Aus Anlass des gestrigen 50-jährigen Todestages von Hermann Hesse habe ich mich entschlossen, einen kleinen Auszug aus meinem Buch zu verwenden, der entstanden ist, als ich Hesses Siddhartha vor der eindrücklichen und friedvollen Kulisse des Himalayas las.
Der Auszug stellt eines der Kernstücke des Buches
dar und war von einer Begegnung mit einem Sikh geprägt, in dem ich kurzzeitig
einen Lehrer gefunden hatte. Für mich war Dharamsala mit seiner buddhistischen
Kultur (als Exilheimat der tibetischen Gemeinde und des Dalai Lama in Indien)
der perfekte Ort für die Lektüre. Darüber hinaus verbindet mich mit Hesse die
Herkunft aus einer Pfarrerfamilie und die existentielle Sinnsuche. Natürlich
kann der Vergleich nur hinken und ich sehe zu Hermann Hesse als eines meiner
wenigen Vorbilder auf.
„Parallel zu den Begegnungen
mit ihm (dem Sikh) las ich Siddhartha. Ein phantastisches Buch, das für mich viele
spannende Aspekte beinhaltete.
Auch ich musste wohl eines
Tages lernen aufzuhören, die Welt aufgrund der Ungerechtigkeit in ihr zu
verachten, mir selbst und anderen zu verzeihen und die Ambivalenz der Welt als
Einheit und weniger als Gegensatz zu verstehen.
Meine moralischen Ansprüche
waren sicher nicht falsch, aber wohl von kaum einem Menschen zu erfüllen
und auch ich scheiterte immer wieder selbst an ihnen.
Besonders angesprochen hat
mich, dass Siddhartha in der Erzählung Buddha nicht nachfolgt,
obwohl er diesen als heiligen Mann wahrnimmt, weil er spürt, dass er nur eigenständig Erleuchtung finde. Er kann dessen Weisheit nicht einfach übernehmen. Nur
die Wahrheit, die er in sich selbst entdecken konnte, erscheint ihm
wertvoll, lebendig und für ihn wirksam. Das entsprach sehr stark meinen eigenen
Vorstellungen, meinen ganz eigenen Weg zu finden jenseits von
vorgefertigten Glaubens- und Moralvorstellungen. Auch mir fiel es ausgesprochen
schwer, Lehren anderer Menschen anzunehmen.
Die Überwindung
des Leids als Weg der Erleuchtung konnte vielleicht auch meinem Leben
einen ganz anderen Sinn verleihen. Gleichzeitig war das vielleicht
auch genau die Bürde, die ich überwinden musste. Schließlich versuchte auch
ich, das Kreuz der Welt zu tragen und konnte oft nicht anders als daran zu
zerbrechen und zu scheitern. Spannend auch,
wie es Siddhartha trotz massiver Rückschläge gelingt, im Verlauf der Erzählung
seine Perspektive auf die Welt zu verändern:
Das Ich war es, von dem ich loskommen, das ich überwinden
wollte. Ich konnte es aber nicht überwinden, konnte es nur täuschen,
konnte nur von ihm fliehen, mich nur vor ihm verstecken.
Wahrlich, kein Ding in der Welt hat so viel meine Gedanken beschäftigt wie dieses meine Ich, dies Rätsel, dass ich lebe, dass ich einer
und von allen anderen getrennt und abgesondert bin…
Am Ende der Erzählung
erlebt sich Siddhartha dann als Teil eines großen Ganzen, das uns
alle ausmacht und fühlt sich nicht mehr getrennt von den anderen Menschen
und der ihn umgebenden Natur. Alles ist beseelt von demselben Funken,
der nichts anderes ist als augenblickliche Existenz:
… langsam blühte, langsam reifte in Siddhartha die Erkenntnis,
das Wissen darum, was eigentlich Weisheit sei, was seines langen Suchens Ziel
sei. Es war nichts als eine Bereitschaft der Seele, eine Fähigkeit,
eine geheime Kunst, jeden Augenblick, mitten im Leben, den Gedanken
der Einheit denken, die Einheit fühlen und einatmen zu können. Langsam blühte das in ihm auf, strahlte ihm aus Vasudevas altem
Kindergesicht wider: Harmonie, Wissen um die ewige Vollkommenheit der Welt, Lächeln,
Einheit.
Beide Zitate
aus: Hermann Hesse, Siddhartha.
Dies war die
Essenz, meinen Weg musste ich jedoch ähnlich wie Siddhartha selbst entdecken.
Erlebt
hatte ich diesen Zustand schon einige Male, in der Regel jedoch mithilfe
psychoaktiver Substanzen.
Dennoch wusste ich, dass es
auch für mich einen Weg gab; doch galt es ihn dauerhafter und ohne die
Hilfe jeglicher Substanzen zu beschreiten. Nur dann würde ich in der Lage sein,
dauerhaften Frieden zu erlangen.
Es tat mir ausgesprochen gut,
so viel zu laufen. Es dauerte jedoch immer einige Stunden, bis der fortwährende
Strom meiner Gedanken allmählich verstummte oder zumindest
abnahm und an ihre Stelle eine selten erlebte Klarheit trat.
Nun benötigte ich meine
geistige Kraft dazu, die Konzentration aufrecht zu erhalten, um keine Fehler
zu machen, die nahe am Abgrund zu fatalen Konsequenzen führen konnten.
Ich fühlte mich lebendig wie nur selten in meinem Leben. Die umgebenden
Geräusche, ein vorbeiziehender Vogel, die Berge um mich herum und der
Pfad vor meinen Augen – das war alles was zählte. Im Hier und Jetzt zu
sein, das gelang mir sonst nur selten und ich
genoss diese Momente in
vollen Zügen.“
Hermann Hesse suchte oft
seinen Frieden durch lange Wanderungen und den Rückzug in die Einsiedelei. Zeit
seines Lebens war er ein Suchender.
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