Ausgangspunkt
Lombok lag als Ziel schon länger
vor meinem inneren Auge. Dreieinhalb Jahre zuvor hatte ich am Strand von Gili
Trawangan gelegen und sehnsüchtig auf die Insel geblickt, die vom Vulkanmassiv
des Rinjani überragt wird. Dort wollte ich unbedingt hin – doch meine Reise war
kurz vor dem Ende. Von der Südküste las ich später auch nur Gutes. Lombok war
noch lange nicht so überrannt wie Bali.
Meine Erwartungen wurden weit
übertroffen: Die sechs Wochen wurden zu einem Höhenflug. Noch heute vermisse
ich diese wunderschöne Insel.
Als ich Lombok erreichte, lagen
sechs Monate in Indien hinter mir, dreieinhalb davon hatte ich im Himalaya verbracht.
Ich hatte Pässe bezwungen, war in entlegene Winkel vorgestoßen und hatte endlose
Busfahrten auf mich genommen. Ich hatte Einsamkeit ausgestanden und immer neue
Grenzen eingerissen. In Varanasi hatte ich mich mit dem Tod auseinandergesetzt.
Dort erreichte mich auch die Mail von Ulf, der überlegte mich in Asien zu
besuchen. Wir vereinbarten, uns in Indonesien zu treffen. Da ich noch unbedingt
in den Süden Indiens vorstoßen wollte, setzte ich mich unter Zugzwang und
buchte einen Flug von Kerala aus. Zehn Tage blieben mir, um die über 4000
Kilometer lange Querung mit der Bahn durch Indien hinter mich zu bringen. Das
war zwar Wahnsinn, aber genau der reizte mich. Außerdem würde ich so erstmals
durch das Herz des indischen Kontinents fahren. Unterwegs legte ich einen 6-tägigen
Abstecher in Goa ein und besuchte den Ort, der mir auf vorigen Reisen zum
Ankerplatz geworden war. Selten spürte ich deutlicher, welche Veränderungen ich
in den letzten 5 Jahren durchlaufen hatte. Doch manche Dinge blieben gleich. Ich
reiste noch immer auf eine Art und Weise die zu extrem war. Der Maniker borgt
vom Morgen, sagte mir ein Freund kürzlich. Als ich Bali erreichte, hatte ich
bereits einen gehörigen Kredit aufgenommen und was nun folgte sollte das –
zumindest was die Intensität betraf – noch in den Schatten stellen.
Eigentlich sprach alles
dafür, alle Viere von mir zu strecken und mir eine wohlverdiente Auszeit an
einem Palmenstrand zu gönnen. Dagegen sprachen 14 Tage. So lange würde Ulf noch
bleiben. Also fuhren wir mit der Fähre von Padangbai nach Lembar an der
Südwestküste Lomboks. Von dort aus reisten wir weiter nach Kuta, ganz im Süden der
Insel. Ich nahm den Ort zunächst nur auf der Durchreise wahr. Die zwei Tage vergingen
wie im Flug. Wir erkundeten die Küstenstraßen östlich und westlich auf Scootern
und waren überzeugt, dass es sich lohnen musste, alleine hier zwei Wochen zu
verbringen. Ich wollte sicherstellen, dass ich nach den Strapazen, die folgen würden,
noch einmal zurückkehren würde, um dieses wunderbare Fleckchen Erde ausgiebig zu
erkunden. So ließ ich meinen großen Rucksack in unserem gemütlichen Homestay.
Meine Intuition sollte mich nicht im Stich lassen.
Drei Wochen später kehrte ich
zurück. In der Zwischenzeit hatten Ulf und ich den Rinjani bestiegen und einen
4-tägigen Bootstrip zu den Drachen von Komodo unternommen, jeweils besondere
Highlights meiner Reisen. Wir hatten unglaublich viel erlebt und viel zu wenig
geschlafen. Dennoch hätte ich gerne noch weitere Monate mit Ulf an meiner Seite
verbracht. Schweren Herzens ließ ich ihn ziehen. Doch nach einem 10-tägigen Abstecher
auf Gili Trawangan war ich glücklich, wieder nach Südlombok zurückkehren zu können
und endlich das Projekt Erholung in Angriff zu nehmen. Alle Welt fuhr nach Gili
Trawangan, um es für Neujahr richtig krachen zu lassen. Ich schien der einzige
Tourist zu sein, der die Insel verließ. Der Gedanke gefiel mir. Endlich stieg
ich wieder aus dem Touristenkokoon aus. Ich wollte wieder mehr
Kontakt zu den Einheimischen, Abstand zum Massentourismus und neue Horizonte
erobern – ohne Zeitdruck und Plan.
