Sonntag, 23. Februar 2020

Rechtsruck und Fremdenfeindlichkeit




Im Gedenken an alle Opfer rechtsradikaler Gewalt!


Die Brandstifter

Ich habe mir früher nicht vorstellen können, dass in Deutschland wieder rechte Rattenfänger solchen Zulauf erleben würden, wie wir es derzeit erleben. Zwar war mir bewusst, dass es rassistisches Gedankengut immer gab und es nie verschwunden ist und auch nie ganz verschwinden wird, aber ich hatte nicht für möglich gehalten, dass sich so viele Menschen wieder vor den Karren der Rechtsradikalen spannen lassen würden.
Doch inzwischen sind es nicht mehr "nur" radikale Kleinstparteien wie die NPD, die Republikaner oder die DVU, die zeigen, das rechtsradikales Gedankengut immer existierte. Inzwischen ist Rassismus wieder dabei, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Ressentiments gegen Juden und Muslime werden geschürt, Flüchtlinge als Wirtschaftsmigranten verunglimpft, Journalisten mit Morddrohungen eingeschüchtert, Hass gegen Minderheiten ohne Scham verbreitet. Der Hass hat sich virusartig im Netz verbreitet. Viel zu lange wurde die Gefahr von Rechts verharmlost. Es geht nicht um psychisch kranke Einzeltäter. Wir erleben eine Welle rechten Terrors in Deutschland.

Herr Höcke forderte eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad". Bei einer Pegida-Kundgebung sagte er kürzlich folgendes: „Die Herrschaft der verbrauchten Parteien und Eliten muss abgelöst werden, und wir werden sie ablösen. Das Land steht Kopf. Wir müssen es wieder auf die Füße stellen, wir müssen das Unterste wieder nach unten stellen. Wir werden diesen Kampf gemeinsam führen und gemeinsam gewinnen.“ oder das: Wenn die AFD an der Macht sei, "werden wir die sogenannte Zivilgesellschaft, die sich aus Steuergeldern speist, leider trockenlegen müssen“. Es gibt noch zahlreiche andere Belege für die Gesinnung dieses Faschisten, mehr Raum möchte ich ihm hier nicht einräumen. 
Die Widerstandsrheotrik der AFD insgesamt an Heuchelei nicht  zu überbieten. Ständig gerieren sie sich als Opfer von angeblich fehlender Meinungsfreiheit, während sie die bis zum Äußersten ausnutzen. Sie sind keine Opfer, die gegen Verbote kämpfen, sie wollen damit nur ihre gefährlichen Thesen verschleiern. Um dann von einem Versehen sprechen, um immer neue Grenzen auszuloten, wie radikal sie sich ohne Konsequenz äußern können. 
Und es waren keineswegs nur die Vertreter der AFD, die diesen Rechtsruck befördern. Die CSU hat immer wieder rechte Positionen bedient, bezeichnend, dass Horst Seehofer die Migration als "Muttter aller Probleme" bezeichnet hat. Erika Steinbach durfte jahrelang in der CDU Unsagbares ohne Konsequenzen äußern. Und auch Thilo Sarrazin hat als SPD-Mitglied Bücher veröffentlicht, die den Rechten das Feld bereitet haben, indem er eine Bedrohung der Deutschen durch Migranten als Teufel an die Wand gemalt hat. 

Es liegt nun etwa fünf Jahre zurück, dass ich begann zu begreifen, welche Dimension dieser Rechtsruck auch hierzulande entwickeln könnte. Dabei möchte ich nicht ausblenden, dass es bereits zuvor die schrecklichen Taten des NSU gab, der eindeutig Rechtsterrorismus war und bis heute völlig unzureichend aufgeklärt ist, ja man versuchte gar Opfer zu Tätern zu machen. Auch die Vorfälle in Solingen oder Rostock-Lichtenhagen in den 90er-Jahren waren schockierend und es gibt viele andere verbecherische Taten, die ich hier nennen könnte. 
Trotz allen Entsetzens über die Taten selbst und den juristischen, politischen und öffentlichen Umgang damit, dachte ich nicht, dass dieses Land noch einmal in den Faschismus kippen könnte. Heute bin ich mir da nicht mehr sicher. Fest steht für mich einzig, dass die Gefahr des Faschismus nicht an uns vorüberziehen wird, wenn sich nicht größere Teile der Bevölkerung dem entschieden entgegenstellen.
Es gab keinen Aufschrei, als die Recherchen der TAZ über die"Hannibal"-Gruppe publiziert wurden, die zeigten, dass die sich in Teilen von Bundeswehr, Polizei, SEK und AFD eine Gruppe gebildet hatte, die Todeslisten führte und Anschläge plante. Es gelingt noch nicht einmal dieses unheilige Treiben klar als Rechtsterrorismus zu benennen und entsprechende Prozesse in Gang zu bringen. Die jüngsten Razzien haben unterstrichen, wie hoch die Bereitschaft zur Gewalt gegen Minderheiten und sich mutig für die Demokratie bekennende Aktivisten in der rechten Szene ausgeprägt ist. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Über das Verhalten des Verfassungsschutzes mache ich mir keine Illusionen.

