Zurzeit geistern zahllose Artikel durch die Presse
über das Zeitungssterben und das Urheberrecht.
Die Frankfurter
Rundschau musste in die Insolvenz
gehen, die Financial Times Deutschland
zieht sich zurück, Junge Welt und TAZ kämpfen ums Überleben und schalten
sogenannte Paywalls. Und das ist nur
die Spitze des Eisbergs. Blogs versuchen mit Flattr-Buttons und Crowfounding-Projekten
(beides Plattformen für Kleinstspenden) auf die Füße zu kommen.
Im Gegensatz zu etablierten Medien, die nun ums
Überleben kämpfen, stehe ich erst am Anfang. Ich habe nie eine Ausbildung als
Autor genossen. Das Problem mit Vollgas ins Nichts zu schreiben ist bei mir
also schon länger Programm. Natürlich hoffe ich, dass ich meinen Platz finde –
so viel zur Ehrlichkeit gleich am Anfang…
Guter Journalismus braucht in meinen Augen Raum und Zeit – viele
erkaufen sich diese, in dem sie einem anderen Job nachgehen und in ihrer freien
Zeit journalistisch tätig sind oder als Freiberufler am Existenzminimum
herumkrebsen und immer wieder auf Unterstützung angewiesen sind. Es bleibt
kaum noch eine Alternative. Ich finde das pervers. Zudem wird der Journalismus
damit immer anfälliger für die Verlockungen
der PR-Industrie. Das bedroht seine
Unabhängigkeit. Idealismus ist
sicher eine wichtige Triebfeder der meisten Journalisten – doch auf Dauer führt
Idealismus allein selten zu einem gesunden Arbeitsumfeld – man gehe und frage
die Mitarbeiter im sozialen Bereich nach ihrer Meinung…
Was sind die Ursachen dieser Entwicklung? Gibt es zu wenig guten Journalismus?
Ich denke, das ist nicht von der Hand zu weisen; die
Verkürzung auf diese These ist aber kaum haltbar. Denn diese Entwicklung hat viele
Gründe. Ich glaube nicht, dass wir zu wenige gute und engagierte
Journalisten haben. Oft vermisse ich jedoch klare Haltungen. Angesichts einer in weiten Teilen von PR und
Lobbyisten beeinflussten Öffentlichkeit, halte ich diese Haltung für
dringender denn je. Sicher muss Journalismus eine gewisse Ausgewogenheit bewahren - aber wird
angesichts der massiven Fehlentwicklungen unserer Zeit kritischer, engagierter
Journalismus, der die andere Seite der Wirklichkeit abbildet, nicht zur
Pflicht?
Aber diese Haltung muss man sich auch leisten
können. Schließlich sind heute die meisten Zeitungen von ihren Werbekunden
abhängig. Das macht kritischen Journalismus besonders schwierig oder
verkleinert den Kreis der Inserenten und Geldgeber deutlich…
Nur wenige Journalisten sind wohl in der glücklichen
Lage dauerhaft nach ihrem Gewissen
und nicht ausschließlich nach Relevanz
aktueller Nachrichtenlage schreiben zu können und darin auch noch vom
Verleger unterstützt zu werden.
Natürlich ist das Interesse an den aktuellsten
Meldungen ausgeprägt wie nie zuvor. Doch für diese Neuigkeiten will keiner mehr
bezahlen und viel interessanter sind die Hintergründe. Um die zu recherchieren,
bedarf es natürlich Zeit.
Der Anspruch, dass Informationen generell nichts kosten dürfen ist in meinen Augen ein
gravierendes Problem. Wobei ich bei dieser Frage ein wenig zerrissen bin:
natürlich bin ich daran interessiert, dass Jeder Zugang zu Informationen hat;
alles andere würde alles was ich in den letzten Jahren getan haben völlig Ad
Absurdum führen. Dieser Zugang ist bitter nötig für eine engagierte Bürgerschaft – in meinen Augen eines der wesentlichen Fundamente einer freien Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die sich nicht darauf
konstituiert, dass man sich Informationen leisten können muss und Niemanden vom
Bildungsprozess auszuschließt. Ein Exkurs über unser „Bildungssystem“ würde
sicher an dieser Stelle den Rahmen sprengen – aber ganz gewiss liegt in der Bildung der Schlüssel für die
Herausforderungen, denen wir uns gegenüberstehen. Alles andere als in die
Bildung zu investieren ist kurzsichtig und fahrlässig!
