„Josef Mazzini reiste oft allein und viel zu
Fuß. Im Gehen wurde ihm die Welt nicht kleiner, sondern immer größer, so groß,
dass er schließlich in ihr verschwand.“
Christoph Ransmayr: Die Schrecken des Eises und
der Finsternis
Der elfte und letzte Monat meiner vierten großen Reise war angebrochen. Mit den Philippinen wartete noch einmal Neuland. Nach zwei schwierigen Monate sehnte ich mich nach einem gelungen Abschluss meiner Reise.
Ich erreichte Manila mit dem Nachtflug von Siam
Raep aus und flog weiter nach Cebu. Mit dem Taxi gelangte ich zum Hafen. Ich
wollte direkt nach Siargao weiterreisen. Die Insel hatten mir einige Verrückte
auf Lombok empfohlen.
Am Hafen musste ich nun nur noch zehn Stunden auf meine Fähre nach Mindanao warten. Es war
ja nicht so, als hätte ich die Nacht durchgemacht und am Abend zuvor meine
Nerven mit Alkohol betäubt, weil es bis kurz vor Abflug so schien, als könne
ich mein Hotel nicht bezahlen und den Flug nicht antreten.
Es hätte sich sicher schwierig gestaltet, einen
Idioten davon zu überzeugen, mit mir hier rumzuhängen. Vielleicht wäre es dann
ein wenig lustiger geworden; wahrscheinlicher ist, dass wir uns nach einer
Stunde aus akuter Tristesse zerfleischt hätten. Das Wetter war trüb und der
Hafen war nicht gerade ein Ort für Romantiker.
Gerade rumpelte ein Bus der Cebu Port Authority
vorbei. Fenster und Türen hatte man vorsichtshalber nicht mehr ersetzt. Um mich
herum standen graue, bleierne Industriegebäude. Vor mir präsentierte ein Mann
im Tarnanzug und Sonnenbrille sein Großkaliber. Schon auf dem Weg zum Hafen gab
es nichts, was in mir den Wunsch geweckt hatte, anzuhalten. Cebu präsentierte
sich mir mit unendlichen Weiten im Verfall begriffener Industrieanlagen. Nun
begann es aus bleigrauen Wolken zu regnen. Crack wäre der Atmosphäre angemessen
gewesen.
Wenigstens musste ich nur auf den kleinen Rucksack
aufpassen. Den wollte ich sehen, der mit dem Großen davonrennen konnte, das müsste
ein Olympionike sein. Ein kluger Mann hat seine Bibliothek dabei. So wächst der
Körper mit dem Geist.
Wie konnte ich solche Aktionen immer wieder antun?
Vielleicht sollte ich nur noch Endzeitromane verfassen!
Nachdem ich stundenlang vor mich hingestorben war,
hatte mir der Kurzbesuch in einem Imbiss neue Lebensgeister eingehaucht, der wohl
nie zuvor von Touristen heimgesucht wurde. Seitdem hielt ich mich mit Bier und Cobra
Energy mit 153 mg Taurin und 131 mg Koffein und einer Extraladung Ginseng
über Wasser. Doch bald war der Effekt verpufft und die Marter
ging weiter. Kurz vor Abfahrt erlebte ich dann noch eine große Überraschung. Da
hockte ich seit gefühlten Ewigkeiten in diesem eingezäunten, heruntergekommenen
Flugstuhlensemble und bildete mir ein, dass das Terminal von innen genauso
schäbig wie von außen aussähe. Weit gefehlt! Als ich endlich vierzig Minuten
vor Abfahrt das Terminal betrat, glaubte ich meinen Augen kaum. Ich musste
Sicherheitschecks mit Scannern durchlaufen, dann betrat ich ein weitläufiges
Café, in dem Hunderte Menschen saßen und kostenloses Wifi genossen und musste
mich in eine Schlange einreihen, die sich gewaschen hatte. Kurz musste ich
schmunzeln, doch dann war Eile geboten. Fast hätte ich noch die Fähre verpasst,
auf die ich so lange gewartet hatte. Da hatte ich mir wiedermal eindrucksvoll
selbst vor Augen geführt, was Übermüdung, Verwirrung, Unsicherheit und
Fatalismus anrichten können.
Bald darauf stachen wir in See. Insektengleich
schwärmten die Fähren in alle Richtungen aus. Über uns strahlte der Vollmond, es
regnete noch immer. An uns zog kilometerlang das weitläufige Hafengelände vorbei,
im Hintergrund strahlten die Hochhäuser Cebus. Ich dachte an die Portugiesen
und versuche mir vorzustellen, welches Cebu sie damals vorgefunden hatten. Unsere
Hinterlassenschaft war dichter, schwarzer Qualm. Noch immer blickte ich auf endlose
Industrieanlagen. Von einem der Kühltürme lachte mich der Slogan „Mama`s love – there is no love like mama`s
love“ an. Es roch giftig. Ich kam
mir vor wie in einem Alptraum. War ich in einer Dystopie gefangen? Dieser
globale Wahn machte mich sprachlos. Er erschien mir oft so übermächtig,
geradezu aberwitzig dagegen anzukämpfen. War ich nur ein weiterer Don Quichotte
im Sturm auf die Windmühlen?