Sicher sind die Faschisten weit davon entfernt, Mehrheiten in diesem Land für sich zu gewinnen, der Erfolg rechtsradikaler Bewegungen beginnt aber viel früher. Eine Gesellschaft kippt nicht erst, wenn Rassisten und ihrer Miläufer in der Mehrheit sind, sondern bereits dann, wenn man sie gewähren lässt, zulässt, dass sie die Grenzen des Sagbaren überschreiten und damit verschieben. Gibt es keinen Aufschrei, setzt ein Prozess der Gewöhnung, der Abstumpfung ein. Dieser Prozess ist schon erschreckend weit vorangeschritten. Natürlich darf man nicht über jedes Stöckchen springen, das einem hingehalten wird, um den Radikalen nicht unnötig Schlagzeilen zu bieten. Aber Grenzüberschreitungen wie Relativierungen des Holocausts und ähnlichen unmoralischen Ausfällen muss klar widersprochen werden und sie müssen geahndet werden. Die Verrohung der Sprache ist brandgefährlich, Begriffe wie "Flüchtlingswelle", "Nafris" oder "Messermigranten" sind entmenschlichend und dürfen nicht zum allgemeinen Sprachgebrauch werden. Mit der Sprache beginnt die Ausgrenzung. Medien nehmen dabei eine wichtige Rolle ein. Sie müssen aufpassen, nicht zu Echokammern zu verkommen und gleichzeitig Haltung einnehmen. Ich will weiterhin kritische Medien, die man auch hinterfragen darf und muss. Ein "Online-Pranger" ist keine Alternative zur aufwendigen Recherche!

Was mich vor allem besorgt ist, wieviele Menschen lieber zur Radikalisierung schweigen, als sich klar im Alltag abzugrenzen. Schlimmer noch: Vielen "Bürgerlichen" ist jedes sozialdemokratische oder gar linke Politikverständnis verhasst, links und rechts werden verharmlosend gleichgestellt und im Zweifelsfall ist der Schulterschluss mit der AFD näher als eine Koalition mit der Linken. Dabei ist es absurd, die AFD und die Linke in Thüringen gleichzusetzen. Aufgrund der Tatsache, dass Koalitionen immer schwieriger werden, ist das ein fatales Signal. Eine klare Mehrheit gegen die AFD besteht, aber die CDU verweigert sie. Ihr politischer Gegner ist Rot-Rot-Grün und erst dann die AFD. Die CDU muss sich entscheiden, ob sie sich für neue Bündnisse öffnet oder in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Die Wähler, denen die CDU nicht rechts genug ist, werden ohnehin bei der nächsten Wahl die AFD wählen. Konnte der Tabubruch einer Zusammenarbeit zwischen CDU und AFD in Sachsen und Sachsen-Anhalt gerade noch abgewendet werden, so haben die Ereignisse im Thüringer Landtag deutlich unterstrichen, wie ernst es inzwischen steht. Es gibt in Teilen der "bürgerlichen" Parteien eine erschreckende Bereitschaft mit Rechtsradikalen zu paktieren, um die eigene Macht zu sichern.  


Der Nährboden

Ich möchte noch einmal ein bisschen zurückgehen. Welche Hoffnungen hatten Bewegungen wie die "Indignados" in Spanien, "Occupy" oder der "Arabische Frühling" in mir ausgelöst. Endlich kamen wieder Menschen zusammen, die von einer emanzipatorischen, solidarischen Zukunft träumten und neue Utopien miteinander entwickelten. Occupy benannte den Finanzkapitalismus als eines der zentralen Probleme unserer Zeit und lehnte die Bankenrettung aus Steuergeldern ab. "Too big to fail" sollte nicht mehr möglich sein. Die riskanten Geschäfte der Spekulanten ohne Bezug zur Realwirtschaft und Ressourcen gehen im Fall des Gewinns an die Aktionäre, im Fall des Verlustes werden die Schulden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Daran hat sich nicht ansatzweise etwas geändert.
Damals gab es schon Versuche, die Bewegung von Rechts zu kapern, gerade bei der berechtigten Kritik an unserem Geldsystem tauchten auch antisemitische Stereotype auf. 

