Dienstag, 26. Februar 2013

Reisereportagen: Nebel über dem Riff





explict lyrics: Dieser Blog soll ausdrücklich nicht zum Drogengebrauch ermuntern, sondern allein und ausschließlich in seiner literarischen Form halluzinogen wirken

Ich komme nun zum fehlenden Mosaikteil meiner Erlebnisse in Indonesien – meinen psychedelischen Erlebnissen auf der Insel Gili Trawangan. Wem das nicht zusagt, dem sei hier dringend die letzte Abzweigung zu meiner Reisereportage von ebenjener Insel angeraten, in der ich diese Erfahrungen bewusst ausgespart habe:
 

      Last exit to avoid madness: Reisereportagen: Gili Trawangan


Doch natürlich kokettiere ich nur; es geht mir keineswegs um effektheischende Berichte eines Drogentrips, sondern den Konsum bewusstseinserweiternder Substanzen als ein Weg der Erkenntnis. Zweifellos ist das kein ungefährlicher Weg –und das ist jetzt keine Walddorfpädagogik - ich habe am eigenen Geist erlebt, wie psychedelische Drogen einen in die eigene Hölle schicken oder Paradiese eröffnen können oder abwechselnd das eine und das andere. Ich bin weder ein Moralapostel noch ein Kamikaze-Head. Ich baue darauf, dass der Leser mündig ist, sich sein eigenes Urteil zu bilden und seine eigenen Entscheidungen zu treffen! Über die Sinnhaftigkeit der Prohibition vieler Substanzen könnte ich einen eigenen Roman schreiben – doch ich möchte mich auf die Verlinkung eines Artikels beschränken, der die Folgen der Illegalität gekonnt ausführt, und den ich am Ende anhänge.

Da ich ohnehin vorhabe abzuschweifen, kann ich auch gleich damit anfangen. Also noch eine Erläuterung zum Titel dieser Episode: ich habe auf der Insel keinerlei Nebel gesehen. Zumindest nicht nüchtern. Warum es dennoch ein gelungener Titel ist? 

Es begab sich zu der Zeit, als Hobbypropheten noch Hoffnung in meine Zukunft setzten und ich während der Schulblöcken meiner Ausbildung in einem alten Hotel in der absoluten Pampa übernachten musste - was ich durchaus genoss – schließlich hatte ich das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und damit auch die richtigen Leute um mich herum zu haben. Außerdem wurden Verrückte meiner Couleur an dem Institut durchaus toleriert. Eines Abends zog mein Zimmernachbar mexikanische Zauberpilze aus dem Nichts und wir beschlossen unverzüglich nach Mexiko aufzubrechen. Kurze Zeit später trennten sich unsere Wege; während er sich in Gesellschaft begeben wollte und sich kulinarischen und alkoholischen Genüssen hingeben wollte, jagten mir in diesem Moment alle dieser drei Gedanken einen Schauer über den Rücken. Ich bin nicht gerne unter Menschen in solch einem Zustand. Für Paranoia muss man geboren sein und ich hatte in der Hinsicht einiges Glück gehabt. Also beschloss ich alleine zu dem nahen Felsen zu wandern, der ohnehin mein Lieblingsplatz war. Oben angekommen wollte ich den Blick über das weite Tal und das auf dem gegenüberliegende Kamm liegende Schloss bewundern, musste aber feststellen das es keine gewohnte Aussicht gab. Bei diesem Felsen handelte es sich um ein urzeitlichen Riff, das einst aus den Untiefen des schwäbischen Urmeer geragt hatte. Dort wo sich meines Wissens die Abbruchkante befand, die man nicht folgenlos übertreten konnte, schloss sich eine Nebelbank an, die suggerierte, das man sich wunderbar in das flauschige Wolkenmeer fallen lassen konnte. Oder bis zum Schloss laufen. Glücklicherweise widerstand ich diesem verlockenden Impuls und stürzte auch auf dem Abstieg nicht ab. Sonst gäbe es auch keinen Anlass mir 11.000 Kilometer Luftlinie weit auf die vulkanische Insel in der Balisee zu folgen. Da ist es zumindest wärmer als in Schwäbisch-Sibirien…

Wir schrieben Anfang Juni 2010; Der zweite Abschnitt meiner Reisen stand kurz vor ihrem Ende. Ich befand mich seit einigen Tagen auf einer kleinen indonesischen Insel und fühlte mich tiefenentspannt. Ich hatte in kürzester Zeit den Rhythmus des Insellebens angenommen. Wenn man von morgendlicher Betätigung absieht.
Bereits am ersten Abend war ich mit Paul (den ich auf der Anreise kennen gelernt hatte) in einer Bar gelandet, die seit 25 Jahren DIE Institution auf der Insel war.
Dort wurde ganz offen für Magic Mushroom-Cocktails geworben. Der Slogan lautet:

„Ticket to the moon - try our fucking bloody fresh mushrooms. Send you to heaven and back – no transport needed“.


An den Wänden hingen obskure Pilzporträts und ein Plakat forderte: come and see the monkeyfish – dessen wahre Konturen konnte man nur unter dem Einfluss der Pilze vernünftig erkennen. Auf der Tanzfläche kündeten Leuchtfarben und Goa-Dekoration von potenziell mystischen Ekstasen. Auf einem Schild auf der Hauptstraße warb ein delivery service. Wer so faul sein konnte, den auf dieser reichlich überschaubaren Insel in Anspruch zu nehmen, blieb rätselhaft. Genau so wenig erschloss sich mir, warum es deutlich schwieriger war an Gras zu kommen als an psychedelische Pilze. Ich erinnerte mich noch daran, wie die Beachboys auf Bali geschaut hatten, als ich sie auf Gras ansprach und mir stattdessen empfahlen Pilze im Ort zu kaufen. Darauf schaute ich genauso blöd. Tatsache war jedenfalls, dass geringste Mengen Marihuana zu ausgedehnten Gefängnisaufenthalten berichtigten, während ein ausgewachsener Trip problemlos zu bewerkstelligen war. Nun ja.

Wir kamen mit den beiden neben uns am Tresen sitzenden Jungs ins Gespräch. Sie kamen aus Frankreich und waren Cousins. Ein ungleiches Paar. Während der eine einen sehr vernünftigen und ausgeglichenen Eindruck machte, war Pierre ein Draufgänger und hatte sich einen Pilzcocktail gegönnt. Der Effekt war durchaus sichtbar…
Ich probierte einen kleinen Schluck, von dem ich keinen größeren Effekt erwartete. Doch die Mischung war stärker als erwartet und so kam ich auch zu einem kurzen Ausflug. Das Beimengen von Red Bull und Wodka half nicht unbedingt, um die Contenance zu bewahren. Als die Wirkung einsetzte, fühlte ich mich für einige Zeit sehr unwohl in der Bar. Ich war geflasht von der ausgeklügelten psychedelischen Dekoration und den Sinnesreizen des Barbetriebs und konnte dem Fußballspiel, das auf einem kleinen Fernseher hinter der Bar lief, nicht folgen - obwohl es eines der wenigen war, das mich ansatzweise interessierte. In Südafrika war Fußball-WM. Ich hatte keineswegs erwartet, dass ich auf dieser Insel in den fragwürdigen Genuss kommen würde, das irreal ferne Ereignis auf großen Leinwänden live präsentiert zu bekommen. Man lernt nicht aus.

Angesichts meines Zustands musste sich Pierre auf einem sehr heftigen Trip befinden. Dazu passte, dass er anfangs nicht sicher war, ob er es wagen konnte, mit uns zu reden. Er wirkte ein wenig paranoid und hatte seine Motorik kaum unter Kontrolle. In meinen Augen war eine Bar niemals der richtige Ort für diese Art von Reisen. Diese disqualifizierte sich darüber hinaus aus atmosphärischen Gründen zusätzlich:

Die Barmänner waren junge, aufgedrehte Burschen, die eine Salve von einstudierten Witzen auf Lager hatten, wenn sie nicht gerade Frauen auf der direkt angrenzenden Straße schmierige und anzügliche Bemerkungen nachriefen - was im Übrigen zu erstaunlichem Erfolg führte. Nebenbei rührten sie lauthals die Werbetrommel für ihr Pilzgewerbe. In erster Linie war ich sehr schnell genervt von ihrem Gezappel und ihren saublöden Sprüchen, ein wenig amüsierten sie mich aber auch. Ich musste mich locker machen; sie wurden schließlich genau für diese Show bezahlt und die Touristen strömten in die Bar. Wenn sich der Trubel zwischendurch etwas legte, sahen sie reichlich müde aus. Diese Jungs waren von den traditionellen Inselbewohnern meilenweit entfernt und stammten zum Großteil von benachbarten Inseln und kamen hierher, um sich während der Saison Geld zu verdienen. Sie gehörten zur jungen Generation, die magisch von westlichen Konsumgütern und Lebensstil angezogen sind und sich weit von ihren Traditionen entfremdet haben.

Pierre wurde mit der Zeit umgänglicher und lockerer. Er war zuvor in Indien gewesen und wir teilten die instinktive Begeisterung für das kontrastreiche Land und seine Menschen. Er erinnerte mich frappierend an meinen ältesten Freund. Warum wohl immer solche Verrückten an meiner Seite auftauchten?

Nach einiger Zeit ging ich mit Paul zum Markt, um ein einfaches Nudelgericht zu essen. Schnell waren wir in einer längeren Diskussion über Drogen verstrickt. Paul konsumierte ausschließlich Alkohol; alles andere war ihm äußerst suspekt. Aus seinen Worten sprach Ablehnung; in diesem Punkt hätte ich ihn anders eingeschätzt. Unser Hauptstreitpunkt war jedoch, ob psychedelische Drogen eine unerlaubte Abkürzung auf dem Weg zur Erkenntnis darstellten. Er hatte keinen Zweifel daran, dass psychedelische Substanzen Momente intensiver Klarheit ermöglichen konnten; die Frage war jedoch, ob sich mit ihrer Hilfe langfristige Veränderungen einstellen konnten – und wenn, ob das nicht Betrug war. Quasi Hirndoping. Seiner Meinung gab es nur einen Weg: die Emanzipation durch Meditation und Yoga ohne körperfremde Substanzen.
Das war eine moralische Frage und ich hatte sie mir des Öfteren gestellt; handelte es sich bei den Substanzen um verbotene Früchte? Und wenn ja – war es verwerflich sie zu essen – oder gerade aus dem Grund anzuraten?

Eines meiner Lieblingszitate zu diesem Thema stammt von Dr. Lutz Neizert, der es einem Psychiater bei der Gabe einer Portion LSD zuschreibt:


„Des Doktors Gesicht strahlte Enthusiasmus aus, seine Augen funkelten, eine purpurnen Wangen glühten, die Venen in seinen Schläfen traten hervor: `Dies wird einst abgezogen werden von Deinem Anteil am Paradies`“

Fundstück aus: Der Haschisch-Club: ein literarischer Drogentrip – herausgegeben im Tropen-Verlag – in dem Buch finden sich auch Perlen von Freud, Polo, Borroughs, Twain, Leary, Wolfe, Huxley u.a.


Das war ein Thema, das ich beileibe nicht mit jedem erörtern würde – doch es war eine erstaunliche Vertrauensbasis zwischen Paul und mir in der Kürze der Zeit unserer Bekanntschaft entstanden.
Ich stimmte mit ihm völlig überein, dass Drogen kaum den steinigen Weg der Erkenntnis ersetzten konnten. Allerdings sah ich keinen Grund auf Hilfsmittel zu verzichten, die einem einen Weg aufzeigen konnten. Gehen musste man ihn schließlich immer noch. Für mich kann es kein Zufall sein, dass diese psychedelischen Pflanzen auf diesem Planeten wachsen und wir Menschen die passenden Rezeptoren in unserem Gehirn aufweisen ohne welche die Einnahme ohne Effekt bliebe. Für mich sind Pilze etwas Sakrales. Das bedeutete aber auch, dass man sie mit großem Respekt behandeln musste, um eine positive Erfahrung machen zu können. In diesem Punkt hielt ich es mit Paracelsus, der in jeder Substanz ein Gift und Heilmittel sah – je nach Dosierung. Ansonsten halte ich die Theorie Learys von Set & Setting für überzeugend. Nutzte man psychedelische Drogen mit Maß und Vernunft, können sie einem wundervolle Welten eröffnen; im Übermaß, am falschen Ort oder in der falschen Gemütsverfassung konnten sie erheblichen Schaden anrichten, den Konsumenten auslagen und ihn in die eigenen Abgründe schicken. Nicht umsonst wurden Psychedelika schon seit Urzeiten in Rituale eingebunden, die dem „Reisenden“ (hier nun im doppelten Sinn…) einen Rahmen bieten für die Wahrnehmung einer veränderten (bzw. anders wahrgenommenen) Realität. Ein Schamane weist den Weg durch die Welten.
Die eigene Prägung und die eigenen Vorstellungen vom Leben spielen dabei eine große Rolle. Die Substanzen verstärken nur, was in einem bereits angelegt ist. Allerdings sehe ich in dem Verlust einer kulturellen Anwendung von Substanzen durch ihre Illegalität ein erhebliches Problem. Zuvor hatte es die Einbettung in eine moderne Kultur gegeben, die aber kurz darauf wieder in den Hintergrund gedrängt wurde – und doch bis heute Einfluss auf unsere Kultur hat. Diese Entwicklung wurde in Fear and Loathing in Las Vegas von Hunter S. Thompson benannt:


"Wir sind jetzt alle auf einem Überlebenstrip. Vom Tempo der 60er ist nichts mehr übrig.
Das war das Manko an Timothy Learys Trip. Er zog durch Amerika und verkaufte Bewusstseinserweiterungen ohne auch nur einen Gedanken an die grimmigen Fleischerhaken der Realität zu verschwenden, die auf all die Menschen lauerten, die ihn erst nahmen. All jene bemitleidenswerten Acidfreaks, die dachten sie könnten für 3$ den Kick Frieden & Verständnis kaufen. Aber ihre Niederlage und ihr Schaden sind auch die unseren.
Was mit Leary zusammen den Bach runterging war die zentrale Illusion eines Lebensstils, den er mitkreierte. Eine Generation von unheilbaren Krüppeln, gescheiterten Suchern, die niemals den essentiellen mystischen Trugschluss der Acidkultur verstanden hatten. Die verzweifelte Annahme, dass jemand oder zumindest irgendeine Kraft sich um das Licht am Ende des Tunnels kümmert."


Auch wenn ich der Quintessenz dieser letzten Zeilen nicht ganz folgen mag; so zeigt das Zitat eindringlich, dass eine Verklärung von bewusstseinserweiternden Substanzen in die Irre führen; es gilt die Realität mit zu beeinflussen und ihr nicht zu entfliehen. Ohne Lehren daraus zu ziehen, sind die Lektionen wertlos. Und es zeigt vor allem mit welchen Realitäten man sich konfrontiert sah: Vietnam-Krieg, Niederschlagung der Bürgerrechtsbewegung, Horrorgeschichten über Drogenkonsum, Werbemüll, Nixon. Anderswo sah es nicht besser aus.

Ich bin überzeugt, dass positive Drogenerfahrungen einen motivieren können, weiter seinen Weg zu gehen zu einem bewussteren und essentiellen Leben, gleichzeitig habe ich in der Nachschau oft gespürt, wie weit das Ziel, glücklich, augenblicklich, bewusst und im Gleichgewicht zu leben, entfernt ist. Doch manchmal habe ich den Weg erst dann wieder deutlich gesehen.

Doch genug Theorie. Nachdem Paul die Insel verlassen hatte, wurde es Zeit für eine psychedelische Reise - send you to heaven and back - das brauchte man mir nicht zweimal sagen. Da saß ich also wieder in der Bar und betrachtete mit einiger Faszination aber auch Respekt, wie eine erhebliche Menge von Pilzen, die in riesigen Gläsern aufbewahrt wurden, in meinen Cocktail wanderten. Kaum hatte ich ihn zu mir genommen, war ich auch schon auf der Flucht vor der Zivilisation. Die Natur war für mich der einzig sinnvolle Ort für solche Reisen. Die Wirkung flutete in hohen Wellen an. Das würde kein Kindergeburtstag. Ich fühlte mich zunächst sehr stark sediert und unwohl. Dieses anfängliche Unwohlsein ist mir am Anfang eines Trips durchaus vertraut. Am liebsten hätte ich die wenigen Menschen in meiner Umgebung aus meinem Bannkreis geschlagen. Ich wollte allein sein, bis ich mich innerlich sicherer fühlte und suchte mir ein einsames Plätzchen unter einen Palmenhain. Bei starken Trips spricht man von einem Ich-Verlust – und ich denke das ist genau das was ich oft zunächst als unangenehm empfinde und auch ein Prozess der durchaus einige Risiken birgt. Denn das EGO, der Verstand, von dem wir sie so stark bestimmt werden, obgleich er doch nur ein Werkzeug darstellt und keineswegs unsere komplette Identität ausmacht, ist in seiner Aufgeblasenheit oft wenig begeistert, für einige Zeit eine Nischenrolle einnehmen zu müssen. Es wehrt sich. In dieser Phase fühle ich mich sehr exponiert, noch verletzlicher, ganz meinen Gefühlen und meiner Intuition ausgeliefert, denen ich meist zu wenig vertraue. Ganz wunderbar hat das Milde Drücke in dem Buch Ratu Pedanda zum Ausdruck gebracht, das von einer intensiven Begegnung mit einem Hohepriester auf Bali erzählt:


„Vielleicht kann ich alles, was ich wissen möchte, in mir selbst finden. Manchmal gelingt es mir. Viel häufiger aber verwerfe ich Impulse, die mich leiten oder auf etwas hinweisen wollen. 
Ich nehme mich nicht ernst. Ich will lernen, meinen Impulsen wieder zu vertrauen.

Solange ich denken kann, bin ich mir einer eigenen Wahrheit bewusst gewesen. 
Dieses Wissen muss unglaublich hartnäckig oder lebendig sein, hat es mich doch immer wieder dazu gebracht, aufzustehen und weiterzugehen, obwohl ich es den längeren Teil meines Lebens verleugnet habe, was in Zwänge und Abhängigkeiten führte. 

Ich kann mich gut daran erinnern, wie meine Wahrheit sich ursprünglich angefühlt hat: 
weit, pulsierend, sicher, weise, neugierig – sie war Vertrauen, Vertrauen in das eigene Dasein. Nur gab es kaum jemanden, der meine Wahrheit mit mir teilen wollte."


Nach dreißig Minute fühlte ich mich sicherer. Ich lief am Riff entlang bis ich eine kleine Sandbank erreichte, von dem ich den Sonnenuntergang beobachten konnte.


Ich sah mir das unglaubliche Spektakel der stürmisch wandernden Wolken und den Sonnenuntergang an und war wie verzaubert. Dieses Naturspiel fand ständig statt und doch gelingt es normalerweise nicht, es so tief in sich aufzunehmen und sich dabei so lebendig zu fühlen. Die Pforten der Wahrnehmung waren weit geöffnet – alle Schranken aufgehoben: Pures bewusst Sein.

Es gibt etwas, das ich wohl niemals verständlich erklären kann. Denn die Beschreibung dieses Zustands entzieht sich den Worten. Der Ichverlust (oder die Einstapfung des EGO auf ein erträgliches Maß...) geht mit einem radikalen Wechsel der Perspektive einher. Er wird in vielen Erfahrungsberichten beschrieben. Eine Aufhebung der Trennung zwischen dem eigenen Sein und der Umgebung. Das kann angstvoll oder auch befreiend erlebt werden. Mancher darf erfahren was es bedeutet, wenn Alles eins ist. In meiner Interpretation empfinde ich es als Einssein mit der Natur. Ein Gefühl, als würde alles aus einer Quelle gespeist. Ich betrachte mich und alles um mich herum von einer anderen Warte. Der Pilz erscheint mir als Transmitter, der die Signale von innen und außen zusammenführt. Als würde eine innere Stimme laut – die Stimme der Intuition – eine Art drittes Auge das sich öffnet. Gedanken begannen durch mein Hirn zu rasen - auf Englisch – das fand ich ausgesprochen skurril– schließlich dachte ich meist auf Deutsch – auch dann, wenn ich monatelang kein deutsches Wort mehr gesprochen hatte.
 
Forschungen haben ergeben, dass sich die Hirnleistung nach der Einnahme von Psychedelika erhöht; das feit einen allerdings nicht davor debil zu grinsen und von den eigenen Gedankensprüngen bisweilen massiv überfordert zu sein…

Ich stand noch unter den Eindrücken meiner Gespräche mit Paul. Es schien fast als wäre er anwesend. Schade, dass er nicht hier war und diesen Moment mit mir teilte. Ich vermute, er hätte sich nur vorm Zuschauen vor Lachen bepisst und hätte seine Moral für einen Moment vergessen. Auch nach dem Sonnenuntergang blieb ich noch stundenlang sitzen, lauschte dem Meer oder hörte ein wenig Musik und betrachtete die Sterne. Bis ich auf die Idee kam, eine Hängematte in meinem völlig verplanten Zustand an einer der kleinen Palmen zu befestigen. Doch egal welche Palme ich auswählte, sie erschien mir jedes Mal nicht tragfähig genug. Aus Rücksicht brach ich mein Unterfangen nach einer halben Stunde ab, lachte über meine skurrile Darbietung und fand heraus, dass es sich auf dem Sandboden vortrefflich liegen ließ.
Wenige Tage später wiederholte ich das Experiment. Meine Abreise nach Europa rückte immer näher und ich wollte einen krönenden Abschluss erleben.

Der Beginn meines Trips war noch wirrer als beim ersten Mal. Es war erstaunlich, wie vollkommen die 3-D-Sicht wurde. Ich saß am Strand und betrachtete die benachbarte Insel Lombok. 


Ich will nicht wissen, wie die pittoreske Landschaft von Komodo auf mich gewirkt hätte. Von den dortigen urzeitlichen Reptilen, den Waranen, die man mit ganzen Ziegen füttert, ganz zu schweigen. Obwohl ich es besser wusste, schien es mir, als würde ich die Insel in ihrem urzeitlichen Zustand sehen. Auf meinem ersten Acid-Trip hatte ich eine Erfahrung gemacht, an die ich mich ein wenig erinnert fühlte:


Der Sternenhimmel über der Lagune war wundervoll. Bei Vollmond kam das Wasser bis an die Treppe des Restaurants, das für mich zu einer Zufluchtsstätte, ja Heimat geworden war. Ich kam mich vor wie auf einer Insel, die hier nur kurze Zeit geankert hatte und nun wieder ins weite Meer getragen wurde. Der Trip hatte eine ähnliche Gewalt und riss mich mit sich.

Ich hatte den Eindruck, als könne ich die Energie aller mich umgebender Rhythmen, egal ob sprachlicher, akustischer oder gedanklicher Natur wahrnehmen. Mehr noch: ich spürte wie ich die Schwingungen selbst übertrug. Ich war Sender und Empfänger. Meine Sinne waren auf äußerste sensibilisiert. Nuancen wurden zu Hauptattraktionen. Der Energiestrom schwoll immer mehr an. Es fühlte sich an, als würde ich bald platzen.

Ich zog mich zu meiner Hütte zurück. Ich war einfach nicht geschaffen, um mich angesichts solcher Sensationen an einer Bar aufzuhalten - ganz gleich wie prächtig die Stimmung dort war. Die Eindrücke sprengten schlicht mein Vorstellungsvermögen und ich sah mich außerstande angesichts dieser Umstände weiter zu kommunizieren. Zumindest von Angesicht zu Angesicht. Es erschien mir ohnehin, als wäre ich mit mehr Menschen verbunden als je zuvor in meinem Leben. Ich hatte den Eindruck auf Gedanken ganzer Generationen von Menschen zugreifen zu können.

Anmerkung: erzählt so was nie im Beisein eines Doktors…

Ich hatte zu viel erwischt; jedenfalls konnte ich mit dieser Intensität nicht umgehen. Paranoia war mir den Nacken hochgekrochen. Das Dach meiner Hütte schien sich in farbige Energieströme aufgelöst zu haben; kein gutes Zeichen, dachte ich mir noch. Ich setzte mich zitternd vor meine Hütte, die bei Vollmond und Flut direkt ans Meer grenzte und ließ die Moon Safari von Air auf mich wirken. Das war genau die Musik, die ich gebraucht hatte. Die melodiösen Rhythmen  dieses Albums trugen mich auf einem Klangteppich weit weg. Was dann folgte war jenseits der Worte. Raum und Zeit hatten sich völlig verschoben. Ich hatte das ausgesprochen beruhigende Gefühl, als sei ich schon immer auf diesem Planeten gewesen. Vor meinen Augen spielte sich im Zeitraffer die Evolution ab. Zeit verlor alle Bedeutung. Ich spürte die Unendlichkeit. Ich war unendlich. Bewusstsein und Energie konnten nicht vergehen. Ich hatte die Quelle angezapft, doch ich war nicht vorbereitet gewesen.

Ich hatte zuvor zu viel getrunken und das war ein schwerer Fehler gewesen.
Nach einigen Stunden war ich völlig erschöpft und ausgelaugt. Es erschien mir unvorstellbar, wieder in den Kreis der anderen zurückzukehren. Ich war überrollt wurden. Zweimal hatte ich meine eigene Hütte nicht wieder erkannt. Die Struktur der Hütte schien sich vollständig aufzulösen; sie schien nur noch aus wabernder Energie zu bestehen.

Die Wirkung hielt über 20 Stunden an. Es war es ein Durchhaltemarathon. Ich hatte mir entschieden die Finger verbrannt. Denn ich hatte dem Ganzen nichts mehr entgegenzusetzen. Ich sehnte mich nach Ruhe, doch die Wellen verebbten nicht. Ich lief über den nächtlichen Strand und das Mondlicht leuchtete gleißend hell und reflektierte seine Strahlen im Wasser der Lagune. Ich war unglaublich aufgeputscht und wollte nur eins: wieder runterkommen.“


Auch wenn dieses Erlebnis keineswegs angenehm war (abgesehen von den ersten Stunden), so hatte ich einmal mehr die Möglichkeiten erkannt, die in mir angelegt waren. Freilich musste ich meine eigenen Wege finden, um mit Bedacht und Respekt aus der Quelle zu schöpfen. Irgendwo dort lag die Essenz, wegen der ich mich auf den Weg gemacht hatte. Freilich waren Drogen kein nachhaltiger Weg um zu ihr zu gelangen. Irgendwann würde auch ich lernen, mich fallen zu lassen, zu vertrauen, zu Tanzen, in Trance zu versinken und zu lieben. Nur das konnte mich frei machen…

Doch zurück auf die indonesische Insel in der Balisee:

Es war möglich, einzelne Teilbereiche der Landschaft Lomboks zu fokussieren, ohne das Gesamtbild aus dem Blick zu verlieren, was an den stark vergrößerten Pupillen liegen musste. Die Grüntöne des Regenwaldes leuchteten unwirklich intensiv und die Landschaft begann sich zu verändern und zu pulsieren.

Dann legte das Ganze einen neuen Gang ein. Diesmal war der sedierende Effekt noch stärker. Ich steuerte wieder den gleichen Ort angesteuert – die Sandbank vor dem Riff – doch ich konnte mich nicht entspannen. Es kribbelte in meinen Eingeweiden. Ich nahm den Sonnenuntergang in all seiner Pracht wahr, konnte ihn aber diesmal nicht genießen. Ich fühlte mich getrieben. 


Doch danach sollte der Trip phänomenal werden. Im abnehmenden Abendrot lag der Blick auf den heiligen Vulkan von Bali frei, dessen Urkraft physikalisch zu spüren schien - als Energie, die unter dem Meeresboden brodelte - dort wo alles Leben entstanden war und für immer weiterbestehen würde. Ich hatte das intensive Gefühl, Teil dieser Schöpfung zu sein.

Ich zog mich in den Schutz eines kleinen Mangrovenhains zurück. Dies war genau mein Ort.


Direkt vor mir lag das Riff. Im Moment war es jedoch vom Meer bedeckt. Ich war keine 200 Meter von der tosenden Brandung entfernt. Am Himmel erschien der Halbmond und unzählige Sterne prangten am Himmel. Nach und nach zog sich das Wasser zurück und legte das Riff frei. Hatte ich zuvor am Strand nur tote Korallen wahrgenommen, schien nun das Riff komplett beseelt zu sein und zu atmen. Der Boden schwankte. Vorsichtig schlich ich über den Schlick auf dem Riff - um zu vermeiden, jegliches Leben zu zerstören. Das ganze Riff erschien mir als Organismus – genauso lebendig wie der Himmel, die Mangroven, die Sterne, der brodelnde Vulkan und mittendrin meine eigenen Atome.

 
Vorsichtig lief ich zu dem mächtigen Baum, der sich in der Mitte des Riffs befand und normalerweise in tiefem Wasser stand und von Wellen umspült wurde. Seit ewigen Zeiten war er ganz von den Elementen umgeben, stellte sich bei Flut den Wellen entgegen und beherrschte bei Ebbe das ganze Riff. Es erschien mir als spiegelte sich in ihm die ganze Weisheit der Natur. Er war Teil der Elemente. Nun - das waren wir auch – doch wir hatten die Koexistenz mit der Natur einseitig aufgekündigt – als wären wir wirklich dazu in der Lage. Wie töricht! Da stand ich nun im Zwiegespräch mit dem alten Kämpen und es war mir nicht im Entferntesten peinlich auch wenn jeder Bericht darüber nur wie eine Peinlichkeit anmuten muss. 


Vielleicht kann mich Jörg Fauser mit diesem Zitat aus Rohstoff retten:


„Wo war Sarah? Warum war ich nicht in ihrem Bett, wie sich das gehörte, seit Adam Eva kannte? Völlige Finsternis. Verdächtige Geräusche aus dem Wald. Diese Sterne waren zu nichts nütze, so weit weg, wie sie waren. (…)Was suchte ich in diesem gottverfluchten Winkel der Erde? Und auch noch so alleine? Ich brauchte dringend einen Freund. Ein Baum konnte auch ein Freund sein. Ich umarmte eine Fichte. Sie kratzte mich, aber sie roch gut. Ich rieb mich an der Fichte, ich erzählte ihr ein paar Schwänke aus meinem Leben, ich hielt sie fest. Die Fichte tröstete mich. Sterben tun wir alle, sagte sie, aber wir kommen auch wieder, als Mensch, als Fichte, als Wurm, als Regenbogen.
(…)die Erde ist überall, aber nur die Bäume kennen den Wald.“


Dieses Mal verzichtete ich auf Musik. Irgendwann (man bedenke, dass der Einsatz von Halluzinogen mit einer Verschiebung der Raum-Zeit-Achse einhergeht und sich Minuten zu Ewigkeiten ausdehnen können…) hatte ich den Eindruck, ich könnte eine Melodie wahrnehmen. Ich hörte sie laut und deutlich. Ich begann zu dieser Melodie zu tanzen, die nur ich hörte. Hätte mich jemand gesehen, er hätte den einsamen Tänzer für verrückt erklärt - was auch sonst. Doch das war völlig nebensächlich. Es gab nur die Natur und mich und eine Kraft in deren Gegenwart Demut die einzig mögliche Haltung war. Es gab keine Barrieren mehr. Die Filter meines Bewusstseins hatten sich aufgelöst. Ich war glücklich. Zeitweise empfand ich die Sensation, als sei ich neugeboren worden. Ich hatte das intensive Gefühl, mich endgültig mit meiner Vergangenheit ausgesöhnt zu haben und diese nun hinter mir lassen zu können. Es erschien mir, mich auf dem richtigen Weg zu befinden und schon eine weite Strecke zurückgelegt zu haben. Und ganz gleich welche Rückschläge und Irrwege wohl noch auf mich warten würden – alles war gut. Ich war aufrichtig bereit, weiter in Demut zu lernen, ohne überheblich zu werden, ob dem bisschen was ich schon erreicht hatte. Ich war ein kleines Lichtlein - was konnte befreiender sein. Ich hatte kein Kreuz zu tragen und ich konnte nur als Teil des Ganzen eine Bedeutung haben. Wie meist, wenn ich mich glücklich fühle, gab es auch einen melancholischen Teil. Der Wehmutstropfen in diesem Moment war, das ich ihn mit keinem anderen Menschen feiern konnte. Das minderte das Gefühl nicht, aber es würde unmöglich sein, dieses Geschenk, das für mich selbst allein viel zu groß war, zu teilen. Es war wie es Carlos Castanieda in seiner Journey to Ixtlan beschrieben hatte:


„Ich bin so weit weg vom Himmel, unter dem ich geboren bin. Ungeahnte Sehnsucht greift nach meinen Gedanken. Jetzt wo ich so allein und traurig bin, wie ein Blatt im Wind, möchte ich manchmal weinen, möchte ich manchmal vor Sehnsucht lachen.“


Ich war erfüllt von einem Gefühl von Liebe gepaart mit einer Melancholie, die mich innerlich beben ließ. Der Moment war majestätisch, aber nicht vollkommen. Mir fehlte ein kongenialer Partner, der dieselbe Botschaft empfing und sich mit mir an diesen Moment erinnern würde. Von einem Moment auf den anderen fühlte ich mich sehr einsam. Doch ich war keineswegs traurig, ich sehnte mich einfach nach Nähe. Zugleich war mir bewusst, dass es nicht viele Menschen gab, mit denen ich diesen Moment wirklich teilen könnte; sicher lebte diese Reise auch von den vielen Momenten, in denen es Niemanden an meiner Seite gab. Und ja: es gibt es einen riesigen Unterschied zwischen gewähltem Alleinsein und dem Gefühl der Einsamkeit. In diesem Moment aber wünschte ich mir nichts sehnlicher als den Menschen zu kennen, der irgendwo auf mich wartete. Am liebsten hätte ich mich gleich auf den Weg gemacht. Als mir diese Gedanken kamen, hörte das Tosen um mich herum auf, die Halluzinationen verschwanden und das Riff hörte auf zu atmen. Ein Moment vollständiger Klarheit durchströmte mich - wie eine augenblickliche Erleuchtung. Es gab keine neuen Erkenntnisse, die sich radikal von meinen bisherigen unterschieden; die Kraft dieser Erfahrung lag in ihrer Intensität und der Reinheit der Empfindung. Ich befand mich in tiefem Frieden mit mir und allem Leben rundherum und im Bewusstsein, dass ich fähig war zu lieben und dass man auch mich lieben durfte. Es war Zeit voranzuschreiten. Auf dem Rückweg zu meinem Bungalow hörte ich brothers in arms von den Dire Straits; vielleicht verdiente ich wirklich so tolle Freunde, wie sie mir geschenkt worden waren; ich zog das oft genug in Zweifel.
 
Ich wollte um jeden Preis leben. Und sollte ich in diesem Moment sterben, war nichts umsonst gewesen. Ich hatte auf meinen Reisen wieder Leben im mich aufgenommen, nachdem ich eigentlich schon ein Jahrzehnt zuvor gestorben war. Seitdem hatte ich noch einmal Schwung geholt und war noch einmal über das Karusell des Lebens gewirbelt.


„Ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohlüberlegt leben; intensiv leben wollte ich. Das Mark des Lebens im mich aufsagen, um alles auszurotten, was nicht Leben war. Damit ich nicht in der Todesstunde innewürde, das ich gar nicht gelebt habe.“

Henry David Thoreau - Walden. Ein Leben in den Wäldern


Ausklang


Es ist ungeheuerlich schwer solche Erlebnisse auch nur im Ansatz in dir richtigen Wörter zu kleiden. Schließlich geht es um Empfindungen, die der Alltagsrealität vielfach zu widersprechen scheinen.

In meinen jungen Jahren war ich nach meinen ersten Erfahrungen mit Cannabis fasziniert von Drogen. Gerettet hat mich, dass ich mir zu allen Drogen Literatur besorgt habe, was mich davon abgehalten hat, einige zu probieren - was nur zu meinem Vorteil war. Aufputschmittel sind nicht meine Welt. Die Welt ist mir aufgeputscht genug. Ich suche nach Besinnung; nach Kontemplation. So ist die Faszination für Psychedelika geblieben - und der Respekt.
Es steht außer Frage, dass Drogenmissbrauch zu massiven sozialen und gesundheitlichen Folgen führen kann. Aber auch, dass man sie ge(!)brauchen kann Ich gehe soweit zu sagen, dass es ein Recht auf Rausch gibt. Die Folgen von Suchterkrankungen will ich keineswegs kleinreden – doch ich bin überzeugt, dass Aufklärung, Beratung und erstgemeinte Rehabilitationsangebote einzig zielführend sind. Wohingegen die Prohibition, einseitige Verteufelung und Kriminalisierung von Konsumenten viel mehr Elend erzeugen als sie verhindern.

Sehr befremdet war ichm als ich eines Abends zwei blutjunge Rucksacktouristinnen traf, die sich ein riesiges Mushroom-Omlette teilten - was das Schlimmste für ihren bald anzutreffenden Geisteszustand ahnen ließ. Der Konsum war für sie etwas, was auf ihrer Liste stand und abgehakt werden musste. Meine Frage, ob sie wüssten, was sie da taten, beantworteten sie mit solcher Herz erfrischenden Naivität, dass mir Angst und Bange um sie wurde. Ich war erst ein wenig beruhigt als ich erfuhr, dass sie sich an einen ruhigen Ort zurückziehen würden.
Viel schlimmer noch empfand ich die Begegnung mit einem der Söhne der Familie meines Gasthauses. Ständig lag er mir mit seinen Sprüchen in den Ohren:
„you roll a joint?“ - „Mother from another brother“ - „i don`t like it but i love it“
Nach kurzer Zeit konnte ich es nicht mehr hören. Der Gute war auf einem Bob-Marley-Trip, der sich gewaschen hatte. Ich vermute, der gute Bob würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste was für Auswüchse sein Kult mancherorts gewonnen hat. Wirklich geschockt war ich allerdings - als dieser Junge, der kaum 18 war und auf einer vor wenigen Jahrzehnten noch völlig abgelegenen Insel lebte, mir vorschlug, wir könnten zusammen Crystal Meth rauchen. Never, ever! Angesichts solcher Drogen, die inzwischen die Märkte überschwemmen, kann ich es kaum fassen, dass man sich mit einem Joint in der Hand strafbar macht…

In diesem Blog habe ich das Thema Liebe bereits angeschnitten und daran wird mein nächster Blog thematisch anschließen – der vorerst letzte große Bericht…
Das wird kein Rosamunde Pilcher; Vielmehr soll es die Frage vertiefen, wonach der Suchende eigentlich sucht. Und ob er es wohl irgendwann finden mag…


Weiterführende Artikel



Über die Möglichkeit des Individuums zur Transformation feat. Jiddu Krishnamurti und Thomas D über LSD und die Entwicklung von Bewusstsein.


Warum ich schreibe(n) muss - Gedanken zu Literatur, Kunst und dem Wandel.


gonzoeker Ausflug nach Bangkok, Ko Samui und zur Party unter dem Vollmond.


der reguläre Bericht zu meinen Erlebnissen auf Gili Trawangan.


erstklassiger Artikel über die verheerenden Folgen des "Krieg gegen die Drogen"

Dienstag, 19. Februar 2013

Reisereportagen: Thailand, die Aussteiger und der Wahnsinn


zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie den Brain Doctor!

Vorwarnung

Einer ganzen Reihe von Reisenden, mit denen ich mich unterhalten habe, und die ebenfalls zuerst Indien und danach Thailand kennen lernten, ging es ähnlich – nach der übermächtigen indischen Kultur, die sich zwar auch in einem Wandel befindet - die aber neue Einflüsse viel stärker absorbiert - erscheint Thailand sehr westlich geprägt – was die meisten Reisenden, die von Europa nach Thailand kommen, niemals unterschreiben würden…
In jedem Fall hat sich die westliche Lebensart sehr stark mit der Kultur der Thai vermischt – vor allem in Bangkok und den Tourismuszentren des Landes. In Indien wäre damit wohl noch am ehesten Goa vergleichbar. Doch auch dieser Vergleich hinkt; zudem fallen die ausländischen Touristen im Land angesichts der Gesamtbevölkerung Indiens an den wenigsten Orten ernsthaft ins Gewicht. 

Thailand hat sich deutlich stärker verändert. Nun ist es so, dass viele Thai diese Veränderungen durchaus begrüßen und sich der Lebensstandard im Allgemeinen deutlich gehoben hat  – doch diese Entwicklung kennt auch viele Verlierer und das Land ist zunehmend gespalten. Die einen sind begeistert vom Fortschritt und stark angezogen vom westlichen Lebensstil. Doch gerade außerhalb der großen Städte gibt es viele, die den Ausverkauf ihrer Kultur beklagen und sich von den Profiteuren des Aufschwungs, die zu einem wesentlichen Teil in Bangkok leben, übergangen fühlen. Wenn man in den Morgenstunden Bangkok mit dem Zug erreicht, sieht man die weniger bekannten Seiten der Stadt - Slums und Randexistenzen entlang der Bahngleise.
Lange Zeit wollte ich Thailand auf keinen Fall bereisen, weil ich eine Befürchtung dessen hatte, was mich dort erwarten würde – Massentourismus, verstörende Auswüchse der Prostitution und ein Land, das auf dem Weg zur Konsumkultur nach und nach seine Seele verliert. Dieser Einschätzung hat sich nicht grundlegend geändert. Das soll keineswegs heißen, Thailand wäre kein schönes Land. Viele Reisende können gar nicht genug bekommen. Auch ich habe unheimliche liebenswürdige Thais kennenlernen dürfen, betörende Landschaften gesehen und viele bereichernde Impressionen in meinen Rucksack packen können. Doch die Begeisterung für Shoppingmalls und Lifestyle-Gesellschaft geht mir vollständig ab. Egal ob in Europa oder Asien.

Doch um wirklich herauszufinden, was sich dort abspielte, musste ich erst in die Hölle hinabsteigen – und meine persönliche Hölle erkunden. Dass es die gab war keine neue Erkenntnis und doch hätte ich vor meinem ersten Besuch in Bangkok gedacht, dass ich auf meinem Weg schon weitergekommen wäre.

Es war immer klar, dass ich diesen Blog nur mit einer gewissen Prise Wahnsinn schreiben konnte – und so ist dies auch ein Experiment mit gonzoesken Zügen – durchaus beeinflusst durch meine Lektüre des Großmeisters – Hunter S. Thompson. Ihn zu kopieren wäre freilich nicht mein Stil – und nicht zuletzt fehlt mir dazu das Bataillon an Drogen, die sich der Duke verfügbar machte. Im besten Falle erweitere ich mit diesem Blog mein Repertoire – im schlechtesten wird man mich nie wieder lesen. Ich hoffe das ist es wert - mir bleibt keine Wahl…

Bangkok


„Die materielle Gewalt der westlichen Weltsicht hat die östliche überrollt. Asien hat seinen Frieden verloren auf der Jagd nach dem Glück, das uns bereits unglücklich gemacht hat.“

Tiziano Terzani

Während meiner Reisen war ich meist alleine unterwegs. Lonesome Traveller. In den Monaten in Südostasien war das zumeist anders. Das Timing war perfekt: ich landete – von Bombay kommend - exakt 20 Minuten nach Chris auf dem Flughafen von Bangkok. Ermöglicht hatte unser sofortiges Zusammentreffen die beispiellose Dekadenz der Scheichs von Abu Dhabi. Denn aufgrund einer schweren Infektion und meiner geradezu legendären Planlosigkeit, hatte ich Chris erst im letzten Moment eine Mail zukommen lassen – sinnigerweise als er sich bereits in der Luft befand – um ihn wissen zu lassen, das ich wirklich kommen und ich ihn nicht hängen lassen würde. Am Flughafen von Abu Dhabi hatte er bei der Zwischenlandung dank eines kostenlosen Internetzugangs meine Nachricht erhalten. Mit Chris und zwei anderen Mädels hatte ich vor meinem Aufbruch in den Wahnsinn zwei Jahre lang in einer WG gewohnt. Der Wahnsinn vor dem Wahnsinn. 

Bevor Chris mich erblickte, war er damit beschäftigt, wie ein Irrwisch zwischen zwei Gepäckbändern hin und her zu springen, die jeweils Flüge aus Bombay abwickelten. Es fühlte sich fast ein wenig unwirklich an, endlich einmal ein aus der Heimat bekanntes Gesicht zu sehen. Schließlich lag mein Aufbruch anderthalb Jahre zurück und den zwischenzeitlichen Aufenthalt in good old germany war nach einer kurzen Phase der Euphorie von einer kolossalen Umnachtung geprägt. Wir tranken ein paar Kaffee in einer ekelhaft-stylischen Kaschemme, die man nur als Teil der Wirklichkeit ignorieren konnte. Dabei suchten mich böse Backflashs heim – ich hatte den Flughafen bei meinem ersten Kurzbesuch in der Stadt besser kennen gelernt, als mir lieb gewesen wäre:


Backflash

Nach einer katastrophalen Nacht, die eigentlich nur dazu hatte dienen sollen, einen Anschlussflug zu erreichen und stattdessen einige Charakterzüge an mir zu Tage gefördert hatte, die man unverzüglich amputieren sollte, hatte ich meinen Flug verpasst. Und das völlig zu Recht! Seitdem weiß ich, wie es sich anfühlt, vor einer Servicekraft von Air Berlin zu stehen, die den armen Irren vor ihr geflissentlich ignoriert, wirre Kommandos in ein Walkie-Talkie bellt und ihn mit Todesverachtung straft, weil er sich die Blöße gibt, in seinem verlotterten Zustand zum verzweifelten Bittsteller zu werden, um doch noch an Bord der Maschine zu kommen.. Die letzte Fassade meiner Würde bröckelte bedenklich. Air Berlin kannte keine Gnade - irgendwann werde ich mich fürchterlich rächen – wobei die mit ihrem neuen Flughafen genug gestraft sind. Außerdem war ich selbst schuld; oder die Typen im Hotel, die mich nicht geweckt hatten; und das nur weil sie der Überzeugung waren, dass ich bereits wach war, als ich nach einer schlaflosen Nacht zur besten Frühstückszeit hereingeschneit kam – nur um kurze Zeit später gewahr zu werden, was für einen Bockmist ich in der Nacht fabriziert hatte und bei dem Versuch einzelne Passagen - vor dem Einschlagen des unweigerlich folgenden Holzhammers - schriftlich zu fixieren, bevor sie auf ewig in den Orkus der Bedeutungslosigkeit hinabsinken würden, in einen Sekundenschlaf geriet, der eben nicht einige Sekunden anhielt, sondern zu meinem Entsetzen zu einem Kurzzeitkoma von zwei Stunden geführt hatte. Das realisierte ich, als ich mich unter die Dusche begeben wollte und notgedrungen eine Unterhaltung mithörte. Der folgende Taumel, das eilig zusammengeraffte Gepäck, hastiges Auschecken sowie das Chartern eines Taxis, das sich trotz meiner emsigen Bemühungen nicht in einen Düsenjet verwandeln wollte, hatte nichts genützt. Ich stand vor dem Nichts.

Vielleicht spürt die Dame am Service-Schalter, dass ich dabei bin, mich in eine tickende Zeitbombe zu verwandeln und sie verkündet mir großmütig, man könne mir aus Kulanzgründen eine Umbuchung für den nächsten Tag gegen die Gebühr des halben Flugpreises zugestehen - vielleicht konnte man ja an dem Irren nochmal verdienen, wenn er wieder klar im Kopf war und man erspart sich eine Randexistenz voreilig zu vernichten. Jetzt musste ich nur noch Geld stehlen. Am Abend zuvor hatte ich schließlich bei einer unglücklichen Transaktion infolge der zu raschen Abfolge verschiedener Währungen in den letzten Monaten um eine Null vertan und anstatt der verbliebenen 10 Euro mehr abgehoben als mir noch zustand. Nicht ganz unmaßgeblich dürfte auch der einsetzende Hirnfick gewesen sein, der aufgrund der herrschenden 40 Grad, einer gefühlten Luftfeuchtigkeit von 99% und einer aufkommenden Euphorie, das ich auch diese Reise gemeistert hatte, rasant an Fahrt gewann. Auch der Genuss eines süffigen Weißweins, den ein gewiefter Schweineficker in Form einer Bierflasche verkaufte (womit er mich gekriegt hatte; denn an jedem Ort probierte ich die exotischsten Biere) war nicht hilfreich. Diesen Fehler hatte ich zu allem Überfluss auch noch als Wink des Schicksals verstanden und das hatte eine neue Stufe der Eskalation eingeleitet. In den wirren und schwer zu entziffernden Aufzeichnungen dieses Abends, prangt eine Bemerkung zu dieser Erleuchtung: it`s a coconutyoga`s world. Armer Irrer!

Eigentlich müsste meine Bank doch kooperativ sein und der Automat erneut ein wenig Geld ausspucken. Schließlich tut sie auch als Immobilienspekulant im neuen Herz Europas hervor, bei der Stützung von Nahrungsmittelpreisen (…) und bei Geschäften mit hirnamputierten Arschlöchern (Zitat eines Lehrers auf einem humanistischen Gymnasium über den Autor dieses Text, der damals zehn Jahre alt war…), die mit Wasserwerfern Wahlkampf machen.
Doch der Bankautomat lachte mich höhnisch an: Hier hast Du keinen Kredit mehr, Du asozialer Herumstreicher! Wärst nicht auf Reisen gegangen und hättest wie jeder anständige Mensch weitergearbeitet, dann hätten wir Dir den Dispo nicht gestrichen – „dämlicher Arsch!“, murmelte ich, doch der nächste Automat ist nicht besser erzogen. So muss ich anerkennen, welch trostlose Bedeutung ein seelenloses Flughafengebäude für einen Gestrandeten in solch einer Stunde gewinnen kann. Lost in Transition! Würde mich eine Fabrik in Bangkok anstellen? Panik kommt in mir auf – ja, ich hatte es endgültig zu weit getrieben. Ich war doch ein hoffnungsloser Fall! In einem Anfall von Wahnsinn muss ich mir verkneifen, als Belohnung für meine Heldentaten der vergangenen Nacht meinen Kopf an der nächsten Scheibe blutig zu schlagen oder durch wütendes Gebrüll die Aufmerksamkeit der Security auf mich zu lenken. Was war ich nur für ein erbärmlicher Idiot! Doch so schnell der Wahnsinn angeflutet war – so schnell verebbte er wieder. Ich erinnerte mich an all die schönen Erlebnisse der letzten Monate und beschloss meine Reise nicht auf solch unwürdige Weise zu beenden. Ich atmete tief durch und eine lässige Ruhe, die der Situation seltsam unangemessen erschien und meinerseits zu einem dümmlichen Grinsen führte, kehrte zurück. Wenn bipolare Menschen auf Reisen gehen, gibt es eben viel zu erzählen. Das würde wohl nicht der letzte Fehler in meinem Leben sein. Dafür war ich Erfahrungsmillionär. Nun hieß es durch den massiven Konsum von Koffein und Nikotin wieder einen klaren Kopf zu kriegen und einen Weg zu finden, um wieder aufzustehen. Dafür würde ich Hilfe brauchen. 

Den höllischen Kater in meinem Schädel hatte ich zwischenzeitlich vergessen. Das Adrenalin, das sich während der Taxifahrt zum Flughafen in mir aufgestaut hatte, hätte sicher gereicht, um mit einem Jagdbomber einmal um die Welt zu fliegen - mit einem debilen Lächeln im Gesicht. Da musste ich nun wieder anknüpfen.

Infolge einiger Telefonate, die ich von einem Internetcafe führte, konnte ich dankbar registrieren, dass es im weit entfernten Europa Menschen gibt, die mich trotz meiner Allüren noch immer mögen und mir beispringen würden. Schon während der Gespräche war ich wieder zum Scherzen aufgelegt, schließlich wurde ich als Überraschungsgast auf einer Geburtstagsparty im schweizerischen Jura erwartet, für die ich aus Bali anreiste.

Danach war ich wieder in der Lage, mich ganz meinen Kopfschmerzen hinzugeben. Im Flughafenbus fuhr ich erneut in die Stadt und stieg mit meinen letzten Groschen wieder im selben Hostel ab – schlimmer konnte es ohnehin nicht werden. Den Rest des Tages verbrachte ich in einem buddhistischen Tempel. Immer wieder kamen furchtbare Gedankenfetzen der letzten Nacht in mein Bewusstsein. Was war ich nur für ein grausamer Bastard! Eben hatte ich noch stundenlang mit einem taubstummen Thai über das Leben philosophiert und schon wurde ich (begünstigt durch unsere Ankunft auf der Kasoan Road) in einen finsteren Abgrund hinabgezogen. Das Schlimmste war: dort fühlte ich mich pudelwohl. Zeit, um Buße zu tun! Neben mir stimmten die Mönche ihre Mantras an und ich saß in tiefer Einkehr neben ihnen und versuchte die entsetzlichen Erinnerungen zu vertreiben, die ich aufgrund meiner massiven Zellenvernichtung bereits verloren hoffte, und entschuldigte mich ganz im Stillen für meine grenzenlose Dummheit und war schließlich dankbar, dass der zweite Teil meiner Reise nicht mit einem solchen Absturz endete, sondern ich noch in der Lage war zu bereuen und mit einem Rest von Würde heimzukehren. Irgendeinen Kredit brauchte ich schließlich…


Bangkok reloaded

Um Chris ein adäquates Bild der Stadt liefern zu können, blieb nur erneut in den Abgrund der Hölle zu steigen: die Kaosan Road. Eine Ausgeburt des Lonely Planet – dem man nur noch folgen sollte, wenn man Einsamkeit hasst. Hätten deren Autoren   nicht davon geschwafelt, dass diese Straße the place to be wäre, würde sich keine Sau für diese Straße interessieren. Dabei wäre es wohl besser geblieben. Doch welcher anderen Nachbarschaft wollte man dieses Schicksal wünschen? 

Konnte man den Zirkus nicht wenigstens konsequenter einzäunen und Warnschilder anbringen?

Um das Niveau weiter zu senken, checkten wir in eine Massenunterkunft ein, die sich Mom`s Guestouse oder ähnlich schimpfte und direkt auf die berüchtigte Straße wies. Im Gegensatz dazu, könnte die Reeperbahn jederzeit als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet werden. Auch die widerlichen Ecken.
 
Es ist nicht gerade einfach bei ohrenbetäubender Elektro-Mucke zu schlafen und dennoch verbrachten wir drei Nächte dort. Nun hatte ich also Gelegenheit, diesen Sündenpfuhl einem Freund zu zeigen; das war immer ein Manko gewesen: zuhause konnte keiner nachvollziehen, was ich unterwegs erlebt hatte; viel lieber hätte ich mich mit ihm in Indien getroffen; seine Wahl war aber auf Thailand gefallen; immerhin hatte er bei Coconutyoga Travels gebucht – auch wenn meine Beschäftigung bei dieser ominösen Firma eine rein ehrenamtliche Beschäftigung war. Die Zeit war einfach noch nicht reif. Die Hochglanzbroschüre meiner noch zu gründenden Reiseagentur lag gedanklich schon vor mir: „should you survive, you got some great stories to tell - if not – don`t blame the guide!“

Ich will nicht verhehlen, dass es mir eine irre Freude bereitete, zu sehen, wie das unheilige Treiben in der völlig überkommerzialisierten Kasoan Road auf ihn wirken würde: mit den grellen Neonlichtern, der Kakophonie des Straßenlärms, der Einpeitscher, Verkäufer und dröhnender Bässe, dem köstlichen Straßenessen, so ziemlich allen Produkten die den wirren und weniger wirren Marketingexperten der Weltgeschichte eingefallen waren: von Kitsch aller Art, über Kleidung, Elektronik, Accessoires bis hin zu gefälschten Führerscheinen und Studentenausweisen oder Masken von Saddam Hussein oder Osama Bin Laden. Natürlich kann man sich auch vor Ort Rastas machen lassen oder Tattoos stechen und sich von Fischen anknabbern lassen. Garniert wird das Spektakel (das hier nur im Ansatz beschrieben ist) durch das Anpreisen von Flatrate-Saufen, Angeboten aller Art aus dem leichten Gewerbe und durchtriebenen Gestalten, die einem ins Ohr raunen: Ping-Pong, Sir?
Die Preisliste dieser Marketinggenies bestand aus Gegenständen, die wir aussuchen sollten, woraufhin sie von einer uns nicht näher bekannten Frau in ihre Geschlechtsöffnungen gesteckt wurden. Ich will nicht ins Detail gehen. Aber das war ekelerregend. Und wie konnte man diese indiskutable Einladung mit einem Sir abschließen? Vielleicht waren die Gentlemen schlicht ausgestorben. Nachdem das nicht zog, wurde das Angebot noch wesentlich subtiler: you like Boom, Boom? Schmierig grinste uns der missratene Typ von der Seite an. Schwer zu beschreiben, wie übel einem in solche einem Moment werden kann; man ist hin und hergerissen zwischen handfestem Ekel und einer Form von morbider Faszination, das sich ein solcher Ort wirklich auf Längen- und Breitengraden materialisiert hatte.

Einmal habe ich erlebt wie ein junger Inder von einigen üblen Zuhältern unter Anfeuerungsrufen mitten in der Menge verprügelt wurde, weil er nicht zahlen wollte. Er setzte darauf, seine Peiniger mit dem Argument, er habe an ein Liebesarrangement geglaubt, zu beschwichtigen. Dummerweise konnte man in seinem Gesicht lesen, dass er dieser dümmlichen Argumentation selbst nicht glaubte. Es war einfach zu bemitleidenswert und so setzte ich mich für ihn ein. Der schmächtige Bursche war ohnehin hoffnungslos unterlegen und hatte bereits eine heftige Abreibung erhalten und er würde es ohnehin nicht lange überleben, wenn er aus dieser Episode keine Schlüsse ziehen konnte; kurze Zeit später ließen sie von ihm ab; wie ein Hund wollte er sich an meine Fersen heften und Sekunden später war ich selbst angeekelt von seiner schmierigen Unterwürfigkeit und legte ihm nahe, eine andere Richtung einzuschlagen. Dies war in jedem Fall ein Ort heimtückischer Versuchung. Kein Wunder, dass man leicht den Verstand verlieren konnte und Katastrophen eintreten konnten, wenn man sich an solch einem zwielichtigen Ort, an dem die Oberfläche des Scheins nur wenige Millimeter dick war, betrank und sich gehen ließ. Das würde mir nie wieder passieren. In gewisser Weise empfand ich das Treiben nach den Tagen in Bombay sogar entspannt, was wieder einmal zeigt, wie erheblich sich der Blickwinkel auf langen Reisen verändern kann.

Chris war zwischen Faszination und Befremden hin und hergerissen. Die extreme Ambivalenz dieses Ortes war dafür wie geschaffen. Einem Neuankömmling bietet dieser Ort einen einfachen Start: die Preise für Hotels und Essen sind deutlich ausgeschrieben und die Orientierung fällt nicht allzu schwer. Dagegen war Indien eine völlig fremde Welt.

Ich muss sogar zugeben, dass ich zu dieser Stadt mehr Verbindung aufgebaut habe als zu den anderen asiatischen Metropolen, denen ich einen Besuch abgestattet habe; das ist im Übrigen eine überschaubare Zahl; mich zieht es nicht unbedingt in Großstädte.
In Bangkok fühlte ich mich zwar auch fremd, aber weit weniger verloren, als das stellenweise in Delhi, Bombay oder Kathmandu der Fall gewesen war.

Als ich den Bericht Tiziano Terzanis über die rasante Veränderung in Krung Thep, der Stadt der Engel las, verstand ich warum es mir in Bangkok so schwer fiel, mich wirklich wohl zu fühlen, wenn nicht gerade der Mythos des Orients meine Gedanken umnebelte. Durch den rasanten „Fortschritt“ hatte sich das Stadtbild innerhalb kürzester Zeit komplett verändert. Die alte Bausubstanz verschwand zum großen Teil und wurde durch eine Skyline ersetzt, mit der auch die Frischluftschneisen wegfielen, die das Klima in der tropischen Stadt erträglich hielten. Daraus assoziierte Terzani den Fall der Engel. Ich frage mich, was Terzani wohl sagen würde, wenn er das heutige Stadtbild sehen könnte und die Ausprägung des toxischen Verkehrs, der einem den Atem raubt. Von den Hochstraßen, der unglaublichen Kommerzialisierung und den Auswüchsen der Prostitution ganz zu schweigen. Die Kaosan Road mit den Pools auf den Dächern der Hotels, der Dauerbeschallung mit ohrenbetäubender Technomusik bis in die Morgenstunden und einer Eimer-„kultur“, die alles was ich zuvor gesehen hatte in den Schatten stellte, hätte bei ihm wohl Assoziationen mit der Hölle wachgerufen. Mir ging es so – obgleich ich wusste, dass sich dieser künstliche Ort auch bei vielen Thais steigender Beliebtheit erfreut.

Erst am dritten Tag unseres Aufenthalts gelang es uns angesichts der reizüberflutenden Umgebung etwas Anständiges zu tun. Wir besichtigten den Königspalast mit dem Emerald Buddha Temple. Die Anlage ist zweifellos beeindruckend – zeugt aber mit seinen vergoldeten Fassaden von einem Prunksucht, die uns schwer auf den Magen schlug. 

Im Anschluss zeigte ich Chris das Wat Pho, eine weitere Tempelanlage, die ich weitaus angenehmer finde. Dort hatte ich nach meiner Katastrophennacht Buße getan. Hierher verirrten sich deutlich weniger Touristen und so konnten wir die Atmosphäre des Geländes viel tiefer auf uns wirken lassen. Um nicht die Übung zu verlieren, erklommen wir nach einer Bootsfahrt über den Hauptstrom Chao Phraya die extrem steilen Stufen des Wat Arun. Von dort aus hat man einen wunderbaren Blick auf den Sonnenuntergang über der Stadt mit ihren Kanälen, ihren buddhistischen und Geschäftstempeln. 


Nach einem Curry überredete mich Chris zu einem Ausflug zum Muay Thai-Boxen im Lumbini-Stadium. Wir charterten ein Tuk-Tuk und fuhren durch die halbe Stadt – die letzten Kilometer präsentierten sich uns endlose und glitzernde Shoppingmeilen. Hier war der Tigersprung vollendet. Wir waren spät dran und mussten einen geradezu unverschämten Eintritt bezahlen. Keiner von uns hatte jemals einen Boxkampf beigewohnt und besonders einer der Kämpfe war wirklich packend und ausgeglichen. Die beiden Kämpfer sahen nicht mal übermäßig kräftig aus. Aber jeder ihrer Kicks mit ihren Füßen und ihren Knien hätte bei uns für unbestimmte Zeit das Licht ausgeblasen. Sie besaßen unglaubliche Nehmerqualitäten. Wir wagten kaum, uns das dazugehörige Training auszumalen.

Als wir das Boxstadium verließen, wollten uns die Tuk-Tuk-Fahrer nur für völlig überteuerte Preise zurück zum Hotel bringen. Darauf wollte ich mich keinesfalls einlassen. So nahm ich kurzerhand das günstige Angebot eines Scooterfahrers an, uns beide auf dem Rücksitz mitzunehmen. Chris hielt das für einen schlechten Scherz, was ihm angesichts des mickrigen Gefährts kaum zu verdenken war. Da musste er nun durch. Ich war der Reiseleiter. Es war eine durchaus lustige Fahrt, was wir durch das lautstarke Singen von eisgekühlter Bombulunder von den Toten Hosen unterstreichen wollten, was zu einiger Irritation unter den anderen Verkehrsteilnehmern führte. Doch die Menschen in Bangkok waren schlimmeres gewöhnt und zu unserer Ehrenrettung muss ich sagen, dass wir das auch zuhause getan hätten…
Zurück in der Kasoan Road tranken wir noch ein paar Bierchen und beobachteten ein paar mutige jugendliche Thais, die Breakdance auf dem harten Asphalt zelebrierten.
Doch schließlich ließ sich ein weiterer Aufenthalt auch unter soziologischen Gründen nicht mehr rechtfertigen und so beschlossen wir unser Karma endgültig zu versauen und nach Ko Samui zu reisen. Wie hatte ich nur Chris die Wahl lassen können? Vielleicht hätte ich als Reiseleiter eine gemäßigte Diktatur durchsetzen sollen….

Jedenfalls waren wir froh, das Treiben endlich hinter uns zu lassen und bestiegen einen Nachtbus gen Süden. Wie nicht anders zu erwarten war, bot diese Art des Transports wenig Erholung – um es vorsichtig auszudrücken. Um die weiteren Abgründe auszuloten, bietet sich immer der Kauf einer Package-Tour an – einer Rundum-sorglos-Versorgung. Der Nachteil? Bei solchen Dumpingpreisen konnte man nichts anderes erwarten als wie ein Stück Vieh behandelt zu werden. Zudem kam man in den Genuss von bunten Bändchen, dummem Rumstehen und noch dämlicheren Ansprachen über das Procedere – immer untermalt von einer grenzdebilen Kindergartenstimmung. Ein wenig kam ich mir vor wie auf einer Fahrt nach Mallorca, die ich nie angetreten hatte, weil ich zu klug war, um mich in der Schule verdummen zu lassen. Viele der Mitreisenden schienen mir überdrehte, pubertäre Beautyköniginnen und picklige Schweden zu sein, die ein Praktikum beim Abenteuer machten und sich als die schlitzohrigste Typen des ganzen Erdballs feierten. Doch das sollte mich nicht weiter stören; schließlich waren wir zu zweit und ich musste keine Kontakte knüpfen, die ich doch nur bereut hätte. Unterwegs gab der Bus seinen Geist auf. Das war insofern verwunderlich als es sich um ein relativ modernes Modell handelte und nicht mal die elendsten Möhren auf dem indischen Subkontinent jemals aufgegeben hatten. Wenigstens ließ sich die unbestimmt andauernde Pause zum Konsum eines Joints nutzen. Das Gras hatten wir auf etwas obskurem Weg in einer Harley-Bar erstanden.

In den Morgenstunden warteten weitere sinnlose Buswechsel und dummes Warten auf uns und wir wurden mit Splatterfilmen und hirnrissigen Agentenfilmen mit kalter-Krieg-Rhetorik gequält. Der ohrenbetäubende Lärm bildete einen extremen Kontrast zu der friedlichen Landschaft mit ihren Karstfelsen die aus nebligen Tropenlandschaften herausragten. Nicht unweit war auch der Film the beach gedreht worden – wie naheliegend die Wahl dieses Orts für den Roman gewesen war, wird sich dem geneigten Leser möglicherweise in diesem Artikel erschließen. Faszinierend, dass viele junge Leute den Film sehen, ohne zu begreifen, was er ihnen eigentlich sagen sollte.

Schließlich erreichten wir den Pier. Die Fähre war mit einer wahnsinnigen Anzahl von Touristen beladen, die sie auf drei Inseln im Golf von Thailand ausspucken würde. Ohne Interesse für die Belastungskapazität wurden unzählige Koffer auf den Kahn geworfen – als wollte man ihn vorsätzlich zum Absaufen bringen. Unser Untergang aufgrund des übermäßigen Gewichts, das wir bei uns trugen, wäre eine schöne Metapher gewesen – aber für den Fortgang der Geschichte unglücklich.


Ko Samui
Nach der Ankunft ließen wir uns Zeit um den Massen einen fairen Vorsprung zu geben und fanden uns kurze Zeit später in einem Cafe am Pier wieder – wir wollten es langsam angehen lassen. Als die Anlegestelle wieder in dem Dämmerschlaf befand, in dem sie wohl meist lag, wenn sie nicht gerade von einer Horde glückssüchtiger Ritter heimgesucht wurde, machten wir uns auf, um einen der Pick-Ups zu erwischen, die mit zwei Bänken als Aufbauten als Massentaxis eingesetzt wurden. Wir hatten dem Fahrer den Strand genannt, auf den Chris und ich uns geeinigt hatten -  doch das schien ihn wenig zu kümmern und so zwang ich ihn zum Halt, als wir unseren Zielort definitiv passiert hatten. Wir befanden uns bereits am nächsten Strand, der durch eine Landzunge von dem gewünschten getrennt wurde. Ich hielt es für eine ausgezeichnete Idee, mit den Rucksäcken die paar Kilometer zurückzulaufen. Chris nicht. Doch dann hätten wir eine Begegnung der besonderen Art verpasst. Als wir auf verschlungenen Wegen die Landzunge erreichten, mussten wir feststellen, dass wir offensichtlich auf einem Privatstrand eines tödlich schicken Resorts befanden, bei dem die Preise dreistellig waren (und ich meine nicht Baht…). Ich glaube, dass wir selten in unserem Leben so unerwünscht waren; In den Liegestühlen lümmelte die Schickeria vor ihren Lifestyle-Cocktails und genoss ihr sorgenloses Leben. Irgendwann muss man sich ja auch von Golf und Tennis erholen. FREAKS unserer Coleur ernteten von der Mischung aus Neureichen und Geldadel böse Blicke, dass wir gewagt hatten, in ihre heile Welt einzubrechen. Mit den schweren Rucksäcken auf dem Rücken, nicht ihrem Stand entsprechenden und allgemein indiskutablen Hippieklammotten und den dämlichen Hüten auf dem Kopf, stammten wir aus einer anderen Welt. Um nicht von heimtückischen Securitytypen zusammengedroschen zu werden, beschlossen wir auf ein provokatives Bad vor ihren Augen zu verzichten und setzten unseren Weg fort und warfen unseren unfreiwilligen Gastgebern verschwörerische Blicke zu. Die stummen Antworten waren eisig. Es gab lediglich einen Typen in der Strandbar, der uns freudig zuwinkte. Er war aufgrund der offensichtlichen Langweile an diesem Ort wohl dankbar für jede Abwechslung und ohnehin betrunken.


Schließlich erreichten wir unseren Strand und der Kontrast hätte kaum größer sein können; waren wir eben noch durch ein Reich der Dekadenz gestolpert, prägten nun verfallende Holzhütten das Bild. Nachdem wir das zweite postapokalyptische Hütten-Ensemble passiert hatten, schien es dort doch so etwas wie Leben zu geben. Ich hatte die Schnauze von der ewigen Hotelsuche voll und bat Chris den Job zu übernehmen. Wenig später kam er zurück und hatte eine Hütte klar gemacht. Es gab zwar keinen Strom – aber wer brauchte das schon. Dennoch war ich zunächst wenig begeistert. Das hatte weniger mit dem Ort selbst zu tun, als vielmehr mit dem deutschen Lokalkolorit, der uns entgegenschlug. Normalerweise meide ich solche Enklaven wie der Teufel das Weihwasser. Aber der einzige Weg, um auf dieser Insel Landsleuten zu entgehen, war, nicht hinzureisen. Noch heute frage ich mich, warum ich zugestimmt hatte, hierher zu kommen, aber aus Gonzo-journalistischen Gründen war das wohl notwendig gewesen. Die mündliche Überlieferung aus der Mythologie der Aussteiger stützte die These des Reiseführers, dass es sich hierbei um einen Flecken Land handelte, der sich etwas vom ursprünglichen Charme der Insel bewahrt hatte. Unsere Hütte war geräumig und die Betten gemütlich. Wir bekamen eine Gaslampe, um nicht völlig in Dunklen da zu stehen. Ein Sternenhimmel an einem Ort ohne Lichtverschmutzung ist keineswegs zu verachten. Und wer kann schon behaupten, dass in seiner Unterkunft Fledermäuse hausen? Das Morning Glory. Ausnahmsweise nenne ich mal einen Ort, an dem ich abgestiegen bin - denn es gibt ihn nicht mehr und der Name passt bestens zu der Geschichte. Denn neben der Bezeichnung für Wasserspinat und ein Musik-Album von Oasis handelt es sich um den Szenenamen einer rituellen Droge, die schon von den Maya und mexikanischen Indianer genutzt wurde. Wohingegen ich inständig bete, dass der Slangausdruck für die Morgenlatte nicht Vater des Gedankens war!

Das Morning Glory besaß eine gemütliche Terrasse direkt am Meer und dieser Strandabschnitt war komplett ausgestorben. Da wir die alleinigen Gäste waren, hatten wir nun ebenfalls einen Privatstrand. Nach dem turbulenten Bangkok war das für uns genau das Richtige. Fortan waren wir von einer paradiesischen Ruhe umgeben, in der das Rauschen des Meeres noch eines der lauteren Geräusche war. Einzig ungünstig war die Tatsache, dass es keine Küche gab. Offensichtlich lag der Ort in seinen letzten Zügen. Erst ein 15-minütiger Fußmarsch brachte einen zur Hauptstraße, an der sich einige Restaurants befanden. An dieser Stelle eine Warnung: esst nie tausendjährigen Eiersalat – er schmeckt auch so!

Schließlich verbrachten wir eine entspannte Woche am Strand. Außer Schwimmen, Lesen und gelegentlichen Streifzügen, um das Verhungern zu vermeiden, faulenzten wir nur. Das Morning Glory hatte immerhin Alkoholika, was die gelegentlichen Besuche zwielichtiger Gestalten aus der Aussteigerszene erträglich machte. Da der Gast König war, wurde zu unseren Ehren eine Packung Instant-Kaffeepulver gekauft und so konnten wir morgens eine dünne Brühe Muckefuck genießen. Gelegentlich spielten wir auf dem völlig verratzten Billardtisch oder sahen uns in der skurrilen Devotionalienhalle um, die von einem verstörenden Lokalpatriotismus und den Eskapaden einer ganzen Generation von Aussteigern berichteten. Tagsüber dudelte durchaus hörbare Musik aus einer batteriebetriebenen Anlage – mit einer Einschränkung. No Tracy Chapman erlaubt! grüßte es von der Wand; ich bezweifle, dass die Gute sich hierher verirren würde. Die gelegentlichen Gespräche, in die wir verwickelt wurden oder die sich aufgrund ihrer Schrägheit nicht überhören ließen, waren so skurril, das ich den Inhalt der Gespräche unmittelbar verdrängt haben muss. Die junge Frau, die den Laden aktuell schmiss, war hingegen ausgesprochen sympathisch. Vom Chef fehlte jede Spur. Unsere kurzen Ausflüge in den nahe gelegenen Ort waren wenig bereichernd. Auf der Hauptstraße begrüßte uns ein Schild mit der Aufschrift: Tourist Police – your first friend - "hopefully not your last one!" dachten wir uns im Stillen. 

Die Insel war überentwickelt und die offensichtliche Ausprägung der Prostitution fanden wir abstoßend. An der Hauptstraße liefen wir an unzähligen Bars vorbei, die nur von Frauen bevölkert waren, die auf ein dürftiges Einkommen hofften. Wenn ich manche der Typen sah, die offensichtlich zur Stammkundschaft gehörten, wollte ich spontan kotzen. Ebenfalls verstörend waren die zahlreichen Fische in Aquarien, die mit einem speziellen Mega-Head-Granulat gefüttert wurden; meine Frage, warum man den armen Kreaturen (denn das Zeug wirkte vorzüglich und die Fische konnten aufgrund mangelnder Koordination infolge ihres überdimensionalen Kopfes oft nicht vor der Kehrtwende am Ende ihrer Bahn im Schwimmbecken stoppen und knallten mit einem für Fische beunruhigenden Lärm gegen den Glasscheibe) wurde mit einem vagen for the good luck beantwortet. Irgendwann werden die noch weiter mutieren und blutige Rache nehmen! Unseren Segen hatten sie jedenfalls. 


Auch der Ausflug an den angeblich schönsten Strand der Insel, ließ uns ein wenig verstört zurück. Hier waren die Leiber dicht auf dicht gedrängt und selbst die Palmen machten es schwer, zu realisieren, dass dies eine Insel war, die in Thailand lag und vor dem massenhaften Zuzug von Auswanderern und den einsetzenden Touristenströmen ein kleines Paradies gewesen sein muss. Inzwischen hatte sie ihren eigenen Flughafen. Es erschien uns alles so austauschbar. Wir hätten genauso gut in Antalya oder an der Costa Brava sein können – wenn ich das Klientel, die verfügbaren Waren, die Musik und den Lifestyle betrachtete. Schlagen sie zu - die Kultur ist im Winterschlussverkauf! Wir liefen den gesamten Strandabschnitt ab, ohne irgendwo einzukehren. Schließlich verirrten wir und in einem Touristenghetto, das so weitläufig war, das wir kaum mehr herausfanden. Aufgrund der Dekadenz der Ressorts, die wir durchstreiften, wurden wir von einem Schub spontaner Hoffnungslosigkeit für die Zukunft unserer Spezies heimgesucht. So war es eine Wohltat an den Strandabschnitt zurückzukehren, an dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten. Sollten doch die angesagten Typen an den angesagten Orten die Liegeplätze unter sich ausmachen!


Full Moon mit Vollhorst


Wir hatten schon fast beschlossen, die berühmt-berüchtigte Full-Moon-Party auf der Nachbarinsel Ko Pha Ngan sausen zu lassen, als wir einen Nachbar bekamen – Dirk. Er plante unbedingt dorthin zu fahren und wir beschlossen, uns mit ihm zusammen zu tun. Wir buchten ein Kombiticket, so dass wir am Morgen nach der Party wieder nach Ko Samui zurückkehren würden. 

Mit einer beachtlichen Menge Partygängern fuhren wir zum Sonnenuntergang auf einem Schnellboot nach Ko Pha Ngan. Das Gleiten über dem Wasser und die Reflexion der untergehenden Sonne auf den Wellen des Meers war eine schöne Einstimmung und als die einladende Silhouette der bewaldeten Nachbarinsel auftauchte, waren wir ein wenig euphorisch. Das legte sich nach der Ankunft am Pier schnell wieder. Wir waren keine Idioten und wussten, dass die Party zu einem großen Event geworden war, doch die Ausprägung und die Stromlinienförmigkeit des Events waren durchaus verstörend. Um an den Hat-Rin-Strand zu gelangen, mussten wir die engen Gassen des mäßig einladenden Ortes passieren, in dem es so ziemlich jedes erdenkliche Souvenir zu erstehen war. Kleidung, Accessoires, Leuchtfarben und Tattoos warteten auf ihren neuen Besitzer. Viele Gäste waren in einem Kaufrausch, was die Massen an Konsumgütern durchaus rechtfertigte und sahen dank Leucht-Tattoos und Körperfarben aus, als seien sie direkt vom Mars eingeflogen. Dazu waren riesige Büffets mit allen erdenklichen Speisen aufgefahren. Alleine um die Fischvariationen bis hin zum Babyhai aufzutischen, hatte man wohl das ganze Meer um die Insel leergefischt. Glücklicherweise hatten wir uns auf dem Hinweg mit ephedrinhaltigem Whiskey-Cola und Energydrinks gestärkt - sonst wären wir noch mehr abgeturnt gewesen.

Bis zum nächsten Morgen würden uns 12 Stunden bleiben, um das Treiben anzusehen und Teil davon zu werden. Auch hier hatte die „Eimer-Kultur“ eingezogen. Whiskey, Wodka und Gin bis zum Abwinken. Als wüsste ich nicht, warum ich nie nach Mallorca wollte, jetzt holte mich diese ekelhafte Sitte in Thailand ein…

Wir erkundeten das Gelände und waren ein wenig überrascht, wie überschaubar der Strand war, an dem die eigentliche Party stieg. Noch war nicht viel los, was gut war, um uns ein Bild der ganzen Location zu machen. Da wir keinen Platz fanden, an dem wir uns häuslich niederlassen wollten, zogen wir streunend durch die Gegend.

Zwischen 22:00 und Mitternacht füllte sich das Gelände und um 2 Uhr war es extrem überlaufen - an einem Ende des Strandes konnte man sich kaum noch bewegen. Hierher zog es uns ohnehin nicht – die Party schien oberflächlich betrachtet eine gewisse Zweiteilung aufzuweisen: der eine Teil wurde von Hippies und Goafreaks bevölkert, der andere von aggressiven, durchgeknallten Typen, von denen sich eine ganze Reihe den falschen Drogenmix gegönnt hatte. Wir waren schließlich nicht bei einer Satanisten-Sekte. Angesichts der Unübersichtlichkeit brauchte es einfache Weltbilder…

Ich hatte den Eindruck, dass die Party zu viele junge Leute anzog, zu deren Pflichten es einfach gehörte auf ihrer travel on a shoestring auch hier vorbeizukommen – eine Frage der Ehre. Ob es wirklich der Knüller ist, beim Seilhüpfen ein brennendes Seil zu verwenden, sei mal dahingestellt. