Nachdem es im ersten Teil um meine wunderbaren Erfahrungen auf Lombok ging, geht es heute um Surferboys, Gewalt, einen Real-Estate-Boom und den Islam auf der Insel. Wie wird der Kulturwandel die Insel verändern?
Die Surferboys
Die erste Zeit im Homestay
war irritierend. Das lag an den Surferboys, die hier mit ihren ausländischen Freundinnen
für eine Woche abgestiegen waren. Sie stammten aus Lombok oder waren von Bali
aus übergesiedelt. Dort sind die Kuta-Cowboys,
die den völlig überlaufenen Kuta
Beach bespielen, zu einem bekannten Phänomen geworden. Die Szene in Kuta auf Lombok war wesentlich
überschaubarer.
Zunächst sah ich sie jeden
Abend in großer Runde zusammensitzen und dachte mir nichts weiter dabei. Zu lauter
Musik betranken sie sich in Windeseile. Billiger Reiswein als Getränk der Wahl.
Alle teilen sich ein Glas – besser kann man Gruppendruck nicht erzeugen. Jeder
wartet auf den nächsten Shot. Ex und hopp. Manchmal besorgen die Frauen Wodka
oder Rum. Selten gehören auch Magic-Mushroom-Shakes zum Programm. Danach geht
es zu einer der Bars im Ort. Irgendwo wird immer eine Party gefeiert.
Die Jungs arbeiten in
Surfshops, verleihen Boards und bieten Touristen ihre Dienste als Surflehrer
an, bevorzugt Frauen. In der näheren Umgebung finden sich eine ganze Reihe
hervorragender Surfspots. Der Einstieg ist harmlos. Surfen ist für jeden eine
intensive Erfahrung. Die Fahrten zu den Buchten sind von Traumkulissen veredelt,
die Jungs sind total locker, reißen Witze. Sie kennen die schönsten Ecken der
Insel. Am Abend sitzen sie zusammen. Viele Frauen lassen im Rausch alle Hemmungen
fallen. Sie fühlen sich begehrt – die Jungs sind echte Männer. Viele sind
tätowiert. Sie sind Outlaws. Tupac bombt aus den Bässen. Nichts erinnert an das
Ghetto. Und doch ist ein tiefer Graben spürbar. Einige Jungs haben gelernt,
selbst Musik zu produzieren. Stolz präsentieren sie ihre eigenen Kreationen. Es
gibt gar eine eigene Hymne für die Reggae-Kultur der Insel: „Lombok I love
you“. Die Jungen fahren Skateboard. Die
Alten geben sich hart. Jeder verfügt über ein Repertoire flotter Sprüche. Vom
knallharten Typen bis zum romantischen Gitarrenspieler ist alles dabei. Die
Frauen sitzen fasziniert in der Runde. Hier gibt es das Abenteuer, von dem sie
gehört haben. Die Jungs setzen auf Komplimente, dann wieder auf laszive
Anzüglichkeiten. Sie haben offenbar eine total lockere Einstellung zum Leben.
Man lebt nur einmal. Sie erfüllen den Frauen jeden Wunsch. Im Partyrausch
entwickelt sich oft mehr daraus. Manchmal bleibt es beim One-Night-Stand, nicht
selten entsteht eine Beziehung für den Urlaub oder noch mehr.
Am Morgen warten wieder die
Wellen. Am Abend die nächste Eroberung, die nächste Party, der nächste Rausch.
Ein wildes, anstrengendes Leben. Ein schmaler Grat. Das war es, was mich mit
ihnen verband. Auch wenn sich mein Drahtseilakt ganz anders ausdrückt. Sie
strebten zur westlichen (Sub)Kultur; ich suchte nach dem, was sie hinter sich
lassen wollten: einem einfachen, naturnahen Leben.
Gelegentlich folgte ich ihrer
Einladung und setzte mich für eine Stunde dazu. So auch an diesem Abend vor
einem Surfshop in Kuta. Was dann geschah, ließ mich auf Distanz gehen: Ein schmächtiger
Junge tanzte völlig überdreht vor der Gruppe und machte seine Späße. Im
nächsten Moment sackte er ohne Körperspannung in sich zusammen. Vermutlich war
er völlig betrunken. Ich weiß nicht, ob er zuvor etwas Beleidigendes gesagt
hatte. In jedem Fall hatte er die Wut eines finster dreinblickenden Kollegen
auf sich gezogen. Der war deutlich älter und kräftemäßig haushoch überlegen.