Guter Journalismus kostet viel Geld. Investigativer Journalismus stößt sonst schnell an seine Grenzen; Reportagen zu den wichtigen Schauplätzen
auf der Welt werden unmöglich – mal ganz abgesehen davon, dass ein
Journalist auch irgendwie überleben muss…
Das muss nicht zwangsläufig heißen, dass die
Informationen selbst Geld kosten – in jedem Fall haben sie einen Wert und
müssen honoriert werden. Recherche, Filtern, Einordnung und Aufbereitung von
Informationen ist ein aufwendiger und wichtiger Prozess. Doch es darf nicht
auf eine Kosten-Nutzen-Rechnung hinauslaufen - diese Rechnung geht nicht auf.
Der kritische Journalismus ist (ähnlich wie Literatur, die zum kritischen
Nachdenken einlädt) für den Kapitalismus neoliberaler Prägung nur von höchst
untergeordnetem Interesse – häufig sogar schädlich. Unser Wirtschaftssystem
lebt ja nicht gerade vom kritischen Konsum…
Doch, wenn sich nur noch Mainstream durchsetzt, sind
die Kunst und der Journalismus auf lange Zeit tot. Dann dreht sich alles nur noch darum, die Erwartungshaltung der Kunden zu
bestätigen, die wiederum durch die Medien aufrechterhalten werden. Wie will der Journalist / Künstler da noch
überraschen, Akzente setzen und zu neuen Blickwinkeln anregen? Journalismus
verliert so seine Kraft und Bedeutung!
Das heißt für mich: der Journalist / Autor / Künstler benötigt Raum und Zeit, um Ideen zu
entwickeln, zu recherchieren, ohne dass er eine Garantie abgeben kann, ob sich
das Ergebnis verkauft – das zu erwarten wäre absurd. Kreativität lässt sich
nicht erzwingen und Meinungsvielfalt ist
ein Wert an sich. Verschwindet die Vielfalt, entsteht der Einheitsbrei, für den viele
tatsächlich nichts mehr bezahlen wollen.
Wer das Glück hat von Stiftungen, Literatur- oder
Kunstpreisen zu profitieren, gehört einer kleinen Minderheit an und ich kann zu
diesem Thema einen Artikel von Sybille Berg für S.P.O.N. empfehlen, der beschreibt welche Abhängigkeit dabei entsteht. Das verschärft
das generelle Problem eher noch, da auch hier neue Literaten und neue Impulse
wenige Chancen haben. Doch ich möchte mich dem Literaturbetrieb an anderer
Stelle nochmal gesondert widmen, nach der Veröffentlichung meines Buches habe
ich da auch Bild gewinnen können – viele der Punkte dieser Analyse lassen sich aber
definitiv übertragen.
Was braucht guter Journalismus also?
Bedingungen in denen er reifen kann! Wo gibt es in
den Städten noch bezahlbaren Wohnraum / Ateliers / Büros für Künstler /
Journalisten oder Start-Ups vorhanden, die nicht von heute auf morgen
profitabel sein können, wenn sie es überhaupt werden? Vielerorts lässt man
Büros lieber leer stehen, als sich über solche Nutzungskonzepte Gedanken zu
machen. Zuletzt las ich auf eine ähnliche Einlassung bissige Kritik, was sich
die Medienschaffenden einbilden würden – das Problem treffe andere doch viel
härter. Diese Schieflage unterschreibe ich sofort: nur, was hilft dieses ewige gegenseitige Ausspielen? Hat nicht gerade guter
und unabhängiger Journalismus genau die Aufgabe solche Probleme ins Blickfeld
zu rücken? Ähnlich begeistert bin ich von dem ewigen Argument, man solle
schön froh sein, wie gut es uns doch hier gehe im Gegensatz zur dritten Welt.