Hört man den Rechtspopulisten zu, könnte man meinen, wir würden kurz davorstehen, in eine öko-kommunistische Diktatur abzurutschen. Das ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Der Sozialstaat wird seit einem Jahrzehnt demontiert, die Löhne stehen in einem ungesunden Verhältnis zu den Mieten, der Niedriglohnsektor zerstört Solidarität und Chancengleichheit, große Teile der Bevölkerung drohen in Altersarmut abzurutschen. Der soziale Bereich mit Altersheimen, Behinderteneinrichtungen, Krankenhäusern und mobilen Diensten ist erschreckend unterversorgt, seit er Gewinne erzielen muss. Ausgetragen werden diese Zustände auf dem Rücken von Patienten, Bewohnern, Ärzten und Pflegekräften. 

Trotz möglicher linker Mehrheiten in Deutschland ist die Politik konservativ geprägt und in erster Linie arbeitgeber- und unternehmensfreundlich. Da können die bürgerlichen noch so von einer angeblichen "Sozialdemokratisieung" der Union unken, es bleibt falsch. Mag sein, dass Frau Merkel unter großem Druck einige progressive Schritte unternommen hat, die "Ehe für Alle" wurde eingeführt, die Abschaltung der AKW´s (erneut) beschlossen, ein Mindestlohn, der aber unzureichend ausfällt, für einen kurzen Moment hat sie die Abschottungspolitik in einem Krisenfall durchbrochen, als viele Flüchtlinge in Ungarn strandeten und kurz vor der Internierung standen. Vorher und seitdem tut sie wieder alles für die "Festung Europa".

Viel eher hat die Sozialdemokratie ihre Grundwerte mit den Hartz IV-Reformen verbogen und hat sich ebenfalls dem Unternehmertum angedient und ihre alte Arbeiter-Klientel endgültig verraten.
Insgesamt ist die Parteienlandschaft und die Gesellschaft in meinen Augen nach Rechts gerrückt, nur so entstand die Stärkung der Linken als Position links der SPD. Die AFD wiederrum ist es gelungen, die anzuziehen, denen die wenigen progressiven Haltungen von Frau Merkel zuviel wurden, weil sie weiterhin ausschließlich Ideale in der klassischen Familie sehen, Einwanderung weitestgehend ablehnen und denen deutsche Identität wichtiger sind als pragmatische Entscheidungen für die Zukunft und die Anerkennung einer offenen Gesellschaft, die sich erheblich gewandelt hat. Tatsächlich haben wir in den letzten Jahrzehnten eine liberale Öffnung in vielen westlichen Gesellscahften erlebt, die Welt ist durch die Globalisierung und die neuen Medien mehr verflochten als jemals zuvor. Ich verstehe den (globalen) Rechtsruck auch als ein Versuch, diese Entwicklungen umzukehren.
 
