Mittwoch, 13. Juni 2012

Der "Banana-Pancake-Trail"


Mir ist es ein Anliegen auf diesem Blog auch den Humor nicht zu kurz kommen zu lassen. Dazu eigent sich die Besprechung dieses Buchs vorzüglich. Wie heißt es so schön über die Erleuchtung – sie soll sich mit einem Lachanfall einstellen. Doch die Erleuchtung verspreche ich an dieser Stelle nicht.

In jedem Fall ermöglichen in meinen Augen unterschiedliche Blickwinkel ein vollständiges Bild. Über eine (gerne auch zynische) Satire oder ironische Zuspitzung versteht man oft besser den Kern eines Themas als mit einer ernsten Beschreibung, die gerade wichtigen Themen zunächst angemessener erscheint. Ein vollständiges Bild ergibt sich aus beidem.

Damit sind wir auch schon mitten in der Beschreibung des Buches Der Banana-Pancake - Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt. Denn gerade die verschiedenen Blickwinkel, die der Autor Philipp Mattheis aufzeigt, gefallen mir besonders gut. Es geht in seinem Buch um die Spezies der Backpacker. Ich habe bislang noch kein Buch gelesen, das diese Gruppe so stark in den Fokus stellt. Der Autor war einer von ihnen. Einerseits berichtet er also von eigenen Erfahrungen, andererseits zeichnet seine Beschreibungen auch eine angenehme Distanz aus. Stellenweise mutet das fast wie eine soziologische Studie mit hochgezogener Augenbraue an. Gerade dieser leichte Spott und Zynismus verleiht dem Buch viel von seiner Frische. Dennoch hat man nicht das Gefühl, dass der Autor die Sympathie oder sein Verständnis für andere Backpacker gänzlich verliert.

Doch was ist eigentlich dieser „Banana-Pancake-Trails“?

Im klassischen Sinn wird so eine Route in Südostasien bezeichnet, die sich durch die Staaten Thailand, Vietnam, Kambodscha und Laos zieht und im Wesentlichen aus einer touristischen Infrastruktur besteht, die auf die Backpacker zugeschnitten ist.
Der Name dieser Route spielt darauf an, dass viele Backpacker ein süßes Frühstück bevorzugen. Darauf haben sich die Einheimischen, die an den Backpackern verdienen wollen, eingestellt - obwohl es ihnen selbst nie in den Sinn käme, mit etwas Süßem in den Tag zu starten.
Je nach Betrachtungsweise zählen auch bestimmte Regionen von Malaysia, Indonesien oder auch China hinzu und die Netze dieses Pfades dehnen sich immer weiter aus. Philipp Mattheis bezieht außerdem den „Gringo Trail“ in Mittelamerika und seine Erfahrungen in Indien und Marokko in seine Geschichten mit ein. Sicher kann man auch über Routen in Südamerika Ähnliches erzählen.

Gleich zu Beginn des Buches stellt er stellvertretend die Fragen, die wohl die meisten Backpacker beschäftigen. Da wären die großen, metaphysischen Fragen:

„Was ist der Sinn des Lebens? Wer bin ich? Was ist eigentlich wirklich wichtig?“

Aber auch die weniger Subtilen:

„Muss ich unbedingt studieren, arbeiten und Geld verdienen? Kann ich nicht einfach nur rumhängen? Wenn ich nicht der bin, der ich sein will, kann ich dann nicht einfach vor mir selbst wegrennen?“

Damit ist man gerüstet für das, was er im Laufe seiner Erzählung ausbreitet.
Zu Beginn geht es um die Zweifel, die mit der Entscheidung einhergehen, die Heimat hinter sich zu lassen und sich ins Unbekannte zu begeben. Erst als der Autor von den USA gen Mexiko aufbricht ändert sich das schlagartig:

«Ich fuhr Richtung Süden. Von nun änderte sich alles. Luft und Klima wurden warm, die Hotelzimmer billig, und vor allem: Ich traf Menschen. Sie alle waren zwischen 18 und 30. Sie trugen einen Rucksack. Sie reisten mit einem Buch. Sie gaben wenig Geld aus und trugen T-Shirts, die schon sehr lange keine Waschmaschine mehr gesehen hatten. Diese Menschen wollten alle das Gleiche: Pyramiden fotografieren, Vulkane besteigen, Bier trinken und am Strand herumliegen, Sex haben und weiterfahren. Ich war auf dem „Banana-Pancake-Trail“ angekommen. Das folgende Jahr über verließ ich den Pfad nicht mehr. Nun lernte ich jeden Tag junge Engländer, Schweizer, Schweden und Israelis kennen: in billigen, aber sehr gemütlichen und auf unsere Bedürfnisse zugeschnittenen Hotels, in klapprigen Reisebussen, auf den Stufen alte Tempel und am Strand. Wir staunten, feierten, liebten uns. Wir tauschten E-Mail-Adressen aus und vergaßen uns dann genauso schnell wieder, wie wir uns kennengelernt hatten. Wir schwammen zusammen im Mekong, schliefen in mexikanischen Hängematten und besuchten Haschischbauern in den Bergen Marokkos. Diese Leute waren überall, es gab kein Entkommen, ich war nie wieder allein.»

