In meinem ersten Teil hatte ich Euch
mitten auf dem Manali-Leh-Highway in 4500 Meter Höhe zurückgelassen. Zu Eurem
Glück nur im übertragenen Sinn…
Der weitere Weg war durch einen Truck blockiert,
der auf einer Brücke liegen geblieben war. Es war nach Sonnenuntergang in
kürzester Zeit bitterkalt geworden und der beeindruckenden Kulisse zum Trotz, wirkte
der Ort nun sehr abweisend und ein wenig bedrohlich. Wir waren nicht im
Entferntesten an die dünne Höhenluft gewöhnt und es war völlig offen, wann wir
weiterfahren konnten.
Die Besatzung des auf
der Brücke gestrandeten Trucks begann nun, ihre Fracht abzuladen. Diese bestand
aus über 60 mit flüssigem Teer gefüllten Metallfässern. Eine einzelne Tonne wog
zwischen 60 und über 100 Kilogramm. Kaum einer der anderen Fahrer beteiligte
sich am Abladen. Bei annähernd 50 gestrandeten Fahrzeugen – fast alle ebenfalls
schwerbeladene Trucks – fand sich nur eine Handvoll Helfer. Stattdessen
brannten in einigen Fahrerkabinen erste Feuer, mit denen sich die Fahrer warm
hielten.
Zwei Männer rollten die Fässer nach und nach vom
Truck auf die Brücke und sie landeten mit ohrenbetäubendem Krach auf der
ohnehin schon sehr wackligen Stahlkonstruktion. Ich tat mich mit einem
schmächtigen Jungen zusammen, der auf dem liegengebliebenen Truck mitfuhr und nichts
am Leib trug als einfache Sandalen und Kleidung, die ihn nicht vor der Kälte
schützte. Er fror erbärmlich. Wie konnte man den armen Kerl nur so schuften
lassen und dabei zusehen anstatt mitzuhelfen? Gemeinsam rollten wir die Fässer
von der Brücke und eine Steigung hinauf, wo wir sie unter größter
Kraftanstrengung am Rand der Straße auf wuchteten. Mir wurde immer wieder
schwindlig und schwarz vor den Augen durch die mangelnde Sauerstoffversorgung
und es war eine reine Willensleistung, immer weiter zu machen. Wenn ich
bedenke, dass ich mich bei meiner Wanderung in Nepal im Jahr zuvor zwei Wochen
lang Zeit zur Höhenanpassung auf eine vergleichbare Höhe genommen hatte, so hatten
wir nun diese Höhe innerhalb von 10 Stunden erreicht. Dennoch hatte ich damals
noch Symptome der Höhenkrankheit gezeigt (die im Ernstfall bis zum Tod führen
kann). So wunderten mich diese Folgen der extremen Belastung kaum.
Irgendwann kamen dann doch noch ein paar „Helfer“
dazu. Diese waren jedoch inzwischen so betrunken, dass sie mit ihren
unkoordinierten Hilfsversuchen eher eine
Gefahr als eine Hilfe darstellten. Jedenfalls war der Truck nach zwei Stunden
entladen. Der schmächtige Junge schüttelte mir dankbar die Hand. Nun gelang es
nach einigen Anläufen den Truck mithilfe eines schweren Seils von einem
weiteren Truck von der Brücke zu ziehen. Die Brücke war nun wieder passierbar.
Allerdings nicht ohne Risiko. Die Stahlkonstruktion war nur noch auf der einen
Seite der Brücke intakt. Aber keiner fühlte sich berufen, die nun anfahrenden
Fahrzeuge entsprechend einzuweisen, so dass sie nicht mittig oder gar rechts
fuhren, was unweigerlich bedeutet hätte, dass der nächste Truck einbrechen
würde. Ich übernahm den Job für die ersten Fahrzeuge. Dann war mein Minibus
durch und wir fuhren weiter.
Inzwischen war es stockdunkel und unser Fahrer
hatte sich definitiv den einen oder anderen Whisky gegönnt. Aber es gab keine
Alternative als weiter zu fahren. Wir mussten von dieser Höhe runter kommen. Die mangelnde Hilfsbereitschaft und den Fatalismus
der meisten Fahrer fand ich sehr irritierend. Offenbar setzten sie auf die
Hilfe des Militärs, das irgendwann Hilfe schicken würde. Gleichzeitig waren die
Fahrer aber moderne Desperados. Die wenigen Monate im Jahr, die die Straße befahrbar
war, fuhren sie nahezu ohne Pause Waren hin und zurück. Sie befinden sich dauerhaft
in Lebensgefahr. Vielleicht kommt es aufgrund der existentiellen Bedrohung auf
diesen Fahrten zu der fatalistischen Einstellung. Jedes Jahr bezahlen Fahrer diese
Touren mit ihrem Leben. Extreme Witterungsverhältnisse mit unvorhersehbaren und
plötzlichen Wetterumbrüchen, dichter Nebel, katastrophale Straßenbedingungen,
die dünne Luft, uralte Trucks, sowie Räuber und Diebe machen die Strecke zu
einer Tortur.
Sie waren zweifellos die Helden dieses Highways.
Nun fuhren wir durch eine phantastische
Mondlandschaft, die man durch das Licht des Vollmonds erahnen konnte. Nach drei
Stunden und der Überquerung eines 5000m-Passes erreichten wir Pang – nichts weiter als eine
Zeltansammlung, in denen man essen, trinken und schlafen konnte. Diese Zelte
stellen die einzige Versorgung zwischen dem Rohtang-Pass
und dem Industal dar. Ansonsten gibt es über einige hundert Kilometer keine
menschlichen Ansiedlungen. Nach wie vor befanden wir uns auf 4600 Meter.
