Diese Wanderung habe ich im Juli 2013
unternommen.
Vorspiel
Sanft streifte der Wind mein Gesicht.
Es war heiß in der Bergsonne Ladakhs und vor mir lag das Industal und die
Bergkette der Stok Rangeausgebreitet.
Dorthin würde mein Weg am nächsten Tag führen.Ich hatte mir denMarkhatreck
vorgenommen. Eigentlich hatte ich diesen Treck bereits abgehakt, weil ich ihn
als zu touristisch einstuft hatte. Erst die wunderbare Begegnung mit Julija,
die gerade von diesem Treck zurückkehrt war, und mich überzeugte, es sei
weiterhin schön diese Wanderung zu unternehmen, weilsich die Menge an Touristen
in Grenzen hielte, änderte meine Überzeugung. Ich beschloss jedoch bereits in Spituk zu starten, während Julija wie die meisten Touristen von Chilling aus den direkten Weg ins
Markhatal wählte. So fand ich mich am nächsten Tag an einer Brücke über den
Indus unterhalb des Kloster Spituk
wieder und machte mich auf den Weg.
Tag
1: Spitok - Zingchen
Es begann auf einem glühend heißen
Plateau. Kein Schatten. Es war ein reiner Durchhaltemarathon. Es war keine gute
Idee, mittags zu starten. Kaum hatte ich die fruchtbaren Indusufer mit ihren
grünen Feldern und Pappeln verlassen, brannte die Mittagssonne unbarmherzig auf
mich nieder. Ich passierte eine Zementfabrik. Selbst der Wind war heiß. Kurze
Zeit später schlängelte sich unterhalb von mir der Indus durch einen zerklüfteten,
langsam dichter werdenden Canyon. Vergleiche mit dem Grand Canyon sind nicht gänzlich abwegig. Einzelne Dörfer und
kleine grüne Oasen mit Pappelnauf der anderen Flussseite, durchbrachen die
Monotonie der Ebene.Große Militärkomplexe stellten einen extremen Kontrast zu
der kargen, aber friedlichen Landschaft dar. Ich hatte nur eine Flasche Wasser
bei mir. Kopfschutz ist was für Warmduscher. Der Rucksack wog mehr, als er
wiegen müsste. Unten lockte das Blau des Flusses – unser Lebenselixier – selten
erschien mir das bildlicher.
Am liebsten wäre ich hinuntergesprungen.
Doch ich schleppte mich über die asphaltierte Straße inmitten einer Steinwüste.
Miniatursandstürme zogen über die Ebene.In fünf Stunden fand ich nur einen
einzigen Schattenplatz. Eine angebotene Mitfahrgelegenheit lehnte ich jedoch
ab. Ansonsten begegnete mir keine Menschenseele. Mir ging eskeineswegs
schlecht. Ich war froh nach einigen (über)entspannten Wochen, wieder unterwegs
zu sein und es stellten sich einige Erinnerungen an meinen ersten und einzigen
großen Treck ein, den ich 2010 in Nepal unternommen hatte. Zwar war die
Landschaft nicht vergleichbar, aber dafür kamen mir vertraute Gedanken in den
Sinn. Ich fühlte mich befreit und war sicher, das Richtige zu tun.
Schließlich endete die Asphaltstraße,
ging in eine steinige Schotterpiste überund ich erreichte eine einfache
Teestube unter freiem Himmel und kurz darauf Zingchan, ein kleines Dorf in einer engen Schlucht.
Weiter führt
die Straße glücklicherweise nicht. Frühere Pläne, eine Straße bis nach Markhazu bauen, hatte man glücklicherweise
fallen gelassen. Der Weiler bestand nur aus wenigen Häusern und so fiel die
Entscheidung für die Unterkunft nicht schwer. Kurze Zeit später betrat ich das
erste Mal ein traditionelles Ladakhi-Haus. Über eine Steintreppe erreichte ich
die weitläufige Küche, die mit glitzernden Töpfen und Krügen geschmückt war.
