„I used to wake up in the morning
to the sound of the birds singing at my window
please wait for me
i`ll be there at the end of the road”
Eddie Vedder – Fragment aus dem Soundtrack zum Film in to the wild
Einleitung:
Diese Geschichte ereignete sich im Frühjahr 2011. Sie
markierte ein weiteres Ende meiner Reisen in Asien. Sie ist der Liebe vorbehalten.
Bereits meine Erfahrungen in den Ruinen von Angkor
waren auf vielfache Weise bewusstseinserweiternd. Während ich auf dem Rücksitz
eines Scooter-Fahrers durch die riesigen Tempelanlagen fuhr, hörte ich über
meine Kopfhörer den Soundtrack von In to the wild - Musik, die
mich tief in Innerem berührte und die fast schon mystische Stimmung in mir
vertiefte. Ich fühlte mich pudelwohl in meiner Haut. Mein Herz war von tiefem
Frieden erfüllt und die Gefühle, die mich beim Streifen durch die Tempel
Angkors beschlichen, sprengten mein Vorstellungsvermögen einmal mehr und
bildeten einen großartigen Abschluss meiner Erlebnisse in Asien.
Verzaubert
Als eines Abends eine unergründliche Frau aus
Argentinien vor meinem Bungalow stand und mich ansprach, war es endgültig um
mich geschehen. Von einer Sekunde auf die andere war sie aus dem Nichts
aufgetaucht. Das Übernachten in einem der Bungalows vor dem Hotel war für sie
eine Notlösung. Für mich war es ein Glückfall. Ich war an dem Punkt meiner
Reise angekommen, an dem es nicht mehr besser werden konnte; ein selten
intensives Gefühl. Mein Erfahrungshorizont schien ausgefüllt - es gab nichts,
was ich noch unbedingt sehen oder tun musste. Angkor schien der letzte
Höhepunkt meiner Reise zu sein. Alles konnte jetzt nur noch ein Bonus sein.
Vielleicht lag gerade in dieser Einstellung der Schlüssel für das, was ich nun
erleben durfte - denn ich lag völlig falsch. Als ich Natali traf, betrat ich
eine neue Dimension. Ich hatte das Gefühl endgültig anzukommen. Das mag
merkwürdig klingen, angesichts der Tatsache wie fern wir beide der Heimat
waren, falls mein Konzept dieses Begriffs nicht schon längst implodiert war. Doch
wenn ich hier bekenne, dass meine Suche immer (auch) eine nach Liebe gewesen
ist, machte es Sinn. Und während mein ursprüngliches Konzept von Heimat (dass
es den einem Ankerplatz für mich gab) keinen Bestand mehr hatte, so hatte sich
der Begriff in der Zwischenzeit erweitert. Denn Heimat lag auch in Musik, in
Erinnerungen, in einem Lächeln, ja auch in den Räumen, die ich auf meinen
Reisen durschritten hatte. Ich war an einem Punkt, an dem ich an jedem Ort, den
ich aufsuchte ein Stück Heimat finden konnte; eine Art Instinkt, der mich an
die richtigen Orte führte und mich dabei nur selten trog. Gleichermaßen hatte
ich Landschaften gesehen, die mit jeder Faser von der Schönheit dieses Planeten
erzählten. In der Begegnung mit ihr schien all das seinen Höhepunkt zu
erreichen.
Am ersten Abend unseres Kennenlernens redeten wir bis
tief in die Nacht hinein. Sie stammte aus Buenos Aires und arbeitete als
Modedesignerin. Ich war ein schräger Typ mit dem Kopf voller Geschichten, Sonne
im Herzen und Zukunftsaussichten, die sich völlig meiner Kenntnis entzogen.
Angesichts der Erzählungen von meinen Reisen schien ihr nur eins logisch: ich
müsste verloren sein; mich heillos verstrickt haben in den fast zwei Jahren,
die on the road (im Deutschen klingt das arg anrüchig…) verbracht hatte.
Das war freilich keine ungewöhnliche Reaktion; und wohin mein Weg führen würde,
wusste ich tatsächlich nicht. Dennoch fühlte ich mich nicht verloren, sondern
wähnte mich genau auf dem richtigen Weg. Ich lebte – und das vielleicht mit einer
Begeisterung wie nie zuvor in meinem Leben. Gut – ich war manchmal sehr einsam
– doch jederzeit konnte ich neue Menschen kennen lernen – einer der großen
Vorteile des Alleinreisens. Und doch sehnte ich mich seit einiger Zeit nach
einer tieferen Beziehung. Sicher ist eins: als Natali auftauchte, war ich
bereit zu springen; bereit, alles auf eine Karte zu setzen. Und mir ist völlig
gleichgültig, wie töricht das andere nennen mögen; ich würde es sofort wieder
tun - was immer der Preis sein sollte - wann immer der richtige Moment gekommen
war. Dies war so einer. Und meine Ausstrahlung unterstrich wohl, dass meine
bisherigen Erlebnisse weit mehr als nur der Wahnsinn eines Schiffbrüchigen
waren.
Besonders sprachen mich diese Zeilen an, die ebenfalls
vom in to the wild – Soundtrack stammen und die ich tief im Herzen fühlen
konnte:
“have no fear for when I`m alone
I`ll be better off than I was before
I`ve got this light I`ll be around to grow
Who I was before I cannot recall
Chorus: Let me feel I`m falling, I am falling safely to the ground
I`ll take this road that`s inside me now
Like a brand new friend I`ll forever know”
I`ve got this light and the will to show
I will always be better than before.”
Na gut - wahnsinnig bin ich trotzdem – aber nur im besten
Sinne…
Am nächsten Morgen brach Natali vor dem Sonnenaufgang
auf, um Angkor Wat zu besuchen. Ich muss gestehen, dass es mir nie gelungen
ist, diesen Sonnenaufgang zu erleben. Meine Motivationslage angesichts der
Uhrzeit ließ das einfach nicht zu.