Weiter wird ideologisch die angebliche Intelligenz des "freien Marktes" beschrien, die Ökonomisierung hat sich in alle Lebensbereiche vorgearbeitet. Noch immer zirkuliert ein Vielfaches der Geldsumme in Finanzderivaten, als alle Werte, die auf diesem Planeten existieren und sucht seinen Weg in immer neue Geschäftsbereiche. Das verzerrt die Realwirtschaft auf bizarre Weise, bis heute geht dieses destruktive Geschäftsgebaren weiter. Wenn der Finanzkapitalismus nicht gezähmt wird, dann wird er stärker als die Politik und die Demokratie (bleiben). Ich sage nicht, dass diese Entwicklung den Rechtsradikalismus bedingt. Es ist wichtig zu betonen, dass viele Rechtsradikale Überzeugungstäter sind, die genau wissen, was sie tun. Aber die soziale Schieflage schafft ein Vakuum und einen Nährboden für Extremisten.
Arm und Reich driften immer weiter auseinander, die Mittelschicht erodiert und entwickelt (berechtigte) Abstiegsängste. Radikalisiert haben sich in den letzten Jahren auch die, die etwas zu verlieren haben oder zumindest dieses Gefühl haben.
In diesem reichen Land verfällt die Infrastruktur, viel zu wenig wird in Bildung investiert, Lehrer und Pfleger fehlen in unvorstellbarem Ausmaß, der Staat verteidigt seine unsinnige "schwarze Null" und beschädigt damit die Zukunft der jüngeren Generationen. Der "schlanke Staat", wie ihn sich die Neoliberalen wünschen, ist nicht mehr in der Lage und Willens, die Wirtschaft zu regulieren und überlässt den Marktmechanismen und global agierenden Unternehmen die Führung, lässt zu, dass Geld in Steueroasen versinkt. 
Vernünftige Investitionen in eine sich radikal und rasant verändernde Zukunft werden verschleppt. Politiker wechseln in die freie Wirtschaft, die EU-Komission zaubert Ursula von der Leyen aus dem Hut, die gar nicht angetreten war. So wird die europäische Idee nachhaltig beschädigt. Die Politik hat viel Vertrauen in die Parteien, die Demokratie und den Glauben an eine (relative) Chancengleichheit verspielt.  
Doch statt diese gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten anzugehen und dagegen zu protestieren, blühen wieder Feindbilder, Fremde wären schuld an der Misere.
Tatsächlich sind es die globalen Geldströme, die ungehindert Grenzen überwinden, nur eine kleine Elite profitiert davon. Unternehmen, die keine oder kaum Steuern bezahlen, obwohl sie von der staatlichen Infrastruktur profitieren, die Arbeitnehmerrechte global gegeneinander ausspielen, die Dumping betreiben und Preise diktieren, die den Produzenten die Luft zum Atmen nehmen. Ich verstehe Jeden, der darüber wütend ist, aber es ist völlig falsch, ausgerechnet die zu Sündenböcken zu machen, die so wenig Hoffnung haben, dass sie fliehen, gebeutelt von geostrategischen Kriegen, Umweltkatastrophen oder schlicht dem Wunsch nach dem völlig verständlichen Wunsch nach einem Leben in Würde.
Wir leben in einem Land, in dem es in fast jeder Familie Flucht- und Vertreibungsgeschichten gibt, das sollte doch Empathie für das Schicksal Anderer in Not geratener auslösen. Integration ist sicher ein Prozess, der Geduld bedeutet, aber er ist auch ein Motor, der kulturelle Vielfalt, aber auch wirtschaftliche Impulse bedeutet. 
Ganz zu schweigen davon, dass viele "Menschen mit Migrationshintergrund" Deutsche sind, hier geboren und fest integriert, ein wichtiger Teil der Arbeitsgesellschaft, völlig zurecht mit den gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet wie alle anderen, ein wichtiger Teil unserer Zukunft. Sie gehören unbedingt zu Deutschland, ganz gleich welcher Religion sie angehören oder welche Kulturen sie aus ihrer früheren Heimat mitgebracht haben. Entscheidend ist allein das Bekenntnis zu unserem Grundgesetz!



Das Gift verbreitet sich

Wirklich die Augen geöffnet für das Gift, das sich in diesem Land verbreitet, bekam ich bei meinen ersten Besuchen in Sachsen 2014. Mit Schaudern fuhr ich durch mehrere Straßendörfer im Erzgebirge, in denen ausschließlich NPD-Werbung plakatiert war. Hunderte Plakate säumten die Straße, einziger anderer Bewerber zeigte sich auf einem FDP-Plakat, das Dealer und Diebe festzunehmen versprach. Es war Landtagswahlkampf, Pegida würde bald gegründet werden, die "Flüchtlingskrise" steuerte auf ihren Höhepunkt zu, vor allem der Krieg in Syrien zwang Hundertausende zur Flucht aus ihrer Heimat. Auch acht Jahre danach verhindern die Großmächte und der Diktator Assad den Frieden. 
Europa konnte und kann sich nicht auf eine Verteilung der Flüchtlinge einigen, Südeuropa wurde allzulange mit dem absehbaren Zustrom von Hilfesuchenden alleingelassen, die einzige und zynische Hoffnung lag und liegt in der Abschottung der Grenzen mithilfe von FRONTEX. Um dann von europäischen Werten zu faseln, während man sie aufgibt.
Die Toten im Mittelmeer sind eine Schande für Europa, die seit Jahren anhält. Auch die Zustände in den Aufnehmelagern auf den griechischen Inseln und in Italien oder die Gestrandeten auf der abgeschotteten "Balkanroute" sollen jede Hoffnung Flüchtender zerstören. Das ist nicht nur zynisch, sondern es ist unmenschlich und unzivilisiert. Es wäre ein leichtes, diese Menschen aufzunehmen und in Europa zu integrieren. Viele würden gar dringend auf den Arbeitsmärkten gebraucht, doch stattdessen werden zunehmend gut Integrierte abgeschoben. Es wäre kein Problem, vernünftige Einwanderungsgesetze zu schaffen und gleichzeitig das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl zu gewährleisten. Natürlich sollte man auch in Krisenstaaten helfen, das wusste schon Willy Brandt, doch es ist völlig unzureichend umgesetzt worden. Viel eher paktieren die Politiker Europas mit Despoten mit der Hoffnung, sie würden verzweifelte Menschen an ihrer Flucht hindern. Erbärmlich!