Meine Rückkehr zum Diyah
Homestay sorgte zunächst für etwas Konfusion. Nachdem ich mich der langen Haare
und dem Bart entledigt hatte, war ich nicht wieder zu erkennen. Erst ein Foto
von mir in alter Pracht sorgte für Klarheit.
Den Sylvesterabend verbrachte
ich zu ausgezeichneter Musik in einer kleinen Bar am Strand. Ich begrüßte das
neue Jahr tanzend. Ich bereute keine
Sekunde, Gili Trawangan verlassen zu haben. Ich mochte mich im Moment
ein wenig einsam fühlen. Aber ich fühlte mich befreit. Ich konnte Atmen. Es
roch nach Abenteuer.
Verliebt in eine Insel
Was mich von Beginn an
begeisterte war die Freundlichkeit der Sasak (die einheimische Bevölkerung) und
die reichhaltige Natur der Insel. Die täglichen Fahrten auf dem Scooter
versetzten mich in einen Rausch. Entlang der wilden, felsigen Steilküste zu
fahren, die von wunderschönen Buchten und Stränden durchbrochen wird, hat mich
niemals ermüdet.
Ich genoss die totale Freiheit, dorthin zu fahren, wo immer es mir beliebte. Immer wieder erkundete ich neue Strecken, wagte mich auf tückische Pisten. Ich folgte nur meinem Instinkt. Manchmal hörte ich Musik oder sang aus ganzem Herzen. Ich habe mich niemals so wild und frei gefühlt wie in den Wochen auf diesem atemberaubenden Eiland, das von der Macht der Vulkane, der Urgewalt des Ozeans, den rauen Stürmen und dem Monsun immer neu geformt wird. Die Insel ist reich an Ressourcen, Kunsthandwerk, edlen Stoffen, Mineralien, Früchten und Gewürzen. Im Inselinnern gedeiht der Dschungel. Mit ausgeklügelter Landschaftsarchitektur haben die Sasak Reiskulturen geschaffen, die in ihrer Pracht der natürlichen Schönheit der Insel kaum nachstehen. Wasserbüffel ziehen noch immer die meisten Pflüge.
Ich genoss die totale Freiheit, dorthin zu fahren, wo immer es mir beliebte. Immer wieder erkundete ich neue Strecken, wagte mich auf tückische Pisten. Ich folgte nur meinem Instinkt. Manchmal hörte ich Musik oder sang aus ganzem Herzen. Ich habe mich niemals so wild und frei gefühlt wie in den Wochen auf diesem atemberaubenden Eiland, das von der Macht der Vulkane, der Urgewalt des Ozeans, den rauen Stürmen und dem Monsun immer neu geformt wird. Die Insel ist reich an Ressourcen, Kunsthandwerk, edlen Stoffen, Mineralien, Früchten und Gewürzen. Im Inselinnern gedeiht der Dschungel. Mit ausgeklügelter Landschaftsarchitektur haben die Sasak Reiskulturen geschaffen, die in ihrer Pracht der natürlichen Schönheit der Insel kaum nachstehen. Wasserbüffel ziehen noch immer die meisten Pflüge.
Ojang und die Hochzeiten
Ganz besonders bemerkenswert
war die Tatsache, dass ich bereits nach einer Woche begann, ein inniges Verhältnis
zu meiner Gastfamilie aufzubauen – besonders zu Ojang. Das war umso
erstaunlicher, weil er zwar ein wenig Englisch sprach, davon aber wenig
Gebrauch machte und überhaupt nicht interessiert war, sich für die Touristen
anzupassen. Umso erfreuter war er, dass ich mich ernsthaft für die Kultur der
Sasak interessierte. Ich war begeistert, als er mich nach einer Woche einlud,
an einer Hochzeit seines Clans teilzunehmen. Ich trug ohnehin schon jeden Tag
einen traditionellen Sarong, den Rest meines Outfits wurde mir von der Familie
gestellt.