Der Muskulöse rannte auf ihn zu und rammte dem Wehrlosen brutal und mit voller
Wucht die Faust ins Gesicht. Der Junge verlor sofort das Bewusstsein. Er
blutete wie ein Schwein. Erst nach Minuten kam er wieder langsam zu sich. Der
Schlag hätte ihm für immer die Lichter ausblasen können. Es kam zu einem
Tumult. Unkontrolliert ergoss sich das Adrenalin. Rudelbildung. Archaische
Gewalt lag in der Luft. Blut kochte hoch. Für einige gab es kein Limit. Sie
würden sich totschlagen, wenn keiner dazwischenging. Es gab keine Chance für
mich, als Außenstehender zu vermitteln. Hätte ich es weiter drauf angelegt,
hätte ich nur alle Aggressionen auf mich gelenkt. Mit Mühe konnten die halbwegs
Vernünftigen die Schläger davon abhalten, dass alles im Wahn versank.
Ich hörte fortan immer wieder
von Schlägereien. Meistens geht es dabei um Frauen. Denn die Jungs sind nicht
so unschuldig, wie es manchmal scheint, wenn sie sich mit Bob-Marley-Floskeln
die Zeit vertreiben.
Was als harmloser Spaß mit
den Frauen beginnt, entwickelt sich oft zu gegenseitiger Abhängigkeit. Die
Frauen kehren wieder, sie machen Geschenke, sie bezahlen Unterkunft, Essen,
Alkohol. Sie haben Macht. Sie erzählen ihren Freundinnen von ihren Erlebnissen.
Seit es Direktverbindungen aus Australien gibt, kommen manche nur für das
Wochenende.
Die Jungs richten sich in
diesem Leben ein. Es ist ein Leben im Jetzt. Was morgen ist, scheint egal. Ein
Leben, das gierig macht.
Sie werden immer professioneller.
Sie holen die Frauen am Flughafen ab, wenn sie wiederkommen. Sie fangen an, gezielt
nach Frauen zu suchen, die ihnen dieses Leben ermöglichen. Bald sind es mehrere
Frauen. Es wird schwieriger, die Besuche zu koordinieren, es entstehen
verschiedene Identitäten. Sie lernen es, sich perfekt auf die jeweilige Frau
einzustellen. Sie pflegen die Kontakte über Handy und soziale Netzwerke. Sie
stehen in immer stärkerer Konkurrenz zueinander. Die Frauen auch. Zu Hause
warten ihre Ehefrauen, mit denen sie häufig viel zu früh verheiratet wurden.
Liebe spielte selten eine Rolle. Eine Scheidung würde für beide die
gesellschaftliche Ächtung bedeuten.
Das Frauenbild auf der Insel
unterscheidet sich massiv von dem, was die Frauen aus der westlichen Welt für
sie verkörpern. Die Ehefrauen sind durch Tradition und Religion auf eine Rolle
festgelegt, aus der sie kaum ausbrechen können. Sie können es sich
gesellschaftlich kaum leisten, auf eine dieser Partys zu gehen. Ich habe nur
eine einzige Frau kennen gelernt, die einen ähnlichen Lebenswandel pflegte wie
die Jungs.
Die Touristinnen könnten
gegensätzlicher kaum sein. Sie fühlen sich wie im Paradies. Sie haben Urlaub
und sind auf individuelles Vergnügen aus. Sie können ihre Sexualität ausleben. Sie
haben Geld. Sie sind unfassbar frei und selbstbewusst. Entsprechend groß ist
ihre Attraktivität.
Den Ehefrauen geht es ganz
anders: Sie müssen mitansehen, wie sie betrogen werden und können nichts dagegen
tun. Sie erfüllen ihre Pflichten und wissen, dass sich ihre Ehemänner mit
anderen Frauen austoben.
Natürlich kann man nicht alle
in einen Topf werfen. Manchmal verlieben sich die Jungs tatsächlich. Das
Gleiche gilt für die Frauen. Für viele ist es nicht mehr als ein Spiel, andere
meinen es ernst. Eines dieser Paare konnte ich kennen lernen:
Sie kannte die Schattenseiten
ganz genau. Sie war schon lange mit ihm zusammen. Sie hatte sich immer wieder
erweichen lassen, immer neues Geld geliehen, Seitensprünge verziehen, neues
Vertrauen geschenkt.
Auch er versuchte das
Unmögliche – das Leben als Gigolo an den Nagel zu hängen. Zumindest ein Teil
von ihm. Der andere sabotierte jeden Versuch. Es war unendlich schwer.