Erfahrungen aus Chemnitz

2015 zog ich in die Nähe von Chemnitz und später in den Stadtteil Sonnenberg. Dreieinhalb Jahre habe ich dort gelebt. Das alte Arbeiterviertel ist seit langem ein sozialer Brennpunkt, Rechtsradikale versuchten seit Langem hier einen "Nazikiez" zu etablieren. Die verheerenden Folgen von Crystal Meth spielten ihnen in die Karten. Viele Jahre war Chemnitz Europas "Crystal-Hauptstadt". Auf dem Sonnenberg steht auch das Stadion des Chemnitzer FC, der in der Vergangenheit immer wieder aufgefallen ist, seinen vielen rechtsradikalen Fans eine Bühne zu bieten, um sich später zu distanzieren.
Ich möchte unbedingt betonen, dass Chemnitz auch Anderes zu bieten hat. Freiräume für Kultur, alternative Jugendclubs und Brückenköpfe, bezahlbarer Wohnraum, viele Künstler. Wer in Chemnitz linke Positionen vertritt, weiß, welcher Gegenwind ihm entgegenbläst, ich war gerne an der Seite dieser mutigen Menschen. Viele hatten zu Beginn der 90er Übergriffe erlebt, Angriffe auf Jugendclubs, Verfolgung durch militante Hooligans. Sie wissen, um was es geht.

In diesen Jahren habe ich viele Einstellungen gehört und Dinge erlebt, die mich verstört haben. Unzählige Verschwörungstheorien habe ich anhören müssen, bin völkischen Siedlern, harmlosen und gefährlichen Reichsbürgern begegnet, elendes Geschwätz von "Umvolkung", "links-grün-versifften" gehört, ja, Demonstrationen, in denen Redner vor meinem Fenster ihre Abscheu vor "Rassenschande" hinausschrien. Rechtsrockkonzerte mit offener rechtsradikaler Symbolik haben viel Geld in die Kassen der Extremisten gespült und zogen Rechtsradikale aus dem ganzen deutschsprachigen Raum an.
2018 wurde Chemnitz weltbekannt. Menschen, die nicht deutsch aussahen, wurden durch die Stadt gejagt. Ereignisse, die vom Chef des Verfassungsschutzes Maaßen und vielen Anderen bestritten wurden, umgedeutet als Versuch, den Ruf der Stadt in den Dreck zu ziehen. Damals verbrüderte sich die AFD öffentlich mit der noch radikaleren Gruppierung "Pro Chemnitz", die seit Jahren im Stadtrat vertreten ist, darüber hinaus mit Neonazis und Hooligans aus ganz Deutschland, die das Zögern, die mangelnde Abgrenzung und die Verharmlosung von Seiten der sächsischen Polizei nutzten, um zu zeigen, wie gut sich die neurechte Szene vernetzt hat und wie schnell und schlagkräftig sie sich inzwischen mobilisieren lässt.
Anlass war der Mord an Daniel H., einem kubanischstämmigen Deutschen, der in seiner Vergangenheit selbst unter rechten Anfeindungen und Gewalt gelitten hat und dessen Familie sich vehement dagegen wehrte, den Tod ihres Sohnes zu instrumentalisieren, egal von welcher Seite. Trotzdem wurde die Trauer um den Tod eines Menschen schäbig benutzt. Das geschah wieder und wieder, Chemnitz war nur das deutlichste Beispiel für diese Strategie.
Es gibt einige Gruppen, wie "Chemnitz Nazifrei", die sich dem mutig entgegengestellt haben, das Konzert "Wir sind Mehr" brachte für einen Moment Menschen aus Chemnitz und aus der ganzen Republik zusammen, die das nicht unwidersprochen lassen wollten. Es war eine großartige Stimmung an diesem Abend. Bezeichnend, dass sich alle Teilnehmer im Bericht des Sächsischen Verfassungsschutzes als "Linksextreme" gezählt wurden. Später reichte ein Justizvollzugsbeamter den Haftbefehl mit vollem Namen illegalerweise weiter und er wurde im Internet veröffentlicht. Der Verdächtige wurde in einem Schnellprozess unmittelbar vor den Landtagswahlen in Chemnitz verurteilt, obwohl es nur unzureichende Indizien gab, aus reiner Furcht vor neuen Aufmärschen.
Am Ende war es mit aller Wahrscheinlichkeit ein Geflüchteter, der die Tat begangen hat. Es geht mir auch nicht darum, zu behaupten, es gäbe keine Gewalt, die von Flüchtlingen ausginge. Das wäre absurd. Es sind Menschen, die in überwiegender Mehrheit voller Hoffnung und der Bereitschaft, sich ein neues Leben in Deutschland aufzubauen, hierherkommen, aber es sind nicht alles Heilige. Wie könnte das auch sein? Das Problem ist die Fokussierung auf die Herkunft der Täter, tatsächlich begehen Geflüchtete nicht mehr Gewalttaten als Deutsche und wir haben eine Justiz, die regelt, wie Gewalt geahndet wird. Dabei sollten alle gleich sein unter dem Gesetz. Alles Andere ist Propaganda und Preisgabe von Rechtsstaatlichkeit.
Jürgen Elsässers widerliches "Compact"-Magazin konnte man in Chemnitz selbst im Edeka kaufen. Schon auf dem Cover wurde man mit Propaganda zugemüllt. Angela Merkel wurde als "Königin der Schleuser" oder "Mutti Multikulti" verunglimpft, "Hass auf Deutsche" beschworen, mit "Freiwild Frau" das ekelhafte Narrativ des vergewaltigenden Fremden erzählt, mit "Asyl. Die Flut" eine Bedrohung beschworen, immer die Grünen und Linken als Feindbild. Alles vorhersehbar, aber leider auch gerne gelesen und es verfängt bei vielen. Mit ähnlich verheerenden Folgen wie die Propaganda in den sozialen Medien. Viele Andere spielen dieses perfide Spiel mit, ob "Identitäre Bewegung", der Verein "1 Prozent", extreme Vereinigungen wie die kürzlich verbotene "Combat 18", die ebenfalls verbotene "New Scool Society" oder die "Bruderschaft Deutschland", um nur drei zu nennen. Die Grenzen zwischen Rechtsradikalen und Rechtskonservativen verwischen immer mehr.