Abends lud ich sie zum Essen in einem indischen
Restaurant ein - es war mir eine große Freude, ihr die Köstlichkeiten der
indischen Küche zu zeigen. Sie erzählte mir, dass sie bald von Bangkok zurück
nach Buenos Aires zurückfliegen würde. Sie hatte die letzten drei Wochen in
Thailand, Laos und Vietnam verbracht und war gerade erst für eine letzte Woche
in Kambodscha angekommen. Verdammt schlechtes Timing…
Sie hatte eigentlich vor auf einer thailändischen
Insel eine Freundin zu besuchen und von dort aus entspannt nach Bangkok zu
reisen, um ihren 35- stündigen Flug zurück in die Heimat anzutreten. Doch sie
eröffnete mir, dass sie ihre Pläne geändert und beschlossen hatte, mich zu
meinem nächsten Ziel an der Küste Kambodschas zu begleiten. Dort wollte ich
Thomas und Pete wieder treffen – zwei gute Freunde, mit denen ich viel Zeit in
Goa verbracht hatte.
Ich war ausgesprochen überrascht und gleichermaßen
begeistert. Das war der Hauptgewinn – ohne dass ich ein Los gekauft hatte.
Am Abend lernte ich die Schattenseiten kennen. Gerade
waren wir noch in trauter Zweisamkeit; im nächsten Moment machte sie komplett
zu. Wie ich im Laufe der Zeit verstand, hatte sie nach sehr unglücklichen
Erfahrungen ihr Herz für lange Zeit verschlossen. Es fiel ihr schwer,
zuzulassen, dass es sich mir jetzt wieder öffnete. So wies sie mich an diesem
Abend ab und stellte sich schlafend. Es fühlte sich an wie eine Ohrfeige.
Offenbar war dies ihr Modus, mit schwierigen Momenten umzugehen. Ihr Leben war
nicht einfach gewesen – so viel musste ich begriffen. Sie war ohne Eltern
aufgewachsen, großgezogen von einer deutlich älteren Schwester. Sie war
verheiratet gewesen, was nicht gut gegangen war. Es gab einiges, was auf ihrer
Seele lastete und was ich ihr nicht einfach so abnehmen konnte.
Als ich nach der schroffen Abweisung taumelnd ihr
Hotelzimmer verließ, fröstelte ich als hätte man mir einen eiskalten Finger in
den Nacken gesteckt. Auch ich war ein gebranntes Kind. Ich wankte wie von
Sinnen auf die Hotelterrasse und rauchte hastig eine Zigarette. Ich zitterte am
ganzen Körper. Hatte ich etwas falsch gemacht? Die Erinnerungen von
unbeantworteten Gefühlen winkten hämisch aus der Vergangenheit. Einmal Loser
immer Loser. Die Frauen spüren das. Meine plötzliche Erstarrung drohte in
Aggression umzuschlagen. Ich konnte in solchen Momenten fuchsteufelswild
werden. Am liebsten wäre ich in die Stadt gerannt, hätte mich hemmungslos
betrunken und wie von der Tarantel gestochen eine Schneise der Verwüstung
hinterlassen. Egal wie kontraproduktiv das sein mochte – darin war ich
ungekrönter Meister. Doch ich riss mich so gut es ging am Riemen, trank zwei
Bier und rauchte zwei Joints und legte mich in meinen Bungalow vor dem Hotel
und befahl mir, den nächsten Morgen abzuwarten. Trotzdem schossen mir Gedanken
durch den Kopf:
Liebte ich tatsächlich so intensiv, dass keiner meine
Liebe annehmen konnte? Warum ist die Intensität so schwer auszuhalten, wo sich
doch jeder tief im Innern nach ihr sehnt? Waren wir alle zu Gefühlskrüppeln
mutiert - angesichts einer immer oberflächlich erscheinenden Welt? Oder war ich
der letzte Romantiker, der im Club der toten Dichter verweilte? Ein
Auslaufmodell ohne Zukunft?
Ich Trottel hatte mich schon in Buenos Aires gesehen.
Kopfkino ist mein Hobby in Liebesdingen – was gute und schlechte Seiten hat.
Aber ich bin überzeugt, dass es besser ist zu fliegen und abzustürzen, als mit
gestutzten Flügeln durchs Leben zu gehen. Selbst dann, wenn das Glück manchmal
ewig lang auf sich warten lässt.
Am nächsten Morgen sah ich sie an meinem Bungalow
vorbeischleichen - jeder Hotelgast musste meinem Bungalow passieren, um das
Hotel zu verlassen. Ich winkte sie heran und sie entschuldigte sich für den
vergangenen Abend. Ich fragte sie, ob sie noch immer mit mir an die Küste
Kambodschas kommen wollte und sie fragte mich mit großen Augen, ob ich das denn
noch immer wolle. Das stand für mich völlig außer Frage – es gab nichts was ich
mir sehnlicher wünschte.
Ich beschloss noch einmal einen Ausflug zu den Tempeln
Angkors zu unternehmen und fragte sie, ob sie mich begleiten wollte. Doch sie
hatte instinktiv verstanden, was es mir bedeutete, alleine durch die Tempel zu
streifen. Sie würde auf mich warten und wir würden den Nachtbus am folgenden
Tag an die Küste des Landes nehmen. In gewisser Weise war ich froh, allein
unterwegs zu sein, um noch einmal meine Gedanken zu ordnen und mich ganz der
zauberhaften Atmosphäre im Dschungeltempel Ta Prohm hinzugeben.
Genauso
gerne hätte ich sie an meiner Seite gehabt und die Atmosphäre mit ihr geteilt.