Hier schliefen wir dicht an dicht mit den Fahrern
in einem der Zelte. In der Nacht begann es zu schneien. So dauerte es am
nächsten Morgen bis der Minibus wieder zum Laufen kam - die Motoren waren über
Nacht eingefroren.
Nun war die surreale Landschaft mit einer
Schneeschicht überzogen. Kurz nachdem wir losgefahren waren, gab unser Reifen
mit einem sehr heftigen Knall endgültig den Geist auf. Ein Glück, dass das
nicht in einer Kurve passiert war. Der Wechsel des Reifen ging recht schnell.
Auf zum nächsten Hindernis, dem man mit etwas Wahnsinn begegnen konnte…
Es folgte der höchste Pass unserer Reise, der
zweithöchste befahrbare Pass dieser Erde. Da es so heftig geschneit hatte, wäre
es sinnvoll gewesen diesen Pass zu umfahren. Lediglich ein Jeep war uns in der
letzten Stunde begegnet und der war wesentlich besser für solch eine
Überquerung gerüstet. Der Fahrer des Jeeps riet uns energisch davon ab, den
Pass zu queren. 4 der 5 Fahrer (wir fuhren in einer Kolonne) wollten auch einen
sicheren Umweg fahren. Aber der Eine mit dem größten Herz hat sich
durchgesetzt, indem er einfach auf den Pass zugerast ist. Also alle hinterher…
Die ersten paar hundert Meter ging das gut, bevor
der erste Bus aus der Spur geriet. Es war extrem glatt und Schneeketten waren
nur ein schöner Traum. Wozu sollte man so was mitführen? Das war was für
Anfänger. Die wirkliche Herausforderung, bestand offenbar darin, mit dünnen
Reifen ohne Profil den verschneiten Pass hochzufahren. Winterreifen sind in
Indien ohnehin nahezu unbekannt. Lange schien es nun, dass wir vollständig
feststeckten und keinen Meter weiter bergauf kommen würden. Umdrehen war direkt
neben dem Abgrund auch nicht möglich. Inzwischen befanden wir uns auf über 5000
Metern. Wir waren schon viel zu lange in so einer Höhe, ohne akklimatisiert zu
sein. Inzwischen war es wirklich gefährlich. Die Höhenkrankheit zeigte sich in
starken Kopfschmerzen. Wir hatten nicht mal genug zu trinken dabei, was etwas
Linderung gebracht hätte. Ich hatte dazu noch heftige Magenprobleme die es mir
auch unmöglich machten zu essen – sicher eine Folge der Kraftanstrengung beim
Abtransport der Fässer.
So steckten unsere Minibusse immer wieder fest -
speziell auf steileren Abschnitten, die von der Sonne abgewannt lagen. Hier war
es zu glatt. Die Reifen drehten ständig durch. Immer wieder nahmen die Fahrer
neuen Anlauf, um solche Passagen mit Vollgas zu überwinden. Ein absoluter
Wahnsinn direkt am Abgrund. Die Aussicht, noch höher zu fahren und in noch tieferen
Schnee zu kommen, war auch nicht beruhigend. Auch unser einziger verbliebener
einheimischer Begleiter fand die Fahrer rücksichtslos und wahnsinnig.
Die Sonne brannte unbarmherzig auf uns und da die
Fahrer nun alleine die Busse steuerten, mussten wir etwa 2 km bergauf gehen.
Nach endlosen Stunden, Verzweiflung aber
auch ungläubigem Staunen ob der verschneiten Bergkulisse, diesem
phantastischen, aber auch so menschenfeindlichem Lebensraum, erreichten wir
schließlich die Passhöhe auf 5300 Meter und dann ging es endlich nur noch
bergab. Das Ganze in atemberaubender Geschwindigkeit und ohne Rücksicht auf
Verluste.
Ladakh
Im Tal angekommen folgte die nächste gravierende
landschaftliche Veränderung. Unwirklich erscheinende Felsstrukturen prägten nun
das Bild und endlich tauchten wieder Farben auf – das Blau des Himmels war
seitdem wir die Baumgrenze überschritten hatte die einzige Abwechslung gewesen
in einer Steinwüste, in der Braun-, und Grautöne dominierten. Das Weiß des
Schnees hatte die Landschaft zwar freundlicher erscheinen lassen, aber die
Augen brannten angesichts der Strahlkraft in einer solchen Höhe. Die ersten
kleineren Dörfer tauchten wie eine Fata
Morgana auf. Nach endlosen menschenleeren Gegenden hatten wir wieder die
Zivilisation erreicht.
Das Tal öffnete sich und wir gelangten ins
mächtige Industal – tief eingeschnitten zwischen majestätischen Gipfeln. Vereinzelte
buddhistische Klöster tauchten auf und Pappeln leuchteten in wunderschönen
Herbstfarben. Nach weiteren 50 km im Tal erreichten wir das mittelalterlich
anmutende Leh mit seinen 15.000 Einwohnern.
Diese Tour werde ich auf jeden Fall wiederholen.
Wahrscheinlich schon bald…
Ergänzend dazu: Bilder und Hintergründe meines Aufenthalts in Ladakh.
Deine Fotos begeistern mich jedes Mal.
AntwortenLöschenHerzlichen Dank, Volker! Das freut mich sehr! Leider hat sich der Akku auf dieser Höhe so schnell entladen, dass mit viel Glück gerade noch die Schnappschüsse der wahnsinnig schönen Schneelandschaft gelungen sind...
LöschenBald folgt mehr aus Ladakh und Angkor! LG Oleander