Am späten Vormittag fuhr
Ojang mit mir zum Teil seiner Familie, der weiter im Landesinneren wohnt. Er
fuhr im Schneckentempo. Offenbar war ich ein Ehrengast und es machte ihm ebenso
viel Freude wie mir die positiven Reaktionen auf den Falang in traditioneller Feiertracht aufzunehmen.
Wir erreichten das kleine
Dorf über eine schmale Straße. In der Regenzeit verwandelten sich diese nicht
asphaltierten Wege in wahre Schlammpisten. An den Reaktionen der Dorfbewohner ließ
sich ablesen, dass ich einer der wenigen westlichen Besucher war, die je
hierhergelangten. Im Haus der Familie wurde mir Tee, Kaffee, unglaublich
scharfes, aber ebenso schmackhaftes Essen und Tabak von den Feldern angeboten.
Trotz der Sprachbarriere und der Tatsache, dass mir abgesehen von ein paar
vertrauten Gesichtern alle fremd waren, fühlte ich mich gut.
Die Hochzeit war zwar ein muslimisches Fest, doch viele Elemente zeigten deutlich, dass es sich um keine strenge Auslegung des Islam handelte. Dafür spielten Farben, Tanz, Musik und Ausgelassenheit eine zu große Rolle. Der Dress des Brautpaars wies gar hinduistische Züge auf, die von Bali hierher geschwappt sein mussten. Tradition schien immer noch stärker als Orthodoxie zu sein. Einzig Alkohol war im Tabu.
Die Hochzeit war zwar ein muslimisches Fest, doch viele Elemente zeigten deutlich, dass es sich um keine strenge Auslegung des Islam handelte. Dafür spielten Farben, Tanz, Musik und Ausgelassenheit eine zu große Rolle. Der Dress des Brautpaars wies gar hinduistische Züge auf, die von Bali hierher geschwappt sein mussten. Tradition schien immer noch stärker als Orthodoxie zu sein. Einzig Alkohol war im Tabu.
In einem riesigen Fass wurden
Unmengen von Reis zubereitet. Zum Rühren wurde eine Schaufel benutzt. Die
Frauen waren fleißig damit beschäftigt, immer neue Leckereien zuzubereiten. Die
improvisierte Bühne für das Brautpaar war reich geschmückt. Es wurde für den späten
Nachmittag erwartet.
Kaum waren wir angekommen, begann
es wie aus Eimern zu schütten und unermüdliche Helfer sorgten dafür, die
aufgespannten Plastikplanen vom Wasser zu befreien, bevor sie rissen. Ojang vertrieb
sich die Zeit mit einem Nickerchen. Alles wartete nun auf das Ende des Regens
und die Ankunft des Brautpaars. Mein Freund Wahab, dessen Schwester verheiratet
wurde, kümmerte sich um die gewaltige Musikanlage, die in einer ohrenbetäubenden
Lautstärke scheppernd, traditionelle Musik spielte.
Ich war für die Gäste ein Faszinosum.
Doch so sehr ich angestarrt wurde, so wenig fühlte ich mich unwohl. Keiner
schien den Gedanken zu hegen, dass ich hier fehl am Platz war. Es war pure
Neugier. Ich war glücklich, endlich einmal einer Hochzeit in Asien beizuwohnen.
Nun folgte der Höhepunkt. Wahab platzierte mich inmitten seiner männlichen Familienmitglieder. Alle waren festlich geschmückt. Die meisten trugen neben dem Sarong einen schwarzen Frack und eine Gebetsmütze. Mir gaben sie auch eine. Da saß ich nun inmitten der gläubigen Muslime und fragte mich, ob ich dort wirklich hingehörte.
