Donnerstag, 10. Januar 2013

Afghanistan


Erneut möchte ich eine Reportage von Mediastorm in den Vordergrund stellen, die sich auf vielschichtige Weise der schwierigen Situation Afghanistans annähert.  

Einige Vorbemerkungen:
 
Schon lange interessiere ich mich für das Schicksal der Afghanen. Seit Jahrzehnten kommt das Land nicht mehr zur Ruhe und die Folgen für die Bevölkerung sind verheerend - oft bleibt nur die Wahl zwischen Not und Elend. Afghanistan ist in den Strudel geostrategischer Interessen geraten und wurde dabei in den Abgrund gestürzt.

Ich bin immer wieder erschüttert, wenn ich mir vorstelle, wie trostlos die Situation in dem Land ist und mit welcher Würde viele Menschen diese Zustände ertragen. Ich selbst war noch nie in Afghanistan und würde sehr gerne einmal dorthin reisen. Nicht zufällig war Kabul einer der wichtigsten Anziehungspunkte für die Hippies – und zwar nicht nur als Zwischenstation auf dem Weg nach Indien. Der Hindukusch mit seinen mächtigen Bergen (die ich bislang nur bei einem Überflug sehen konnte) und die blühenden Täler mit ihren Rosengärten ließen viele Reisende länger verweilen, als sie geplant hatten. Doch vor allem die Gastfreundschaft der Menschen war ein Grund, warum viele Reisende sich in dieses Land verliebt haben.

Seitdem ist viel geschehen und das Land ist kaum wieder zu erkennen. Man mag einwenden, was das uns beträfe – aber diese Denkweise ist ein Trugschluss. Auch wenn ich der eindimensionalen Logik der US-Außenpolitik, die meinte man könne, die Taliban auf kriegerische Weise bezwingen und dem ähnlich gestrickten Mantra Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt, keineswegs folgen mag – so wird in einer globalisierten Welt immer deutlicher, wie eng viele Dinge zusammenhängen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben.

Natürlich wird man mit der Betrachtung der Situation in Afghanistan allein dem komplexen Thema des Terrorismus kaum gerecht – aber viele Schlüsse aus der Situation dort lassen sich dennoch ziehen. Und die Folgen lassen sich überall spüren: Staaten ziehen in den Krieg gegen den Terror – was sowohl von der Begrifflichkeit als auch der Intension kaum zielführend sein kann – schließlich werden in diesem Kampf rechtsstaatliche Prinzipien aufgegeben (ob nun in Guantanamo oder im Drohnenkrieg). Das erschüttert jegliche Glaubwürdigkeit, man wolle ernsthaft für Demokratie und Menschenrechte einstehen - was in diesem und anderen Fällen ohnehin eher als Vorwand erscheint. Sonst hätte man auch in Dafur einschreiten müssen.

Auch neue Sicherheitskonzepte mit massiven Einschnitten in die Bürgerrechte lassen sich mit dem Hinweis auf die Gefahr des Terrorismus und dem Wunsch nach Sicherheit in den U.S.A. oder Europa durchsetzen. Als ließe sich auf diese Weise Terrorismus bekämpfen. Das halte ich für eine Illusion. Ich sehe nur einen Weg, um dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen – Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, die den Menschen in vielen Ländern der Welt die Perspektive rauben und sie so zu einfachen Zielen für radikale Ideen machen. Nicht zu unterschätzen ist auch der Einfluss des eigenen Konsumverhaltens, mit dem man oft unfreiwillig Ungerechtigkeiten zementiert.
 
Die Chance voll auf den Wiederaufbau und die Etablierung rechtsstaatlicher Institutionen wurde in Afghanistan weitgehend verspielt. Anstatt sich in erster Linie auf den Wiederaufbau zu konzentrieren, war das zentrale Ziel, Terroristen zu töten und Osama bin Laden unschädlich zu machen. Ein gefährliches Schwarz/Weiß-Denken zu vermuten, man könne mit der Tötung von Terroristen den Terrorismus schwächen – das Gegenteil ist der Fall.

Ich will nicht verallgemeinern: es gab durchaus hoffnungsvolle Ansätze: der Aufbau von Schulen und Infrastruktur und der Versuch, mit den Mächtigen und Zivilisten ins Gespräch zu kommen – in meinen Augen der einzig gangbare Weg. Leider begreifen viele jedoch nicht, dass sich Lösungen für Afghanistan an der Struktur und Geschichte des Landes orientieren müssen und unbedingt auf die Vorstellungen der einfachen Menschen ausgerichtet sein muss. Durch den Einsatz von Drohnen und dem Tod vieler Zivilisten hat sich die Stimmung jedoch gedreht und die Menschen wieder in die Arme der Radikalen getrieben.