Die Decke wurde von gewaltigen Holzpfeilern getragen. Über dem offenen Herd
wurde Tee gekocht und Speisen zubereitet. Ich machte noch einen kleinen
Spaziergang durch das Dorf.
Beim Abendessen traf ich auf zwei
Brüder aus Hannover. Der ältere verbrachte einige Monate in Ladakh und wollte
dem Jüngeren die Region zeigen. Sie hatten den ganzen Tag hier verbracht und
warteten auf ihren Führer, mit dem sie am kommenden Tag aufbrechen würden.
Am Morgen spielte sich ein
ungewöhnliches Schauspiel vor meinen Augen ab: die Dame des Hauses nötigte in
einem kruden Spiel einem nepalesischen, ausgesprochen jungen Arbeiter ein
großes Glas Schnaps auf. Als er dann nach mehr verlangte, drohte sie ihm
spielerisch immer wieder mit dem Stock. Was dies nun zu bedeuten hatte, blieb
mir verborgen. In jedem Fall glänzten die Augen des jungen Mannes vom Alkohol
und ich hatte den Eindruck etwas zu sehen, was sich immer wieder so abspielte.
Mir wäre der morgendliche Schnaps sicher nicht bekommen.
Tag
2: Zingchen – Rumbak – Yurutse
Kurz nach Zingchen
verengte sich die Schlucht weiter.
Mehrfach musste ich den Fluss überqueren. Ich kam schwer in die Gänge. Offensichtlich hatte mir die Hitze am gestrigen Tag doch mehr zugesetzt als vermutet, und meine Kondition ließ zu wünschen übrig. Ich legte viele Pausen ein und wurde irgendwann von den beiden Brüdern überholt. Auf dem Weg sichtete ich ladakhiurials– eigentlich eine Ziegenart, die aber stark an Antilopen erinnert. Ich wurde nur auf die Tiere aufmerksam, als einige Steine in die Tiefe stürzten und ich der Tiere gewahr wurde, die auf einem halsbrecherischen Weg unterwegs waren, der meinen unmittelbaren Tod zur Folge gehabt hätte. Nach einigen Stunden erreiche ich ein Teezelt, das die Weggabelung zwischen Rumbak und Yurutsemarkierte. In allen Zelten auf dem Weg erhält man auch gefiltertes Wasser gegen ein kleines Entgelt. Dort traf ich Jacob und David, einen Israeli, der von Jacob den Spitznamen Super-Mario verpasst bekommen hatte - dazu später mehr. Wir taten uns zusammen, ohne ein Wort darüber zu verlieren und machten uns auf, um den kleinen Umweg nach Rumbak in Angriff zu nehmen. Ein wirklich sehenswertes Dorf. Von dort aus liefen wir über eine Abkürzung (die zum Glück wirklich eine war) nach Yurutse.
Yurutse
war ebenfalls ausgesprochen schön gelegen, bestand
allerdings nur aus einem großen Gasthaus, dessen Zimmer dennoch vollständig
belegt waren. Wir konnten uns glücklich schätzen, in der Küche unterzukommen.
Dort versprach es wenigstens relativ warm zu sein.Draußen wiegten grüne Felder
im Wind. Im letzten Sonnenlicht leuchteten die Berge in unwirklichen Farben. In
der Küche rezitierte der Hausherr stundenlang Mantras. Vor ihm saß ein Westler
im Lotussitz mit geschlossenen Augen und lauschte ihm andächtig. Wir waren
glücklich über unser dal – Reis mit
Linsen und Gemüse. Die Nacht war kurz.