Was zum Teufel soll das? Wann begreifen
wir, dass die Probleme in unserer Welt miteinander verknüpft sind – heute mehr
als jemals zuvor. Das Aufzuzeigen, muss Journalismus leisten können – um
Möglichkeiten zur Veränderung hier wie dort abzubilden – und die Menschen von
ihrer scheinbaren Hilflosigkeit zu befreien.
Wo ich gerade bei guten Argumenten bin: Ich habe schon
leidenschaftliche Diskussionen geführt, in denen mir die Meinung begegnet ist,
gute Inhalte würden sich immer durchsetzen. Ich halte das für einen
Trugschluss, der mich an das Versprechen des amerikanischen Traums (die
Menschen in vielen Kleinstädten der USA lachen schon lange nicht mehr) und dem
verschissenen (Pardon!) Mantra des Neoliberalismus erinnert:
Leistungsgerechtigkeit – wer nicht den Durchbruch schafft ist ein
Minderleister. Leistungsgerechtigkeit
ohne Chancengleichheit ist ein Witz!
Anmerkung: bevor ich schon hier und jetzt in abgrundtiefen
Zynismus abgleite: zum Neoliberalismus möchte ich demnächst noch eine
Liebeserklärung schreiben, darüber welch wunderbare Wortschöpfungen und
-abwandlungen er uns schenkt, die uns helfen unsere Werte zu „optimieren“; was heute nicht alles sozial und konservativ ist! Erfreulich dass mein Uralt Word-Starter das Wort „Minderleister“ nicht kennt.
Das bringe ich ihm auch nicht bei…
Wie soll ein Journalist das Risiko einer mutigen Reportage in einer
Krisenregion auf sich nehmen können, wenn bereits
das für ihn persönlich ein unkalkulierbares Risiko darstellt, angesichts der
Frage wie er über die Runden kommen kann, selbst
dann, wenn er seine Reportage unbeschadet übersteht und ein guter Artikel dabei
entsteht?
Wie sollen tiefgründe Reportagen überleben, die von monatelanger Recherche
mit offenem Ende leben? Und wenn sie
entstehen, wer wird sich das Reportagen-Heft unter den heutigen Bedingungen
leisten können?
Als Anstoß empfehle ich den Artikel von Schirrmacher
mit einer umfassenden Analyse im Online-Angebot der FAZ vom 26. 11. 2012:
Was mir in dem Artikel zu wenig betont wird, ist, dass
die genannten Probleme nur ein Symptom
einer tiefen gesellschaftlichen Krise sind (was ich hier in den Fokus
gestellt habe), die durch die „Finanzkrise“ und die einseitigen
„Lösungsansätze“ verschärft wird. Der schleichende Einfluss neoliberaler Gedanken auf den Journalismus und unsere
Gesellschaft ist hingegen ausführlich und sehr aufschlussreich. Ich schließe mich vielen seiner Ausführungen an.
Natürlich war die arabische Revolution keine Twitter- oder Facebook-Revolution
- diesen Medien fehlt in der Tat viele echte partizipatorische Elemente und
wahre Empathie kommt in den Netzwerken zwangsläufig zu kurz; als Informationskanäle (wobei Facebook
inzwischen diese Streuung durch einen neuen Algorithmus massiv einschränkt),
zur Entstehung kreativer Räume - vor
allem aber als Katalysator waren und
sind sie für die weltweiten Proteste (noch) von hoher Bedeutung und haben zu einer weltweiten Vernetzung
geführt, die für die Geschichte einzigartig ist.
Entscheidend wird aber in meinen Augen sein, was die
Aktivisten aus dem ziehen, was sie in den letzten Jahren in den Netzwerken
erfahren haben. Denn ich denke, dass sich das Zeitfenster auf diesen Kanälen nach und nach schließt, bevor es sich
unter Umständen gegen die richtet, die es für politische Zwecke genutzt haben;
und noch stecken Alternativprojekte in den Kinderschuhen und es ist fraglich,
ob sie je eine solche Relevanz entwickeln werden.