Hätte ich so viel getrunken, wie ein Teil von mir
sich das wünschte, wäre meine Reise morgen endgültig zu Ende gewesen, ich wäre
in irgendeiner Gosse erwacht.
Nach ein wenig komatösem Schlaf erreichte ich am
Morgen Surigao del Norte, ein wenig einladendes Städtchen am Nordzipfel von
Mindanao. Ich tat mich mit ein paar einheimischen Surfern zusammen und fand so
ohne Probleme das Fährboot auf die Insel Siargao. Das fuhr auch schon vier
Stunden später los und nach zwei Stunden erreichte ich Dapa, inmitten von
wunderschönen Mangrovenwäldern gelegen. Von dort aus ging es mit dem Trycycle
nach General Luna. Schließlich fand ich mich in einem Homestay wieder, das für
meine Verhältnisse nicht besonders billig war – vor allem für meine Pläne zu
surfen. Das konnte ich mir abschminken. Das Wetter war weiter mies: wenn es nicht
regnete, war der Himmel mit dunklen Wolken bedeckt.
Nicht weit von meiner Unterkunft entfernt, liegt
die „Cloud Nine“, einer der beliebtesten Surfspots auf den Philippinen und weit
darüber hinaus bekannt. Doch leider gab es nicht den ersehnten Badestrand in
der unmittelbaren Umgebung.
Ich lief fast jeden Tag am Riff vor General Luna
entlang und blickte auf den stürmischen Pazifik. Einmal wagte ich mich weit
hinaus zu den letzten Felsen, die normalerweise überspült sind. Ich beobachtete
die Einheimischen, die hier Krebse und Seegras sammelten. Dann war ich alleine,
warum wusste ich bald. Plötzlich setzte die Flut ein und mich überkam ein
mulmiges Gefühl. Würde ich es schnell genug zurückschaffen? Es war eine
sinnbildliche Szene: Abgesehen von ein paar Inseln im Pazifik lag ein
unendliches Meer bis Amerika vor mir. Es war eines der Enden der Welt.
Vielmehr, es war das Ende meiner Welt, ja, wahrscheinlich hatte ich es sogar
überschritten. Dies war der Punkt, an dem ich umkehren musste – fraglich war
nur, ob ich dafür noch die Kraft besaß. Kannte ich immer nur Alles oder Nichts?
Manchmal eröffnete mir das den Himmel, der Preis war entsprechend hoch. Nun hatte
ich alle Koordinaten verloren und fühlte endgültig keinen Boden mehr unter den
Füßen. Und wohin sollte ich eigentlich zurückkehren? Ich war doch aufgebrochen,
um ein neues Leben zu schaffen. Wo war es nun? Wo hatte ich den Mann gelassen
hatte, der so weit gekommen war? Hatte ich mich endgültig verloren, nachdem ich
so lange nach mir gesucht hatte? Sosehr ich mich dagegen wehre, in meinen
Reisen eine reine Flucht zu sehen, ein Aspekt war sie gewiss. Ich flüchtete vor
dem massiven Druck, etwas zu werden, was ich nicht sein wollte. Ich blockierte,
ich verweigerte mich, ich brach die Schule ab. Ich rannte vor dem
kapitalistischen Verwertungssystem davon, vor den Grausamkeiten der Welt, von
denen ich immer mehr erfuhr und die ich nicht ertragen konnte. Ich rannte ins
Nichts. Das wird mich nie wieder ganz loslassen.
Meinen Aufbruch nach Asien sollte eine Flucht nach
vorne werden. Trotz aller inneren Widerstände und Ängste, waren es Abenteuer
und Freiheitsversprechen, die mich in die Ferne zogen. Ich wollte auf ein neues
Leben zulaufen. Es gibt auch für mich kein richtiges Leben im falschen. Ich
sehnte mich nach einer gelingenden Existenz. Einer nach meinen Vorstellungen,
nicht nach denen der anderen.
Am Anfang bildete ich mir ein, es sei möglich, in
neuer Umgebung unbeschwerter von der Vergangenheit zu agieren. Das stimmte
bedingt: Die andere Umgebung, die andere Sprache, die anderen Menschen gaben
mir Möglichkeiten, mich und die Welt anders kennenzulernen und mich dabei
weiterzuentwickeln. Doch zugleich hatten mich meine Dämonen schnell eines
Besseren belehrt: Man kann sich nicht selbst entkommen. Fortan wollte ich bei
meinem wahren Selbst ankommen, das tief unter all den Trümmern verschüttet lag.
Das hatte keine Angst, es wollte sich zeigen, endlich wieder an die Oberfläche
gelangen.
Ich schöpfte neues Selbstbewusstsein und neue
Hoffnung und durfte erkennen, was mich ausmacht und welche Haltung mich durchs
Leben tragen soll. Die Sache hatte nur einen gewaltigen Haken: Es gelang mir
nicht, diese Fortschritte nach meiner Rückkehr in alter Umgebung umzusetzen, oder
zumindest eine Balance zwischen alter und neuer Welt zu finden. Es war immer
eine große Freude, Freunde und Familie wiederzusehen, doch bald war das
Interesse an meinen Geschichten erloschen und auch mir erschienen sie völlig
abstrakt. Was war all das, was ich erreicht hatte, in der alten Umgebung wert? Ich
war im Dazwischen gefangen.
Bald wollte ich wieder weg, denn ich sah keinen
Platz für mich und meine Träume. Sobald sich die erste Euphorie gelegt hatte,
kam ich mir wie ein Fremder vor, wie ein Gescheiterter, dessen Überflüssigkeit
für alle deutlich sichtbar war. Du hast deinen Spaß gehabt, jetzt kommt
wieder der Ernst des Lebens. Dabei gab es für mich keinen Unterschied
zwischen, dem was ich unterwegs gesucht hatte und meinem Leben. Was mich
schreckte, war auch nicht die Arbeit, sondern die Sinnlosigkeit. Viermal bin
ich aufgebrochen und wieder zurückgekehrt, jedes Mal ist der Graben weiter
aufgerissen. Der Druck war über die Jahre immer größer geworden und ein Gefühl
immer stärker: Dies würde wohl meine letzte Reise sein, ich musste sie voll
ausreizen, möglichst viele Grenzen überschreiten. Das Nadelöhr, durch das ich
mich zwängte, wurde immer kleiner. Dann kam ich mir manchmal wie ein Flüchtling
vor, ein heimatloser Vagabund, der überall hinwollte und nirgendwo bleiben
konnte.
Manchmal wünschte ich mir nichts sehnlicher, als
im Dschungel zu verschwinden und nie zurückzukehren, die ultimative Flucht. Und
doch zugleich mit der nicht zu Tode zu kriegenden Hoffnung im Herzen von der
Rückkehr als einer, der gefunden hat, der nicht mehr suchen muss, der endlich
wieder zur Ruhe kommen kann. Der sich nicht mehr rechtfertigen muss. Es war
immer noch besser, bei dem Versuch zugrunde zu gehen, als das fortwährende
Scheitern zu erleben.
Die Sehnsucht, die fiebrigen Träume, die ganze
Welt zu sehen, alle Grenzen einzureißen und mich den größten Gefahren zu
stellen, die ich selbst während aktuellen Abenteuern empfand, trieben mich
manchmal in den Wahnsinn. Ich fand keine Möglichkeit von diesem Film
herunterzukommen. Dann fand ich wieder einen Platz fand, an dem ich sein
konnte, wer ich war. Bis mich die Getriebenheit weitertrieb.
Der Weg ist das Ziel, sagt man. Und tatsächlich
fühlte ich mich oft unterwegs am glücklichsten. Es gibt kaum etwas, das mich so
stark im Moment verweilen lässt.
Aber dann erblühten wieder die Träume, die
Hoffnungen, die Ängste. War das Gefühl, niemals ankommen zu wollen, nicht die
größtmögliche Flucht?
Manchmal wusste ich nicht mehr, wo ich hingehörte,
wenn ich mich mehr verloren als gefunden hatte. Wann gelang es mir endlich den
Kreis zu vollenden?
Ganz gleich, wie oft ich mir in den nächsten Tagen
einen einsamen Ort mit eindrucksvoller Aussicht suchte und mich selbst beschwor,
wieder nach vorne zu blicken, es gelang mir nicht. Wie war es nur so weit
gekommen?
Knapp drei Monate zuvor hatte ich beschlossen,
nach all den einsamen Abenteuern dieser Reise, einen Gang runter zu schalten,
und gemeinsam mit einem Freund Südostasien zu bereisen. Ich wollte noch einmal
Luft holen und zu Orten fahren, die mir schon vertraut waren, bevor mich mein
letztes Abenteuer auf die Philippinnen führen würde. Ich hatte mich lange genug
am Limit bewegt. Also reiste ich über Bali und Bangkok direkt mit dem Nachtzug
weiter nach Chiang Mai. Es war fast eine Punktladung. Mein Freund kam aus
Myanmar und ich erreichte die Stadt wenige Stunden später. Die Wiedersehensfreude
war groß. Wir verbrachten einige Tage in Chiang Mai. Wir hatten kleinere
Konflikte, dann verbrachten wir einen Abend, an dem wir uns verbrüderten. Wir
entschieden uns, nach Pai weiter zu reisen.
Ich wusste, dass mein Freund in seiner Ausbildung
zum Neurologen/Psychiater eine schwere Zeit auf einer Akutstation für
Schlaganfallpatienten durchgemacht hatte und gab mir Mühe, Rücksicht darauf zu
nehmen. Ich hatte sogar gehofft, ihm etwas von meinem Spirit mitzugeben, den
ich auf meiner Reise aufgebaut hatte. Doch alles kam völlig anders. Wann immer
ich ein kritisches Wort über die Welt verlor, empfand er das als persönlichen
Angriff. Es wurde schnell offensichtlich, dass er nicht mit negativen Gedanken
jedweder Art konfrontiert werden wollte. Er wollte alles hinter sich lassen und
nur Positives an sich heranlassen. Für mich war das eine Illusion, und ich
konnte gar nicht anders, als mich mit Allem zu beschäftigen, was am Wegesrand
liegt, ob gut oder schlecht.
Zweifellos habe ich auch eine sehr kritische
Einstellung zu den Verhältnissen auf dieser Welt. Und in manchen Phasen neige
ich zu extremer Negativität, aber das war im Moment nicht der Fall. Zugegeben,
ich war nie ein großer Fan von Thailand und daraus machte ich keinen Hehl, aber
ich war auch nur dort, um meinen Freund zu treffen und bald nach Laos und
Kambodscha weiterzureisen. Dazu kam, dass ich ernstlich krank wurde und schon
auf der Fahrt nach Pai Fieber bekam. Wir waren nicht weit entfernt zur Grenze mit
Myanmar. Ich musste an den Journalisten denken, den ich in Indonesien traf. Er
hatte mir erzählt, wie er mit brisanten Bildern von Gräueltaten in der
Grenzregion über die grüne Grenze nach Thailand geflüchtet war, um seine Bilder
zu schützen. Als ich meinem Freund davon berichtete, war er einsilbig. Mich
hingegen beschäftigte noch immer die Frage, wie man solche Erlebnisse wieder
loswerden konnte und bemerkte, dass es einem Psychiater ähnlich gehen musste.
Da hatte ich, ohne es zu wollen, seinen wunden Punkt getroffen. Aus der eisigen
Reaktion meines Freundes zog ich den Schluss, dass es wohl sinnvoll war, wenn sich
jeder in Pai seine eigene Unterkunft suchte und wir öfter eigene Wege gingen.
Dennoch erlebten wir gute Momente zusammen und ich hatte das Gefühl, dass wir
dabei waren, uns zusammenzuraufen. Wie er allerdings zu dem Schluss gelangt
war, mit mir könne man gut Frauen aufreißen, blieb mir rätselhaft. Nun war ich
bei unserer ersten Begegnung vor Jahren in Goa in Höchststimmung, aber wir
hatten uns schließlich in Berlin wiedergetroffen und regelmäßig korrespondiert.
Leider besserte sich mein Zustand kaum. Mein
Freund versprach mir, dass er auf jeden Fall bis zu meiner Genesung auf mich
warten würde. Einen Tag später liefen wir uns im Ort über den Weg und er lud
mich auf ein Bier ein. Dabei eröffnete er mir, dass er genug von der Stadt
hatte und am nächsten Tag weiter ziehen würde. Mit uns würde es auch nicht gut
passen. Dabei hatten wir noch nicht einmal eine einzige anständige Etappe
unserer geplanten Reise zusammen unternommen. Ich war so geschockt, dass ich
kaum ein Wort herausbrachte. Es war offensichtlich, dass es keinen Sinn
machte, ihm seinen Entschluss auszureden. Betteln war das Letzte was ich tun
würde. Ich empfand in diesem Moment nicht einmal Wut, ich fühlte mich nur
verraten, im Stich gelassen und war bitter enttäuscht. Am Abend verabschiedeten
wir uns voneinander. Ich kam mir vor wie im falschen Film. Ich war nur
wegen unserer gemeinsamen Reise nach Thailand gereist. Nun stand alles Kopf und es gelang mir lange nicht, meine tiefe
Enttäuschung über diesen Nackenschlag zu verarbeiten. Gesund wäre sicher
gewesen, die Wut ohne Relativierungen zuzulassen und ihm deutlich zu sagen, wie
beschissen ich sein Verhalten fand, um die Wut danach zu verarbeiten und wieder
abzuschütteln. Es fällt mir extrem schwer, klare Grenzen zu ziehen. Meine
Annäherung an die Welt findet durch Spiegelung statt, und diese empathische
Ader verwischt die Grenzen allzu leicht und es wird fast unmöglich bei den
eigenen Gefühlen zu bleiben. Aber es ist sicher nicht gesund, immer zu
versuchen, für Alles und Jeden Verständnis aufzubringen.
Als mein Freund abgereist war, kulminierte in mir
alles: nach all den unzähligen Grenzerfahrungen, den unglaublichen Strapazen
und den Monaten in der Manie, stand ich ohnehin schon unter dem gigantischen
Druck, meine Reisen zu einem guten Ende zu bringen und zugleich ein neues
Fundament für mein weiteres Leben zu schaffen. Es war schwer genug, dem
standzuhalten. Nun konnte ich einen Gedanken nicht abschütteln:
Hatte es doch an mir gelegen? War es immer noch so schwer, an meiner Seite zu
bleiben? Zweifellos war ich ein Eigenbrödler, gewohnt als einsamer Wolf durch
die Gegend zu ziehen. Ich bin durchaus gerne in der Außenseiterrolle, auch wenn
ich sie einst nicht freiwillig angenommen habe. Und doch war es nicht meine
Absicht, mein Leben lang alleine zu bleiben. Und nur ich wusste, wie viel ich
schon an mir gearbeitet habe. Es fühlte sich an, als wäre alles in den Dreck
gezogen worden.
Zugleich sehnte ich mich so sehr danach, mir
endlich einen Hafen zu schaffen. Doch mein ewiges Getrieben-Sein machte mir
einen Strich durch die Rechnung. Nun befand ich mich im freien Fall.
Da saß ich nun in der Circus School mit den
Pseudohippies, war ernstlich krank, konnte mit Pai nichts anfangen und
verschloss mich. Meine Ernährung wurde elend und außer Kiffen blieb mir nur
Schreiben. Meine Stimmung drehte sich radikal, ich fühlte mich gefangen.
Einziger Lichtblick war die schöne Aussicht von meiner Hütte. Nach knapp zwei
Wochen fühlte ich mich noch immer nicht wesentlich besser, aber ich musste
dringend weg. Alles schien seinen Sinn verloren zu haben. Die Manie schlug in
Depression um. Zugleich fühlte ich mich weiter getrieben, ein gefährlicher
Zustand. Ich konnte mich nicht mehr öffnen. Es hatte Zeiten in meinem Leben
gegeben, als mir nur die innere Emigration blieb und ich meterhohe Trennmauern
um mich errichtet hatte. Egal wie oft ich sie seitdem eingerissen habe, sie
sind immer neu gewachsen. Meine Gedanken begannen zu rasen. Doch ich konnte sie
nicht in Aktion umwandeln. Ich fühlte mich aus der Realität in die
Nichtexistenz gleiten.
Zu allem Überfluss musste ich noch länger auf Geld
warten, um weiterreisen zu können. Irgendwann war ich wieder flüssig und ich zwang
mich wieder auf die Straße. Zunächst fühlte ich mich befreit; endlich kam ich
wieder in Bewegung. Die Reise trug mich noch einmal über den Mekong und ich
blühte auf. Ich lernte eine Reihe wunderbarer Menschen kennen; wir verbrachten
zwei Tage im Heck des Bootes, hörten gute Musik, tranken Bier und Apfelwein,
rauchten Gras und schipperten in einer Art Trance an den grünen Hügeln und den
Felsen entlang, nur durchbrochen von Sandstränden, kleineren Dörfern und den
fernen Bergen – eine der schönsten Landschaften, die ich kennen lernen durfte.
Endlich hatte ich wieder gute Gesellschaft. Wir bezogen gemeinsam ein
ungewöhnliches Gasthaus in Luang Prabang, dem Ziel unserer Schifffahrt. Das
Hotel hatte keine Betten, sondern Futons, wurde von einem Japaner betrieben,
der nach einer Odyssee durch die Welt hier sein Glück gefunden hatte; es
gehörte einem Chinesen. Ich beschloss, mich endlich auszukurieren, bevor ich
weiterzog. So ließ ich die neuen Freunde einen nach dem anderen ziehen und
konzentrierte mich aufs Schreiben. Doch die Depression holte mich schnell
wieder ein. Ich hätte mit den Anderen gehen sollen.
Ich machte es mir aber auch nicht gerade einfach: selbst
die zurückhaltenden Laoten tuschelten über den Sarong tragenden Mann. Ich hatte
mich in Indonesien sehr an das bequeme Kleidungsstück gewöhnt und nichts
anderes mehr getragen. Gegen Ende meiner Zeit in Lombok besaß ich eine
staatliche Auswahl für alle Gelegenheiten und (fast) jede Wetterlage. Doch
inzwischen war es auch ein verquerer Stolz, wegen dem gar nicht in Frage kam,
etwas anderes zu tragen.
Meine Ernährung bestand bald nur noch aus den
Besuchen an den Sandwichständen vor dem Nachtmarkt. Ansonsten schlich ich im
schwindenden Licht durch die dunklen Straßen, um etwas Gras aufzutreiben. Dass
ich mich in einer solch friedlichen Stadt wie Luang Prabang paranoid fühlte,
sagt alles über meinen Zustand. Ich fühlte mich bald wie ein gestrandeter und
bald mittelloser Schriftsteller, der auf dem Balkon eines alten
Kolonialgebäudes am Ufer des Mekong Reportagen schrieb, die ihm zum Durchbruch
oder in den Untergang führen würden. Beat Literature 2.0.
Völlig unerwartet fand ich mich kurz darauf in
einer Romanze mit einer Chinesin wieder. Das erschien völlig irreal, war ich
doch gerade in einem der tiefsten Löcher meines Lebens gelandet. Doch wie es
die Umstände und unser begrenzter Mut erzwangen, war dieses Glück zeitlich
begrenzt. Trotzdem brach uns der Abschied das Herz.
Doch ich musste ohnehin einen friedlichen Ort zum Runterkommen
finden und hoffte ihn nach meinen Abstechern auf den viertausend Inseln und zu
den Ruinen von Angkor dauerhaft an den Stränden der kambodschanischen Küste zu
finden.
Doch es sollte alles ganz anders kommen. Denn auf
der Fahrt von den viertausend Inseln im Süden von Laos nach Siem Raep wurde mir
bei einem dubiosen Umstieg mitten in der Nacht fast alles gestohlen: mit meinem
Bauchgürtel waren Geld, Bankkarten, Personalausweis und Reisepass verloren –
technisch gesehen meine vollständige Identität, die tatsächliche stand auch
schon auf wackligen Beinen. Als ich den Verlust realisierte, hätte ich am
liebsten meinen Kopf an der Scheibe zerschmettert. Ich dachte, ich hätte das
Gröbste hinter mir und nun das. So fuhr ich durch die endlose Nacht nach Siem
Raep. Nur wütende Rapmusik konnte mich halbwegs auffangen. Als wir um vier Uhr
morgens Siem Raep erreichten, hatte ich das große Glück, das mir eine Spanierin
Hilfe anbot und mir die erste Nacht in einem Hotel bezahlte. Am liebsten hätte
ich mich am nächsten Tag wie ein Häufchen Elend auf den Boden gelegt und
gewartet, bis mich die Schakale verspeisen. Aber Aufgeben galt nicht. Also
überzeugte ich in zähen Gesprächen einen der jungen Hotelangestellten, mir
seine Identität zu leihen, um über eine Geldanweisung wieder flüssig zu werden.
Mit dem kostenlosen und schrottreifen Fahrrad des Hotels fuhr ich zur Tourist
Police, um Meldung über den Verlust zu machen. Es sollte aber noch Tage und
einen weiteren Bericht brauchen, bis ich an das Dokument kam, das meinen
Verlust bestätigte und mir ermöglichte bei der deutschen Botschaft in Pnom Penh
einen neuen Pass zu beantragen. Doch ich hielt mich angesichts der Umstände
wacker und nachdem die Überweisung geklappt hatte, beschloss ich mir noch
einmal drei Tage lang die Ruinen von Angkor anzusehen. Ich entwickelte eine
absurde Routine zwischen Hotellobby,
wildem Radfahren auf der Hauptverkehrsschlagader, Abstechern zum
Polizeiposten am Eingang des archäologischen Parks von Angkor und Fahrten durch
die Tempelstätten. Zur Strafe für meine Dummheit fuhr ich alle drei Tage mit
dem Fahrrad in brütender Hitze, etwa 40 Kilometer am Tag. Trotz der ganzen
Anspannung erlebte ich kurze magische Momente in den Ruinen. Dann musste ich
wieder tief in mich hineinlachen, angesichts der skurrilen Situation, nach
Marktmaßstäben vogelfrei durch die Ruinen zu radeln und nichts zu besitzen
außer einem Päckchen Gras, um davon zu fliegen.
Danach musste ich in die Hauptstadt. Gerne hätte ich auch dieses Mal Pnom Penh gemieden, doch ich hatte keine Wahl. Dafür ging die Beantragung des neuen Passes erstaunlich schnell: innerhalb von zwei Tagen hatte ich einen vorläufigen Reisepass. Danach musste ich zum Flughafen, um ein neues Visum zu beantragen, ohne konnte ich Kambodscha nicht wieder verlassen. Bis das Visum ausgestellt war, würde es ein paar Tage dauern und so machte ich mich am nächsten Tag auf zur Küste. Ich verbrachte fünf Tage am Otres Beach und genoss einen der Vorzüge des korrupten Landes – die Verfügbarkeit von Marihuana, das offen an Bars verkauft wurde. Ich fand in einem russischen Paar angenehme Gesellschaft, doch es fiel mir schwer, abzuschalten und das Meer zu genießen. Bald verschwand ich hinter einer dichten Rauchwolke.
Danach musste ich in die Hauptstadt. Gerne hätte ich auch dieses Mal Pnom Penh gemieden, doch ich hatte keine Wahl. Dafür ging die Beantragung des neuen Passes erstaunlich schnell: innerhalb von zwei Tagen hatte ich einen vorläufigen Reisepass. Danach musste ich zum Flughafen, um ein neues Visum zu beantragen, ohne konnte ich Kambodscha nicht wieder verlassen. Bis das Visum ausgestellt war, würde es ein paar Tage dauern und so machte ich mich am nächsten Tag auf zur Küste. Ich verbrachte fünf Tage am Otres Beach und genoss einen der Vorzüge des korrupten Landes – die Verfügbarkeit von Marihuana, das offen an Bars verkauft wurde. Ich fand in einem russischen Paar angenehme Gesellschaft, doch es fiel mir schwer, abzuschalten und das Meer zu genießen. Bald verschwand ich hinter einer dichten Rauchwolke.
Langsam zollte die Anspannung ihren Tribut und ich
wusste langsam nicht mehr, wo oben und unten ist. Doch nun musste ich wieder
zurück nach Pnom Penh. Der Bus fuhr sogar am Flughafen vorbei und ich ließ mich
spontan dort rausschmeißen und erhielt meinen Pass mit Visum zurück. So konnte
ich unmittelbar meine Reise nach Siem Raep fortsetzen. Von dort aus hatte mir
mein Bruder einen Flug auf die Philippinen gebucht und auch der Rückflug von
dort nach Deutschland war bereits gebucht. Am späten Abend war ich wieder
zurück im angestammten Hotel.
Nun konnte ich endlich noch einmal Angkor in Ruhe
besuchen. Doch wieder weit gefehlt. Ich hatte zwar noch einmal eine Geldüberweisung
vereinbart, doch ich hatte die Rechnung ohne den Wirt, respektive die Banken
und Western Union gemacht. Mein neuer Pass enthielt nun alle meine Vornamen und
so konnte ich das Geld nicht in Empfang nehmen – Empfängername und Pass müssen
exakt identisch sein. Also bat ich meinen Vater darum, die Überweisung
entsprechend abzuändern. Nun musste es doch klappen; Musste es nicht! Denn beim
Buchstabieren hatte sich ein kleiner Fehler eingeschlichen und ein Buchstabe in
einem der Vornamen fehlte – genug um mir die Auszahlung erneut zu verweigern.
Das Problem war wieder akut: am nächsten Tag war Sonntag, der Tag an dem ich
fliegen sollte und es schien so, als wäre es unmöglich, den Namen noch einmal
zu ändern. Ohne Geld keine beglichene Hotelrechnung - und damit kein Flug. Nun wusste
ich auch nicht mehr weiter und war am Boden zerstört. Ich saß in der Hotellobby
und rang nach Luft, das konnte doch alles nicht wahr sein. Nun hatte mich auch
das letzte Bisschen Coolness verlassen.
Doch es gab noch eine nicht mehr erwartete glückliche
Wendung und schließlich konnte ich tatsächlich das Geld in Empfang nehmen,
meine Schulden begleichen und mit einem offensichtlich betrunkenen
Scooterfahrer durch die wegen dem Neujahrsfest völlig verstopften Straßen
hindurch zum Flughafen gelangen.
Diese Hypothek hatte mich auf den Philippinen
endgültig eingeholt.
Von Siargao reiste ich zurück nach Mindanao, um
Camiguin zu erreichen. Wieder fuhr ich durch unbekanntes Terrain, einen
einzigen Touristen sah ich an diesem Tag. Als es dunkel wurde war ich immer
noch in einem Bus unterwegs und hatte nichts weiter im Kopf, als den Ort, an
dem ich aussteigen musste, um die Fähre nach Camiguin zu erreichen. Gab es dort
Unterkünfte? Oder musste ich irgendwo draußen übernachten? Selbstbewusstsein
sieht anders aus!
Ich hatte mich wohl eindeutig zu weit weg begeben, zu
lange in der Fremde verbracht, zu wenig mit anderen Menschen geteilt. Die
Einsamkeit bekam mir nicht, aber ich konnte sie auch nicht durchbrechen.
Es war schon lange dunkel, als ich Balingoan erreichte.
Nachdem ich eine Zelle zum Schlafen aufgetan hatte, war ich unglaublich
erleichtert.
Am nächsten Morgen setzte ich über. Camuguin ist
wunderschön, gekrönt, gesegnet und verflucht von sieben Vulkanen. Dabei kann man
die Insel in wenigen Stunden umrunden. Die Menschen waren unglaublich
freundlich. Doch auch diese Insel war auch nicht die richtige für mich. Auf
Camiguin traf ich hauptsächlich auf Touristen, die zum Tauchen gekommen waren
und über deutlich mehr Geld verfügten. Und dann gab es die, die sich hier mit einer
Philipina kurzzeitig oder dauerhaft niedergelassen hatten. Viele Einheimische
zeigten sich überrascht, dass ich nicht auch eine Einheimische an meiner Seite
hatte. Widerlich genug, dass dies ein Geschäftszweig ist, echte Liebe
ausgenommen. Aber wie konnte es sein, dass das allgemein akzeptiert war? Das
gehört zu den Dingen, die ich in einigen asiatischen Ländern wohl niemals
akzeptieren kann.
Meine erste Unterkunft war ein Raum mit drei schmalen
Stockbetten. Zumindest extrem billig. Als ich aber am Abend ein Bier vor der
Pension trank und etwas Musik hörte, erblickte ich etwas, dass mir gar nicht
gefiel. Ich brach in schallendes, zynisches Gelächter aus. Direkt vor dem
Fenster meines Zimmers sah ich sechs Kampfhähne sitzen. Ich ahnte was das
bedeuten würde. Es war noch schlimmer. Um drei Uhr morgens machten sie einen
solchen Lärm, das an Schlaf nicht zu denken war. Drei Stunden später wurde ich
von einem jungen Führer abgeholt, mit dem ich den Hibok-Hibok, einen der
Vulkane der Insel besteigen würde.
Trotz der Müdigkeit und der überschaubaren
Konditions-Übungen der letzten Zeit, ging der Aufstieg gut vonstatten. Der
Blick von oben auf die Küstenlinie und die vorgelagerte Insel „White Island“
war grandios und von hier aus konnte ich auch sehen, dass die Hauptstadt,
die mir in meinem klaustrophobischen Zustand so groß vorgekommen war, nichts
weiter als ein winziges Nest war. Wir stiegen hinab zu einem See, der von Regenwasser gespeist wird
und in einer unwirklichen, tiefgrünen Dschungellandschaft eingebettet liegt. Am
eigentümlichsten an solchen Orten finde ich die Stille. Abgesehen von
Vogelgezwitscher hörten wir keinen Laut. Und man kann diese Stille hören.
Zumindest fühlt man den Druck in den Ohren, die immer daran gewohnt sind, eine
dauerhafte Geräuschkulisse wahrzunehmen. Das war dann aber auch schon das große
Highlight auf der Insel.
Am dritten Tag hatte ich es an einen Strand geschafft
und eine bezahlbare Hütte gefunden. Der Nachteil: es hab keine Küche, keine
anderen Touristen und auch sonst nichts. Und ich kam aus meinem Gedankenchaos
auch nicht mehr raus. Höhepunkt der Tristesse war, als ich meine Ernährung
weitgehend einstellte und bestenfalls noch flüssig Brot konsumierte. Wenn ich
dann betrunken den Sonnenuntergang betrachtete, rammte ich mein Messer in
Konservendosen mit Tunfisch und fraß sie mit einer Art Brot. Das war der
endgültige Tiefpunkt. Und nun überfiel mich alles. Hatte ich dem Druck in
Kambodscha noch erstaunlich gut standgehalten und auch die Panikattacken auf
Siargao einigermaßen weggesteckt, war es nun so weit. Ich konnte schon lange
nicht mehr halbwegs schlafen, beschäftigte mich entweder mit meinem grandiosen
Scheitern oder der unmöglichen Zukunft und fühlte mich so unlebendig wie schon
ewig nicht mehr.
Ich hatte mich völlig überfordert. Die Folgen
waren Paranoia, Rückzug, Zukunftsängste, Depressionen, und Verzweiflung in
grenzenloser Einsamkeit, verstärkt durch meine körperliche Anwesenheit an
völlig abgelegenen Orten. Verzweifelt hielt ich nach dem Ort Ausschau, an dem
sich alles noch mal drehen würde; doch mein inneres Chaos machte das Finden
eines solchen Ortes unmöglich. Auf dieser letzten Etappe wurde mir noch einmal
besonders bewusst, wie weit ich mich von meinem alten Leben entfernt hatte, dass
ich Grenzen überschritten hatte, die keine Umkehr erlauben. Ich spürte in aller
Konsequenz, dass ich ein Getriebener bin, vielleicht ein ewiger Wanderer.
Tragisch daran war, dass ich keinen Ort gefunden hatte, an dem ich auftanken
konnte und keine Grundlage, die mir ein unabhängiges Leben ermöglichte.
Eines Abends wurde alles zu viel. Ich lag in meiner Hängematte
an diesem eigentlich wunderschönen Ort und wusste nicht mehr weiter. Ich konnte
nicht mehr. Und da überfielen mich die Gedanken aus der Vergangenheit. Ich
fühlte mich lebensmüde. Ich wusste, dass es so nicht mehr weitergehen konnte.
Das bestürzende war, dass ich mir zwei Jahre zuvor mit meinem ersten Buch all
die dunklen Zeiten von der Seele geschrieben hatte. Doch sie holten mich noch
immer ein, wahrscheinlich reinszenierte ich sie unbewusst. Hatte ich
gedacht, die Dämonen gebannt zu haben, dann wusste ich nun, dass es höchstens
ein Schritt dahin gewesen war.
Als ich die Insel mit dem Mut der Verzweiflung wieder
verlassen wollte, musste ich feststellen, dass für Tage die Fähre ausgebucht
war. Das hatte ich vor fünf Jahre zuvor in Paros schon einmal erlebt. Offenbar
erlebte ich den Wahn meiner ersten Reise noch einmal am Ende. Das war eine
komische Art einen Kreis zu schließen. Aber vielleicht war es auch so: ich hatte
immer gehofft, irgendwann richtig satt vom Reisen und Suchen zu sein. Vielleicht
sollte ich lieber wieder nach Griechenland reisen, als mich 12.000 Kilometer
von meinen Wurzeln und Freunden zu wissen. Vielleicht brauchte es diese
schreckliche Erfahrung noch einmal, um ohne Bedauern heimgehen zu können. Und
erst dann wieder über Indien oder Indonesien oder Südamerika nachzudenken, wenn
es gesund war und ich eine Basis gefunden hatte. Das würde nicht alles auslöschen,
was ich an Gutem erlebt hatte, aber im Moment konnte ich nicht darauf zugreifen.
Mein letzter Tag auf Camiguin war zumindest ein halbwegs versöhnlicher
Abschluss. Ich mietete einen Scooter, umrundete die Insel und war begeistert
wieviel Freundlichkeit mir dabei begegnete!
Die letzte Episode fand am Alona Beach auf der kleinen
Insel Panglao südlich von Bohol statt. Auf dem Weg atmete ich das letzte Mal
richtig durch. Das schien absurd. Eigentlich wollte ich nicht mehr weiter herumirren,
doch dann waren es gerade die Fahrten zwischen den Orten, die in mir auf der
einen Seite besondere Beklemmung erzeugten, mir auf der anderen Seite aber auch
die wenigen verbliebenen Glücksmomente bescherten. Vielleicht war es so: Ich
gehörte nicht mehr richtig nach Deutschland, nun hatte ich in der Fremde meine
Grenzen erfahren, und mit den Touristen, die einen sorglosen Urlaub erleb
wollten, hatte ich auch nicht viel gemein.
Alona war für mich wie das Fegefeuer. Es war einer der
touristischen Orte, die ich verabscheue. Ich hatte gehofft, hier wieder
Anschluss zu finden und einen Platz zu finden, an dem ich nichts tun musste,
außer essen, schlafen, lesen und am Strand dösen. Doch die Vollendung des
Kreises dieser Reise blieb mir verwehrt. Ich
hatte zu lange auf dem Drahtseil balanciert.
Am Ende kam es mir vor, als müsste ich mich selbst
aus einem Krisengebiet evakuieren. Die Reise zurück nach Deutschland war eine
der längsten Nächte meines Lebens. Von Manila bis zur Landung in Frankfurt war
eine einzige Dunkelheit. Wir flogen vor der Sonne davon. Diese Schwärze war
eine Metapher für die Ungewissheit meiner Zukunft. Ich konnte doch nicht immer
als Getriebener durch die Weltgeschichte irren, angetrieben von fiebrigen
Träumen und der Hoffnung, die Welt zu verändern.
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