Tag
3: Yurutse – Shingo
Ich wurde wach, als der Hausherr
lautstark Mantras murmelnd in aller Herrgottsfrühe seine Milch schlug. In der
Nacht hatten mich fiese Bettwanzen attackiert und mein Rücken zeigte einen
großflächigen Ausschlag. Das Frühstück bestand ausChapati (eine Art Fladen), einem Omelette und Chai. Der Lunch für unterwegs war nahezu standarisiert auf diesem
Treck. Je ein gekochtes Ei und eine Kartoffel, zwei Chapati, ein Mango-Saft und ein Schokoriegel. Nicht gerade
magenfüllend – speziell bei dieser Art von Anstrengung. Aber irgendwie musste
die Maggi-Mafia schließlich ihre Produkte abwerfen. Dazu später mehr.
Wir machten uns wieder auf den Weg. Schnell
wurde klar, dass ich Mario und Jacob an diesem Tag nicht folgen konnte.
In Zeitlupe quälte ich mich unendlich lang den kernigen Aufstieg zum Pass
hinauf. Vor mir kroch eine junge Frau. Immer wieder stopptesie und stützte sich
schwer nach Atem ringend auf ihren Wanderstock.Ich war jedoch kaum schneller.
Die beiden anderen hatte ich längst aus den Augen verloren. Es war weniger das
steile Gelände, als vielmehr die ungewohnt dünne Luft, die den Aufstieg
schwierig machten.
Viel später stand ich endlich auf dem
Pass und unterhielt mich kurz mit der Baskin, die seit Jahren in Bombay arbeitete und ihrem ausgesprochen
sympathischen Führer. Wir befanden uns nun auf knapp 5000 Metern und vor allem
der Blick zurück war ausgesprochen imposant.
Nun folgte ein langer Abstieg. Irgendwann
erreichten wir ein Teezelt und ich ließ mich dort für einige Zeit nieder. Am
Fluss rasierte sich ein Wanderer – das wäre wohl das letzte, was ich auf einem
Treck machen würde. Upperclass! Das
hielt den Schweizer Zeitgenossen jedoch nicht davon ab, sympathisch zu sein. Die
Ansprüche sind eben verschieden. Ich erfuhr, dass Mario und Jacob erst eine
viertel Stunde vor meiner Ankunft wieder aufgebrochen waren. Ich hatte vermutet,
noch viel weiter hinterher zu hinken. Allerdings hatte ich längst entschieden,
nicht bis nach Skyu durchzulaufen,
sondern im nächsten Weiler zu übernachten. Ich gönnte mir zwei Tassen Tee und
eine Maggi-Suppe – geradezu unheimlich, dass meggizu einem feststehenden Ausdruck geworden ist und überall in
Ladakh verstanden wird. Nach Shingo
war es nicht mehr allzu weit. Der Ort bestand aus drei „Gehöften“. Zwei davon waren Homestays. Ich entschied mich für das höher gelegene mit dem
wunderbaren Garten.
Ich wurde von einer bildhübschen
Ladakhi, die hier mit ihrem Sohn lebte, empfangen. Das Geld, das sie verdiente,
finanzierte die Schuldbildung ihres älteren Sohnes. Ihr Mann hatte Arbeit als
Führer gefunden. Dort traf ich den Schweizer wieder, der mit seiner englischen
Freundin unterwegs war. Nach dem Abendessen, lud ich sie auf ein paar Züge ein
und hatte fortan stundenlang kichernde Zimmernachbarn – die Zimmer waren über
ein Fenster verbunden, das nur von einem Tuch bedeckt war.
Tag
4: Shingo – Sara
Am nächsten Morgen lief ich zunächst durch
ein majestätisches Tal. Ich beschloss mir den Anblick mit einer Sportzigarette
zu versüßen. Normalerweise rächt sich das. Doch als ich Skyu erreichte, und fortan im eigentlichen Markha-Tal unterwegs
war, entpuppte sich der Weg nach den bisherigen Anstrengungen als dermaßen
leicht, dass ich federnden Schrittes stundenlang immer weiterlief. Für eine
Weile schlossen sich mir zwei Schweizerinnen, ein Deutscher und eine Französin
an. Sie waren auf dem Weg zumStokKangri
– ein Sechstausender, der für Expeditionen ausgesprochen beliebt ist – in der
Hauptsaison enstprechend überlaufen.