Auch die Wahlplakate in Chemnitz sprachen eine deutliche Sprache. Das Aufmacherbild dieses Artikels zeigt ein Plakat, das "reserviert für Volksverräter" ist, eine kaum verhohlene Drohung, wie man im Natioalsozialismus mit Andersdenken umgegangen ist und wieder umzugehen gedenkt. Andere zeigten eine schwarze Hand, von der Blut tropft, mit dem Zusatz "Multikulti tötet". Beides Plakte der radikalen neonazistischen Partei der "3. Weg", mit dem Zusatz "Wählt deutsch!" in Frakturschrift.
Bei der Europawahl 2019 wählten in "meinem" damaligen Stadtviertel, dem Sonnenberg, ein Drittel der Wähler AFD oder "Pro Chemnitz". Das alles gehr nicht spurlos an einem vorbei, das sorgt für Verunsicherung. Anschläge auf das Büro der Linken-Abgeordeten häuften sich und zwei linke Cafés wurden mit Großkaliber beschossen und eines mit einem Brandsatz angegriffen, der glücklicherweise nicht zündete. Flüchtlingsheime und Flüchtlinge wurden bedroht und angegriffen.


Radikalisierung und Rechtsterrorismus

Das Ganze ist aber ein bundesweites Problem, auch wenn die AFD bisher im Osten Deutschlands am stärksten ist, wird sie von Funktionären aus Westdeutschland dominiert, ob sie nun Höcke, Gauland oder Kalbitz heißen. Sie sind Brandstifter, die die Verbrechen der Nazis als einen "Fliegenschiss" in einer insgesamt "glorreichen" deutschen Geschichte bezeichnen. Dass es auch an einzelnen Orten im Westen nicht wirklich besser steht, zeigt auf erschreckende Weise die Zustände in Dortmund-Dorstfeld und die bundesweiten Anschläge. Lange gab man sich vielleicht gemäßigter, aber die Masken sind längst gefallen. Tatsächlich gab es vor Jahren einen gezielten Austausch zwischen der Dortmunder und der Chemnitzer Rechten Szene. Rechtsradikale siedelten sich auf dem Sonnenberg an  und versuchten die Strategien der Rechten Szene Dortmunds in Chemnitz zu kopieren.

