Auf dem ersten Teil meiner Wanderung hatte ich viel Einsamkeit erlebt und war meist ganz auf mich selbst zurückgeworfen. Das war eine zugleich anstrengende und bereichernde Erfahrung. Die Intensität auf diesem Abschnitt war der Schlüssel zu den außergewöhnlichen Erfahrungen, die ich auf dieser Wanderung machen durfte. Auf dem letzten Teilstück traf ich mit Johannes einen kongenialen Partner. Das war ein weiterer Glücksfall. Wer den ersten Teil vorab lesen möchte, findet ihn hier: von Jiri nach Shurke. Der zweite Teil führt mitten ins Hochgebirge:
Der Ama Dablam |
Shurke-Bengkar
Am Tag nach unserem feuchtfröhlichen Kennenlernen,
stapften Johannes und ich mit schweren Köpfen auf den zweiten Teil unserer Wanderung.
Die Schmerzen in meinem Knie hatten kaum nachgelassen, doch die Begleitung gab
mir einen erheblichen Motivationsschub. Wir wählten eine Route, die an Lukla
vorbeiführte, und betraten kurz danach die gut ausgebaute Hauptroute zum
Everest Base Camp.
Wir waren geschockt. Erst angesichts des Kontrasts
wurde richtig erfassbar, welcher Genuss in der Stille und der mangelnden
Ablenkung auf unserem bisherigen Weg gelegen hatte und wie wenig die seltene
Begegnung mit anderen Wanderern einen Verlust bedeutet hatte. Wir hatten uns
Ganz auf das Wesentliche konzentrieren können – die Intensität der Sinneseindrücke
hatte uns tief im Innern berührt. Ich hatte die Naturelemente noch nie so
unmittelbar erlebt und das hatte einen intensiven Widerhall in meinen Gedanken-
und Gefühlswelten gefunden.
Von einem Moment auf den anderen war es mit dem
himmlischen Frieden vorbei. Wir kamen vor, als wären wir auf einem Rummelplatz
gelandet: Der ungewohnte Lärmpegel war sehr befremdlich:
Stimmen schnatterten durcheinander, grelles Lachen ertönte, die unvermeidlichen
Teleskopstangen klackerten auf dem Boden im Takt und aus einem Gasthaus an der
Kreuzung dröhnte grauenvolle Popmusik. Drinnen saß ein Mann von solch
voluminösem Körperumfang, das wir uns fragten, ob man die Hütte um ihn herum
errichtet hatte und wie er wohl hierhergelangt sein mochte. Ein Blick auf die
Preistafel verdeutlichte, dass sich die Preise innerhalb weniger hundert Meter
verdoppelt hatten. Wir tranken nur einen Tee.
Als wir wieder ins Freie traten, erblickten wir
Wanderer, die aussahen als wären sie in ihrer Funktionskleidung kurz davor eine
Mondmission in Angriff zu nehmen. Träger schleppten Unmengen an Gepäckstücken
hinterher. Mancher Tourist mühte sich redlich, mit der Videokameras nur ja
keinen Schritt für die Nachwelt undokumentiert zu lassen. Wir waren gerade
einmal eine Woche am Rande der Zivilisation unserer Wege gegangen – und fühlten
uns wie Autisten in einem 3D-Kino. Wie hatten wohl die Synapsen getanzt, als Mogli die
Lichter der Stadt erblickt hatte?
In jedem Fall hatten wir einen Kulturschock – doch
war das nicht unsere Kultur?
In der nächsten Ortschaft konkurrierten mehrere
Läden mit Poolbillard. Seit einer Woche hatten wir keinerlei Kühlschränke
gesehen – nun waren sie prall gefüllt mit den Verheißungen der Konsumindustrie
– Softdrinks und Schokoriegel lachten uns von weitem an. Von einem klugen Mann
las ich einmal den Satz, welch großer Unterschied zwischen Verzicht und einem
erloschenen Verlangen besteht. Das traf es - die Konsumgüter reizten uns
durchaus und wir delirierten scherzhaft über einen Überfall auf einen der prall
gefüllten Kühlschränke. Auf dem ersten Teil der Wanderung hatte sich das
Angebot an Luxusgütern meistens auf ein paar verstaubte Dosen Cola in einem
Bretterschlag mit einem verwitterten Hinweis auf den SHOP beschränkt. Doch wir beschlossen
bei unserem einfachen Leben zu bleiben und uns weiter in Verzicht zu üben. Wir
schöpften weiterhin unser Wasser aus den Flüssen. Nach einer Desinfektion wurde
es trinkbar. Das schien weitaus besser zu sein, als drei oder vier
Plastikflaschen am Tag zu hinterlassen, was zu deutlich sichtbaren Folgen führte.
Wir wollten der Gier, die uns die Suggestion der Werbung seit Ewigkeiten eintrichterte,
auf dieser Wanderung bewusst entsagen. Es war tröstlich, dass wir das Befremden
ob des Treibens um uns herum teilten. So schufen wir unseren eigenen Kosmos, orientierten
uns weiter an der Natur und ignorierten die blinkenden Lichter so gut es ging
oder machten unsere Scherze darüber.
Unsere Ernährung bestand aus verschiedenen
Variationen aus Kartoffeln, Reis, Gemüse, Eiern und Schwarz-, Milch-, Ingwer-
oder Pfefferminztee.
Johannes befand am Anfang seiner großen Reise. Er
war in einem Selbstversorgerhof in der Steiermark aufgewachsen und war voller
Energie und Abenteuerlust und besaß gleichzeitig ein sehr feines Gespür für
Andere und kam schnell mit den Nepali in Kontakt. Es war sehr interessant,
unsere Erfahrungen aus Nepal zu vergleichen. Nach Indien würde er erst noch
reisen, doch er war vor Jahren in Sri Lanka gewesen. So konnten wir uns gut in
die Geschichten des Anderen hineinversetzen. Gewisse Erfahrungen verbinden
ungemein. Schnell schien es, als würden wir uns schon seit Ewigkeiten kennen. Unser
Humor bewegte sich zwischen Lakonie, Schmäh und Abgrund. Am Abend fanden wir ein Gasthaus, dessen gemütlicher
Aufenthaltsraum von einem Kamin beheizt wurde. Seit längerem wurden die Knochen
mal wieder richtig warm. Das war nun wirklich Luxus.