Ein Gewitter zog auf. Nach den ersten
Donnerschlägen und Blitzen, setzte starker Regen ein. Ich quälte mich noch bis Sara durch den Regen und fand dort Unterschlupf.
Kurze Zeit später regnete es wie aus Kübeln. Der Familienvater stieg auf das
Dach und begann, es notdürftig zu reparieren. Nachdem man meine Hilfe abgelehnt
hatte, zog es mich zum Feuer und ich saß dort einige Stunden und sorgte dafür,
dass es ausreichend Nahrung erhielt. Im Zimmer hatte ich Gesellschaft in Form
von drei Briten, mit denen ich nichts weiter gemein hatte als den gleichen
Heimatkontinent. Obwohl sie deutlich älter waren, erinnerten sie mich an
Pubertierende im ersten Zeltlager. Es regnete die ganze Nacht durch.
Tag
5: Sara-Hangkar
Am Morgen hatte es endgültig aufgehört
zu regnen. Und so setzte ich meinen Weg im Markhatal fort. Bei einer
Flussquerung, die nach den schweren Regenfällen nur über einen Baumstamm
möglich war, traf ich auf eine Gruppe von Israelis und einer Niederländerin.
Für einige Zeit schloss ich mich ihnen an.
Es war angenehm, wieder einmal die
unglaublichen Panoramen mit anderen Menschen zu teilen und die Gruppe war mir
ausgesprochen sympathisch. Nach einiger Zeit mussten wir den Markha überqueren. Nach dem Regen war er
stark angeschwollen. Wir fanden einen Abschnitt, an der wir den Fluss
durchqueren konnten. Das ging zunächst gut. Doch als Josien und Shakhed durch
den Fluss wateten, geschah es: die beiden liefen Hand in Hand durch den Strom.
Das war keine gute Idee, da plötzlich eine der beiden ins Straucheln kam und
beide mitsamt ihren Rucksäcken in den Fluss gezogen und mitgerissen wurden. Das
war ein Schockmoment. Nach der ersten Erstarrung, handelte ich, rannteein Stück
den Fluss hinab und es gelang mir, eine Hand zu greifen. Gal kam mir zu Hilfe und gemeinsam gelang es uns, die beiden aus
dem Fluss zu ziehen. Josien hatte
sich an einem spitzen Stein am Knie verletzt und der Rucksack von Shakhed war ziemlich nass geworden.Der
Schock saß tief. Nach einer Verschnaufpause, setzten wir unseren Weg fort und
stoppten am nächsten Gasthaus, um Tee zu trinken. Die beiden wechselten ihre
Kleider. Nun konnten wir schon wieder lachen.
Wir passierten Markha, den größten Ort im gleichnamigen Tal.
Kurze Zeit später sahen wir eine
imposante Felsnadel aus der Felslandschaft aufragen.
Danach erreichten wir die Techa Gompa (Gompa steht für Kloster).
Über einen steilen Weg konnte man hinauf gelangen und von dort aus einen imposanten
Blick über das Tal genießen. Das Kloster selbst jedoch blieb uns an diesem Tag
verschlossen.
Als wir Umlung erreichten, wäre ich am liebsten dort geblieben, beschloss
dann jedoch, mit den anderen bis nach Hangkar durchzuhalten.
Dort fanden wir mit etwas Mühe einen Schlafplatz. Zu sechst teilten wir ein
Zimmer – oder vielmehr ein Matratzenlager. Zu meiner großen Freude traf ich Jacob wieder. Was er über Super-Mario erzählte, stützte die weise
Wahl seines Spitznamen. Er stammte aus einer Wüstengegend Israels und als es zu
regnen begonnen hatte, war er ausgesprochen überrascht. In Ladakh sind solch
heftigen Regengüsse selten.Nachdem es am nächsten Morgen noch immer nicht
vollständig aufgehört hatte zu regnen, meinte er: „i am not walking. It doesn`t rain in the desert.“Und dabei blieb er
auch und verbrachte den ganzen Tag in Markha.