Die Dokumentation zeigt sehr deutlich, wie mit massiver Unterstützung der U.S.A. einst die Grundlagen für das heutige Fiasko gelegt wurde: als der Feind noch die Sowjetunion war, unterstütze man die Mudschaheddin und etablierte die Taliban und den einstmaligen Freund Osama bin Laden. Die Folgen sind bekannt. Zudem wurden auch Kämpfer aus anderen Regionen nach Afghanistan gelockt – was wesentlich zur Internationalisierung des islamistischen Terrors geführt hat und sich im aktuellen Krieg weiter verschärft – auch in Syrien ist die Situation völlig undurchsichtig geworden.
 
Nachdem die sowjetischen Truppen mithilfe von us-amerikanischen Waffen und Logisitik in die Flucht geschlagen waren, ließ man die Verbündeten fallen und überließ sie sich selbst – hoch gerüstet in einem völlig zerstörten Land – was hätte unter diesen Voraussetzungen Gutes rauskommen können?

Leider ist dies ein Muster der us-amerikanischen Außenpolitik – paramilitärische Gruppen zu unterstützen, um Krieg zu führen. Freilich ein Muster einer Weltmacht und nicht auf die Politik der U.S.A. beschränkt. Daran hat sich auch unter Obama nichts geändert. Zwar hat er den Abzug der Truppen beschlossen (was grundsätzlich richtig aber angesichts der aktuellen Situation durchaus fragwürdig ist) – doch der Krieg mit dem Einsatz von Kampfdrohnen hat noch an Intensität zugenommen. Von einer Wende kann keine Rede sein.

Doch nun zu der Reportage, die wesentlich auf der Arbeit des Photographen Seamus Murphy und einer intensiven Recherche basiert und erstklassig von Brian Storm produziert wurde.
Die Reportage ist stellenweise sehr bedrückend ohne sich einer Sensationsgier hinzugeben. Sie ist durch den Fokus auf die Menschen und mithilfe ausgezeichneter Photographien sehr berührend und zeigt sowohl Hoffnung als auch Verzweiflung. Ein erstklassiges Dokument über Vergangenheit, Gegenwart und möglicher Zukunft:

Based on 14 trips to Afghanistan between 1994 and 2010, A Darkness Visible: Afghanistan is the work of photojournalist Seamus Murphy. His work chronicles a people caught time and again in political turmoil, struggling to find their way. See the project at http://mediastorm.com/publication/a-darkness-visible-afghanistan

Leider flammt derzeit in Kaschmir der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt zwischen Indien und Pakisten wieder auf. Ein Schlüsselkonflikt für die ganze Region, der ein wesentlicher Nährboden für den islamistischen Terror darstellt. Seitdem ich selbst dort war, beschäftigt mich dieser Konflikt immer wieder und ich werde bald meine Gedanken zum Kaschmir-Konflikt zusammenfassen. Bis dahin möchte ich Euch den Artikel von Hasnain Kazim Gefährlicher Kleinkrieg im Himalaya für Spiegel-Online ans Herz legen und mein Blog Sehnsuchtsorte: Kaschmir, der auch von der Schönheit der Region erzählt. In Kürze mehr dazu...


Weiterführende Links:

the hard places

Crowdfunding-Projekt von Salome und Lukas Augustin, das dem Lebenswerk von Tom Little nachspürt, der sein Leben für die afghanische Zivilgesellschaft einsetzte. Eingebunden ist der kürzlich ausgezeichnete Kurzfilm "Afghanistan - touch down in flight" mit berührenden Bildern.

Mediastorm

Auch die Dokumentation von Mediastorm "I know where I`m going" über die Arbeit der ICRC im Jemen kann ich nur wärmstens ans Herz legen. 

Alexia Foundation - stories that drive change

spendenbasierte Stiftung, um Reportagen zu unterstützen, die sich für einen Wandel einsetzen.
 
Die Zukunft des Journalismus

Beispiele für den Wandel im Journalismus mit der sehenswerten Multimedia-Dokumentation Alma - Kind der Gewalt

Wandel durch Empathie

Zeichen der Hoffnung - Gedanken zur Macht von neuen Reportageformen und Ansätze, die aufzeigen wie Journalismus und Gesellschaft empathische Erfahrungen zum Handeln nutzen können und einen nachhaltigen Wandel gestalten können.

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