B wollte.
Blieben Kreuzfahrtschiffe, um die Welt zu sehen. Doch abgesehen davon, dass ich
kaum jemals das nötige Kleingeld haben werde, bescherte mir der Lebenstraum
vieler Menschen – einige Wochen auf einem dieser Giganten mit einem
durchgeplanten und steril-luxuriösen Programm zu verbringen – Alpträume. Ich
würde die Luxus- und Vergnügungssucht nicht ertragen. Das Traumschiff fährt
ohne mich. Das wunderbar ironisch-sarkastische Buch „unendliches Vergnügen“ von
David W. Forster bringt gekonnt auf den Punkt, was mich auf so einer Kreuzfahrt
in den Wahnsinn treiben würde; sehr empfehlen möchte ich auch die Geschichte von Sibylle Berg mit ähnlichem Tenor.
Der Zyniker in mir, hätte womöglich einen morbiden
Spaß an solch einer „Vergnügungsreise“; der Rest von mir, bräuchte allerdings
lange um sich von einem schweren Schub von Misanthropie zu erholen…
Mein erster Eindruck von Paul bestätigte sich. Wir
fanden uns in kürzester Zeit in intensiven Gesprächen über Asien, seine
Entwicklung und Gegensätze von Armut und der boomenden Wirtschaft, die in den
90`ern zum Tigersprung angesetzt
hatte, wieder. Er bereiste Asien seit einem Jahrzehnt immer wieder. Während der
Überfahrt kamen wir nach und nach vom hundertsten ins Tausendste. Wir tauschten
uns über Spiritualität, Glauben und Philosophie aus. Inzwischen gaben das meine
Englischkenntnisse her. Ziel seines aktuellen Aufenthalts in Asien, war die
Vollendung eines Buches. Die erste Version meiner Reiseberichte lag zuhause in
der Schublade; es scheint bisweilen so etwas wie ein blindes Verständnis zu
geben, dass Menschen intuitiv zueinander führt, die sich etwas zu sagen haben.
Das funktioniert aber nur, wenn das Bewusstsein hellwach ist. Bisweilen finden solche Begegnungen an den
merkwürdigsten Orten statt, was aber auch ihren speziellen Reiz ausmacht. Die
ungewöhnliche Umgebung und die Flüchtigkeit verleihen der Begegnung eine
seltene Intensität. Irgendwann kamen wir auf die Frage nach der Zeit; darüber
ob das Zeitkonzept, mit dem wir aufgewachsen waren, in dieser Form wirklich
existierte. Eine Verschiebung des Zeitgefühls, gehört für mich zu den intensivsten
Erfahrungen beim Reisen. Spätestens, wenn man einige Monate aus dem Hamsterrad
ausgestiegen ist, entwickelt man eine völlig andere Beziehung zu Zeit. Sie büßt
ihre beherrschende Bedeutung ein und ihre systematische Einteilung erscheint
wider die menschliche Natur. Speziell, nachdem sich unsere Gesellschaften weitestgehend
vom Rhythmus der Natur abgekoppelt haben. Für Paul stellt Yoga und Meditation ein
Mittel dar, vollständig im Moment zu leben und sich so weitestgehend unabhängig
von Vergangenheit und Zukunft zu machen. Ich widersprach ihm nicht; auch ich
sehe in der Meditation einen Schlüssel für viele Probleme in meinem Innern, die
ich noch lösen möchte. Meine bescheidenen Erfahrungen mit dem Yoga hatte ich
als bereichernd empfunden. Es steht außer Frage, dass es nur einen Zeitpunkt
gibt, in dem man handeln kann: die Gegenwart. Das sollte aber nicht davor
bewahren aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Im Übrigen gibt es einen
Unterschied zwischen Spiritualität und Esoterik. Aber das möchte ich an dieser
Stelle nicht weiter vertiefen.
Langsam ging die Sonne über dem sich immer weiter
entfernenden Bali mit dem beherrschenden Vulkan Gurung Agung - dem heiligen Berg Balis – unter und ließ unser
Gespräch verstummen. Sprache hat ihre Grenzen und die Magie ist ein scheues
Wesen, das man mit törichtem Geplapper schnell vertreibt…
Gili
Trawangan:
Als wir Gili Trawangan erreichten, war es bereits
dunkel, was der Umgebung etwas Schemenhaftes und Geheimnisvolles verlieh. Der
Zauber hielt allerdings nur kurz an: die Straße die sich an der Küstenlinie
entlang zog, war gut ausgebaut und beleuchtet und an Unterkünften und Bars
herrschte wahrlich kein Mangel. Nach einigem Rumfragen, fanden wir in einer
dunklen Seitenstraße eine günstige Unterkunft. Am nächsten Tag stellte sich
heraus, dass wir in den späten eine gute Entscheidung getroffen hatten. Die
acht Zimmer des Guest House waren in
einem Viereck um einen gemütlichen Innenhof angelegt. Dahinter befand sich das
Haus der Familie, die das Guest House
bewirtschaftete. Mehrere
Generationen lebten unter einem Dach. Der Trubel der
abendlichen Musikbeschallung reicht nicht bis hierher. Stattdessen waren es die
Alltagsgeräusche der Familie und ihrer Tiere und der Lautsprecher der nahe
gelegenen Moschee, die die Geräuschkulisse bildeten. Im Gegensatz zu den
Geschäften, Bars, Restaurants und Hotels der „Hauptstraße“, war das
Inselinnere, in dem sich das Gasthaus befand, noch immer eher dörflich geprägt.