Um das wieder wett zu machen, beschloss er am nächsten Tag von Markha über Hangkar, Niamling und den
folgenden Pass zu laufen. Das schaffte er auch, wie ich später hörte. Eine
beachtliche Leistung.
Die Markha News hatten die Neuigkeiten bereits per
Mund-zu-Mund-Propaganda an uns vorbeigeschmuggelt und jeder schien bereits von
dem Missgeschick zu wissen. Josien
und Shakhed waren fortan die beiden,
die in den Fluss gefallen waren und bisweilen hörte ich die Geschichte und
konnte dann nur anmerken, dass ich sie kannte, da ich die beiden aus dem Fluss
gezogen hatte. Das Abendessen bestand aus einer Art Pasta und war köstlich. Eine
willkommene Abwechslung.
Tag
6: Hangkar – Langtang
Nun sollte unser Weg zum Highlight des
Trecks führen – der Niamling-Ebene
und einer Reihe von Sechstausendern.
Wir passierten eine Gruppe wilder
Esel.
Der obere Teil von Hangkar war wunderschön und auf einem
Felsen thronte eine der Trutzburgen, die an Zeiten erinnerte, als Kriege um
diese Region geführt wurden.
Copyright: Josien |
Wir kamen zurück zum Fluss und
überquerten ihn kurzerhand über eine ausgesprochen schiefe Brücke. Kurze Zeit
später trafen wir auf ein älteres Pärchen. Der Mann mit dem schlohweißen Bart
erzählte mir, wie wenige Leute diese Route wählten. Ich war erstaunt, aber es
machte nicht Klick. Auch dann nicht, als er mir einen Geheimtipp nannte – ein
Kloster, wo sie eine einfache Mahlzeit erhalten hatten. Es bestätigte mich eher
– das konnte nur der richtige Weg sein, wenn wir hier auf andere Wanderer
trafen. Ich war noch nicht ganz wach.
Mit der Zeit kamen mir dann aber unabhängig
davon Zweifel, Itzik war aber vollständigüberzeugt.
Ich konnte mir aber immer noch vorstellen, richtig zu laufen, auch wenn ich
mich fragte, wann es endlich richtig bergauf gehen würde.Um das herauszufinden,
ging ich weit voran. Schließlich sah ich den Kangyatse auf der falschen Seite aufragen. Ein Abzweig führte in
diese Richtung. Dennoch setzten wir unseren Weg noch ein wenig fort – das
konnte kaum wahr sein.Kurz vor einem kleinen Zeltlager, an dem wir uns über den
Weg erkundigen wollten, trafen wir einen Franzosen.Dessen Guide bestätigte, was
eigentlich schon sicher war – wir hatten uns auf den falschen Weg begeben; wir
befanden uns im Langtang-Tal.
Auf dieser Route würde drei Tage lang
kein Dorf folgen – ausgesprochen ungünstig ohne ausreichende Verpflegung und
Zelt. Der Abzweig, den ich zuvor gesehen hatte, führte zwar tatsächlich über
das Basislager des Kangyatse nach Niamling – doch der Guide versicherte
uns glaubhaft, es sei zu spät, um diesen Weg zu gehen, weil wir unweigerlich in
die Dunkelheit kommen würde. Er riet uns, den gleichen Weg nach Hangkar zurückzugehen und dann im ersten
Zeltlager auf dem richtigen Weg nach Niamling
zu übernachten. Unsere Begeisterung könnt Ihr Euch sicher vorstellen. Aber was
blieb uns anderes übrig? Also machten wir uns daran, erneut all die
Flussquerungen in Angriff zu nehmen, die hinter uns lagen. Wir wussten, dass
wir uns nun beeilen mussten. Wir hatten eine große Strecke zurückgelegt. Doch
nun war es nicht mehr der gleiche Fluss, der bislang unser Begleiter gewesen
war. Durch das Schmelzwasser der Gletscher schwoll er immer weiter an. Und so
wurde es zunehmend schwieriger, den Fluss zu queren. Zwar existierten
stellenweise Pfade über Steilstücke, so dass sich eine Querung theoretisch
vermeiden ließ – praktisch waren diese Wege so stark erodiert, dass es Wahnsinn
war, sie zu begehen. Langsam setzte die Dämmerung ein. Nun erreichten wir einen
Abschnitt, der ohne Seil kaum noch zu überqueren war. Doch ein Seil hatten wir
nicht. Das hätten wir auch eigentlich nicht gebraucht. Wir verbrachten fast
eine Stunde damit, auszuloten, wo der Fluss vielleicht doch Möglichkeiten bot,
um auf die andere Seite zu gelangen. Als wir schon fast aufgegeben hatten,
wagte ich es doch noch – und es gelang. Nun lag es an den anderen. Einer nach
dem anderen folgte mir durch die reißende Strömung – drei von fünf mussten wir
aus dem Fluss ziehen, bevor sie mitgerissen wurden. Wir hatten eine
Menschenkette gebildet. Nun schien es geschafft. Das musste die letzte Querung
vor Hangkar gewesen sein.
Doch weit gefehlt: schon nach wenigen Minuten
wussten wir, dass es noch einer weiteren Überquerung bedurfte, um eine
Unterkunft zu erreichen – dieselbe die wir am Morgen verlassen hatten. Wieder
verbrachten wir über eine Stunde dort, um die Lage auszuloten.Galtestete mit seinen Teleskopstangen
die Tiefe an verschiedenen Stellen. Itzik
und ich suchten den ganzen Flussabschnitt ab – doch schließlich mussten wir
anerkennen, dass dies endgültig zu gefährlich war – schon das letzte Mal hatten
wir nur mit Glück überstanden. Wir waren zu sechst – es war einfach zu
wahrscheinlich, dass es mindestens einen von uns erwischen würde – falls es
überhaupt möglich war. Da standen wir also. Es würde gleich dunkel werden. Wir
hatten kein Zelt. Nun hieß es, sich auf eine bitterkalte Nacht einzustellen.
Der Gipfel der Frechheit erschien uns
ein Duo, das vollausgestattet auf der anderen Seite des Flusses campierte. In
Schlagdistanz – und doch unerreichbar. Glücklicherweise hatte jeder ein wenig
Essen dabei, so dass wir nicht hungern mussten. Ich habe mich selten so über
ein paar Cracker, Käse, Nüsse und eine Dose Thunfisch gefreut.Am Ende unseres
improvisierten Mahls waren wir alle satt. Noch besser war, dass keiner in Panik
geriet, auch wenn sicher jede seine Bedenken ob der Kälte in sich trug. Itzik und ich verbreiteten betont gute
Laune. Und zwei Joints halfen ebenfalls, um die Gedanken in die richtige
Richtung zu lenken. Immerhin waren drei von uns gerade vom israelischen Militärdienst
zurückgekehrt. Wir fragten uns, was wohl Jacob
denken musste, nachdem wir nicht in Niamling
auftauchen würden.
Der Sonnenuntergang war dramatisch.
Nun hieß es durchhalten. Wir zogen alle verfügbaren Kleider, Schals und Decken
über uns. Glücklicherweise hatten wir alle einen Schlafsack dabei - außer Gal;
der Arme fror die ganze Nacht durch erbärmlich. Allerdings hatten wir keine
Isolationsschicht, um uns gegen den eisigen Boden zu schützen. Das würde das
Hauptproblem sein. Zunächst schien es durchaus erträglich zu sein, doch schnell
kroch die eisige Kälte durch alle Kleiderschichten und es wurde unerträglich.