Verrückt, wie schnell man einen Menschen vermissen konnte, den man gerade erst
kennen gelernt hatte. Ein bisschen sorgte ich mich, dass sie vielleicht nicht
auf mich warten würde und sich nach dem Abend zuvor aus dem Staub gemacht
hätte. Doch sie hatte gewartet.
Am nächsten Tagen streiften wir nochmal über den Old Market. Handeln konnte sie – selbst die Einheimischen auf dem Markt waren beeindruckt von ihren Fähigkeiten beim Feilschen. Darin hatte sie einige Erfahrung. Mehrmals pro Jahr reiste sie nach China, um die Produktion für ihre Firma zu überwachen, neue Stoffe auszuwählen, Preise auszuhandeln und Designs zu prüfen. Mit dieser Arbeit war sie allerdings alles andere als glücklich. Wie sie erzählte, musste es sich um richtige Horrortrips handelt - zehn Tage Arbeit ohne jede Pause – Arbeitsbeginn direkt nach der Ankunft - ohne Rücksicht auf die Folgen des Jetlags. Nachts musste sie die neuesten Designs nach Argentinien übermitteln. Schon seit längerer Zeit war sie dieses Lebens überdrüssig. Vielleicht war es doch der optimale Zeitpunkt für unsere Begegnung. Wir saßen noch beim Essen, als die Uhr ungeduldig darauf hinwies, dass wir in fünfzehn Minuten am Hotel zum Nachtbus abgeholt werden sollten. Doch wir hatten das Momentum auf unserer Seite. Wozu sollten wir uns also Sorgen machen.
Zurück im Hotel musste ich jedoch erst mal meine
Rechnung bezahlen. Ich hatte für die letzten zehn Tagen noch keinen einzigen
Dollar bezahlt. Entsprechend dauerte es einige Zeit bis die Rechnung fertig
war. Ganz offensichtlich hatte man dem vagabundierenden Typen, der in einem
Bungalow vor dem Hotel nächtigte zahlreiche Getränke und Mahlzeiten in Rechnung
gestellt, die einige andere verwirrte Menschen zu sich genommen hatten. Doch
das war nun nebensächlich. Für eine Aufschlüsselung fehlte eindeutig die Zeit.
Da hatten sich ohnehin zwei gefunden. Was wir an Gepäck mitschleppten, hätte
gereicht, einen kleinen Hausstand aufzumachen. Warum eigentlich nicht? Codename
Kopfkino. Jedenfalls erreichten wir mit erheblicher Verspätung unseren
Nachtbus, konnten aber mit einiger Erleichterung feststellen, dass er nach
asiatischen Fahrplänen unterwegs war und wir somit gerade rechtzeitig zur
Abfahrt auftaucht waren.
Auf uns wartete eine extrem holprige Fahrt durch halb
Kambodscha. Natali nahm eine Schlaftablette und schlief kurze Zeit später tief
und fest. Ich hingegen blieb die ganze Nacht munter, wachte über sie und unsere
Habseligkeiten. Todmüde und gerädert sah ich den dunklen Dschungel an uns
vorbeiziehen; in gleichem Maße war ich glücklich und ein wenig stolz, dass
diese tolle Frau an meiner Seite war. Einerseits war ich aufgeregt, ob ich
meinen eigenen und ihren Hoffnungen standhalten könnte, auf der anderen Seite
war ich völlig ruhig, da sich alles richtig anfühlte. Als ich die Erzählung Dornröschens
Flugzeug von Gabriel García Márquez las, fühlte ich mich an
meine Gefühle in dieser Nacht erinnert:
„Es war eine intensive Reise. Ich bin schon immer der
Überzeugung gewesen, dass es nichts Schöneres in der Natur gibt als eine schöne
Frau, und so war es mir nicht möglich, mich auch nur einen Augenblick dem
Zauber dieses an meiner Seite schlafenden Märchenwesens zu entziehen. (…)Dann
habe ich sie Stück für Stück mehrere Stunden lang betrachtet, und die einzigen
wahrnehmbaren Lebenszeichen waren die Schatten ihrer Träume, die über ihre
Stirn glitten wie Wolken im Wasser.
(…)Der Schlaf der Schönen war unbesiegbar. Als sich
das Flugzeug beruhigt hatte, musste ich der Versuchung widerstehen, sie unter
irgendeinem Vorwand zu schütteln, denn ich wünschte nichts mehr, als sie in
dieser letzten Stunde des Fluges wach zu sehen, selbst in zornigem Zustand,
damit ich meine Freiheit und vielleicht auch meine Jugend zurückgewänne.“
Die Parallelen? eine unruhige Reise, eine Frau im
tabletteninduzierten Dornröschenschlaf und ein ritterliches Gefühl meinerseits.
Doch im Gegensatz zu dieser Erzählung war die Beziehung zu der Frau an meiner
Seite nicht nur Ausgeburt meiner Phantasie, sondern Realität; was den irrealen
Charakter aber eher verstärkte. Zudem war ich noch nicht der Jugend entstiegen.
Doch die vitalisierende Kraft, die aus mir strömte, war dieselbe und sollte
noch einige Zeit anhalten.
Das Paradies
Als wir in den Morgenstunden Shinoukville erreichten,
war sie extrem groggy vom Einschlag der Schlaftablette. Nachdem ich von der
Toilette zurückkehrte, war sie aber schon in einer hitzigen Debatte mit den
Tuk-Tuk-Fahrern über die Höhe des Entgelts für die Fahrt an den Strand, am dem
wir Thomas und Pete treffen würden.
Südamerikanisches Temperament konnte man ihr wahrlich
nicht absprechen…
Ich hatte nicht vor um einen Dollar zu feilschen und
machte dem ein Ende. Wir fuhren an der Küste entlang bis wir einen einladend
wirkenden Strand erreichten. Wir bezogen ein kleines Zimmer in einem Komplex,
der einige hundert Meter vom Strand entfernt lag; dort war es paradiesisch
ruhig. Kurz darauf fanden wir uns direkt am Strand in gemütlichen Korbstühlen
unter einem Rondell wieder und genossen ein ausgiebiges Frühstück mit
Pfannkuchen und frischem Obst. Vor uns lagen Strandliegen, kleine Fischerboote
und einige kleine Inseln im Golf von Thailand. Wir fühlten uns auf Anhieb wie
zuhause.