Der Onkel der Familie hatte unmittelbar einen Narren an mir gefressen und saß
gerne auf meiner Veranda, drehte
riesige Zigaretten aus selbstangebautem Tabak und fragte mich aus. Auch mit der
Tochter des Hauses unterhielt ich mich gerne. Der Großvater hatte sich seinen
Lebensabend verdient und saß den Tag über entspannt in seinem Garten und
betrachtete in aller Ruhe und Weisheit das Leben um ihn herum. Die Betonpfeiler
auf meiner kleinen Veranda standen im
richtigen Abstand, um meine in Ubud erstandene Hängematte aufzuhängen. Einem
entspannten Abschluss meiner Reise stand nichts im Wege.
Gili Trawangan liegt mit seinen beiden
Nachbarinseln Gili Meno und Gili Air etwa 30 km östlich von Bali. Bei
ungetrübtem Wetter wird der Anblick auf die nahe gelegenen Insel Lombok vom
3726 Meter hohen Rinjani beherrscht – einem aktiven Vulkan. Für die drei
Gili-Inseln drängt sich der Vergleich mit Perlen in der Südsee geradezu auf.
Gili T., wie die Insel von vielen Touristen schlicht genannt wird, ist seit
Jahrzehnten Anziehungspunkt für Backpacker und hat sich inzwischen zu einer
Partyinsel entwickelt, die integraler Bestandteil vieler Südostasienreisen
junger Backpacker geworden ist. Mit deutlich sichtbaren Spuren. Allerdings verbietet
sich der Vergleich mit Inseln wie Ko
Samui und ich hoffe das bleibt auch so…
Die Insel war zunächst ruhiger, als ich befürchtet
hatte – die Saison hatte erst begonnen. Im Laufe meines Aufenthalts wurde die
Insel mit jedem Tag voller. Was auf den ersten Blick sehr auffällig war: die
Straße direkt am Meer, die so etwas wie die Hauptschlagader der Insel
darstellte, war von exklusiven Bars
und Clubs gesäumt, von denen einige genauso gut in eine europäische Metropole gepasst
hätten. Das schlug sich auch deutlich im Preisniveau nieder. Ich kann mit
diesem Neo-Schick überhaupt nichts anfangen. Nicht, dass ich die Orte per se
hässlich finde, aber ich kann nicht ausstehen, wofür sie stehen: für eine globale
Vereinheitlichung des Lebensstils, für eine Dekadenz, die die ursprüngliche
Kultur zunächst nur beeinflusst, dann korrumpiert und am Ende bisweilen ganz
verschwinden lässt. Das war der Profit am Tourismus nicht wert. Aber ich habe
leicht reden. Ich bezweifle nicht, dass ich ähnlich angezogen wäre vom
westlichen Lebensstil. Das Fatale dabei: man erkennt die Auswirkungen der
Veränderungen erst dann, wenn sich viele Entwicklungen nur noch schwer oder gar
nicht mehr aufhalten lassen.
Besonders skurril wirkte, dass zu der Zeit die
Fußball-WM in Südafrika stattfand und in mehreren Bars auf Großleinwänden
übertragen wurde. Unwirklich, Bilder eines so weit entferntes Ereignis in
dieser abgeschiedenen Umgebung zu sehen.