Im Laufe des Buches erfährt man die essentiellen Unterschiede zwischen Touristen und Backpackern, warum man für esoterische Abgründe empfänglich wird, wieso viele US-Amerikaner ihre Herkunft verleugnen oder welche Reiseziele und Aktivitäten besonders beliebt sind.

Die Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen stehen aber im Vordergrund. Mit manchen fühlt sich der Autor offenbar tief verbunden; andere betrachtet er fasziniert, aber auch ironisch aus der Distanz. 

Auch die Schattenseiten werden beleuchtet: der Sextourismus, die Armut in den bereisten Ländern und die negativen Auswirkungen von einseitiger Globalisierung und wachsenden Touristenzahlen. Hier am Beispiel des perfekten Strandes:

„Der Strand ist der Zustand, der dem Paradies nahekommt. Der Strand ist die Verheißung des Reisens überhaupt.
(…)Nur ist Strand nicht gleich Strand. Ein Strand mit Strandkorb, Supermarkt und Friseursalon ist ein gentrifizierter Strand. An solch einem Ort gewesen zu sein ist ungefähr so speziell, wie im Hard Rock Café Paris eine Cola mit Vanilleeis getrunken zu haben. Wichtig am perfekten Strand ist, dass erstens kaum Menschen und zweitens die richtigen dort sind. Einen solchen Strand zu finden ist eine Mission.
(…)Der perfekte Strand ist nämlich wie eine angesagte Bar oder eigentlich wie alle coolen Dinge: Sie zerstören sich selbst. Je einsamer, perfekter, abgelegener der Strand ist, desto mehr Leute wollen dahin. (…)Ist man dort angelangt, wird man sofort zum Teil des Problems. Die eigene Anwesenheit trägt dazu bei, den perfekten Strand zu zerstören.“

Außerdem erfährt man ausführlich, welche Rolle für diese Entwicklung die „Bibel“ der Backpacker spielt: Der „Lonely Planet“. Darüber hinaus deckt er auch die unfreiwillige Komik mancher Regeln im „Ehrenkodex“ der Backpacker auf: 

„Echte Backpacker fliegen nicht. Sie legen Strecken über Land zurück. Wer fliegt, ist ein Weichei, ein reiches noch dazu. Nur Drei-Wochen-Touristen mit viel Geld und wenig Geld leisten sich Inlandsflüge. Solche Reisende unterscheiden sich nur noch oberflächlich von den Rollkoffermenschen. Backpacker fahren. Was zählt, ist die Bewältigung der Distanz in einem möglichst unbequemen Gefährt. Ab zwölf Stunden wird die Fahrt für erzählenswert gehalten. Ab 24 Stunden wird sie zu einem abstrakten Orden, einer Auszeichnung, die – im richtigen Kreis erwähnt – zahlreiche „Oh my God“-Ausrufe seitens der Zuhörer provoziert und diese dazu einlädt, ebensolche Anekdoten zu erzählen.“

Hauptthema bleibt der Mythos der Individualität, die man längst nur noch dann findet, wenn man die ausgetretenen Pfade verlässt:

„Den Drifter(…), den unabhängigen Globetrotter, der in fremde Kulturen eintaucht, gibt es nicht mehr. Es kann ihn nicht mehr geben, weil es zu viele von seiner Sorte gibt. Sie sammeln und kumulieren sich allerorten. Sie rotten sich zusammen und bilden eigene kleine Gemeinschaften. Und weil sie es genießen, mit einem Buch zu reisen, das ihnen die Reise so leicht macht wie einen Strandurlaub in Griechenland, landen sie alle in denselben Hotels, fahren mit denselben Bussen, lungern an denselben Stränden herum, besichtigen dieselben Pyramiden und Tempel und wandern durch denselben Dschungel. Dort, wo einmal kein Weg war, ist heute eine Autobahn.“

Er schreibt über das Alleinreisen, die Langzeitbackpacker und wie man langsam aus dem von zuhause gewohnten „Belohnungssystem“ aussteigt. Schließlich geht es auch um den erneuten Kulturschock bei der Heimkehr in die gewohnten Gefilde und wie schwierig es ist, sich wieder auf die Mentalität daheim einzustellen.

Das ganze Buch ist geprägt von einem lockeren Erzählstil, so dass der Leser – ein Grundinteresse an der Thematik vorausgesetzt - das Buch schnell verschlungen hat.

Da ich mich persönlich an viele eigene Erlebnisse erinnert fühlte, werde ich in einem weiteren Blog darauf eingehen, wie sehr sich manche Erfahrungen gleichen, aber auch, wie unterschiedlich Bücher über diese Erfahrungen ausfallen können. Dort werde ich auch weitere Zitate vorstellen.

Wer gleich noch ein bisschen tiefer einsteigen möchte, findet hier eine Leseprobe.

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