Wir waren verzaubert voneinander. Unsere Augen liefen
über vor Lachen und dem Glück, das wir empfanden. Es war genau wie sie es
ausdrückte: endless dreaming. Für mich war sie mit ihren schwarzen
Locken, ihren feinen orientalischen Gesichtszügen (aufgrund syrischer Wurzeln)
und den ausgeprägten Lachfältchen, die nun im Dauereinsatz waren und ihren
geheimnisvollen Augen schöner als es erlaubt sein sollte. Ihr Körper war vom
regelmäßigen Laufen und dem Yoga kräftig, ohne dass es ihre Grazie
einschränkte. Und doch war es weit mehr als ihre Schönheit, die mich fesselte.
Wir gingen in der Tiefe der Augen des Anderen verloren. Sie war für mich
mysteriös und zugleich vertraut, als wären wir uns schon einmal begegnet. Es
war als hätten wir einen tiefen Brunnen angezapft und wir waren genauso
erschöpft wie erfrischt von der Intensität unserer Gefühle. Zudem war es ihre
Großherzigkeit, ihr unverfälschtes Interesse an Anderen und ihr feiner Humor,
der mich ansprach.
Es war eine große Freude Pete und Thomas
wiederzutreffen. Mit Thomas hatte ich insgesamt 4 Monate in Goa und zwei Wochen
in der Schweiz verbracht und wir waren uns schnell ans Herz gewachsen.
Vielleicht war er nicht unbedingt ein Vorbild für mich – dafür waren wir dann
doch in einigen Punkten grundverschieden – doch ich schätzte ihn für seine
Fähigkeit, sich durch nichts verbiegen zu lassen, seinen ganz eigenen Weg zu
beschreiten und seine Träume zu leben. Er war der high-powered mutant - too
weird to live, to rare to die (für mich gilt nur das letztere…), der
Hightech-Hippie, Musikproduzent, Lebemann, der seine Schlachten in Jamaika, San
Francisco, Paris, Goa und unzähligen anderen Orten geschlagen hatte. Einer der
lebte, wie es ihm passte und den es nicht scherte, was andere darüber dachten.
Ein Spaßvogel, aber kein Leichtgewicht. Ein Freund.
Pete hatte ich ebenfalls an den Gestaden des indischen
Ozeans kennen gelernt. Ein Mensch mit Tiefgang und einem trockenem Humor, das
einem die Spucke wegblieb. Nachdem wir in Goa zusammengewohnt hatten und nach
einem Abstecher nach Bombay, hatten wir uns in Chiang Mai – im Norden Thailands
- wiedergetroffen
Von der nahen Grenze waren wir mit dem Schiff über den
Mekong nach Luang Prabang und danach über Phonsavan an der chinesischen Grenze
und Takhek bis zu den viertausend Inseln im Süden von Laos gereist. Wir waren
kampferprobt. Doch ich hatte meine Schlachten für dieses Mal geschlagen und so
erfreute es mich, dass sie sich auf Anhieb mit Natali verstanden. Sie würden
zwei Tage später weiter ziehen und wir vereinbarten, uns noch einmal zu
treffen, bevor sie Vietnam ansteuern würden. Vorher kam ich in den Genuss einiger
Partien Frisbee mit Pete und zwei launischen Abenden, in denen unsere spezielle
Form des Humors großgeschrieben wurde. Sie war mittendrin – alles passte
zusammen.
Schlafen avancierte für mich zu einem Fremdwort. Ich
war hellwach, wollte jeden Moment auskosten. Ich war so aufgeputscht, als
würden mir Aufputschgetränke intravenös gespritzt. Sie schlief länger, aber
auch das war nicht der Rede wert. Früh morgens ging sie laufen und praktiziere
Yoga. Das waren in der Regel die ein oder zwei Stunden, in denen ich geschlafen
habe. Sie genoss es sehr, sich von den Strandverkäuferinnen mit frischem Obst
einzudecken. Das machte ihre vegane Ernährung um einiges leichter. Auch sonst
war das Essen sehr lecker – der Service war hingegen eher zu unserer
Belustigung. Ständig wurden Bestellungen vergessen oder Speisen zubereitet, die
Niemand bestellt hatte. Wir nahmen das mit Humor – es gab aber auch Gäste, die
das beleidigte Gesicht von depressiven Kolonialherren machten.
Es gab zwei weitere Tiefpunkte zwischen uns beiden zu
überstehen; nicht zuletzt deswegen war unsere Begegnung so intensiv – es kam
mir so vor, als würden wir Monate dort verbringen – und diesmal kokettiere ich
nicht. Vielmehr gaben uns diese schwierigen Momente die Gelegenheit um über
unsere Sehnsüchte zu sprechen, die bisherigen Enttäuschungen und Glücksmomente,
die uns geprägt hatten. Was uns die Möglichkeit gab zu trennen – zwischen
unseren persönlichen Reifeprozessen und unserer Beziehung, angesichts der wir
regelmäßig den Verstand verloren.