Bengkar-Namche
Der Anstieg nach Namche am nächsten Tag war einer
der anspruchsvollen. Die gerade in Lukla gestarteten Wanderer taten uns fast
leid. Ich musste weiter auf die Zähne beißen, doch Johannes drosselte sein
Tempo ein wenig, so dass ich Schritt halten konnte. Immerhin waren die
Schmerzen bergauf besser zu ertragen. Unterwegs begegnete uns eine ausgesprochen
ungewöhnlichste Person. Da liefen wir schwer atmend den Berg hinauf und wurden
plötzlich von einer jungen Frau überholt, die locker an uns vorbeischwebte. Am
nächsten Rastplatz vollführte sie ein Aerobic-Programm, das mich an unsägliche
Videos aus den 80`ern erinnerte. Trotz der Kälte trug sie ein bauchfreies Top
und wir bemerkten boshaft, dass ihr Gepäck nur aus einem Vorrat an Lippenstift
zu bestehen schien. Ich hätte sie mir ohne weiteres an einem Partystrand oder
in einer Diskothek vorstellen können. In dieser Umgebung wirkte sie reichlich deplatziert
- so als käme sie von einem anderen Stern. Sie war einfach unübersehbar und war
sich dieser Wirkung durchaus bewusst. Ein späterer Begleiter war mit ihr im
selben Flugzeug in Lukla gelandet. Er erzählte wie sie nach der Landung völlig gedankenverloren
in ihn hineingestolpert und ihm dann in einer segnenden Geste ihre Hand auf den
Kopf gelegt und ihn großmütig angelächelt hatte. Sie erschien seltsam entrückt.
Kurz vor unserem Ziel hatten wir eine weitere
Erscheinung – ein junger Wanderer tauchte aus dem Nichts auf – bekleidet mit
einer Badehose, Badelatschen und einer Zipfelmütze – ein amüsantes und durchaus
unerwartetes Bild. John kam aus Schweden und war ein lustiger Bursche. Gemeinsam
bezogen wir ein Gasthaus.
Namche Bazaar
Namche ist wie ein
Amphitheater in den Hang gebaut und liegt auf 3400 Metern. Der Ort ist das
Nadelöhr für alle Trecks in der Everest-Region. Die spezielle Lage verleiht dem
Ort einen
natürlichen Charme. Gleichzeitig bestätigte sich, was wir gehört hatten: Der Ort
war auf eine Wiese kommerzialisiert, das uns schlecht wurde. Neben zahllosen
Ausrüstungsläden, Restaurants und riesigen Lodges, waren es die Supermärkte mit
ihrer beachtlichen Auswahl an Luxusgütern, die uns am meisten irritierten.
Ab Namche mussten wir zwecks weiterer
Höhenanpassung langsamer werden. Dennoch beschlossen wir in Namche keinen
Rasttag einzulegen – wir wollten so schnell als möglich diesen Ort hinter uns
lassen. Die Nacht hier zu verbringen, war jedoch das
Allermindeste für die Akklimatisierung.
Sehr ärgerlich war, dass der dortige Geldautomat
nur ein Phantom ist. Er wird in allen Reiseführern beschrieben und daher hatten
wir nicht genug Geld für den ganzen Trip mitgenommen, um hier unsere Devisen
aufzufrischen. Ich war bis auf umgerechnet 10 Euro blank. Doch wie wir erfuhren,
funktioniert dieser Geldautomat fast nie. Es gibt einige Anhaltspunkte, dass
dieser Umstand kein Zufall ist. Denn seine Dysfunktion schafft
ein ganz eigenes Geschäftsfeld. Wir
hörten, dass es die Möglichkeit gäbe, über eine Kreditkarte an Geld zu kommen.
Eins solche besaß ich notgedrungen, da sich Flüge oft nur mit ihrer Hilfe
buchen ließen.
Bevor wir uns näher
informieren wollten, streiften wir durch
ein Ausrüstungsgeschäft. Ich bat den
Verkäufer einige Kleinigkeiten zurückzulegen, da wir zunächst Geld besorgen müssten. Doch
er wusste selbst Rat. Er könne uns gegen die hier übliche Servicegebühr von
10 Prozent eine überhöhte Rechnung schreiben und uns die Differenz auszahlen.
Da wir schon wussten, dass diese Bedingungen überall galten, erklärten wir uns
einverstanden. Und so nahm das kuriose Schauspiel seinen Lauf: Der Mann tätigte
einen kurzen Anruf und keine zehn Minuten später betrat ein Mann mit zwei
Plastiktüten den Laden. Aus der einen zog er einen abgezählten Stapel
nepalesischer Rupien, aus der anderen ein Kreditkartenlesegerät. Wir staunten
nicht schlecht. Ein hübscher Nebenerwerb. Im
Nachhinein fragten wir uns, wo wohl der geheime Ort liegen mochte, an dem all
die Barreserven lagerten. Eine regelrechte Mafia musste dahinter stecken.
Da ich zur Sicherheit über
eine aufladbare Kreditkarte verfügte und nur Geld für den Rückflug von Lukla
nach Kathmandu einkalkuliert hatte, würde es für mich sehr eng werden. So
kaufte ich mir nur einen Teleskopstock - von dem erhoffte ich mir etwas
Unterstützung für das Knie. Eine einseitige Unterstützung war aus finanziellen
Gründen durchaus sinnvoll, aber aus Balancegründen nicht wirklich vertretbar.
Namche-Tengboche
Am nächsten Tag
verabschiedeten wir uns von John, der sich vernünftig
akklimatisieren wollte. Johannes und ich stiegen die steilen Gassen des Orts
hinauf und ließen ihn schließlich hinter uns. Der Blick auf die Umgebung
weitete sich, doch der Himmel verfinsterte sich nach kurzer Zeit
wieder.
Eigentlich war mein Ziel
nicht das Everest Base Camp. Stattdessen wollte ich zu den Bergseen bei Gokyo
ausweichen, um den größten Touristenströmen zu entkommen. Außerdem sollte der
Blick von dort noch imposanter sein, da man ein ganzes Panorama von Bergen überblicken
konnte. Doch als die Weggabelung immer näher rückte, fragte ich mich, ob ich
wirklich wieder alleine meiner Wege gehen wollte. Schließlich entschied ich
mich, gemeinsam mit Johannes nach Tengbotsche weiter zu laufen und nach einem
Ruhetag über einen Umweg auf meine Route zu gelangen.