Nun folgte der Höhepunkt. Wahab platzierte mich inmitten seiner männlichen Familienmitglieder. Alle waren festlich geschmückt. Die meisten trugen neben dem Sarong einen schwarzen Frack und eine Gebetsmütze. Mir gaben sie auch eine. Da saß ich nun inmitten der gläubigen Muslime und fragte mich, ob ich dort wirklich hingehörte.
Die Familie des Bräutigams
erschien und nahm auf der Straße Aufstellung. Sie schienen um Aufnahme in den
Familienkreis zu bitten. Danach setzten sie sich unserer Gruppe gegenüber. Es
begann eine Art ritueller Dialog zwischen dem Patriarchen der einen und der
anderen Familie. Nach und nach ging es in ein Schachern um den Brautpreis über.
Eine Holztruhe mit wertvollen Stoffen, ein kleines Holzschwert und Bargeld ging
von der Familie des Bräutigams zur Familie der Braut über. Ich hatte den
Eindruck, dass die genaue Geldsumme schon vorher ausgemacht worden war.
Trotzdem wechselte Geld hin und her, wurde nachverhandelt, Enttäuschung zum
Ausdruck gegeben, mehr Geld übergeben, um teilweise wieder zurückgegeben zu
werden. Am Ende waren alle zufrieden.
Neben dem Befremden empfand
ich Rührung, dass man mir dieses Vertrauen entgegenbrachte und mich so
unmittelbar an der Übergabe der Mitgift teilnehmen ließ. Nachdem die Mitgift
ausgehandelt worden war, erschien eine Musikkapelle mit gewaltigen Trommeln. Die
Trommler befanden sich in Trance und spielten mitreißende Rhythmen. Das
Brautpaar posierte mit Gästen auf der bereitgestellten Bühne.
So plötzlich der Höhepunkt
des Festes erreicht war, so schnell war er auch wieder vorbei. Ich kehrte mit
Ojang zum Homestay zurück. Auf der Rückfahrt war ich immer noch sehr gerührt.
Ich konnte nicht fassen, was ich da gerade erleben durfte.
In den nächsten Wochen kaufte
ich mir immer wieder neue Sarongs. Ich würde ihnen bis ans Ende meiner Reise treu
bleiben, ganz gleich wie man mich anstarrte. Ein ganz besonderer ist ein
schwarzer aus Seide, der mit einem Goldrand versehen ist und nur bei Hochzeiten
getragen wird – dazu erstand ich den traditionellen Frack, einer Art Schärpe
und die passende Kopfbedeckung.
So wurde ich zu drei weiteren
Hochzeiten eingeladen. Auf der zweiten erschien ich mit traditionellem Dolch. Auf
der letzten wollte man mich verkuppeln…
Auf der zweiten Hochzeit wagte
ich mich nach einiger Überredungskunst ans Tanzen. Allerdings ist es unmöglich
traditionelle Tänze zu erlernen, wenn man sich als einziger Gast auf der
Tanzfläche befindet und dabei 100 Augenpaare jeden Schritt unter die Lupe
nahmen. Das kostete mich einige Überwindung und meine wilden Auftritte wurden
mit einer Mischung aus Belustigung und Respekt aufgenommen.
Ein besonderes Kapitel sind
die Musikkapellen, die von einer Hochzeit zur anderen tingeln. Zu ihnen gehören
junge Tänzerinnen, die in ihren knappen Kleidern und stark geschminkt inmitten
der traditionell gekleideten Hochzeitsgäste geradezu pornographisch auftreten.
Die Musik weist immer noch
viele traditionelle Elemente auf, doch je mehr Geld der Hochzeitsgesellschaft
zur Verfügung steht, desto moderner wird die Musik. Reggae- und Disco-Anklänge
sind durchaus erwünscht. Das erzeugt bisweilen einen scharfen Kontrast: auf der
einen Seite die junge Kapelle mit den aufreizenden Tänzerinnen und dem
unvermeidlichen Bob Marley als Deko auf der Trommel – auf der anderen Seiten die Hochzeitsgäste
in ihren traditionellen Gewändern.
Mit der Zeit wurde es für
mich unmöglich, Einladungen auszuschlagen. Und ich ging gerne. Ein wenig fühlte
ich mich schon wie ein Teil der Familie. Auf der letzten Hochzeit blockierten
wir mit 150 Hochzeitsteilnehmern den Highway. Lauter euphorisierte Menschen auf
Scootern und Motorrädern, angeführt vom Brautpaar in einem Jeep und einem
Transporter auf dem eine gigantische Musikanlage mit Liveperformance unser
Kommen ankündigte. Es waren Erfahrungen wie diese, während der ich mich
manchmal fragte, ob ich träumte.
Mit jedem Tag fühle ich mich
in dem Homestay mehr zuhause. Ständig stiegen hier tolle Typen ab, so dass mir
nie langweilig wurde. Selten in meinem Leben habe ich dermaßen viele Gespräche
geführt und fand so leicht zu den unterschiedlichsten Arten von Menschen. Ich
war durchlässig wie ein Schwamm und sog alles in mich hinein. Ich war oft
überdreht und manchmal drohte meine Stimmung zu kippen, doch es gelang mir ein
fragiles Gleichgewicht zu halten und fühlte mich glücklich wie selten. Ich
vertraute meiner Intuition und zeigte meine Gefühle offen.
Noch näher blieb mir meine
Gastfamilie. Ich war in einen Raum direkt neben der Familie gezogen und war nun
mitten im Geschehen. Schon am Morgen zogen mich die strahlenden Gesichter in
den Tag.
Ich wurde für meine Verhältnisse zu einem Frühaufsteher. Doch, wenn ich vor 8 das Licht des Tages erblickte, war die Familie schon seit Stunden auf den Beinen. Sie erwachten mit dem Ruf des Muezzins um 4 Uhr 30 in der Früh und machten sich an die Arbeit auf dem Feld oder ums Haus. Nach und nach kannte mich auch die Nachbarschaft und jeder hatte zumindest ein Lächeln für mich übrig. Die Neugier war grenzenlos. Nachdem man mich gelegentlich bei einfachen Yogaübungen gesichtet hatten, hatte ich meinen Spitznamenweg: „Yoga“. Sie vertrauten mir. Als ich zwischenzeitlich meine Kreditkarte verloren hatte, stand ich nach 4 Wochen mit der kompletten Miete für das Zimmer und den Scooter in der Kreide und obwohl es sich schwierig gestaltete an neues Geld zu gelangen, überraschte mich Ojang nach einem Besuch in der Stadt mit einer kompletten Garnitur neuer Kleidung – als Geschenk. Da sie wussten, dass ich kaum Bargeld hatte, durfte ich mich an ihrem Essen bedienen, wann immer ich wollte. Es waren solche Gesten, die mich fast zu Tränen rührten! So komisch es klingt: neben kurzen Abstechern zum Schwimmen verbrachte ich an gerademal 3 Tagen längere Zeit am Strand. Zu sehr genoss das seltene Gefühl, mich heimisch zu fühlen.
Ich wurde für meine Verhältnisse zu einem Frühaufsteher. Doch, wenn ich vor 8 das Licht des Tages erblickte, war die Familie schon seit Stunden auf den Beinen. Sie erwachten mit dem Ruf des Muezzins um 4 Uhr 30 in der Früh und machten sich an die Arbeit auf dem Feld oder ums Haus. Nach und nach kannte mich auch die Nachbarschaft und jeder hatte zumindest ein Lächeln für mich übrig. Die Neugier war grenzenlos. Nachdem man mich gelegentlich bei einfachen Yogaübungen gesichtet hatten, hatte ich meinen Spitznamenweg: „Yoga“. Sie vertrauten mir. Als ich zwischenzeitlich meine Kreditkarte verloren hatte, stand ich nach 4 Wochen mit der kompletten Miete für das Zimmer und den Scooter in der Kreide und obwohl es sich schwierig gestaltete an neues Geld zu gelangen, überraschte mich Ojang nach einem Besuch in der Stadt mit einer kompletten Garnitur neuer Kleidung – als Geschenk. Da sie wussten, dass ich kaum Bargeld hatte, durfte ich mich an ihrem Essen bedienen, wann immer ich wollte. Es waren solche Gesten, die mich fast zu Tränen rührten! So komisch es klingt: neben kurzen Abstechern zum Schwimmen verbrachte ich an gerademal 3 Tagen längere Zeit am Strand. Zu sehr genoss das seltene Gefühl, mich heimisch zu fühlen.
Ich hatte mich richtig schön
eingerichtet. Mein Prachtstück war ein wunderschöner Ganesha (der Hindu-Gott
mit dem Elefantenkopf), der aus einem Baumstamm geschnitzt worden war. Nun
hatte ich neben meiner Bibliothek und dem Kochgeschirr sogar meinen eigenen
Tempel. Morgens aß ich meinen obligatorischen Pfannkuchen und sammelte
Hibiskusblüten für meinen Tempel. Den Tisch vor meinem Zimmer hatte ich
außerdem mit Muscheln, Kerzen, Postkarten und einigen Sarongs dekoriert. Ich
entzündete Räucherstäbchen und immer lief Musik.
Astralreisen
Gelegentlich begab ich mich auf psychedelische Reisen. Aus unerklärlichen Gründen dürfen halluzinogene Pilze in Indonesien offen verkauft werden. Das ist erstaunlich; schließlich sind die Strafen wegen Marihuana-Besitz radikal. Allerdings wachsen die Pilze gerade während der Regenzeit in rauen Mengen. Die Zeit im Himalaya und die Erfahrungen am Rinjani und während unseres Boottrips waren für mich stark spirituell geprägt. Ich fühlte mich so nah an der Natur wie schon sehr lange nicht mehr. Ich empfand tiefe Lebensfreude. Die Trips waren keine Partylaunen, sondern tiefe, bisweilen mystische Erfahrungen, Rituale. Es war meine Art Danke zu sagen, für das was mir auf dieser Reise an Gutem widerfahren war und dass es mir endlich gelang, Liebe anzunehmen und an andere zu verschenken, ohne irgendeine Gegenleistung zu erwarten. Dieses Bedürfnis kam aus meinem innersten. Ich erinnerte mich auch der Toten, die ich geliebt hatte. Manchmal saß ich während dieser Astralreisen wie ein Schamane in der Gluthitze der tropischen Nacht und der Kerzen, von denen ich umgeben war. Auch innerlich glühte ich.
Ich wollte an keinem anderen
Ort sein. Manchmal lief ich ein paar Schritte vor das Homestay und betrachtete
den tropischen Himmel und fühlte mich in der Zeit zurückversetzt. Als sei ich
gerade aus meiner Höhle getreten und spürte die Gewalt der Elemente, die mich
in gleicher Weise berauschte wie ängstigte. Lange bevor uns die Wissenschaften
alles erklärt hatten. Ein Zustand jenseits des Denkens. Pures Sein. An diesem
Ort ließ sich leicht vergessen, wie sehr wir uns von unserem natürlichen
Seinszustand entfernt hatten. Dorthin zog es mich zurück.
Grenzüberschreitungen
Ganz besondere Erfahrungen
waren auch meine Ausflüge in den Südwesten der Insel. Es waren Expeditionen ins
Unbekannte, Grenzüberschreitungen im Besten Sinne. Nur wenige Kilometer
ostwärts endet das touristisch erschlossene Lombok weitgehend. Jenseits gab es
noch drei Surfspot, die gelegentlich von besonders abenteuerlustigen Surfern
angesteuert wurden und eine Handvoll teurer Resorts. Ansonsten war es
schwierig, Englisch sprechende Einheimische zu finden. Es gab unzählige
Möglichkeiten, sich zu verfahren. Gleich bei meiner ersten Tour verfuhr ich
mich und landete am Ende an zwei atemberaubenden Orten, an denen ich der
Einzige Mensch weit und breit war.
Eine Video-Impression meiner größten Entdeckung:
Manchmal fuhr ich 10 Stunden
auf dem Scooter. Immer weiter. Keine Limits. Oft musste ich stundenlang in der
Dunkelheit zurück fahren. Es war ein Drahtseilakt. Auf der einen Seite fühlte
ich ein Gefühl der Fremde, das ich in dieser Intensität selten gespürt hatte,
andererseits war es genau das, was mich in einen wahren Freudentaumel
versetzte.