Schließlich gab ihm die Gruppe Halt. In gewisser Weise war sie seine Familie,
in der klare Hierarchien herrschen. Da gibt es keinen leichten Weg heraus. Er
war kein schlechter Mensch. Ich fand ihn sogar sehr sympathisch, wissend, dass
zwei sehr gegensätzliche Seiten in ihm steckten. Ich konnte beide verstehen. Er
war so sozialisiert worden. Die Versuchungen lauerten überall: falsche Freunde,
Drogen, Provokationen, Ex-Freundinnen, die sich nehmen was sie wollen. Die
wissen, wie man manipuliert.
Daraus entstand eine
Beziehung voller Extreme: furchtbare Enttäuschungen, bedingungslose Liebe,
Zweifel, Wut, Hass, Trauer, Schmerz. Ich sprach viel mit ihr. Ich bewunderte ihren
unbedingten Willen und die Kraft, wiederkehrende Enttäuschungen und Misstrauen
auszuhalten und ihm immer wieder zu verzeihen; doch genauso unverständlich
erschien mir, warum sie an ihm festhielt, nachdem er ihr so viel Schmerz
zugefügt hatte. Hatte sie nicht etwas Besseres verdient? Aber sie liebte ihn.
Sie war seine Chance auf ein
anderes Leben. Das jetzige würde er nicht mehr lange durchhalten können. Beide wurden
ständig über ihre Grenzen hinausgeführt. Auch sie tat ihm weh. Manchmal waren
beide richtig glücklich, doch oft befanden sie sich in einer
sadomasochistischen Beziehung, die sie beide kaputt machte. Ruhephasen kannten
sie kaum. Es ging vom Himmel in die Hölle und wieder zurück. Noch immer kämpfen
sie – wer weiß, ob sie dafür belohnt werden.
Es gibt andere Jungs, die
tief in Gewalt und Drogen abgerutscht sind und denen ich nicht zur falschen
Zeit am falschen Ort begegnen will. Manchmal konnte ich kaum fassen, dass
Frauen solch schäbige Typen aushielten. Ich will sie nicht als Täter oder Opfer
stilisieren. Wahrscheinlich sind sie beides. Ich bin nicht in ihren Schuhen
gelaufen. Ich kann nur erahnen, woher sie kommen und welchen Reiz die moderne
Welt auf sie ausüben muss. Wer weiß, was aus mir unter ähnlichen
Voraussetzungen geworden wäre. Ist erst mal eine gewisse Grenze überschritten,
gibt es kaum ein Zurück. Sie haben mit den tradierten Regeln radikal gebrochen.
Wer gehört hat, welche Strafaktionen Punks in Aceh erdulden mussten, bekommt
eine Ahnung davon, welch mächtige Feinde man sich mit solch einem Lebensstil beim
Staat und unter radikalen Muslimen machen kann. Und nicht zuletzt kamen die
Verlockungen von außen. Drogen. Touristinnen. Rap. Lifestyle. Werbung. Geld.
Das waren heimtückische Versuchungen. Bis heute will ich mir kein
abschließendes Urteil anmaßen. Ich mag bedauern, dass Traditionen verlorengehen,
aber ich kann die Jungs nicht verurteilen. Am Ende gibt es trotz aller Differenzen
Züge an ihnen, die auch mich prägen. Sie wollen selbstbestimmt leben und
lieben. Dass sie dabei oft völlig übers Ziel hinausschießen, ist ein anderes
Thema.
Manchmal habe ich die Jungs
gesehen, wenn die Frauen wieder abgereist waren und man ihre ganze Erschöpfung
und Trauer sehen konnte. Viele waren nicht die harten Typen, als die sie sich
gaben. Sie wollten glücklich sein und wussten nicht wie. Wie so viele von uns
Jungen, die angesichts der rasanten Veränderungen unserer Zeit mehr denn je zwischen
alter und neuer Welt zerrissen sind.
Unter Druck: real estate & Islamisierung
Sie waren nicht die einzigen
Menschen auf Lombok, die unter einem gehörigen Druck stehen. Die
Lebensbedingungen der Menschen verändern sich in einer atemberaubenden
Geschwindigkeit. Mit dem Tourismus hat auch die Gier auf der Insel Einzug gehalten.
Landbesitzer in den touristisch erschlossenen Gebieten können der Versuchung kaum
widerstehen, ihr Land zu verkaufen. Die Preise haben sich vervielfacht – und
ein Ende des Real-Estate-Booms ist nicht in Sicht. In Sengigi an der Westküste
ist dieser Prozess weitgehend abgeschlossen. An der Südküste hat der Ausverkauf
längst eingesetzt. Im Hinterland der Küste entstehen luxuriöse Villen. Auf
meinen Erkundungsfahrten sind mir immer wieder reiche Russen, Japaner,
Australier oder US-Amerikaner begegnet, die nach einem Ort suchen, um ihren
Traum zu verwirklichen. Das schafft natürlich Neid bei denen, die nicht davon
profitieren und sich diese Entwicklung aus der Ferne ansehen müssen.
Was für eine Ambivalenz: Die „Westler“
zerstören mittelfristig das, was sie suchen – ein erst vor Jahren erschlossenes Paradies; viele
Einheimischen neiden genau das, was sie zerstört.
Die Preise für Baumaterialien
haben deutlich angezogen. Besonders hart getroffen hat das die Besitzer der
kleinen Restaurants und Geschäfte, die sich am Strand von Kuta angesiedelt
hatten. Vor kurzem waren sie enteignet worden; man hatte ihre Existenz mit dem
Bagger vernichtet und ihnen deutlich schlechteres Bauland zugewiesen – sonst
gab es keine Entschädigung. Für viele war es schwierig oder unmöglich, die
Kosten für ein neues Gebäude aufzubringen. Auch wenn es offiziell heißt, man
wolle den Küstenabschnitt unbebaut lassen, so braucht man nicht viel Phantasie,
um zu wissen, wie wertvoll das Bauland ist. Nur eine Frage der Zeit, wann es an
Investoren verkauft wird. Angeblich existieren bereits detaillierte Pläne zur
Erschließung.
Die Menschen wenden sich
immer stärker materiellen Werten zu. Statussymbole werden immer wichtiger. Es
ist kein Zufall, dass sich viele meiner jungen Freunde mit Geld und Handys auf
ihren Profilbildern in sozialen Netzwerken zeigen.
Einmal besuchte ich einen Antique Shop am Rande von Kuta –
angezogen von den schönen Exponaten vor dem Geschäft. Die Preise waren für vermögende
Touristen und Aussteiger ausgelegt. Ich kam mit dem Besitzer ins Gespräch. Die
Gier sprang ihm fast aus den Augen. In seinem Mund glitzerten Goldzähne. Ich
wollte gerade gehen, als mir ein Bild über seinem Schreibtisch auffiel. Die
Landschaft kam mir sehr bekannt vor. Und ich lag richtig. Es war in einer
abgelegenen Region des Südwestens aufgenommen worden. Der Mann berichtete mir,
dass sein australischer Chef dort vor 20 Jahren Land gekauft hatte, das jetzt
ein Vermögen wert sei. Ich verwickelte ihn in ein Gespräch über die Folgen
dieser Spekulation mit Land, die vielleicht einzelnen nutzen mochte, für die
Inselgemeinschaft aber eine Katastrophe war. Den großen Reibach machten meist
große Konzerne. Oft wurden dabei Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Die
Chance wurde immer mehr verspielt, das Land im Sinne der nächsten Generation zu
nutzen. Er erzählte mir, dass er selbst große Ländereien besaß, die er gerne
verkauft hätte. Er war sich sogar schon mit einem Investor einig geworden. Eine
Million Dollar hatte der geboten. Ich konnte die Dollarzeichen in seinen Augen
aufblitzen sehen. Wie gerne hätte er verkauft und sich einen großen Jeep
gekauft. All seine Träume verwirklicht. Doch seine Kinder hatten ihr Veto
eingelegt und der Verkauf war nicht zustande gekommen. Ich lobte die Kinder für
ihre Weitsicht. Er schaute ein wenig betreten drein, murmelte, dass sie
vielleicht recht gehabt hatten, stieg auf sein edles Motorrad und brauste
davon.
Ich führte viele solcher
Gespräche. Das wirkte zwangsläufig ein wenig skurril. Da kam einer aus der
dekadenten Ersten Welt, nach der so viele strebten, und kritisierte die Gier in
der Dritten. Natürlich musste das absurd erscheinen. Aber wir haben bereits
gesehen, wohin die Gier führen wird. Immer mehr Menschen erkennen, dass wir
nicht glücklicher werden, sondern immer abhängiger vom schnellen Glück.
Freilich noch immer nicht genug. Umso wichtiger schien es mir, dieser Haltung
Ausdruck zu geben; ganz gleich, wo ich war. Schließlich geht es um globale
Fragen. Zugleich interessierte mich das Schicksal der Insel und seiner Bewohner
sehr. Immer wieder fragte ich mich, was ich und andere den Leuten, die überall
das große Rad drehen, entgegensetzen können.
Eine andere Entwicklung
betrifft den Islam. Die Insel war lange Zeit von einer ganz besonderen
Mischreligion bestimmt: Ihre Anhänger sind die Waktu Telu. In dieser Religion, die es ausschließlich auf Lombok
gibt, mischen sich Naturreligion, hinduistische Glaubensvorstellungen mit dem
Sufismus, einer mystischen und toleranten Strömung des Islam. Sie sind am
ehesten mit den Sadhus des indischen
Subkontinents vergleichbar. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Religion
immer stärker in Richtung Islam. Die traditionellen Waktu Telu wurden zunehmend als Kommunisten verunglimpft. Es
entstanden die Waktu Lima, die wie
alle Muslime fünfmal am Tag beten. Doch die Islamisierung ist noch lange nicht
abgeschlossen. Auch die Waktu Lima
stehen unter großem Druck, orthodoxer zu werden. Zum einen fließt viel Geld aus
den Golfstaaten und Saudi-Arabien nach Lombok. Überall entstehen gewaltige
Moscheen. Zum anderen spielen die kostenlosen Koranschulen eine bedeutende
Rolle. Der Staat ist korrupt, die öffentliche Schuldbildung für viele Familien
zu teuer. In diese Bresche springen die Koranschulen. Ich möchte mir
keinesfalls anmaßen, zu behaupten, diese Schulen seien generell schlecht, aber
die Gefahr einer massiven Einflussnahme auf die Wertebildung der Kinder ist gegeben.
Gerade die Wahhabiten Saudi-Arabiens
propagieren eine radikale Form des Islam. Sie wollen die Scharia als
Rechtssystem. Sie lehnen die Vielfalt des Islam ab, insbesondere den Sufismus.
Andersgläubigen wird kein Respekt entgegengebracht. Es wäre sehr bedauerlich,
wenn den Menschen auf Lombok ihre Toleranz einbüßen sollten. Noch kann man
davon freilich nicht sprechen. Doch es gibt andere Regionen Indonesiens, in
denen sich der Islam radikalisiert hat. In Aceh herrscht die Scharia.
Mir steht die Vorstellung
viel näher, dass es mehrere Wege zu Gott gibt – falls es ihn denn gibt. Diesen
Gedanken vertreten auch die Sufis. Im Moment sehen wir stärker denn je, was radikales
Gedankengut in allen Religionen anrichtet. Egal ob es sich um Evangelikale,
Hindu-Nationalisten oder Islamisten handelt. Nur in Verständigung zwischen den
Religionen kann Zukunft liegen. Häufig wurde ich wegen meiner muslimischen
Kleidung gefragt, ob ich Moslem sei. Ich antworte, dass es für mich nur einen
Weg zu Gott gibt – über das Herz. Der Mystiker sucht Gott in sich selbst.
die Schießerei
Ich hatte einen groben Fehler
gemacht und vergessen, meine Kreditkarte aus dem Portemonnaie zu entfernen, als
ich an den Strand fuhr. Ich war mit einigen Freunden auf einen nahen Hügel
geklettert, um den Sonnenuntergang zu betrachten. Ich konnte mich nicht beschweren,
als ich entdeckte, dass mein Portemonnaie aus dem Scooter gestohlen worden war.
Gerade bei den Vario-Modellen ist es
keine größere Kunst, unter den Sitz zu gelangen. Mit meiner Kamera hatte ich
einige Male Glück gehabt. Ich war zu sorglos geworden. Da aber eine kleine
Chance bestand, dass ich die Geldbörse auf dem Hügel vergessen hatte, beschloss
ich, noch einmal hin zu fahren. Eigentlich sollte man Orte wie diesen nach
Anbruch der Dunkelheit meiden. Aber ich fühlte mich sicher. Ich suchte den Hügel
eine Stunde lang mit meiner Taschenlampe ab. Gerade hatte ich widerstrebend
akzeptiert, dass ich die Karte abschreiben musste. Ich war schon wieder auf dem
Weg hinab zu meinem geparkten Scooter. Von einer nahen Karaoke-Bar, die
ausschließlich von Einheimischen frequentiert wurde, hörte ich plötzlich mehrere
Schüsse – schweres Kaliber. Neben einem kleinen Strandrestaurant war es das
einzige Gebäude in der Bucht. Nun ertönten aggressive Schreie. Ich stand wie
erstarrt da. Etwas Schlimmes musste passiert sein. Ich trug einen Sarong,
dessen Weiß im Dunklen leuchtete. Ohnehin hatte ich mit dem Lichtkegel meiner
Lampe meine Anwesenheit dokumentiert. Nun war es totenstill. Vor der Bar war
ein Auto geparkt. Seine Lichter gingen an und aus. Meine Gedanken rasten. Ich
kam mir vor wie in einem schlechten Gangsterstreifen. Ein Teil von mir wollte
hingehen, um rauszufinden, was sich dort abgespielt hatte. Dem anderen war
bewusst, dass ich nichts Dümmeres tun könnte. Ich war zutiefst geschockt. In
mir regte sich ein heftiger Fluchtreflex.
Von was war ich da Zeuge
geworden? Und was würde man mit mir machen? Wie kam ich hier bloß wieder weg? Der
einzige Weg führte in unmittelbarer Nähe an der Bar vorbei. Sollte ich mich
verstecken und abwarten? Oder die Beine in die Hand nehmen und so schnell wie möglich
Land gewinnen?
Ich verschanzte mich hinter
einem kleinen Gemäuer und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Herz
schlug mir bis zum Halse. Nach vielleicht 15 Minuten, die mir wie eine Ewigkeit
vorkamen, fuhr das Auto davon. Es war kein Laut zu hören. Nun entschied ich
mich zur schnellen Flucht. Ich rannte zu meinem Scooter und fuhr ohne Licht so
schnell es ging über die tückische Sandpiste an der Bar vorbei. Ich erwartete
geradezu, dass jemand auf mich schießen würde.
Ich raste zurück Richtung
Homestay. Plötzlich stand dasselbe Auto mitten auf der Straße. Zwei Männer
standen daneben. Ich konnte mich nicht beherrschen und blickte den beiden
Männer direkt in die Augen. Ich wollte sehen, welche Absichten sie hatten. Trugen
sie Waffen? Ich war panisch. Für einen Moment sah ich mein Ende gekommen.
Doch sie ließen mich
unbehelligt passieren. Zurück im Homestay stand ich noch immer völlig neben mir.
Egal mit wem ich darüber sprach, die Reaktionen waren auffällig abweisend.
Entweder wollte man mir nicht glauben. Oder man ignorierte meine dringlichen
Fragen, was dort vorgefallen sein musste; stattdessen erhielt ich Antwort auf
Fragen, die ich gar nicht gestellt hatte. Selten schien mir Angst so greifbar.
Keiner wollte involviert werden. Dasselbe Spiel, als ich am nächsten Tag in dem
Restaurant in der Bucht nachfragte. Am Ende ließ ich weitere Recherchen ruhen.
Ich wollte weder Jemanden in Gefahr bringen, noch mich selbst in eine Sackgasse
manövrieren. Ich werde nie erfahren, was an diesem Abend passiert ist. Ob ich
Zeuge einer massiven Drohung geworden war oder ob Jemand in dieser Nacht getötet
wurde. In jedem Fall eine Erfahrung, die ich nie wieder machen will.
Es wäre dennoch völlig
überzogen, von einer gefährlichen Insel zu sprechen. Gewisse Orte sollte man
nach Einbruch der Dunkelheit einfach meiden. Die Gewalt auf der Insel hat
zugenommen. Immer häufiger kommt es zu Raubüberfällen. Es geschehen Morde. Meist
handelt es sich um Auseinandersetzungen unter Einheimischen. Doch auch ein
Schweizer wurde kürzlich Opfer. Man hatte ihm an einer Steigung aufgelauert.
Dort kommt man mit dem Scooter fast zum Stehen. Er hatte den Raubüberfall nicht
überlebt. Als ich davon hörte musste ich schlucken; ich war öfter auf dieser
Strecke unterwegs gewesen.
Ich hoffe sehr, dass sich die
Insel trotz all dieser bedrohlichen Entwicklungen etwas von ihrem Zauber
erhalten kann. Vor allem den Menschen auf der Insel wünsche ich das!
Im ersten Teil finden sich die erfreulicheren Aspekte meines Aufenthalts. Dort finden sich auch alle anderen Links zu allen anderen Reisereportagen aus Indonesien: