Kurze Vorbemerkung:
Seit meinem letzten Blogeintrag ist einige Zeit
vergangen. Das lag zunächst daran, dass ich mir eine kleine Auszeit um meinen
30. Geburtstag verordnet hatte, die nach einem Sturz und einer Daumenfraktur zu
einer Zwangspause wurde. In dieser Zeit wurde mir einmal mehr deutlich, wie
sehr ich das Schreiben brauche; und nun freue ich mich, wieder loslegen zu
können. Ich möchte in nächster Zeit eine ganze Reihe von Reiseberichte der letzten Jahre überarbeiten und hier vorstellen.
Auch ein Blog in eigener Sache steht noch aus, in dem ich nochmal beleuchten
möchte, wie für mich Reisen,
interkulturelle Begegnung, Literatur und Politik zusammenhängen.
Zunächst
möchte ich Euch aber eine Reihe von Büchern vorstellen, die ich in letzter Zeit
lesen durfte und die mich sehr inspiriert haben. Davon möchte ich drei nennen.
Gerade eben habe ich „Gammler, Zen und hohe Berge“ von Jack Kerouac beendet und war wie bereits bei der Lektüre von
Unterwegs hingerissen von der Dynamik seines Schreibstils. Die Thematik von
Aussteigern, Schriftstellern und dem Buddhismus hat mich gefesselt. Oft habe
ich mich wiedererkennen können.
Ein ganz zauberhaftes Buch von Laurent Gounelle fand ich unter dem
Titel „Der Mann, der glücklich sein
wollte“ über die Begegnung mit einem Heiler auf Bali. Der Untertitel lautet
„Unterwegs auf der Reise zu sich selbst“.
Dabei handelt es sich trotz der spirituellen Thematik um einen unsentimentalen,
eindrücklichen Bericht über die Möglichkeiten, sich innerlich zu wandeln. Über
beide Bücher werde ich noch ausführlicher berichten.
Heute möchte ich das Buch „Die Wege der Menschen – auf den Straßen die unsere Welt verändern“
von Ted Conover in den Vordergrund
stellen:
Es handelt sich um eine Sammlung von Reportagen aus sechs Weltregionen:
In der ersten berichtet Conover vom Mahagoni-Handel. Sein Bericht beginnt
in der Upper East Side von New York. Er beschreibt Wohnungen, die ganz mit
Mahagoni verkleidet sind. Von dort aus macht er sich auf die Suche nach den
Haupteinschlagsgebieten des teuren Tropenholzes in Peru. Zumeist wird das Holz
illegal geschlagen. Gekonnt beleuchtet er die Strukturen des Handels. Zugleich
berichtet er von der Transoceánica –
einer Verbindungsstraße zwischen Pazifik und Atlantik, die sich im Bau befindet
und den Handel zwischen Peru und Brasilien massiv verstärken soll. Sehr
sensibel zeigt er die verschiedenen Sichtweisen auf: viele Einheimische begrüßen
den Ausbau der Straße, zugleich bedroht er die Kultur der Indianerstämme im
Amazonas-Gebiet.
Die zweite Reportage führt in den nordindischen Himalaya nach Zanskar – in eine Region, die bis vor wenigen Jahrzehnten völlig isoliert war, was sich durch den Bau neuer Straßen massiv ändern wird. Auch wenn er diese Entwicklung sehr kritisch sieht (zumal sie aufgrund des Kaschmir-Konflikts, an dem Indien, Pakistan und China beteiligt sind, auch geopolitische Motive hat), so stellt er gekonnt die Frage, mit welcher Begründung man den Zanskari den Fortschritt verweigern sollte – selbst dann, wenn man überzeugt ist, dass dieser Fortschritt die Kultur Zanskars massiv verändern und in Teilen zerstören wird. Eine Frage, die auch ich mir immer wieder stelle. Er begleitet Jugendliche auf ihrem Weg zu Schulen in Ladakh während der Wintermonate. Für kurze Zeit friert der Fluss Zanskar völlig zu und wird dadurch begehbar – dieser chedar-Trek bietet während des langen Winters die einzige Verbindung zur Außenwelt für die Bewohner Zanskars dar.
In
der dritten Reportage berichtet Conover aus Ostafrika über die LKW-Fahrer, die
Waren zwischen Mombasa in Kenia bis
Kampala in Uganda transportieren. In einer früheren Reportage aus der
Region hatte er sich intensiv mit dem Thema Aids beschäftigt. Die Krankheit
verbreitet sich durch Unwissen und Aberglauben gerade auch auf diesen Routen.
Daran knüpft er an: auch wenn nun die Straßen als Transportwege für Medikamente
und Verbreitung von Krankheiten im Vordergrund steht, so nutzt ihm die
vorangegangene Erfahrung ungemein und er begleitet einen Fahrer, den er bereits
von damals kennt.
Die
vierte führt ihn in die Westbank. Hier begleitet er
sowohl Palästinenser auf ihren schwierigen Wegen durch unzählige
Kontrollpunkte, an denen er auch selbst schikaniert wird. Zugleich begleitet er
auch israelische Soldaten auf ihren Kontrollfahrten durch palästinensische
Dörfer und erlebt, wie Molotowcocktails auf die Fahrzeuge des Militärs regnen.
