Montag, 18. Juni 2012

Brückenbauer


Zunächst möchte ich eine Frage in den Vordergrund stellen, die ich mir immer wieder selbst stelle: „Warum nur zieht es mich immer in die Ferne?“ – schließlich habe ich bereits drei Reisen nach Asien hinter mir, die letztlich eine große war. Doch die Vorstellung das Reisen in fremde Länder würde die eigene Sehnsucht befriedigen, blieb ein Trugschluss. Zumindest gibt es einen Teil unter den Reisenden, deren Sehnsucht immer größer wird, die süchtig werden und verstehen wollen, was sich hinter der Oberfläche befindet und ihren Blick auf das Leben nachhaltig verändern. Die das Gefühl haben, nicht zurück zu können und wollen, irgendwo zwischen den Welten stehen. Ich bin einer von Letzteren.

Dabei war das Reisen keineswegs nur Wonne. Manchmal habe ich mich verflucht unterwegs. Manchmal fühlte ich mich extrem getrieben. Die eine Hälfte in mir wollte nichts anderes als eine Pause, an einem Ort an dem ich Frieden finden konnte, während der andere Teil immer weiter drängte ohne Rücksicht auf die anderen Bedürfnisse. Eine Höllenfahrt reihte sich an die andere und ich hetzte manchmal von Bleibe zu Bleibe. Die ureigene Geschwindigkeit, die man beim Reisen entwickeln muss, konnte ich lange nicht finden. Sicher, man wird im Laufe der Zeit erfahrener und das hilft ungemein. Dennoch gibt es immer wieder diese Phasen, in denen man sich fragt, was um alles in der Welt einen dazu treibt, sich so weit treiben zu lassen und zweifelt an seinem Verstand. Man hinterfragt die eigenen Motive. Jage ich nur einer Illusion hinterher oder hat das was ich tue Substanz, möglicherweise sogar einen tieferen Sinn, der mir noch verborgen bleibt?
Das Wort Reisefieber impliziert es bereits: Reisen kann wundervoll sein, voller bereichernder Impressionen und Sinneseindrücke; doch genauso kann man sich verloren fühlen, ausgeliefert oder so stark auf sich selbst zurückgeworfen, dass man am liebsten vor sich selbst  und den Fragen, was wohl nun aus dem eigenen Leben werden sollte, Reißaus nehmen würde…
Manchmal fühlte es sich an, als sei mein Erfahrungsschatz so randvoll, dass ich mich nach nichts anderem sehnte, als nach einer Oase, an der die Bilder des Erlebten noch einmal an mir vorbeiflimmern konnten, bevor wieder Platz und Sinn für neue Eindrücke frei werden konnte. 

Oft fühlte ich mich einfach fremd und dabei bin ich unweigerlich auch beim Thema Heimat. Was passiert nun, wenn man sich in der angestammten Heimat nicht wohlfühlt? Dieses Unbehagen sogar Grund für den eigenen Ausbruch war und die Distanz nun noch weiter gewachsen ist. Wenn man gleichzeitig Heimweh nach Sehnsuchtsorten hat, die man unterwegs gefunden hat - die einen existentiell berührt haben und gleichzeitig in der Erinnerung immer weiter verblassen? Orte zudem, die kaum jemand der eigenen Freunde oder Familie kennt, so dass man die Sehnsucht auch mit Niemanden teilen kann.
Mir ging es immer so, dass ich mich dann noch stärker getrieben fühlte und das Gefühl der Heimatlosigkeit stärker wurde. Würde es mir im Laufe der Zeit gelingen, mich überall heimisch fühlen zu können? Auch das habe ich schon erlebt. Leider hat dieses Gefühl nie dauerhaft angehalten.

Letztlich ist Heimat nicht nur ein Ort, an dem Erinnerungen hängen und Freunde und Familie sind, sondern vielmehr auch die Summe der Erfahrungen, aber auch der Sehnsüchte, ein stark idealisierter Raum. Ein Raum, in dem man sich geborgen fühlt. Es muss also kein Ort sein. Auch Kultur, Musik oder Literatur können Heimat sein. Für mich sind das in erster Linie Bücher. Beim Lesen kann ich mich geborgen fühlen und gleichzeitig innere Reisen unternehmen.

Fremde Kulturen prägen und mit der Zeit erscheinen sie einem nicht mehr so fremd – lässt man sich richtig auf sie ein, kann man in ihnen sogar ein stückweit heimisch werden und somit die eigene Heimat erweitern – und so wird man auch selbst zum Kulturträger – nun trägt man verschiedene Kulturen in sich – eine Erfahrung die Emigranten zwangsläufig machen.
Zurzeit leben wir in einer Zeit, in der das Potential zum Kulturaustausch so groß ist, wie nie zuvor. Gleichzeitig erleben wir, dass „Globalisierung“ sehr einseitig verläuft. Die Angst vor Überfremdung ist hoch und die Anziehungskraft der gewaltbereiten Fanatiker in allen Religionen (ganz gleich ob nun Evangelikale, Anhänger des Dschihad oder fanatische Hindu-Nationalisten) symbolisiert nichts anderes.

Samuel Huntington hat in einem einflussreichen Buch sogar den Kampf der Kulturen heraufbeschworen: „The Clash of Civilizations“. Eine gefährliche Zuspitzung. Viel wichtiger ist die Frage, wie wir das unvermeidliche Zusammenwachsen der Welt gestalten wollen – vor allem jenseits der globalen Konsumgesellschaft, die vor allem eins auszeichnet: Gleichförmigkeit.
Doch gerade in dem Schwinden von Vielfältigkeit liegt wohl die größte Gefahr. Leider ist in der westlichen Welt ein geradezu imperialistischer Kulturbegriff häufig anzutreffen und die Bereitschaft, sich auch von anderen Kulturen beeinflussen zu lassen, zu gering.
Dem stehen Brückenbauer entgegen, die versuchen Kulturaustausch global und in alle Richtungen offen zu verstehen. Ich hoffe einmal selbst solch ein Brückenbauer sein zu können.

Die Fragen, die ich hier aufstelle sind nicht neu für mich. Doch ganz eindeutig ist mein aktueller Blog stark von einem Buch inspiriert, das ich bislang nur angelesen habe, aber jetzt schon Einfluss auf mich ausübt. Es stammt von zwei Autoren. Der eine - Ilija Trojanow - gehört schon seit längerem zu meinen absoluten Lieblingsautoren und ich werde mich ihm noch einmal an anderer Stelle widmen.

Gemeinsam mit Ranjit Hoskoté, einem indischen Kulturkritiker, hat er das Buch „Kampfabsage – Kulturen bekämpfen sich nicht – sie fließen zusammen“ verfasst. Bereits der Titel zielt auf den oben genannten Titel „The Clash of Civilizations“. Schon allein die Bibliographie ist beeindruckend. Hier finden sich Quellenangaben aus vielen Kulturen, Religionen und Epochen und versprechen eine fundierte Recherche.
Bereits die Einleitung verrät mit viel Sachkenntnis, warum Europa sehr wohl eine muslimische Tradition hat und wie unsinnig es ist, die gegenseitige Beeinflussung der Kulturen in Frage zu stellen.

Die Widmung verrät außerdem, dass das Buch seinen Weg nicht zufällig zu mir gefunden hat:
„to the Inhabitants of the In-between - Für jene, die das Dazwischen bewohnen”
Nach der Lektüre des Buches werde ich noch einmal ausführlicher Stellung beziehen.

Schon jetzt habe ich mir vorgenommen, mehr von Autoren aus anderen Kulturkreisen zu lesen. Wohin mich meine (inneren) Reisen führen werden? Ich weiß es nicht, aber ich weiß dass ich diese Reise bis zu ihrem Ende gehen muss. Ob ich dabei wohl irgendwann als Journalist, Reisereporter, Inhaber eines kleinen Bücher-Cafés oder gestrandet aufwachen werde? In jedem Fall habe ich Träume, denen ich folge und wenn ich wüsste, wohin sie mich führen würden, wäre wohl auch alle Spannung verloren…

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