Die Sache mit
dem Moskitonetz
Es war eine dieser Nächte, in denen ich extrem
hellwach war und der Gedanke an Schlaf eine Beleidigung für meine Intelligenz
bedeutete, während sie der Erschöpfung nachgab. Sie war zweifellos die Klügere
von uns zwei. Mir leuchtete durchaus ein, dass es sinnvoll war immer mal wieder
zu schlafen, aber ich wollte jede Sekunde mit ihr verbringen. Ich gab mir alle
Mühe, ihr Bedürfnis nach ein wenig Rückzug anzuerkennen – doch es fiel
mir nicht eben leicht. Ich wusste genau, dass wir nur diese wenigen Tage sicher
hatten. In dieser Nacht war sie erneut sehr abweisend – ich war gefrustet, auch
von meiner eigenen Getriebenheit, angesichts der ich meilenweit davon entfernt
war, etwas Ruhe zu finden. Ich ging an den Strand, um einen Joint zu rauchen,
etwas Musik zu hören und etwas runter zu kommen. Es regnete; doch das war mir
egal. Es passte zu meiner Stimmung. Als ich sie verlassen hatte, um an den
Strand zu gehen, sagte sie, sie läge wohl später in dem anderen Bett unter dem Moskitonetz.
Als ich nun zurückkehrte und das Zimmer betrat, sah ich sie im anderen Bett
liegen und dachte nur:
Ganz toll! Sie ist wach geworden und hat sich ins
andere Bett gelegt, ohne einen Gedanken zu verschwenden, wo ich wohl sei. Dumme
Nuss!
Das hob meine Laune nicht gerade. Dennoch ließ ich das
Licht aus, um sie nicht zu stören. Ich suchte nach einem Handtuch, das sich
aber nicht dort fand, wo ich es vermutete und säuberte mich notdürftig mit
einem Shirt. Ich war immer noch geladen. Ich legte mich enttäuscht ins andere
Bett. Es war mir egal, dass ich noch immer eine ganze Menge Sand am Körper
trug. Ich hörte düstere Rapmusik über den Kopfhörer, um meiner Stimmung
Ausdruck zu verleihen. Dann hatte ich mich wieder beruhigt, legte die Kopfhörer
beiseite und beschloss zu schlafen.
In diesem Moment, ertönte aus dem anderen Bett ertönte
die Frage:
“Bist Du verrückt? Schläfst Du schon wieder ohne
Moskitonetz?“.
Für einen Bruchteil einer Sekunde fragte ich mich
perplex, wann und wozu um alles in der Welt Natali wohl ausgerechnet diese
sinnlosen deutschen Sätze gelernt haben mochte. Im nächsten Sekundenbruchteil
realisierte ich, dass da etwas ganz und gar nicht stimmen konnte.
„Kolja, Kolja?“ ertönte es
erneut. Und nun war es amtlich - ich lag im falschen Zimmer. Dies war ohne
Zweifel einer der peinlichen Momente in meinem Leben. “Sie werden es nicht
glauben, aber ich bin im falschen Zimmer” stammelte ich. Mich mehrfach
entschuldigend, trat ich fluchtartig den Rückzug an. Ich stolperte in das richtige
Zimmer und weckte dabei Natali, die immer noch genauso dalag, wie ich sie
verlassen hatte. Verstört wachte sie auf und blickte mich entgeistert an; ich
stand vor ihr und war in ein kolossales Gelächter ausgebrochen:
„You cannot believe what happened to me. I lay down in the wrong room and
spent one hour there…“.
Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. Sie
glaubte mir tatsächlich erst, als wir hörten, wie jemand das benachbarte Zimmer
betrat und kurz darauf auch von dort lautstarkes Gelächter ertönte. In dieser
Nacht konnte ich mich draußen nicht mehr blicken lassen…
Am nächsten Morgen erzählte ich gerade Thomas und Pete
von meinen nächtlichen Eskapaden, als ein junger Mann auf mich zuschritt und
mich misstrauisch beäugte:
„Haben Sie mit meiner Mutter in einem Zimmer
geschlafen?“
In solch einem Moment hält man lieber die Schnauze.
Mit einem schwer zu deutenden Grinsen streckte er mir meinen MP3-Player samt
Kopfhörer und eine Kette entgegen.
Lost
Ich machte mit Natali einen Ausflug nach Shinoukville.
Wir waren mit Sicherheit, die verwirrtesten Menschen, die diese Stadt jemals
gesehen hatte. Zumindest unter denen, die nicht unter massivem Drogeneinfluss
standen. Was angesichts der ansässigen Russenmafia besser zu erwähnen ist.
Liebe war jedoch immer noch eine unschlagbare Droge.
Zunächst setzten wir alles daran, um Natalis Rückflug
umzubuchen. Ich schrieb einen Brief an Qatar Air. Wir versuchten, ihren
Abflugtermin von Bangkok zu ändern. Später erhielten wir ein Angebot, das sie
jedoch leider nicht annehmen konnte. Zum angebotenen Zeitpunkt musste sie schon
wieder zurück bei der Arbeit sein.
In jedem Fall mussten wir herausfinden, wie sie nach
Bangkok kommen würde.Von Shinoukville gab es keine direkte
Flugverbindung nach Bangkok, also musste sie zuerst mit dem Bus nach Pnom
Penh fahren. Wir suchten zwei weitere Reiseagenturen, gaben das Vorhaben
aber schnell wieder auf. Das Personal muss uns für Aliens gehalten haben. Wir
versuchten beide verzweifelt, ein paar vernünftige Sätze vorzubringen, was aber
kolossal scheiterte. Wir brabbelten sinnlose Halbsätze vor uns hin, sahen uns
an, brachen in schallendes Lachen aus und verließen verdutze Angestellte hinter
uns.
Wir steuerten einen Supermarkt an. Dort waren wir
verloren. Wir waren dermaßen verwirrt, dass wir völlig außerstande waren, auch
nur einen halbwegs vernünftigen Einkauf gemeinsam zu tätigen. Die einzige
Lösung bestand drin, den Markt in zwei Zonen aufzuteilen – alles andere machte
keinen Sinn. Immer wenn wir uns begegneten, hielten wir abstruse Dinge in
unseren Händen, die kein Mensch brauchte. Die Endorphine gaben uns den Rest.
Da ihre Schuhe abhandengekommen waren, versuchten wir
welche für sie zu finden.