Einmal gelangte ich in ein
Dorf, das so abgelegen war, dass hier seit Jahren kein Ausländer mehr vorbei
gekommen war. Entsprechend waren die Reaktionen der Kinder. Wenn es anfing zu
regnen, dann aus allen Ruhren, manchmal begleitet von Stürmen. Die Straßen
waren dann kaum noch befahrbar und Millionen von Fröschen säumten die Straßen.
Manchmal konnte ich keine drei Meter weit sehen und fuhr wie blind. Einmal
konnte ich mich nur irgendwo unterstellen, sonst wäre ich von der Straße
geblasen worden.
Es waren aber vor allem die
kleinen Begegnungen am Rande der Straße, die eine ganz besondere Bedeutung
bekamen. Wenn ich irgendwo an einem kleinen Shop hielt, etwas aß oder trank und
mit Gesten kommunizierte, wurde mir schlagartig bewusst, wie weit ich mich außerhalb
jeglicher touristischer Infrastruktur befand und wie sehr ich es genoss, dass
ich diese Erfahrungen machen durfte. Ganz selten fühlte ich Angst und einmal
spürte ich wie leicht diese Angst in Aggression umschlagen kann. Eine
interessante, mahnende Erfahrung über die menschliche Existenz.
Die Macht des Meeres
Obwohl ich gerne das Surfen
gelernt hätte, blieb es bei einem einzigen Tag auf dem Board. Die Outside-Welle
in Gerupuk lehrte mich Respekt. Ein paar Mal ging ich noch Bodysurfen, aber am
Ende waren mir die Kontakte zu den Einheimischen und den anderen Reisenden in
meinem Homestay wichtiger. Dennoch wurde schnell deutlich, wie schnell ich
diesem Sport verfallen konnte. Es gibt wenig, was mich so sehr berauscht wie
das Spiel mit den Wellen. Ein Spiel, das jederzeit umschlagen kann. Es gibt
kaum ein Gefühl, dass mir meine Lebendigkeit so intensiv vergegenwärtigt wie
die Urgewalt des Ozeans. Der Kick zwischen Ekstase und Panik, der pure
Gegenwart und Konzentration erzwingt. Gerade die Bodysurf-Lektionen waren
eindrücklich. Wenn ich 45 Minuten brauchte, um allein zu der Welle zu gelangen
und unmittelbar vor dem Riff kämpfen musste, um nicht von der Brandung auf dem
Riff zerschmettert zu werden. Bis zur völligen Erschöpfung.
Fazit
Mit welcher
Selbstverständlichkeit diese Insel mit ihren Menschen mein Herz erobert hat,
war atemberaubend. Ich war überwältigt, dass es trotz fehlender Indonesisch-Kenntnisse
möglich war tief in die Gemeinschaft der lokalen Community – dem Herz der Insel
– einzutauchen. Mir wiederfuhren herausfordernde, wundervolle und intime
Erfahrungen – jeden Tag. Innen und Außen ergänzten sich zu einem unglaublichen Erlebnis. Ich habe auf Hochzeiten vor Wildfremden getanzt, das Unbekannte
erforscht, war glücklich, nachdenklich, ekstatisch, melancholisch, berauscht – das ganze Spektrum menschlicher Erfahrung.
Zum Abschied veranstaltete ich ein kleines Grillfest und als ich Abschied nahm,
waren alle gerührt. Es war die Zeit meines Lebens. Ich hoffe, ich kann
irgendwann wieder vor dem Homestay zu stehen und mit einem Strahlen auf dem Gesicht
unschuldig nach einem Zimmer fragen.
Gili Trawangan
Reisereportage: Gili Trawangan
Nebel über dem Riff - eine psychedelische Reise
Bali
Reisereportage: Bali I - Kuta und der Massentourismus
Reisereportage: Kuta II - Ubud und die balinesische Kultur
Nebel über dem Riff - eine psychedelische Reise
Bali
Reisereportage: Bali I - Kuta und der Massentourismus
Reisereportage: Kuta II - Ubud und die balinesische Kultur