In dieser Reportage wird vor allem eines deutlich. Die Meinung des Autors zur
Schikane der Palästinenser wird zwar immer wieder deutlich – doch wer eine
deutliche Positionierung oder gar eine Vision für die Zukunft erwartet, wird
enttäuscht. Das Bemühen des Autors in alter Tradition möglichst objektiv zu
berichten ist stark ausgeprägt – auch wenn seine Reportagen trotz einer Fülle
von detaillierten Informationen selbstverständlich subjektiv ist. In jedem Fall
einer der informativsten Beiträge zum Palästina-Konflikt, die ich bisher
gelesen habe und die Auswirkungen der radikalen Änderung des Straßenbildes
durch unzählige Umgehungsstraßen, die teilweise nur Siedlern zugänglich sind
und die Etablierung von festen und mobilen Kontrollpunkten wird mehr als
deutlich. Leicht erkennt man, dass durch das Besetzungsregime kein Frieden
möglich sein wird. Der Autor betont zwar auch das Zurückgehen der Angriffe auf
Israel durch den Bau der Mauer; zugleich aber die fatalen Auswirkungen auf das
Alltagsleben der Menschen. Die verfahrene Situation und das wechselseitige Misstrauen,
das sich in Gewalt entlädt, werden deutlich sichtbar.
Im
fünften Kapitel geht es nach China. Hier steht die rasant fortschreitende Motorisierung
Chinas im Mittelpunkt. In Begleitung eines Automobilclubs reist der Autor
durchs Land und berichtet von der aufstrebenden bzw. reichen Schicht von Chinesen,
für die das Auto ein wichtiges Statussymbol darstellt. Conover fühlt sich an
Berichte aus den USA der 30er und 40er-Jahre erinnert, als es dort eine
ähnliche Entwicklung stattfand. Ein weiterer
Schwerpunkt ist die damit verbundene Umweltzerstörung durch die Staudämme und
die extreme Luftverschmutzung in den Städten und stellt sich die wichtige
Frage, wohin China in Zukunft steuern wird – angesichts der Tatsache, dass die
Motorisierung der chinesischen Bevölkerung im Vergleich zu Europa – vor allem
aber der USA noch extrem gering ausgeprägt ist. Auch wenn sich Conover in diesem
Bericht vornehmlich einer bestimmten Schicht widmet, so ist es ein spannender Einblick
in ein China, was in dieser Form den meisten Menschen unbekannt sein dürfte.
Die
letzte Reportage führt ihn nach Lagos. Für die
nigerianische Metropole – einer der am schnellsten und nahezu unkontrolliert
wachsenden Städte des Globus – entschied er sich, weil, es nur wenig Berichte
über diese Megastadt gibt. Auch hier nähert er sich auf eine sehr
unkonventionelle Weise – er fährt mit einem der ganz wenigen Rettungswägen
durch die Stadt und gewinnt auf diese Weise ein sehr intimes Bild von Armut, Korruption, Gewalt und Kriminalität.
Man erfährt von marodierenden Banden und konkurrierenden Polizeieinheiten. Ein spannender Bericht, der die Frage
aufwirft, wie die Megastädte der Zukunft wohl aussehen werden.
Insgesamt handelt es sich um brillant recherchierte Reportagen voller Faktenreichtum, die ohne
die vielfältigen Kontakte des Autors und Journalisten Conover in dieser Form
unmöglich gewesen wäre. Er nähert sich dem Thema Globalisierung auf eine
spannende Ort, in dem er die Straßen als Transportwege von guten und schlechten
Veränderungen in den Mittelpunkt stellt. Dabei wirkt er nie belehrend –
eindeutig ein Vorteil seines Bemühens um möglichst große Objektivität. An
manchen Stellen hätte ich mir jedoch eine deutlich stärkere Positionierung
gewünscht. Aber womöglich liegt gerade darin eine der Stärken des Buchs – man wird
zum selbst weiter Denken animiert und es gelingt ihm bei den meisten Themen
beide Seiten der Medaille zu beleuchten. Trotz der Tatsache, dass hier nur ein
Teil der Realität dieser Welt abgebildet werden kann, erscheint mir die Auswahl
sehr klug und bietet in der Gesamtheit einen umfassenden Blick auf unsere Zeit
und unsere Welt. Dabei geht Conover oft Risiken ein und wird für seinen Mut belohnt.
Er
zeigt die Ambivalenz der modernen Straßen: sie verheißen Freiheit
und bringen zugleich oftmals Verderben. Sie verbinden uns oder teilen uns. Sie bedeuten
Segen und Fluch. Mit dem verheißungsvollen
Fortschritt (mit Strom, gesicherter Wasserversorgung und dem Aufbrechen
verkrusteter Hierarchien) kommen auch
die Übel unserer Zivilisation: Umweltzerstörung,
Krankheiten und Verbrechen. Die Verheißungen erfüllen sich nur für Manche. Am extremsten sieht man die
Widersprüchlichkeit an Wanderarbeitern: sie ermöglichen durch ihre Arbeitskraft
den Fortschritt und zerstört dabei den eigenen Lebensraums – Alternativen hat
er kaum.
Alles in allem eine brisante und exzellent
recherchierte Erkundungsreise über die Auswirkungen globaler Mobilität - stellenweise
mitreißend erzählt.
Wer mehr über die Auswirkungen der Globalisierung
in ihrer vorherrschenden Form erfahren möchte, dem sei dieses Buch unbedingt
empfohlen!
Hier finden sich der Klappentext und eine Leseprobe in Form der Einleitung, die das Fundament des Buches darstellt. Die
einzelnen Reportagen sind hingegen persönlicher erzählt.
Ted Conover schreibt für die großen Magazine der
Welt: National Geographic, Time und New Yorker und hat einige weitere Bücher
veröffentlicht. Mehr zum Autor findet Ihr auf seiner Homepage.
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