Nur weil die Tür der Synagoge in Halle gehalten hat, ist vor wenigen Monaten ein schreckliches antisemitisches Verbrechen unvorstellbaren Ausmaßes ausgeblieben. Walter Lübcke wurde vor seinem Haus ermordet. Vor Wochen gab es einen Anschlag mit Schusswaffen gegen das Büro des SPD Abgeordneten Karamba Diaby. Daneben gibt es tägliche Vorfälle, die man als Alltagsrassismus bezeichnen muss. Jetzt erfolgte gerade der furchtbare Anschlag in Hanau, ein rassistischer Täter, der neun Mitbürger auf grausame Weise ermordet hat.


Geschichte verpflichtet

Kürzlich hat sich die Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz zum 75. Mal gejährt. Über viele Jahre hat sich Unfassbares hinter seinen Mauern abgespielt. Hier und in anderen Lagern wurden Millionen von Menschen ihrer Würde beraubt, gequält, gefoltert und grausam ermordet. Menschen, denen das Recht auf Leben abgesprochen wurde: Juden, behinderte und psychisch erkrankte Menschen, Homosexuelle, Sinti und Roma, Regimegegner, Dissidenten aller Art.
Alleine in Ausschwitz wurden über einer Million Menschen das Leben genommen. Mit Zahlen lässt sich das Grauen nicht fassen. Ich habe den vier Überlebenden zugehört, die während des Festaktes die Courage aufgebracht haben, von ihren schrecklichen Erfahrungen zu berichten. Es war beklemmend auch nur zuzuhören und unmöglich, sich das Grauen wirklich vorzustellen. Eindrücklich erzählten sie von dem Unfassbaren, das sie erleben mussten, von der Hoffnung, die sie am Leben gehalten hat, von der Angst, dass sich die Geschichte wiederholen könnte, und ihren Beschwörungen, dagegenzuhalten.

Als wir in meiner Schulzeit die Themen Nationalsozialismus und Holocaust intensiv behandelt haben, war ich erschüttert. Was ich erfuhr, hat in mir große Beschämung ausgelöst. Das war schmerzhaft, aber auch eine wichtige Mahnung. Denn es erwächst eine Verantwortung daraus. Nie wieder dard so etwas geschehen. Wenn dieser schrecklichen Geschichte etwas Gutes abzugewinnen war, dann doch, dass es ein Bewusstsein gab für die schrecklichen Verbrechen der NS-Herrschaft, der sich meine Großelterngeneration in den Anfängen nicht widersetzte, und der Versuch einer Aufarbeitung und die Schaffung einer lebendigen Erinnerungskultur. In einem modernen, geschichtsbewussten, weltoffenen Deutschland steckt meine große Hoffnung und ich war zuversichtlich, dass Deutschland gerade mit diesem Bewusstsein eine wichtige diplomatische Rolle einnehmen könnte, um in aktuellen Konflikten zu vermitteln. Das ist aber unmöglich, wenn man selbst Waffen in Konflikte liefert.


 Einwanderung als Bereicherung

In meiner Jugend bestand mein Freundeskreis aus einer bunten Mischung von Nationalitäten und ich empfand das als Selbstverständlichkeit, ja als große Bereicherung. Und so verstehe ich Einwanderung insgesamt. 
Auch meine Reisen haben mich darin bestätigt, dass uns als Menschen insgesamt viel mehr miteinander verbindet als trennt. Kultur ist immer auch eine Folge von Vermischung verschiedener Traditionen, verschiedener Ideen oder Philosophien. Die Rechten hingegen behaupten "Ethnopluralismus" bestehe darin, alle Völker sollten in ihren Ländern bleiben, eine Vermischung sei schädlich. Es ist reiner Nationalismus. Noch reden sie von "Remigration", eigentlich meinen sie Deportation, denn was sollte man sonst mit denen tun, die nicht freiwillig gehen wollen und hier zuhause sind. Es ist ekelhaft!

Die rechte Szene hat sich immer mehr radikalisiert. Es gibt viele, die sich ihnen gegenüberstellen, das ist ein wichtiges Signal. Sie brauchen Solidarität. Dafür muss man nicht in allen Punkten übereinstimmen. Sich auf Antifaschismus zu einigen, ist völlig ausreichend. Ich schreibe das alles nicht als Held, ich habe selbst noch viel zu wenig getan. Aber immerhin weiß ich auf welcher Seite ich stehe und gehe Diskussionen nicht aus dem Weg, auch wenn sie oft anstrengend und depremierend sind. Das ist das Mindeste.