Doch die Insel hatte auch einiges von ihrem Charme
bewahrt. Allein die Blautöne des Meeres mit seinem glasklaren Wasser und den strahlendweißen
Sandstränden waren betörend. Außerdem war die Insel autofrei und so gab es zur
Fortbewegung nur die eigenen Füße, Fahrräder und Pferde-Kutschen. Herrlich. Die
Insel war von Kokoshainen bewachsen und das Spiel der Gezeiten, veränderte das
Bild der Insel unaufhörlich. Die nächsten Tage verbrachten wir mit einer
Inselumrundung und einem Schnorcheltrip und waren fasziniert von der prallbunten
Unterwasserwelt mit ihrem atemberaubender Artenreichtum - Sepias, Muränen,
Seepferdchen, Clownfische oder Schildkröten und unzählige andere Lebensformen waren
im glasklaren Wasser gut erkennbar. Paul war schon oft getaucht, für mich war
dieser Anblick neu. 25 Prozent aller Riffe der Erde liegen in Indonesien. Die
Artenvielfalt übersteigt auch die des Great
Barrier Reef um mehr als das Doppelte. Unübersehbar war jedoch auch, wie
sehr die Riffe Schaden genommen hatten - durch den Anstieg der Wassertemperatur
infolge des El-Nino-Phänomens, dem
überbordenden Tourismus und den Folgen der jahrzehntelangen Dynamitfischerei. Weite
Teile der Korallen sind inzwischen tot. Doch es gibt einige Reviere, die noch
immer in Farben und einer Vielfalt leuchten, dass es einem die Sprache
verschlägt. Außerdem hat man begonnen, Riffe zu rekultivieren. Man trägt
abgebrochene Korallen zusammen und bringt sie mithilfe von elektrischen
Impulsen wieder zum Wachsen.
Weiterhin führten wir unsere philosophischen,
gesellschaftskritischen und politischen Unterhaltungen. Da hatten sich mal
wieder zwei gefunden. Schon merkwürdig: ich hatte den Ort gefunden, an
dem ich zum Abschluss meiner Reise relaxen wollte und nun debattierte ich mit
Paul, anstatt am Strand zu liegen. Aber es war eine tolle Begegnung und es lagen
einige Wochen hinter mir, in denen ich die Meiste Zeit einsam gewesen war. Generell
waren meine Reisen viel vom Alleinsein geprägt. Für mich standen immer die
Begegnungen mit Einheimischen im Vordergrund und wenn ich mich mit anderen
Reisenden zusammentat, dann waren sie in aller Regel ebenfalls an Kultur und
Menschen vor Ort interessiert. Bisweilen war die Einsamkeit nur schwer zu
ertragen und trieb mich in den Wahnsinn; oft habe ich das Alleinsein aber auch
sehr genossen. Man ist den Eindrücken ganz anders ausgeliefert. Das ist sehr
anstrengend, aber auch unheimlich bereichernd. Die Erfahrungen sind
unmittelbarer und man kommt erst so wirklich in Kontakt mit fremden Menschen.
Der Wehrmutstropfen ist, dass es keinem gibt, mit dem man diese Erinnerungen
nach seiner Rückkehr teilen kann. Darin steckt aber auch ein gewisser Reiz: Es
sind einzigartige Erfahrungen, die einen für immer prägen werden und man weiß,
warum man sich auf den Weg gemacht hat. Nichts wird so sein, wie es einmal war.
Inzwischen hatte sich mein Englisch soweit
verbessert, dass ich auch Ironie und schwarzen Humor einstreuen konnte. Die
lange ungeliebte Sprache war mir nach und nach zum Freund geworden. Auch sie
hatte mir ermöglicht, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Die Plattitüden, die
sich im Deutschen eingeschliffen hatten, waren glücklicherweise nicht
übersetzbar.
Nach einigen Tagen zog es Paul weiter, um den Rinjani auf Lombok zu besteigen und dann nach Flores und Komodo zu
reisen. Das war ursprünglich auch mein Ziel gewesen und ich hätte große Lust
gehabt, mit zu kommen. Ich entschied mich jedoch dazu, die letzten Tage meiner
Reise mit ein paar entspannten Tagen ausklingen zu lassen. Und nun tat ich das,
weswegen ich gekommen war: Ich lungerte am Strand, sonnte mich, schwamm und las
Bücher. Wenn ich hungrig war, zog es mich zu einem sehr leckeren Imbiss am
Marktplatz der Insel und ließ mir verschiedene Reis- und Nudelvariationen oder
frischen Thunfisch schmecken. Es gab auch Art Büffet mit Köstlichkeiten der
indonesischen Küche. Der Inhaber lebte eigentlich auf Lombok und betrieb sein kleines Restaurant nur während der Saison. Die etwa zweistündige Umrundung der Insel wurde zu
einem täglichen Ritual. Diese Wanderungen waren eine Wohltat. Nur die Ostküste
mit Blick auf Lombok war vollständig bebaut, während die Westseite an vielen
Stellen naturbelassen war. Es zeichnete sich jedoch ab, dass sich das ändern
würde. Lediglich im Inselinnern gab es ein Leben jenseits der Touristen. Ich bekam zunehmend das Gefühl, ich sei der
geborene Inselbewohner. Gegen Ende wollte mich meine „Gastfamilie“ gar nicht mehr
gehen lassen - sie wollten unbedingt mit mir ein Business aufziehen – dass ich
selbst wenn ich gewollt hätte, keinerlei Startkapital hatte, glaubte mir
keiner.
Fazit:
Die meisten Touristen kommen nach Trawangan um hemmungslos zu feiern und/oder die Unterwasserwelt zu erkunden. Ich ließ das Partyleben hingegen links liegen. Dafür musste ich nicht um die halbe Welt reisen. Die beiden anderen Gili-Inseln sind ruhiger. Die wenigen Male, die ich mit Paul am Strand saß, blickten wir auf die Nachbarinsel Meno, an deren Westküste abgesehen von ein paar einzelnen Holzhütten nur menschenleere Strände warten. Es wurde mit der Zeit zu einem running gag: Alle sprachen davon, am nächsten Tag auf die nächste Insel zu wechseln, aber kaum Jemand tat es. Auf Trawangan war es auch nicht übel. Ich weiß nicht, wie oft ich mir überlegt habe, ob es möglich sei, gegen die extrem starke Strömung die Nachbarinsel schwimmend zu erreichen oder ob einen die Strömung aufs offene Meer treiben würde. Vielleicht war es nicht schlecht, es nicht drauf ankommen zu lassen. Man muss sich immer was fürs nächste Mal aufheben…
Für Gili Trawangan gilt dasselbe wie für viele andere Orte. Erst sind sie ein Geheimtipp, dann werden sie hipp und es gibt einen Punkt, an dem alles kippt. Ein Sinnbild für die Ignoranz vieler Touristen war für mich die „EGO-Bar“ – der Name schien Programm – ich werde nie den Reiz von dicht an dicht stehenden Liegen verstehen, an denen man sich bedienen lassen kann, während der warme Sand direkt daneben lockt. Individuelle Erfahrungen und ein wirkliches Interesse an anderen Kulturen sind nicht die Triebfedern der meisten Touristen. Sie wollen unverfänglichen Spaß und Sicherheit - „another egoist joint venture“ kam mir in den Sinn – für mich spiegelt sich wieder einmal die ungleiche Verteilung auf der Welt und der überbordende Egoismus, der viele befallen hat. Ich möchte damit Niemanden das Recht auf Muße und Genuss absprechen – ich schätze beides. Aber wo ist die Horizonterweiterung? Aber ich will nicht ungerecht sein – natürlich braucht es Zeit, um den state of mind zu verändern und den haben die meisten nicht. Zeit ist ein Luxusgut geworden und darunter leiden die meisten – was bleibt also um den kurzen Urlaub in Zeiten der Leistungsgesellschaft zu nutzen, um die eigene Seele zu streicheln? Doch insgeheim wünschen sich viele einen Wandel – ich wünsche ihn uns allen. Fest steht jedenfalls eins: Reisen allein macht Niemand zu einem besseren Menschen. Viele machen mental da weiter, wo sie zuhause aufgehört haben Ich kann nur empfehlen, nach eigenen Wegen zu suchen und die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Ohne Lonely Planet – Dieses Versprechen von einsamen, individuellen Wegen hat sich längst in sein Gegenteil verkehrt…
Wer noch nicht genug hat, dem sei die Lektüre folgender Blogs ans Herz gelegt:
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Rezension zu Philipp Mattheis: Banana-Pancake-Trail
lustiges, treffendes und bisweilen zynisches Buch über die internationalen Backpacker...
Tiziano Terzani - Asien und die Globalisierung
Tiziano Terzanis Aufenthalt in Japan und der Wandel in Asien -
enthält auch einen Bericht über die im Blog angesprochene Reise...
Ein wahrer Genuss für Verstand und Intuition, Deine sorgsam gewählten Worte in sich aufzusaugen. Dem Blogtitel werden diese Ausführungen mehr als gerecht - wie ein Spiegel. Berichte aus fernen Ländern können so viel mehr, als nur WiFi Qualität und Unterkunftspreise vergleichen.
AntwortenLöschenSich auf englisch über Philosophie auszutauschen - ein Traum, noch ein langer Weg für mich.
Lebst du noch? Lese deinen Blog mit großem Interesse, nachdem ich Wind von deinen Ausführungen auf Reisedepeschen bekommen habe.
Gruß, T.
Lieber T!
LöschenVielen herzlichen Dank! Der Blog als Spiegel - das finde ich ein sehr schönes Bild und es freut mich wenn meine Reflexionen das für Dich sein können. Ich will ja unbedingt zum Nachdenken anregen.
Tatsächlich bin ich noch am Leben, was nach meinen letzten Geschichten in Marokko nicht selbstverständlich ist. Ich hoffe ich kann die besonders einschneidende Geschichte in der kommenden Woche zu Ende stellen. Ansonsten sind meine Reisen an einem vorläufigen Ende angelangt. Aber die Sehnsucht wird mich über kurz oder lang wieder hinaus in die Welt treiben.
Herzliche Grüße!
Oleander
Toller Blog. Wünsche allen frohe Weihnachten
AntwortenLöschenVielen Dank, Tina! Dir /Euch allen auch! Liebe Grüße! Oleander
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