Vielleicht sind Mikrospenden
über Schwarmfinanzierung wirklich (ein Teil der) Zukunft. Wahrscheinlicher müssen wir uns zu einer Gesellschaft
entwickeln, die gemeinsam beschließt, solchen Kulturgütern generell einen Wert
beizumessen und eine angemessene
Bezahlung sicherzustellen. Gleichermaßen
bedarf es einer Wertedebatte, die sich den
vielen anderen offenen Fragen stellt: denen nach Energieversorgung,
Wohnraum, Teilhabe, Pflege, dem Klimawandel, sozialer Gerechtigkeit, gerechter
Bezahlung und Verteilung von Arbeit und Gütern. Der Journalismus muss dafür Anstöße liefern und die Politik und
Wirtschaft unter Druck setzen – dann werden die Menschen wieder den Wert des
Journalismus erkennen!
Es handelt sich hier nicht um ein Plädoyer
dafür, Journalismus staatlich zu subventionieren, was zu Fragen führen würde,
die in die völlig falsche Richtung führen würden (z.B. wie viele Journalisten
es dann gäbe oder welche Meldungen sich verbreiten). Keineswegs. Dennoch
brauchen Journalisten und Künstlern Freiräume, um kreative Prozesse zu
initiieren und gute Ideen brauchen in ihrer Startphase eine Unterstützung. Das
ersetzt natürlich nicht den Wettbewerb von Ideen. Es geht also darum
Unterstützung zu ermöglichen ohne die Gesetzmäßigkeit von Angebot und Nachfrage
außer Kraft zu setzen.
Doch in der Tat frage ich mich, wie sich
Existenzsicherung und Arbeit über den Selbstzweck hinaus - die einem Leben
einen Sinn geben - besser voneinander trennen lassen. Das ist natürlich eine Aufgabe, die keiner dem Journalismus alleine
verantworten kann; kritischer Journalismus kann Anstöße geben, die
Debatte darüber muss gesamtgesellschaftlich stattfinden und ich bin überzeugt,
dass diese Debatten noch deutlich an Fahrt gewinnen werden. Es ist an der Zeit
für emanzipatorische Projekte wie beispielsweise dem Grundeinkommen oder /und
einer gemeinschafts- und ressourcenbasierten Ökonomie, die Antworten auf die
Fragen unserer Zeit geben kann. Der Reflex alle Kapitalismuskritik damit zu
beantworten, dass der Sozialismus gescheitert sei, zeigt nur die
Kurzsichtigkeit einer Debatte, die zu viele Extreme kennt und zu wenig gesunden
Menschenverstand. Es kann zweifelsohne nicht um die Frage Sozialismus oder
Kapitalismus gehen, sondern darum neue Wege zu finden. Zwischen totalitärer
Gleichmachung und angeblich alternativlosem Marktradikalismus liegen
glücklicherweise Welten…
Doch was machen wir in der Zwischenzeit? Und wie gestalten wir diesen
Übergang? Das sind für mich die entscheidenden Fragen, auf die
ich noch keine Antworten kenne. Doch eines ist sicher: lassen wir den
Journalismus und die Bürgerrechte vor die Hunde gehen, wird das endgültig dazu
führen, das wir extrem finsteren Zeiten entgegensteuern und der Gedanke der
Solidarität bei vielen Menschen untergeht – weil die Meisten nur noch auf ihr
eigenes Überleben schauen können. Wir stehen am Scheideweg: Ob
dieses riesigen Vakuums, das schon heute besteht und sich weiter öffnet,
letztlich zu einer Neubesinnung auf wahre Werte führt oder in einen furchtbaren
Totalitarismus – ich wage es nicht zu prognostizieren – aber ich will es
nicht darauf ankommen lassen!
Umso erfreuter bin ich über all die Initiativen,
die schon entstanden sind und weiter entstehen, von denen, die sich auf den Weg
gemacht haben, um für essentielle Werte und Menschenwürde einzustehen. Im Blog neue
Wege des Journalismus findet sich eine Ergänzung zu diesem Artikel und
einige Beispiele für multimediale Reportagen und eine spannende Weltreise auf
den Spuren des modernen Journalismus...