Das Wetter wurde immer trostloser und schließlich
begann es in Strömen zu regnen. Wir retteten uns in eine Lodge. Der Besitzer
wollte uns unbedingt davon überzeugen, dort abzusteigen. Wir wollten erst
einmal abwarten, ob sich das Wetter nicht besserte. Die Tür öffnete sich und
ein völlig abgehetzter und schwer nach Luft schnappender Japaner erschien auf
der Bildfläche. Da wir gerade über eine Landkarte gebeugt waren, zeigte er uns,
welche Route er in den letzten Tagen absolviert hatte. Er hatte riesige
Strecken in kürzester Zeit zurückgelegt und an eine Höhenakklimatisation wenig
Gedanken verschwendet. Stattdessen setzte er prophylaktisch auf die Einnahme
von Diamox – einem Medikament, das die Produktion von roten Blutkörperchen
beschleunigt. Das mochte das Risiko zwar ein wenig senken, dennoch war es sehr
befremdlich sich in der Freizeit zu dopen. Zumal es ein Spiel mit dem Feuer bleibt. Die
Höhenkrankheit kann extrem gefährliche Auswirkungen haben und bis zum Tode
durch ein Hirnödem führen.
Die Symptome treten mit Verzögerung auf und wenn
man sie bemerkt ist es oft schon zu spät, zumal sie mit schwerer Verwirrung und
Gleichgewichtsstörungen einhergehen. Doch wir hörten Geschichten von Touristen,
die sich mit Hubschrauber direkt in die Nähe von Namche einfliegen lassen, um
sich dann auf einem Pferd noch höher bringen zu lassen. Gerade Japaner, die
ihre kurzen Urlaube optimal ausnutzen wollen, tun sich dabei hervor und riskieren
alles. Es verging nun kein Tag mehr, an dem wir nicht mehrere Helikopter
hörten, die Touristen in Lebensgefahr in tiefere Lagen ausfliegen mussten.
Höher, schneller, weiter…
Als wir erfuhren, dass in Kürze eine größere Gruppe
von Koreanern erwartet wurde und die Inhaber der Lodge damit begannen Schirme
aufzuspannen und teure Souvenirs auszulegen, ergriffen wir die Flucht. Jene
Reisegruppe hatten wir schon in Namche gesehen. Sie filmte ihren ganzen Trip ununterbrochen.
Rette sich wer kann!
So
stiegen wir bei sehr schlechtem Wetter nach Tengbotsche auf. In scheinbar endlosen Serpentinen schraubte sich
der Weg nach oben. Ich fühlte mich wie eine altersschwache
Dampflok, die Kette rauchte. Unterwegs begegneten wir einem Russen, der uns
schon zuvor aufgefallen war. Er schleppte einen 120l-Rucksack (!) auf seinem
breiten Kreuz und war mit einer Videokamera bewaffnet, die – wie wir bei der
letzten Begegnung registriert hatten – benutze, um wahllos in Gasthäuser aber auch
Privathäuser herein zu stolpern und darin zu filmen. Womöglich wähnte er sich
in einer Fassadenstadt und hatte nicht verstanden, dass hier wirklich Menschen
wohnten. Eine schwer zu schlagende Ignoranz. Er wirkte merkwürdig unbeteiligt und
es schien ein wenig, als wolle er sich mit der Kamera die Realität auf Distanz
halten. Als er außer Hörweite war, klagte uns sein Führer sein Leid. Es war
sicher kein Zuckerschlecken mit diesem kantigen und wortkargen Brummbär
unterwegs zu sein. Laut seinen Schilderungen besaß er die Empathie eines
Stahlrohrs. Am nächsten Morgen trafen wir seinen Führer erneut und waren
erstaunt zu erfahren, dass er seinen ungeliebten Auftraggeber unter einem
Vorwand stehen gelassen hatte. Er verzichtete lieber auf das Geld anstatt in
den Wahnsinn getrieben zu werden…
Als wir schon ziemlich weit aufgestiegen waren,
riss plötzlich die Wolkendecke auf, die Sonne brach durch und gab innerhalb weniger Augenblicke den Blick auf
die Umgebung frei, die man zuvor nicht mal erahnen konnte. Staunend standen wir
vor dem Panorama. Meine Versuche, das was sich vor uns abspielte in Worte zu
fassen, versandeten in sinnlosem Geplapper. Die Zeit stand still. Der Moment
erschien umso intensiver als wir ihn teilen konnten.
Nachdem wir die letzten
hundert Meter hinter uns gebracht hatten und das mit Dämonen in schrillen
Farben bemalte Tor durchschritten hatten, war es endgültig um uns geschehen.
Der Wind hatte die Wolken fast vollständig davongeblasen. Vom Plateau, das wir
erreicht hatten, bot sich ein Blick in alle Himmelsrichtungen und zum ersten
Mal konnten wir die ganze Majestät der Berge vor uns liegen sehen. Wir genossen
den Anblick so lange bis die Sonne untergegangen war und die Kälte unerträglich
wurde.
Tengboche
Auf diesem Plateau auf 3800 Metern Höhe, befindet sich das buddhistische Kloster Tengboche.
Außerdem gibt es eine Handvoll Gasthäuser. Wir fanden in einem angenehm abseits
stehenden Gasthaus das letzte freie Zimmer. Als wir im Gastraum
saßen, betrat ein kleinwüchsiger Mann die Szene, der einen für seine
Körpergröße völlig überdimensionierten Rucksack trug. Sein Kopf war hochrot,
als würde er gleich platzen, und er japste dermaßen nach Luft, dass man sich
nur um ihn sorgen konnte. Doch anstatt sich hinzusetzen, lief er wie
Rumpelstilzchen aufgeregt durch den Raum und seine Unruhe schien nicht kleiner
zu werden. Manchmal fragten wir uns, ob die Leute wirklich wussten, was sie
hier oben taten. Als ich ihn Tage später fast tausend Meter höher wieder sah,
war ich verwundert, dass er durchgehalten hatte.