Blick über den Tellerand - Rechtspopulisten weltweit

Das alles ist kein rein deutsches Phänomen. Das war der Anisemitismus im letzten Jahrhundert auch nicht. Aber wir leben in dem Land, in dem das denkbar grausamste rechtsradikale Regime errichtet wurde. Und daher haben wir eine besondere Verantwortung und es ist unglaublich wichtig, dass sich in Deutschland die durchsetzen, die aus unserer Geschichte gelernt haben.

Trotzdem ist es wichtig, über den Tellerrand zu schauen. Die Rechten gewinnen überall Parlamente. In Ungarn unternimmt Orban einen Feldzug gegen die Presse- und Kulturfreiheit, die PIS-Partei regiert mit ihrer national-konservativen Politik in Polen, die FPÖ hat Österreich grundlegend verändert, Salvini macht Stimmung gegen Flüchtlinge. In fast allen europäischen Ländern gibt es inzwischen stark rechtspopulistische Strömungen.
Das gilt auch global: Trump verschärft die Rhetorik gegen Hispanics und Schwarze, verunglimpft sie als Vergewaltiger und Verbrecher, seine demokratischen Gegner als Sozialisten. Modi will Indien in einen reinen Hindustaat umbauen, Erdoğan und Putin träumen von neuen Großreichen, Brasilien hat mit Bolsonaro einen Präsidenten gewählt, der Goebbels zitiert und Afrobrasilianer hasst.

Das ist alles nicht nur Folge einer Stärke der Rechten, sondern auch eine Schwäche der Linken. Gerade die linken Regierungen in Südamerika haben viel Vertrauen verspielt, weil es Ihnen nicht gelungen ist, der Korruption zu widerstehen und selbst autoritär zu regieren.
Linke Bewegungen insgesamt tuen sich im Moment offensichtlich viel schwerer damit, sich auf Minimalkonsense zu besinnen und von dort aus solidarische Alternativen aufzuzeigen. 


Wehrt und solidarisiert Euch! 

Sollten wieder Rechtsradikale die Macht übernehmen, werde ich nicht schweigen. Ich werde mich nicht arrangieren können, davon bin ich zutiefst überzeugt. Am Ende zählt jede Stimme, die sich diesem Rechtsruck entgegenstellen, egal ob sie sich als links, bürgerlich oder liberal versteht. Diese Differenzen sollten zweitrangig sein.  

Ich will nicht in einem Land leben, dass pauschal Menschen ausgrenzt, die schon seit Jahrzehnten in diesem Land leben, hier geboren wurden oder kürzlich angekommen sind und sich in großer Mehrheit redlich an dieser Gesellschaft beteiligen. Das ist inakzeptabel. Ihre Stimmen sollten endlich stärker gehört werden, statt nur über sie zu sprechen.
Es geht mir hier nicht um Panikmache, man darf sich von Rechtspopulisten nicht vor sich hertreiben lassen. Doch es geht um eine klare Haltung und darum, für sie einzustehen. Menschenrechte gelten für Alle oder für Niemanden! Nehmt die Bedrohung ernst, bezieht Position, schweigt nicht, wenn Menschen ausgegrenzt oder bedroht werden, sondern solidarisiert Euch mit Ihnen! Nur dann bleibt dieses Land lebenswert.


Einige wenige aktuelle Links:


Die Mütter von Hanau - Gastbeitrag auf Spiegel Online von Sinem Taşkın.
 
 
Vor einem Jahr verlor Çetin Gültekin seinen Bruder Gökhan bei dem rassistischen Anschlag von Hanau. Er blickt bitter zurück und sorgenvoll in die Zukunft.  Ein Interview mit Haznain Kazim.
 
Hanau - Eine Nacht und ihre Folgen 
 
Die letzte Folge der "Anstalt" hat den Rechtsruck auf beeindruckende Art beleuchtet.

Der Monitor hat die Taktik der "Selbstverharmlosung" der Neuen Rechten dargestellt. 
Sie setzt sich auch mit einem ihrer Vordenker, dem Verleger Götz Kubitschek auseinander.

Der Historiker Volker Weiß zerlegt die Theorie von "Einzeltätern" und zeigt auf, wie aus Hass im Netz und auf "PEGIDA"-Veranstaltungen Taten werden.

Zum Abschlus noch ein Literaturtipp: Wolfgang Schorlau - "Die schützende Hand"
Ein Kriminalroman über die NSU-Morde, akribisch recherchiert und spannend erzählt.


 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen