Seit langem träumte ich davon, nach Ladakh im äußersten Norden Indiens vorzustoßen. Auf meiner dritten Indienreise war es soweit. Meine Anreise im Oktober war ausgesprochen spät. Im Jahr zuvor hatte mich - ebenfalls im Oktober - der verschneite und vereiste Rohtang-Pass, der das bedeutendste Hindernis auf dem Weg nach Ladakh darstellt, zur Umkehr gezwungen. Der Wintereinbruch stand erneut kurz bevor. So war Manali – wenige Stunden südlich vom Rohtang-Pass mein erstes Ziel und von dort aus würde ich weitersehen, ob eine Weiterreise diesmal möglich sein würde.
Zunächst flog ich von München über London nach New Delhi.
Auf Reisen ist Schlafen für mich ein Fremdwort. Entsprechend gerädert kam ich
in Delhi an; es galt mich erst mal wieder auf eine andere Welt einzustellen. Ich
hatte auf meiner ersten Reise nach Indien Vieles erlebt, aber an manches musste
ich mich immer wieder neu gewöhnen. Das Chaos der Städte und die Menschenmassen
gehören definitiv dazu. Im Übrigen war meine erste Begegnung mit Delhi reichlich paranoider Natur gewesen
und das wirkte nach. Delhi ist zweifellos eine sehr spannende und
interkulturelle Stadt, in der es viel zu entdecken gilt. Aber ich halte es
alleine in dieser Stadt einfach nicht aus. In Bombay war es mir ähnlich gegangen. Im Vergleich zu meinem ersten
Besuch in Delhi ging es jedoch
ausgesprochen gesittet am Flughafen zu, was auf die gerade zu Ende gehenden Commonwealth Games zurückzuführen war.
Sogar die Rikschas hatte man vom Flughafengelände verbannt.
So fuhr ich mit einem öffentlichen Bus zum Kashmiri Gate, einem der Busbahnhöfe
Delhis von dem aus die Bundesstaaten Himayal
Pradesh, Punjab und Kaschmir angesteuert werden. Nach einer
anderthalbstündigen Fahrt mit dem Linienbus durch Delhi, wollte ich nur noch weg.
Ich hatte ohnehin keinen Aufenthalt in Delhi vorgesehen und jetzt entschied ich, dass ich trotz meiner Übermüdung
tatsächlich weiterreisen würde und bestieg den Bus nach Manali. Ich wollte direkt eine Oase der Ruhe ansteuern.
Die Busfahrt
war brutal; ich war dennoch sehr froh gleich wieder aus der Stadt rauszukommen.
Fünfzehn Stunden saß ich in einem altersschwachen und ungefederten Bus, fuhr
durch die endlosen Vororte Delhis; Bilder, die manche Menschen in ihrem Leben
nie sehen werden. Sie erzählen von Modernisierung und Aufbruch, aber auch von Umweltverschmutzung
und den vielen, die einen Platz in der Gesellschaft suchen. Den risikofreudigen
Fahrer kümmerte das wenig und ich saß da, war wieder Beobachter einer Szenerie,
die mir so vollkommen fremd erschien, auch wenn ich diese Bilder schon gesehen
hatte; Erinnerungen an unzählige Erlebnisse in Indien wurden wach. Ich war hoffnungslos
übermüdet, reizüberflutet und driftete immer wieder in Träume ab.
Bei aller
Fremde empfand ich gleichzeitig eine geradezu irre Freude, wieder in Indien zu
sein und zu spüren, dass es dieses wundersame Land wirklich gibt, das mir aus
der Ferne betrachtet oft vollkommen irreal erschien.
Dieses Land, das mich oft verzauberte mit all seinen Farben, Sinnesreizen und
der Freundlichkeit der Menschen; das mich aber genauso völlig aus der Fassung
bringen konnte – durch den dauernden Geräuschpegel, den Mangel an Privatsphäre,
die extremen Kontraste und eine dauerhafte Reizüberflutung. Dennoch weiß ich – dieses Land wird mich niemals
wieder loslassen und das Chaos und die Kontraste ziehen mich mindestens so
stark an, wie sie mich manchmal abstoßen - sie zeigen die ganze Bandbreite des
Lebens.
Nach einer weiteren schlaflosen und bitterkalten Nacht erreichte
ich in den Morgenstunden das Kullu-Tal
und schließlich Manali. 40
Stunden hatte ich bis in den Himalaya gebraucht. Eigentlich bin ich eher ein Freund des
bedächtigeren Reisens, aber ich hatte eine extreme Erfahrung gebraucht, um mich wirklich lebendig zu fühlen. Ich hatte die Berge unheimlich
vermisst. Manche Landschaften hatten tief in meinem Herzen ihren Ausdruck
hinterlassen und ich konnte es kaum fassen wieder inmitten dieser gigantischen
Kulisse zu sein.
Mir ging es immer so, dass nach einer Ankunft in
einer solch anderen Umgebung die ersten Tage wie surreal erschienen, als sei
man noch gar nicht angekommen. Um dem entgegen zu wirken wanderte ich jeden Tag
in den umliegenden Bergen und genoss die frische Bergluft und die intensive
Begegnung mit der Natur. Tagsüber war es in der Bergsonne über 30 Grad warm und
nachts kühlte es bereits bis auf den Gefrierpunkt ab. Die beiden wichtigsten
Ernten der Region waren gerade eingebracht – Äpfel und Marihuana. Die meisten Touristen
waren längst abgereist. Auf einer meiner Wanderungen traf ich Markus, einen
sympathischen und unbekümmerten Österreicher. Eigentlich hatte ich meine
Weiterreise nach Ladakh aufgrund des
nahenden Winters schon fast abgehakt. Doch es stellte sich heraus, dass Markus ebenfalls
noch nach Leh (die Hauptstadt Ladakhs) vorstoßen wollte. Damit war es
beschlossene Sache.
Der
Manali-Leh-Highway
Ein Blick auf einen der Reifen unseres
Kleintransporters ließ nichts Gutes erahnen als wir in den frühen Morgenstunden
auf die knapp 500km weite Reise machten. Aber der Zustand des Reifens
interessierte den Fahrer nicht weiter und er würde erst einen neuen Reifen
aufziehen, wenn der jetzige in einem letzten Knall seinen Geist aufgeben würde.
Bis zum Mittag überwanden wir die fast 2000m Steigung zum Rohtang-Pass. Der Winter würde in den nächsten Tagen mit aller
Macht über das Land ziehen. Wir gehörten zu den letzten, die für dieses Jahr
und auf dieser Straße Ladakh
erreichen würden. Im Jahr zuvor hatte es bereits geschneit und die Straße hatte
sich in eine schlammige und schwer passierbare Piste verwandelt.
So hatte der Blick vom Rohtang-Pass auf Lahaul im Vorjahr ausgesehen... |
Der Pass wirkt als
Wetterscheide zwischen den feuchten und fruchtbaren Ebenen Indiens und dem
trockenen Tibet. Gleichzeitig trennt der Pass das hinduistisch geprägte Kullutal von den höher gelegenen Tälern Spitis, Lahauls und Ladakhs, in
denen sich durch ihre Abgeschiedenheit und die extremen Wetterbedingungen die
ursprüngliche buddhistische Kultur erhalten hat. Rohtang heißt übersetzt »Feld
der Leichen« und weist darauf hin, wie unberechenbar die Wetterverhältnisse
hier sind und wie plötzlich tückische Unwetter mit heftigen Gewittern und
Niederschlägen aufziehen können, die schon viele Menschenleben gekostet haben.
Der Pass ist durch heftigen
Schneefall nur wenige Monate im Jahr befahrbar und im Rest des Jahres ist der
hohe Norden Indiens meist nur mit dem Flugzeug erreichbar. Das soll sich den
Bau eines gigantischen Tunnels mitten durch den Berg ab 2015 ändern. Das wird wohl zu
einer massiven Änderung der Lebensweise in den bisher so abgelegenen
Gegenden führen, mit all seinen guten und schlechten Seiten. Das Problem ist, dass
man erst die schlechten Seiten sehen kann, wenn man auf die guten Seiten nicht
mehr verzichten möchte…
Nach dem Überqueren des Passes, fuhren wir durch mächtige
Täler an unzähligen imposanten Gipfeln entlang. Wir kamen aus dem Staunen gar
nicht mehr hinaus. Man spürte, in welch abgelegene Region wir uns hineinbewegten
– dies war bereits der Hohe Himalaya.
Wir erreichten den letzten größeren Ort Keylong und kurz danach auch die Baumgrenze. Hier verließen uns auch die letzten lokalen
Passagiere, bis auf einen der uns bis nach Leh
begleiten würde. Das Wetter war klar und sonnig, was uns einen ungetrübten
Blick auf die berauschende Bergkulisse ermöglichte.
Diese ersten fünf Stunden war unsere Fahrt gut
verlaufen. Das sollte sich aber am frühen Nachmittag gewaltig ändern. Die
Brücken über die Flüsse bestanden aus zum Teil abenteuerlichen
Stahlkonstruktionen, die immer wieder unter den Lasten zusammenbrachen. Der
Straßenbau ist unter diesen extremen klimatischen Bedingungen eine gewaltige
Herausforderung. Immer wieder gehen Lawinen ab, Flüsse bahnen sich neue Wege
und der Frost zerstört den Straßenbelag. Die Überschwemmungen in Nordindien
zwei Monate zuvor, hatten das Problem noch weiter verschärft. Ein Freund von
mir war damals nur mit Hilfe des Militärs aus der Region retten können.
Nun kam ein größeres Hindernis auf uns zu: eine
Brücke hatte der Last nicht mehr standgehalten und ein Truck war mit einem
Hinterreifen in die Brücke eingebrochen und hatte dort die Trägerelemente
zerstört. Er war deutlich überladen, wie die meisten Trucks hier.
Ein weiterer
Truck war bei dem Versuch, das Flussbett an anderer Stelle zu überqueren,
liegen geblieben. Das war ohnehin ein Wahnsinnsversuch gewesen. Wobei auch die
Fahrer unserer Kolonne dieser Idee auch nicht abgeneigt waren, sobald dieser
Truck erst mal aus dem Flussbett rauskäme. Darauf konzentrierten sich auch erst
mal die Bemühungen, doch diese blieben erfolglos.
Unsere Fahrer hielten es wie die meisten
gestrandeten Fahrzeuge und sie unternahmen keine weiteren Versuche an der
verfahrenen Situation etwas zu ändern, sondern präsentierten grinsend eine
Flasche Whiskey und stellten sich auf eine Übernachtung im Bus ein. Inzwischen
waren wir auf etwa 4500 Meter und damit 2500 Meter höher als an unserem
Startpunkt. Eine vernünftige Akklimatisierung sieht entschieden anders aus. Mit dem Sonnenuntergang wurde es innerhalb kürzester Zeit bitterkalt.
Link: Im zweiten Teil erfahrt Ihr, was aus dieser verfahrenen Situation geworden ist…
Link: Im zweiten Teil erfahrt Ihr, was aus dieser verfahrenen Situation geworden ist…
Na ja - man könnte ja wissen, auf was man sich einlässt - das geht dort immer so zu. Mein spezielles Abenteuer auf der Route (die ich mehrfach gemacht habe) hätte uns fast das Leben gekostet. Und die Trucks im Wasser sind ein klassiker, genauso wie die Drogen, die die Fahrer konsumieren. http://www.liebe-zur-erde.eu/leh-manali.html
AntwortenLöschenMir war schon bewusst, dass es sich um ein Abenteuer handelt mit einigen unkalkulierbaren Risiken handelt. Das war schon beim Besuch auf dem verschneiten und vereisten Rohtang-Pass im Jahr zuvor klar. Auch ws indische Busse angeht, war ich bereits ein gebranntes Kind. Deinen Artikel habe ich gelesen und er zeigt eindringlich die Gefahren auf dieser Straße. Ich wr zwar auch enstsetzt über das Verhalten der Fahrer - aber ich verurteile sie nicht. Ich glaube kaum, dass man sich vorstellen kann, wie es auf einen wirkt ständig auf dieser Straße mit all ihren Gefahren und unter dem Druck der Auftraggeber unterwegs zu sein. Ein sehr authentisches Dokument über die LKW-Fahrer auf dieser Strecke, der im Ansatz einen Perspektivwechsel ermöglicht, ist der Film "Fahrt ins Risiko" - hier der Trailer: http://www.fernsehbuero.de/produktionen/b_00023.html Mich reizt der Westhimalaya dermaßen, dass ich sicher wieder auf dieser Straße unterwegs sein werde. Aber da bin ich ja nicht alleine...
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