Im Raum saßen außerdem zwei Liverpooler, die ein
wenig durchgeknallt wirkten. Als wir ihnen auf dem Anstieg nach Tengboche
begegnet waren, hatten sie uns stolz und fröhlich verkündet, sie seien die
langsamsten Wanderer aller Zeiten. Das hing wohl nicht unwesentlich mit ihrem
erheblichen Marihuanakonsum zusammen. Es schien, als seien sie direkt aus den
60`ern hierher teleportiert worden und rein optisch hätten sie sofort bei den
Beatles mitspielen können. Ich habe noch nie Menschen zugehört, bei denen
„dude“, „Hey, man“ und ähnliche Floskeln so wesentliche Bestandteile der
Kommunikation waren…
Kurze Zeit später saßen
wir wieder draußen auf einer Holzbank hinter dem Gasthaus. Sie stand ganz am
Rande eines jähen Abgrunds. Wir betrachteten die vom Mondlicht silbrig
erleuchteten Berge, die in ihrer konturenhaften Zeichnung noch eindrücklicher
wirkten. Über uns zeigten sich tausende Sterne in ihrer ganzen Pracht. Die
Milchstraße war deutlich zu erkennen. Selten war uns der Himmel so nah
erschienen.
In Tengboche mussten
wir eine Pause einlegen; ein schnelleres Aufsteigen wäre gefährlich gewesen.
Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich über diesen Rasttag war. Inzwischen war ich 12 Tage am
Stück gelaufen. Vom späten Vormittag bis in die Dunkelheit. Johannes hatte das
erste Teilstück wesentlich schneller absolviert. Generell war er in besserer
Kondition und als leidenschaftlicher Kletterer weitaus besser vorbereitet. Doch
auch er freute sich über die Pause.
Unser Hippieleben hatte auch ihre Schattenseiten. Heißes
Wasser für eine Dusche kostete hier 3 Dollar, die wir uns sparen wollten. So
baten wir den Hausherrn um einen Eimer kaltes Wasser. Er war ausgesprochen
amüsiert - das kam wohl auch nicht alle Tage vor. Ich bestieg den klapprigen
Bretterverschlag in dem mir schon ohne das Wasser arschkalt war. In dem Bottich
schwammen Eisklumpen, die mir signalisieren sollten, das ich den Verstand
verloren hatte. Während sich Johannes im Anschluss mit 3
Litern Wasser für die Körperwäsche begnügen würde, verstand ich das als
Wettbewerb zweier Idioten und jagte mir 40l des eiskalten Nass Becher für
Becher über den Körper. Ich fühlte mich, als müsste ich sterben. Das eisige
Wasser über den Kopf und Rücken zu gießen, war mehr als grenzwertig. Ich fühlte
ein fürchterliches Ziehen am Hinterkopf und mein Körper versuchte verzweifelt,
die Körperoberfläche zu verringern. Wenigstens
schien seit einer gefühlten Ewigkeit wieder die Sonne, so dass wir gleich
wieder trocken waren. Die warme Höhensonne war eine Wohltat. Als wir uns ein
wenig die Beine vertraten, stießen wir auf John, der gerade Tengboche erreichte.
Auch er fand einen Platz in unserem Gasthaus. Ich informierte mich beim Hausherrn über die Verbindungsstrecke zur
Route nach Gokyo. Offenbar handelte es sich um ein extrem anstrengendes
Teilstück mit heftigem Ab- und Aufstieg und so beschloss ich schließlich doch
Richtung Base Camp des Everest weiterzulaufen und in Gesellschaft von Johannes
und John zu bleiben, der sich uns ebenfalls anschließen würde.
Da
wir dringend unsere Wäsche waschen mussten, suchten wir nach einem geeigneten
Waschplatz. Im Ort ließ uns keiner sein Wasser benutzen und so mussten wieder den
Berg absteigen. Dort wuschen Johannes, John und ich wie die Waschweiber unsere
Sachen an einer offenen Wasserleitung. Die Nepali, die als Teil verschiedener
Reisegruppen, an uns vorbeikamen amüsierten sich prächtig und setzten sich
feixend zu uns. In den organisierten
Trecks musste man sich um nichts kümmern und Männer, die ihre Wäsche selbst
wuschen, hatten sie offenbar noch nicht gesehen. Zurück beim
Gasthaus, hängten wir unsere Kleider in die Sonne. Dummerweise begann es kurze
Zeit später wieder zu regnen und so blieben unsere Sachen klatschnass.
Den
Rest des Tages verbrachten wir mit einer kleinen Wanderung, die uns auf einem
schmalen Pfad durch ein dichtes Astgeflecht eines Rhododendronwaldes führte.
Tengboche-Dingboche
Am nächsten Tag packten wir die nassen Klamotten
wieder ein und machten uns auf den Weg. Johannes lieh mir
seine Fleece Jacke. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, in den nächsten Tagen
einige harte Routen zu wählen und wollte sich für die harten Pässe abhärten.
Ich war sehr dankbar und hätte ansonsten erbärmlich gefroren. Nachdem wir die
nächste Ortschaft durchquert hatten, überquerten wir die Baumgrenze. Fortan
sollten nur noch einzelne Sträucher am Wegesrand stehen und schließlich ging
die Landschaft in karge Geröllfelder über. Es wurde extrem neblig, so dass wir gerade
die Hand vor Augen erkennen konnten. Es war als tasteten wir uns auf einem
Terrain entlang, das jenseits dieser Welt lag. Wir hatten bald keine Ahnung
mehr, ob wir noch in die richtige Richtung gingen. Schließlich
wurde es wieder klarer und wir erreichten Dingboche, das auf 4400 Metern lag. Dort
mussten wir dann einen weiteren Ruhetag einlegen. Wir spielten schließlich kein
japanisches Roulette…
Dingboche
Inzwischen
fiel es mir schwer, etwas Vernünftig niederzuschreiben. Oft fühlte ich mich benommen
und ein wenig verwirrt. Bisweilen empfand ich das als unangenehm, doch zumeist
fühlten sich meine Gedanken so leicht wie selten an. Ich konnte mich ganz auf
die unmittelbare Naturerfahrung einlassen. Auch am zweiten Ruhetag auf der
Wanderung schien die Sonne. Während sich Hughan und Johannes aufmachten, und
einen nahen Aussichtspunkt zu besteigen, saß ich mit John in der heißen
Bergsonne und las. Über uns thronte der imposante Ama Dablam.
Endlich
wurden meine Kleider wieder richtig trocken. An beiden Abenden in dem kleinen
Gasthaus aßen Johannes und ich Daal Bhat
- das Nationalgericht der Nepali – das aus Reis und Linsensuppe bestand, sowie
je nach Zubereitung auch mit Kartoffeln oder Gemüse serviert wurde. Es war das einzige
Gericht bei dem man eine zweite Portion erhielt und wir aßen bis wir zu platzen
drohten. Wir verbrannten Unmengen an Energie – entsprechend groß war der Hunger
nach Kalorien. John hingegen hatte sich für die Wanderung eine Großpackung
Schokoriegel mitgenommen und hatte auf seiner Wanderung eine regelrechte Sucht
entwickelt.
Johannes hatte große Pläne: am nächsten Morgen würde
er nach Chukung aufzubrechen, um dort den Chukung Ri zu besteigen. Dann wollte
er über einen höllischen Pass auf die Everest Route zurückgelangen und nach dem
Besuch des Base Camps über einen weiteren kernigen Pass nach Gokyo gelangen. So
gerne ich mitgekommen wäre – das lag jenseits meiner Möglichkeiten. Mit den
Schmerzen konnte ich einfach nicht schnell genug gehen. Ohne High-Tech-Ausrüstung
war eine Übernachtung auf einem Pass lebensgefährlich. So würde ich mit Hughan
und John gemeinsam den Kala Patar ansteuern, eine Anhöhe in der Nähe des Base
Camps.
Johannes und ich waren uns in der Kürze der Zeit
richtig ans Herz gewachsen. Wir hatten viel zu lachen und ganz besondere
Momente miteinander geteilt. Wer weiß wie anders diese Wanderung ohne diese
Begegnung verlaufen wäre! Es kommt selten vor, dass man sich in so kurzer Zeit
so intensiv kennenlernt. Er drückte mir einen 50-Euroschein in die Hand, damit
ich auf jeden Fall zurande kam. Ich bat ihn, auf sich aufzupassen und hoffte,
wir würden uns bald wieder sehen.
Dingboche-Lobuche
Am nächsten Tag brach Johannes in die eine, John,
Hughan und ich in die andere Richtung auf.
John war zuvor einige Monate durch Südostasien gereist, war auf den
modernen Backpackerstrassen in Thailand, Laos, Kambodscha und im malaysischen
Teil von Borneo unterwegs gewesen. Mit seinen 20 Jahren war er ein unbekümmerter,
offener und lockerer Typ - ein angenehmer und lustiger Reisebegleiter.
Hughan war ein völlig
anderer Typ. Er war wohl Mitte 30, ernsthafter, aber nichts weniger an
Abenteuern interessiert. Er gehört zu den Reisenden, die in möglichst kurzer
Zeit möglichst viel sehen möchten. Außerdem war er ein passionierter
Gleitschirm-Flieger. Wie er erzählte, boten die Wüsten um Abu Dhabi dafür
perfekte thermische Bedingungen.
Nachdem wir den Grat
hinter Lobuche erklommen hatten, bot sich hinter uns ein imposanter Anblick auf
den Ama Dablam.
Nach einem flacheren
Abschnitt wurde der Weg extrem steil. Wir erreichten einen weiteren Pass, an
dem aufgetürmte Steine und ein kleines Mahnmal an die in dieser Region
verunglückten Menschen erinnern sollten. Manche tote Körper wurden nie entdeckt
und so stellt dieser Ort für manche Angehörige der Ort dar, an dem sie sich den
Verstorbenen nahe fühlen können. Im dichten Nebel hatten die aufgespannten
tibetischen Gebetsfahnen über den Geröllfeldern etwas Gespenstisches und es
schien ein wenig, als wollte das Wetter unterstreichen, wie ungeeignet dieser
Ort für uns Menschen war.
Immer wieder kam man sich angesichts der
übermächtigen Kulisse wie ein Eindringling in eine fremde Welt vor. Das hatte
etwas Furchteinflößendes und zugleich etwas zutiefst tröstliches. Dies war ein
Ort, den wir uns niemals untertan machen würden. Das rückt die Verhältnisse ein
wenig zu recht und angesichts der alles beherrschenden Natur wird man sich der
eigenen Winzigkeit unmittelbar bewusst.
Natürlich gibt es auch
hier Menschen, die meinen, sie könnten die Natur bezwingen und das Besteigen
des Mount Everest gilt Manchem als reine Mutprobe. Als Heldentat. Doch was man
wirklich lernen kann, ist Demut. Vielfach wurde der Hochmut in dieser Umgebung
bitter bestraft. Das Buch „in eisigen Höhen“ von Jon Krakauer zeichnet die
Katastrophe von 1996 nach. Krakauer hatte den Auftrag, eine Reportage über eine
Expedition zu schreiben und hinterfragt in seinem Buch die zunehmende
Kommerzialisierung des Bergsteigens deutlich.
Am letzten Aufstieg nach Lobuche schien die Luft
mit jedem Schritt dünner zu werden und selbst während der vielen Pausen, die
ich beim Aufstieg einlegte, schlug mir das Herz bis zum Hals. In der Tat sinkt
zwar nicht der Sauerstoffgehalt in der Luft, aber der Luft- und damit der
Sauerstoffdruck. Auf 5000 Metern wird der Sauerstoff nur
noch mit halbem Druck in die Lungenbläschen gepresst. Daher braucht man mehr
Atemzüge, um den notwendigen Sauerstoff aufzunehmen. Man wird leicht kurzatmig.
Die Sherpas, die noch immer die meisten Träger stellen und die
Bevölkerungsmehrheit in der Region ausmachen, haben den Vorteil, dass sie von
Geburt an die Verhältnisse gewöhnt sind und in ihrem Körper mehr rote
Blutkörperchen produzieren. Das schmälert meine Bewunderung für die Träger in keiner
Weise. Fasziniert betrachtete ich wie sie auf dem Steilstück schwere
Holzelemente in die Höhe trugen. Die Lasten sind mit Stirngurten befestigt und die
Träger beherrschen eine ganz besondere Tragetechnik, die ein hohes
Gleichgewicht voraussetzt – so wirkt ihr Gang einem ständigen Balanceakt. Viele
tragen Badelatschen. Ihr Alter scheint oft unmöglich zu schätzen. Deutlich
sieht man ihnen den ständigen Kraftakt an; ihre Statur erscheint nicht einmal
kräftig - aber sie besitzen eine unglaubliche Zähigkeit und ihre Sehnen müssen
aus Stahl sein. Die meisten tragen einen kurzen Holzstab bei sich auf den sie
sich immer wieder stützen und viele kurze Pausen einlegen, dafür den ganzen Tag
marschieren. Die Konzentration und Anstrengung steht ihnen ins Gesicht zu
schreiben und dennoch habe ich sie oft lächeln sehen. Sie werden meist anhand
des Gewichts bezahlt, das sie tragen. Bei einigen sind das über 100 kg. Einmal
durfte ich das Gepäck eines Sherpas einige Meter tragen und es schien mir unglaublich,
wie man dauerhaft ein solches Gewicht stemmen kann.
Längst hatte sich die Landschaft in eine einzige
Steinwüste verwandelt. Nur der Schnee und das bläulich schimmernde Eis boten
eine farbliche Abwechslung. Schließlich erreichten wir Lobuche
auf etwa 4900 Metern. Der Ort war geradezu abstoßend und bestand im
Wesentlichen aus riesigen Lodges. Ein wahres Touristen-Ghetto. Wir fanden ein
Dreibettzimmer. Unsere
russischen Zimmernachbarn vertrieben sich den Abend mit Wodka und Krakeelen.
Nach der Ankunft bestieg ich den Grat hinter der Lodge und wurde mit diesen Bildern belohnt:
Nach der Rückkehr bekam ich heftige Kopfschmerzen – eine eisige Kralle hatte
sich in mein Hirn gebohrt. Hughan
hatte vorausschauender Weise Diamox dabei und ich nahm vorsichtshalber eine
Tablette. Sie brachte Linderung, hatte aber den Nachteil, dass ich nachts noch
öfter in die Eiseskälte hinaus musste. Ohnehin fühlte man sich angesichts der
Flüssigkeitsmengen, die man sich hineinschütten musste, wie ein nierenkrankes
Pferd.
Lobuche-Gorak Shep
Am Morgen fühlte ich mich deutlich besser, dafür fühlte sich John, als
wäre er über Nacht seekrank geworden. Er war sehr kurzatmig und bekam ebenfalls
starke Kopfschmerzen.
Die
letzte Etappe lag vor uns. Wir fühlten uns zunehmend berauscht angesichts des
nahen Ziels. Von den Kuppen der auf- und absteigenden Geröllfelder sahen wir
immer wieder die mächtigen Berge wegen derer wir uns auf den Weg gemacht hatten.
Wir konnten es kaum noch erwarten. Schließlich erreichten wir die letzte
Ortschaft - Gorak Shep auf etwa 5100 Metern. Der Ort besteht aus einer Handvoll
Lodges und einem Internetcafe. Ich frage mich bis heute, welche Idioten sich
hier bei Facebook einloggen, um der Welt zu verkünden, dass sie nun den Everest
sehen können. In Tengbotsche hatte das Internetcafe gar mit „Buisiness
Conferencing“ geworben. Dekadenter geht es wohl nicht mehr.
Da das Wetter ziemlich gut war, deponierten wir
unsere Rucksäcke in einer Lodge und machten uns gleich daran, den Kala Pattar
zu besteigen. Aus der Ferne erscheint er nur wie ein kleiner Hügel, doch das
stimmt nur in der Relation…
Angesichts des mächtigen Pumo Ri im Hintergrund erscheint der Kala Pattar winzig... |
John fühlte sich inzwischen richtig mies und wir
mussten ihn ein wenig motivieren. Hughan schien die Höhe weniger auszumachen.
Ich selbst war ziemlich am Limit. Es erschien mir, als wäre der Sauerstoff fast
vollständig aus der Luft gewichen. Es war kaum noch
möglich, sich auf den Weg zu konzentrieren, da die Kulisse mit jedem Meter
eindrücklicher wurde. Endlich erreichten wir den Gipfel auf 5675 Metern. All die Strapazen waren
in diesem Moment vergessen; der Blick auf die in gleißendes Sonnenlicht
getauchten Berge umwerfend. Wir hatten ein gutes Zeitfenster erwischt und
konnten eine halbe Stunde lang einen fast ungetrübten Blick auf das Everest-Massiv
und die umgebenden Berge genießen. Der Wind wehte in kräftigen Böen und sein
Pfeifen übertönte alle anderen Geräusche. Nun waren wir schon so hoch gestiegen
und noch immer blickten wir auf Giganten, die wie Wände vor uns standen. Da
lagen sie vor uns – Lotse, Everest, Nuptse (von links nach rechts).
Es war leicht vorzustellen, warum die umliegenden
Berge als Wohnsitz der Götter gelten. Der Everest heißt bei den Nepali
Sagarmantha – „Stirn des Himmels“ – die Tibeter nennen ohne Qomalangma –
„Mutter des Universums“.
Doch leider ist Respekt nicht allen Menschen
eigen. Trotz der Gebetsfahnen, die auch diesen Ort als heilig kennzeichnen,
nutzte ein vielleicht 50-jähriger Russe die Gelegenheit, um seine entblößte
und deutlich jüngere Freundin vor dieser Kulisse abzulichten. Sichtbar stolz
auf die Reize seiner Gefährtin, erklärte er mir, dies wäre sein Hobby und sie
hätten ähnliche Fotos auf allen Kontinenten gemacht. Manche Leute wissen wohl
wirklich nicht, was sie mit ihrem übermäßigen Reichtum anfangen sollen!
Ich war glücklich, dass ich bis zum Schluss durchgehalten
hatte. Da saß ich nun, umgeben von beängstigenden Abgründen auf allen Seiten,
blickte auf Gletscher und Seen und versuchte die Atmosphäre tief in mich
einzusaugen. Ich war berauscht. Viel höher würde ich in meinem Leben nicht oft
kommen – meine Höhenangst hatte ich auch mit einer Reihe von Rosskuren nicht
verringern können. Im Gegenteil.
Schließlich war es besonderes Schauspiel zu
beobachten, wie sich die Wolkenwände blitzschnell aus dem Tal nach oben
bewegten und die Berge verhüllten.
Auf
dem Weg zurück ins Tal, schwebte ich fast.
Hughan
und John brachen gleich nach der Rückkehr zum Basecamp auf. Das reizte mich
nicht so sehr und ich wollte mich ein wenig ausruhen und lesen. Schließlich zog
ich doch noch los, um zumindest einen Blick auf den Khumbu-Gletscher zu werfen,
der sich vom Everest hinabzieht. Der Weg führte am Gletscher entlang. Sehr
eindrücklich war der tosende Lärm, wenn Spalten vom Gletscher abbrachen. An manchen
Stellen hatten sich kleine Seen gebildet und das schimmernde Hellblau mancher
Eisschichten wirkte geradezu unwirklich. Einige
hundert Meter vor dem Basecamp machte ich kehrt und marschierte die letzten
Kilometer zur Lodge im Dunkeln. Nachts
war es drinnen deutlich unter dem Gefrierpunkt. Im Bart setzte sich Eis fest.
Rückweg
Am
nächsten Morgen hatten wir sehr klares Wetter. Nach der Kälte der Nacht es in
der Sonne richtig heiß. Gerne wäre ich noch einen weiteren Tag geblieben, aber John
und Hughan wollten absteigen. Außerdem hatte ich kaum noch Geld. Ich genoss
einen letzten Anblick auf das unglaubliche Naturschauspiel um mich herum und
dann machten uns wieder an den Abstieg. Doch schon nach wenigen Kilometern war offensichtlich,
dass ich den beiden nicht folgen konnte. Sie hatten sich vorgenommen den ganzen
Weg bis nach Namche in einem Stück zu laufen. Gerade bergab kam ich nur sehr
langsam voran. So verabschiedete ich mich herzlich von den beiden. Auch wenn
ich gerne weiter mit ihnen unterwegs gewesen wäre und mir einen Moment sehr
verloren vorkam, so war ich auch ein wenig erleichtert. Ich musste Niemanden
mehr hinterherhecheln und konnte mein eigenes Tempo gehen. Ich hielt es ohnehin
für unsinnig, die Wanderung nicht gemächlich ausklingen zu lassen. So blieb ich
immer wieder stehen, um das Panorama zu genießen. Für Eile gab es keinen Grund.
So
endete der Treck wie er begonnen hatte –
alleine. Nach sieben Stunden Abstieg waren die Schmerzen nicht mehr
auszuhalten; aber ich quälte mich weiter bis Tengboche – den letzten Anstieg
dorthin kroch ich fast. Nach elfeinhalb Stunden fühlte ich mich wie tot. Nur
noch Wille war es, der es mir ermöglichte, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
In Tengboche stieg ich in derselben Lodge ab. Ich war tief zufrieden mit mir
und der Welt. Am nächsten Tag gönnte ich mir den Luxus bis mittags zu schlafen
und nahm ein ausgiebiges Frühstück ein. Ich setzte mich noch einmal auf die
Bank hinter dem Gasthaus, lies die letzten Wochen Revue passieren und machte
mich nach einem letzten Blick auf den Ama Dablam auf den Weg nach Namche, um
mir ein Flugticket zu besorgen.
Leider
konnte ich nur ein ziemlich überteuertes Flugticket erstehen. Das Geld von
Johannes war die Rettung. Gerne hätte ich noch einen Tag in dem Gasthaus mit
dem warmen Kamin und den freundlichen Menschen verbracht und noch einmal einen
Tag nichts anderes zu tun, als zu schauen. Aber ich war fast pleite. Also
musste ich den ganzen Weg bis nach Lukla in einer Tour antun. Ich hatte auf dem
Hinweg für diese Strecke zwei Tage zur Verfügung gehabt und das steile Stück
bergab brachte mich fast um. Unterwegs machte ich noch zweimal Pause, um ein
Bier zu trinken und die letzten Blicke auf die Berge zu genießen. Nach einem
letzten tückischen Anstieg nach Lukla war meine Wanderung endgültig zu Ende.
Am nächsten Tag flog ich von Lukla zurück nach
Kathmandu. Der Flughafen zählt zu den gefährlichsten der Welt. Die Landebahn
ist so kurz, dass die Flugzeuge bei der Landung um die Ecke fahren müssen. Beim
Abflug hingegen steht das Flugzeug mit vollem Schub und voller Bremskraft an
der abschüssigen Landebahn und man trudelt die ersten Meter in den Abgrund,
bevor die Propellermaschine wirklich ins Fliegen kommt. Zeitgleich befindet
sich das nächste Flugzeug einige Meter höher bereits im Landeanflug. Nichts für
schwache Nerven!
Auf dem Flug konnte ich noch einmal die
schneebedeckten Gipfel sehen und den ganzen Weg, den ich von Jiri aus hierher gewandert
war aus der Vogelperspektive nachvollziehen. Ein großartiges Gefühl. Die 20
Tage waren zu einem guten Ende gekommen. Zwei Tage später würde ich in Pokhara Hughan
und John wiedertreffen und schließlich auch ein fröhliches Wiedersehen mit
Johannes feiern.
Fazit:
Diese Wanderung gehört sicherlich zu meinen Schlüsselerlebnissen
und ich werde sie an anderer Stelle wiederholen. Es kam mir vor, als hätte ich
Monate in den Bergen verbracht. Ich habe fast vollständig im Moment gelebt. Selten
habe ich mich der Natur so nahe gefühlt, war mir so lebendig vorgekommen und
hatte das Glück auf die richtigen Menschen zu treffen. Die andauernden Schmerzen
haben den Trip schnell zu einer besonderen Herausforderung und zu einer Frage
des Willens gemacht. Es tat mir gut, dass ich durchgehalten hatte. Ich
ging definitiv gestärkt aus der Erfahrung und war im Reinen mit mir. Gerade vonseiten der Einheimischen ist mir auf
meiner Wanderung viel Gastfreundschaft und Herzlichkeit zuteil geworden.
Es
sind Erfahrungen wie diese, die mich tief geprägt haben und mich immer
bestärken auf meiner Suche nach neuen Wegen.
Aber ich
habe viele beobachtet, die sich zu wenig Gedanken machen. Denen der Müll, den
sie hinterlassen, völlig egal ist. Die Luxusgüter an jedem Ort der Welt voraussetzen.
Die offensichtlich nicht begriffen haben, in welch fragilem Ökosystem sie sich
befinden. Für die das ein Abenteuer ohne Verantwortung darstellt.
So werden die Lodges immer komfortabler, das
Warenangebot immer größer und die Hinterlassenschaften immer unübersehbarer.
Ich hatte meine Wanderung ganz am Ende der Saison angetreten. Ich will mir
nicht ausmalen, wie viele Wanderer auf dem Weg von Lukla zum Base Camp in der
Hochsaison unterwegs sind! Sehr fragwürdig finde ich auch Fluggesellschaften,
die Flüge anbieten, die einmal von Kathmandu aus um den Everest herumfliegen.
Im Mountaineering Museum in Pokhara waren Aufnahmen
einiger bedeutender Gletscher zu sehen – gegenübergestellt waren Aufnahmen von
vor 40 Jahren mit aktuellen Bildern. Schockierend zu sehen, das beispielsweise
der Kumbhu-Gletscher am Fuße des Mt. Everest in diesem Zeitraum bereits die
Hälfte seiner einstigen Größe eingebüßt hat. Wenn man bedenkt, dass der
Himalaya mit seinen Gletschern das Wasserreservoir für große Teile Asiens und
Lebensgrundlage für Milliarden Menschen darstellt, muss man sich große Sorgen
machen. An wenigen Orten kann man so deutlich die Klimaveränderungen erkennen,
die sich gerade vollziehen.
Die Wanderwege in Nepal werden zurzeit weiter
erschlossen und es macht sicher Sinn, den Tourismus besser zu verteilen. Heute
führt der Weg von über 90% der Trecker auf die Routen am Everest, dem Annapurna
und dem Langtang. Mustang (ein ehemaliges Königreich in Nepal) und
Sikkim gehen andere Wege und bieten Treckingpermits nur gegen hohe
Tagespauschalen an. In jedem Fall bedarf es einer deutlichen Steigerung des
Bewusstseins, damit auch folgende Generationen die Wunder der Natur in dieser Weise erleben können.
Weitere Geschichten aus dem Himalaya:
Das Erleben der Natur in Stille reinigt das innere Gefäß, es wird so leer, so weit und offen, dass es gefüllt werden kann - vom Moment der Gegenwart, vom Göttlichen, von mir, von meinen Gefühlen, von bedingungsloser Liebe zum Umgebenden and so on. Dieses Meditieren, diese Sensibilität macht die Achtsamkeit in völliger Aufmerksamkeit der unbeschreiblichen Erfahrung aus, die Du versuchst in deinen Reisebeschreibungen zu teilen, ich denke, Dich zu verstehen. – Dann den Absturz als „Kulturschock“ zu bekommen, wenn sich das offene Gefäß jäh durch den Lärmpegel mit Ungewolltem füllt und sich dessen Hals wie übersäuert zuzieht... ist vielleicht genau der Gegenpol, den Du brauchtest (auch gesucht hast?), um den vorangegangenen himmlischen Frieden auf ewig in Deinem Herzen zu tragen?
AntwortenLöschenIn jeder Kultur gibt es vermutlich Stille und Krach, selbst in dem, was wir in uns kultiviert haben, oder? Spannend, wieder von den Extremen Deiner Reise zu lesen, wenn auch der Everest nichts für mich gewesen wäre, wie Mumbay, Delhi oder so, da folge ich meinem Gefühl - "monkey mind" ist genug an Lärm, der in meinem Leben ist ;-)
Am Rand bemerkt – Deine tollen Fotos, gerade die von diesem Artikel, helfen meiner Phantasie auf die Sprünge mit zu reisen. Bisher habe ich mein Fernweh nur mit diesen unzähligen Dokumentationen im TV und dem Cursor in google earth gestillt – es ist eine erfrischende Erfahrung, Deine Zeilen zu lesen; und gerade wieder herzlich gelacht, von wegen der 40 Liter Eiswasser und all der anderen extremen Gefühle, die Du unbedingt mitnimmst.
Sehr interessant, dass Du Dir auf Deiner ganz besonderen Reise – die auch zu Dir selbst und zu gewissen gefühlten Verbindungen führen soll, wenn ich Dich richtig verstanden habe – Gedanken machst, die eigene Grenzerfahrung bedeutet, Dir Abgrenzung bringt, wenn Du an die Koreaner mit eingebauter Kamera, an den russischen Aktfotografen oder an den Business-Facebook-Idioten vom dekadenten Everest-Business-Conferencing denkst. Auf der Suche nach (bedingungsloser?) Liebe und zu Dir selbst, empfindest Du wahrlich Trennendes. Spannend, Deine Reise ist wie das Leben an sich, um´s mal bewusst einfach herunter zu brechen. Das macht die Lebendigkeit beim Lesen aus, auch wenn man über das Verurteilen Anderer streiten kann.
Danke, dass Du mich mitgenommen hast, auf diesen Teil Deiner Reise. Denke wieder daran, mir doch Dein Buch zu geben – noch bin ich aber mit Deinem Blog ausgelastet.
Ein leeres Gefäß ist eine stimmige Metapher. Für mich ist Wandern bis zu der Erschöpfung die (bislang) wirksamste Form der Meditation. Und ich bin gerne abseits des Lärms der Zivilisation. Als Jemand mit einem Talent zum Grübeln, empfinde ich es als befreiend, diesem Wirrwarr zu entfliehen. Generell ist diese Überbetonung des Verstands eine allzu westliche Errungenschaft. Sie verhindert Achtsamkeit.
LöschenAuf den Kontrast mit dem Lärm hätte ich gerne verzichtet; das wäre auch so früh genug wieder auf mich zu gekommen. Stichwort: Kathmandu..
Was die Abgrenzung angeht; sicher bin ich bisweilen nicht frei von Spott und grenze mich auch gerne mal ab; allerdings geht es mir nicht so sehr ums Verurteilen anderer; ich kenne meine eigenen Schwächen und habe auch auf meinen Reisen viele Fehler gemacht; mir geht es aber um Bewusstsein; Respektlosigkeit, zu hohe Ansprüche und mangelndes kulturelles oder ökologisches Bewusstsein hat eben Folgen, die über die eigene Person hinausgehen; deswegen schreibe ich darüber. Abgesehen davon soll jeder nach seiner Fasson glücklich sein.
Eine Reise spielt sich für mich gerade im Wechselspiel zwischen innerer und äußerer Veränderung ab – das macht sie für mich so spannend!