Wie sich später herausstellte, hatte sie ihre Schuhe
nicht - wie wir erst annahmen - im Nachtbus vergessen, sondern sie waren von
unserer Tür weg gestohlen worden - genau wie meine. Das merkte ich allerdings
erst, als auch ich abreiste…
Nach einem Besuch auf einem kleinen Markt, ging sie in
einen anderen Laden, um doch noch Schuhwerkzeug zu finden. Als sie zurückkam,
meinte sie, wir müssten die Stadt unmittelbar verlassen, das habe alles keinen
Sinn - Schuhe hin oder her. Als wir an dem Laden vorbeifuhren, standen davor
feixende Angestellte.
Die Unendlichkeit
Nachdem Thomas und Pete in den Osten Kambodschas
weitergereist waren, blieben uns noch zwei Tage. Dennoch schotteten wir uns
nicht ab, sondern verbrachten unsere Tage in der Gesellschaft von neuen
Bekanntschaften. Wir verstanden uns prächtig, hörten Musik zusammen, tranken
Wein und hatten viel zu lachen. Nachts gingen Natali und ich gerne schwimmen.
Es gab da einen ganz besonderen Moment, als wir wie
gewohnt nachts im Meer badeten. Da es sonst meist bewölkt war oder gar regnete
- was uns völlig egal war - war es die einzige Nacht, in der sich die Sterne in
ihrer vollen Pracht zeigten. Wir standen im Meer, küssten uns, blickten in den
Sternenhimmel und konnten uns auf einmal nicht mehr auf den Beinen halten. Wir
taumelten, während wir uns gegenseitig aneinander festklammerten. Als ich mich
zum Strand umdrehte, hatte ich eine unglaublich intensive Empfindung. Ich hatte
das Gefühl, das die Luft reiner wurde - so als wäre gerade ein Gewitter zu Ende
gegangen und der Regen hätte alle Knospen zum Blühen gebracht. Die Luft duftete
intensiv. Alle Sinne waren bis aufs Äußerste geschärft. Es schien als ströme
unendlich viel frische Energie durch meinen Körper und Geist. Mit einem Mal
verspürte ich die Sensation, dass sich die Welt zu beiden Seiten ausdehnte und die
Zeit komplett stehen blieb. Ein Moment von Unendlichkeit. Sie empfand genauso.
Ein Augenblick, der mit allem versöhnte und nichts anderes zuließ als das
unbändige Gefühl von Lebendigkeit. Lust for life!
Sie schien die Eine zu sein, nach der ich immer gesucht
hatte! Es konnte nichts Irrealeres geben, als die Vorstellung, dass sie mich
verlassen würde.
Die letzte Nacht war erwartungsgemäß nicht einfach, aber dennoch wundervoll.
Wir sprachen von der Zukunft und bemühten uns nicht zu traurig zu werden. Aber
dann wurde es doch zu viel für sie und sie versuchte mich wegzudrängen und
alles zu beenden, um es für uns beide leichter zu machen. Das konnte so
natürlich nicht funktionieren. Selbstverständlich wollte ich nicht, dass sie
ging und sie wollte auch mit jeder Faser noch länger hierbleiben. Angesichts
der zehn Tage, die wir miteinander verbracht hatten, schien es absurd darauf
mehr zu bauen, doch es war die intensivste Zeit meines Lebens. Ich verstand
sehr wohl, dass es einfacher war, diese Zeit als einmaligen Höhepunkt zu
verbuchen, aber das empfand ich als Verrat an unseren Gefühlen und so war ich
ohnehin nicht gestrickt – alles oder nichts war die einzige Philosophie, die
ich anerkannte. So ließ ich ihre Abweisung an mir abperlen, und erzählte ihr
ein bisschen mehr aus meinem Leben. Schließlich war sie nicht allein mit ihren
Hypotheken. Und die Vorstellung ich wäre in irgendeiner Weise besser als sie,
erschien mir reichlich absurd. Anschließend legte ich Mit Dir vom Freundeskreis
auf und sang dazu. Auch wenn sie kein Wort verstand, erreichte sie die
Botschaft dieses Liedes. Das Esperanto fand seinen Weg vom Stuttgarter Kessel
über den kambodschanischen Strand einmal nach Argentinien und wieder zurück. So
bekamen wir auch diese Nacht am Ende noch rund, was aber nichts daran ändern
konnte, dass der Abschied sehr schmerzvoll war. Ich konnte ein paar Tränen
nicht unterdrücken, auch wenn ich davon ausging, dass wir uns bald wieder sehen
würden. In diesem Moment war sie tapfer, erzählte mir aber später, dass sie die
ganze Reise über geweint hatte – das waren 50 Stunden – zwei volle Tage, die
ich am Strand von Kambodscha verbachte und in Gedanken bei ihr war, während sie
über Pnom Penh, Bangkok und die arabischen Emirate zurück nach Buenos Aires
reiste. Das war an Irrealität nicht zu überbieten.
Nachdem sie zurückkehrt war, skypten wir jeden Tag.
Ich stand oft um sieben Uhr morgens auf, um für sie da zu sein. Denn ihr ging
es zunächst sehr schlecht. Etwas Untypischeres als freiwillig morgens
aufzustehen, wo ich doch gerade erst eingeschlafen war, gibt es für mich nicht.
Ich trank schnell zwei Kaffee, stürzte mich ins kalte Wasser und saß an der
Bar, um mit ihr zu sprechen. Mein Schlafmangel wurde nicht besser.
Währenddessen forcierte sie die Schritte, die sie angekündigt hatte. Sie
erzählte Familie und Freunden von mir und bekräftigte ihren Entschluss, mit mir
in die Welt zu ziehen. Weder ihre Schwestern noch ihre Freunde waren darüber
übermäßig begeistert und taten alles, ihr das auszureden. Doch sie bekräftigte,
ihr Leben ändern zu wollen, Argentinien zu verlassen und diesen unglaublich
zehrenden und krankmachenden Job aufzugeben, um bald gemeinsam mit mir auf
Reisen gehen zu können. Ihr Leben für mich zu ändern, hätte ja auch keinen Sinn
gemacht. Aber da sie es ohnehin schon lange ändern wollte, hatten wir eine
Chance. So schien auch meine Reise nicht hier zu enden, sondern vielmehr, als
würde sie in Kürze erst richtig beginnen. Die Welt schien für mich komplett zu
sein. Ich hätte den nächsten Frachter nach Südamerika bestiegen, wenn das ihr
Wunsch gewesen wäre; doch sie wollte ihre Dinge regeln, ihre Wohnung vermieten
und Überlegungen anstellen, wie sie auch von unterwegs als Designerin würde
tätig sein können. Und auch ich musste noch einmal die Heimreise in meine alte
Welt antreten und nach Wegen suchen, meinen Teil unserere Abmachung zu
erfüllen. Ich hatte nichts zu vermieten...
Nachglühen
Auch nach dem Abschied traf ich viele phantastische
Menschen an unserem Strand an der Küste Kambodschas. Voller Freude
berichtete ich von meinen Reisen und der wunderbaren Begegnung, die alles
nochmal verändert hatte. Ein Paar aus Puerto Rico konnte mir Natalis spanischen
Abschiedsbrief übersetzen und teilte meine Freude über ihre wundervollen Zeilen.
Das machte es etwas leichter, denn ich vermisste sie mit jeder Faser -
ihren Rhythmus, ihre Art zu tanzen, ihr Charisma, ihren Geruch, den
Ausdruck ihrer Augen, ihren Körper…einfach alles.
Die Energie, die mich seit der Begegnung mit ihr
aufputschte, wirkte weiter.
Ich fühlte mich, als sei ich der glücklichste Mensch
auf Erden.
Die Tuk-Tuk-Fahrer, die vor dem Hotel warteten,
amüsierten sich köstlich über den jungen Mann, der so viel Endorphine
ausschüttete, dass er das Gehen verlernt hatte und nur durch die Gegend rannte.
Besonders als ich ständig irgendwas vergaß. Ich praktizierte Yoga, spielte
Frisbee und Poolbillard, rannte den Strand entlang, schwamm als gäbe es kein
Morgen. Wahnsinn, wie viel Energie plötzlich zur Verfügung stand.
Ich fühlte mich bereits wie ein Teil der Familie, die
das Strandrestaurant und das kleine Hotel bewirtschaftete. Längst hatte ich sie
in mein Herz geschlossen. Und umgekehrt. Wie geplant, traf ich noch einmal
Thomas und Pete auf einer Insel in der Nähe der vietnamesischen Grenze. Wir
verbrachten einige entspannte und vergnügliche Tage. Danach kehrte ich noch
einmal für drei Tage an unseren Strand zurück und avancierte für einige
Tage zum DJ der Bar und tiefentspannt war.
Schließlich buchte ich einen Flug von Bangkok zurück
nach Deutschland. Auf dem Weg dorthin machte ich einen weiteren kurzen
Abstecher bei den Tempeln von Angkor, um mich für all das zu bedanken, was dort
seinen Anfang genommen hatte.
In Bangkok erwartete mich dann das Neujahrsfest der
Thais. Unglaubliche Menschenmassen bevölkerten die Stadt. Nahezu jeder war mit
einer Wasserpistole bewaffnet und es gab Wasserschlachten, wie ich sie noch nie
gesehen hatte. Dazu wurde man von allen Seiten mit Farben bombardiert,
Technobässe waberten durch die Straßen. Während die Menschen das neue Jahr
begrüßten, verließ ich ein drittes Mal Asien, nicht ohne Hoffnung bald ein
weiteres kommen zu dürfen. Vor allem aber konnte ich kaum erwarten, Natali bald
wieder in meine Arme zu schließen.
Das
Ende vom Lied
Ich will es kurz machen; meine Hoffnungen haben sich nicht erfüllt und angesichts des unglaublichen Glücksgefühls auf der Welle, die ich monatelang geritten hatte und in diesen gigantischen Höhepunkt mündete, war die Fallhöhe entsprechend hoch. Ich kehrte euphorisch zurück und erinnere mich mit Freude an die einmalige Wiedersehensfreude auf der Party mit meinen Freunden. Selten hatte man mich dermaßen gelöst erlebt. Danach setzte mir eine erste Sendepause ihrerseits zu; schließlich sandte sie mir nach einer schweren Erkrankung eine Audiobotschaft, die mir sagte, dass sie mich von ganzem Herzen liebte.
Kurze Zeit später folgte eine weitere Sendepause; schließlich reiste sie erneut zu einem dieser Horrortrips nach China; in dem Moment, als ich ihr angespanntes Gesicht sah, das kurz auf einem Bildschirm in einem chinesischen Internetcafe aufblitzte, wusste ich, dass der Traum zu Ende war und sie nur noch nicht wusste, wie sie mir das beibringen konnte. Sie hatte sich für ein neues Jobangebot entschieden, für die Sicherheit, für die Heimat und gegen das Abenteuer. Kurze Zeit später brach sie mitten im Gespräch den Kontakt ab. Das war ein herber Schlag ins Gesicht und die Schockwelle riss mich tief in einen Abgrund. Wo ich zuvor von grenzenloser Euphorie, Kreativität und Plänen erfüllt war, folgte ein bodenloser Absturz in ein tumbes Nichts.
Allerdings wäre es reichlich billig, ihr alleine diesen Absturz in die Schuhe zu schieben. Keiner wird jemals wissen, ob uns unsere Reise durch die Welt wirklich Glück gebracht hätte. Die Hypothek des Zaubers unserer ersten Begegnung hätte tonnenschwer gewogen; das spürten wir beide. Dennoch hätte ich es riskiert und nur auf mein Herz gehört; völlig egal ob unser Wiedersehen in Europa, Südamerika oder an den Stränden des indischen Ozeans stattgefunden hätte und was dabei rausgekommen wäre. Das war ich uns schuldig.
Es ist keineswegs so, dass ich ihre Entscheidung nicht verstehen konnte – auch mir wurde nach meiner Heimkehr schummrig bei dem Gedanken, wie ich in wenigen Monaten eine Grundlage legen sollte, um mich in ein neues Abenteuer zu stürzen.
Es nutzt alles nichts. Sie hat sich anders entschieden und das brach mir das Herz, nachdem ich alles riskiert hatte. Ich hätte es drauf ankommen lassen und werde es irgendwann wieder tun. Was hätte das Leben sonst für einen Sinn?
Ich habe mein Versprechen eingelöst, das ich ihr dort gegeben habe: mein erstes Buch vor meinem 30. Geburtstag fertig zu stellen. Ich fühlte mich daran gebunden, auch dann wenn sie es aller Wahrscheinlichkeit nach nie in den Händen halten wird.
Auch ich habe auf dieser Reise ein Herz gebrochen und die Umstände liegen schwer. Zumal ich damals Zweifel an meiner eigenen Loyalität hatte und mich aus Liebe zurückzog – so merkwürdig sich das anhört; ich weiß wie es sich anfühlt, Jemanden so zu verletzen. Beschissen. Vielleicht fühlte sie sich ähnlich erdrückt wie ich damals.
Dass es mir nicht gelang in Deutschland Fuß zu fassen, hat auch eine Reihe anderer Gründe; die Uhr lässt sich nicht mehr zurückdrehen, meine und ihre Fehler nicht rückgängig machen; Ich wusste genau, dass die Wunde, die damals aufbrach, keineswegs ihr zuzuschreiben war und es ohnehin töricht wäre, von Anderen zu erwarten, diese Wunde zu heilen. Dennoch hat es lange gedauert bis meine unermessliche Wut, von der ich ergriffen wurde, verraucht war; und das war vielleicht das Schlimmste: dass es nicht möglich war zurück zu schauen ohne den schalen Geschmack der Wut. Es hat sich sehr langsam gewandelt und auch heute gibt es nur seltene Momente, in denen es nicht zumindest grenzenlose Melancholie empfinde, wenn ich ein Bild von ihr betrachte und den Ausdruck in meinen und ihren Ausdruck lese.
Doch es wäre sinnlos gewesen, diese wunderbare Episode aus meinem Leben noch einmal zu erzählen, ohne einen neuen Blickwinkel darauf zu richten. Das würde bedeuten, dass ich rein gar nichts gelernt hätte. Angesichts der paradiesischen Tage, die wir miteinander verbringen durften, wäre es zutiefst unfair mit selbstverliebter Pose zu enden. Und so wünsche ich mir nur eins: ein Blick zurück, der mir trotz allem ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Nun denn - alles ist an seinem Ort - Zeit sich für einen neuen Frühling aufzumachen...
weitere Reportagen aus Kambodscha:
von Oligarchen, der Entwicklung an der kambodschanischen Küste und dem Ausverkauf kambodschanischer Inseln, auf denen größenwahnsinnige Projekte verwirklicht werden, berichtet mein Beitrag über Ko Tonsay.
Schoen, solch ehrliche Worte zu lesen. Gefuehle sind nicht jedermanns Sache. Und kaum eines Mannes bevorzugtes Thema...
AntwortenLöschenWegen Deiner zitierten lyrics musste ich gleich an Xavier Rudd, ein anderes Exemplar dieser seltenen "Spezies" denken:
Love comes and goes
Sometimes decades sometimes months,
Raise you up to the sky
Make you feel like every little thing is bright.
Send you crashing back down
Make you so sick that you want to drown
No other pain, like losing a soul mate.
Und als naechstes kam mir sofort "Arms of a woman" von Amos Lee in den Sinn. Denn irgendwie habe ich das Gefuehl, dass die Geschichte noch nicht zu Ende ist:
I am at ease in the arms of a woman.
Although now,
most of my days i spend alone.
A thousand miles,
from the place i was born.
But when she wakes me,
she takes me back home.
Ich moechte Dir hier keinesfalls irgendwelche falschen Hoffnungen machen, sondern Dir nur meine ehrliche Meinung mitteilen. Und diese sagt mir einfach, dass Du irgendwann heimkehren wirst...
Angesichts der ganzen Oberflächlichkeit, den Worthülsen und der Verwirrung, erscheint mir radikale Ehrlichkeit als die einzig mögliche Haltung; die angesprochenen Gefühle kennt sicher Jeder in der ein oder anderen Form; ich persönlich empfinde es als bereichernd und bisweilen befreiend, wenn ich erfahren kann, was andere tief im Innern bewegt. Darin liegt für mich eine wesentliche Kraft der Literatur. Nur wenn ich zu meinen eigenen Gefühlen und Fehlern stehe, kann ich etwas daraus ziehen und etwas vermitteln von dem, was mich existentiell berührt. Geschlechterrollen sind für mich in manchen Teilen nicht mehr als Projektion und ich überwinde sie daher gerne.
LöschenDie von Dir zitierten Lyrics passen ausgezeichnet zu meiner Geschichte. Herzlichen Dank dafür! Vielleicht muss sich meine Welt noch ein paar Mal drehen, aber ich trage die Hoffnung in mir, einmal wirklich heimzukehren. Deswegen habe ich mich auch auf die Reise gemacht – so paradox, dass im ersten Moment klingen mag. Es gibt sicher noch Einiges, was auf mich wartet – in der Zwischenzeit arbeite ich weiter an mir, dass mir der richtige Moment nicht entgeht. Time will tell...