Die ganze Nacht wälzte ich mich von einer Seite auf die andere. Die Kälte
lähmte alle Gedanken. Man denkt nur noch daran, zu überleben. Durch den
Vollmond war es immerhin einigermaßen hell und immer wieder vertrieb ich kurz
aufkommende miese Gedanken durch einen Blick auf die majestätische Kulisse und Gedanken
über die Absurdität unserer Situation – sich auf diesem verhältnismäßig
leichten Treck verlaufen zu haben und nun draußen zu campieren, was mir jedes
Mal ein dümmliches Grinsen aufs Gesicht zauberte. Und irgendwann ist auch die
längste Nacht zu Ende. Zweifelsohne war dies die kälteste Nacht unseres Lebens.
Wir waren alle erleichtert, als es hell wurde und der Fluss wieder quer bar
war. Es stellte eine gewisse Herausforderung dar, völlig durchgefroren durch
den eisigen Fluss zu waten. Nur schreiend, ließ sich das ertragen. Nachdem wir
wieder die vermaledeite Brücke überquert hatten, sahen wir den Wegweiser, der
in die richtige Richtung wies, sich aber sinnigerweise erst hinter der Brücke
befand. Ein wenig peinlich war allerdings, dass vor diesem Abzweig in meinem
Buch gewarnt wurde – ich hatte aber beschlossen, nicht ständig in das Buch zu
schauen und als wir die schiefe Brücke gesehen hatten, war uns nur die Frage
gekommen, wie man sie wohl am besten überqueren konnte. Es war auch Niemand in
der Nähe, den wir in diesem Moment hätten fragen können. In jedem Fall ein
Fehler, der gefährlich werden kann, immer wieder passiert und durchaus schon
Wanderern zum Verhängnis geworden ist. Wir hatten nur gefroren und dafür
gesorgt, dass uns nicht langweilig wurde…
Während die anderen fünf für ein
Frühstück in die „Lodge“ des vorigen Tages nach Hangkar zurückkehrten – wo sie von einer kopfschüttelnden Wirtin
begrüßt wurden: „nodinner?Norice?
Nohomestay?Nochapatti?” – beschloss ich, gleich weiter zu gehen, um nicht
in die Versuchung zu kommen, unmittelbar ein Bett aufzusuchen.
Tag
7: nowhere – Niamling
Es dauerte länger als erwartet, um das
nächste Zeltlager zu erreichen. Ich hatte nichts gefrühstückt. So war ich froh,
die Ansammlung von Zelten zu erreichen und eine Nudelsuppe und Tee zu mir zu
nehmen. Ich kam sogar in den Genuss von etwas Müsli. Ich verweilte einige Zeit
und wusch mich notdürftig. Über das Tal hinweg schwebten Lammergeier und
Goldadler mit ihren gewaltigen Schwingen. Als ich mich gewärmt hatte und
endgültig wach war,setzte ich meinen Weg fort und es wurde nun steiler.
Allerdings hatte ich mir den Anstieg nach Niamling
schwerer vorgestellt, als er letztlich war. Nun war ichwesentlich besser
akklimatisiert. Die Panoramen, die sich von dem Höhenweg boten waren
berauschend.
Nach einiger Zeit erreichte ich einen
kleinen Gletschersee, hinter dem sich der Kangyatse
diesmal von der richtigen Seite abzeichnete. Seine Reflektion auf dem
kristallklaren See war sehenswert.
Der Weg zog sich nun doch. Als ich die
Ebene von Niamling erreichte, war ich
zunächst ein wenig enttäuscht. Einzig die ungewöhnlichen Farben und der Anblick
auf die Spitze des Kangyatse setzten
Akzente in der Landschaft. Der Weg für den nächsten Tag ließ sich deutlich
erkennen. Das schien nicht übertrieben schwer zu sein und würde das letzte größere Hindernis darstellen. Das einzige Zeltlager war
verhältnismäßig teuer (12,50 Euro). Kurze Zeit später erreichten auch die
anderen die Ebene. Ich machte mich noch einmal auf, um mich in Richtung
Basislager des Kangyatsezu begeben.
Nach einem anspruchsvollen Steilstück, wurde es deutlich flacher. Allerdings
wurde es langsamrichtig kalt. Ich suchte mir einen schönen Felsen – etwa zwei
Drittel zum Basislager hatte ich hinter mich gebracht. Damit war ich zufrieden.
Ich rauchte eine Sportzigarette im Angesicht des imposanten Panoramas.
Auf dem
Weg nach unten passierte ich eine große Schafherde und betrachtete einige
Pferde, die wunderbar in diese Kulisse passten.
Aus der Ferne sah ich die beiden
Brüder, die mir in Zingchen begegnet
waren. Sie hatten es geschafft. Respekt! Während des Sonnenuntergangs zog eine
große Schaf- und Ziegenherde über die Brücke des Flusses.
Der Schlaf war hochwillkommen. Nach
der eisigen Nacht zuvor, reichte mir nun eine Decke und ich fühlte mich mollig
warm.
Tag
8: Niamling – Chogdo
Außerdem war es schön mit der Gruppe hier oben zu stehen, mit denen ich inzwischen einiges erlebt hatte. Das schweißte zusammen:
Bergab war ich nie der Schnellste –
mein Knie reagiert auf steile Abstiege allergisch und so wäre ich lieber
bergauf gegangen. Endlose Serpentinen führten hinab. Auf der extrem steilen
rechten Bergflanke, erblickte ich eine Gruppe blue sheep – Wildschafe, die an junge Gazellen erinnern. Zu ihrem
Unglück sind sie die bevorzugte Beute des Schneeleoparden. Es macht also Sinn,
sich in die Berge zurück zu ziehen. Von den Menschen hält man schließlich auch
besser einen Sicherheitsabstand. Hier waren sie jedoch recht sicher.
Im Gegensatz zu den anderen, wollte ich nicht
den ganzen Weg bis nach Shang Sumdo durchlaufen,
sondern eine letzteNacht in Chogdo
verbringen würde. Es war ein einladender Ort.
Ich fand eine schöne Unterkunft,
setzte mich in den Garten, genoss die intensive Nachmittagssonne und ließ Rauch
durch meine Lungenflügel ziehen. Ich betrachtete die Bergwelt, die mir schon so
vertraut zu sein schien. Ich wollte die Berge am liebsten gar nicht mehr
verlassen.Am liebsten wäre ich noch ein paar Tage weitergelaufen. So würde ich
sobald wie möglich zurückkehren. Beim Abendessen, das wie fast immer aus Dal bestand unterhielt ich mich mit den
zwei anderen Gästen über unsere Wanderung. Der Hausherr saß auf dem Teppich und
sandte mit den Drehungen seiner Gebetsmühle seine Wünsche in den Äther. Ich
fühlte Frieden im Herzen.
Tag
9: Chogdo - Shang Sumdo - Leh
Der letzte Tag war unspektakulär. Der
Weg nach Shang Sumdo dauerte keine
zwei Stunden. Und von dort aus, fuhr ich mit den beiden anderen zurück nach Leh. Nach der herrlichen Bergluft, waren
die Abgase der Stadt kaum zu ertragen und ich beschloss, bald die nächste
Wanderung in Angriff zu nehmen. Ich traf sofort auf Galund er bot mir an, sein Zimmer zu teilen. Am Tag darauf traf ich
auchCaspar wieder. Die nächsten
Wochen würden wir zusammen rumhängen, die Vorzüge der vielfältigen Restaurants
und guten Kaffees zu genießen, bevor es zu meiner bisher anspruchsvollsten
Wanderungen kommen sollte. Den Bericht dazu findet ihr hier:
mehr Himalaya:
Demnächst folgt mein Bericht über
Hundar im Nubratal mit seinen
Kamelen und das muslimische Dorf Turtuk
an der Line of Control zwischen Indien und Pakistan.
In Varanasi entsteht aktuell eine Geschichte über die Begegnung mit dem Tod.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen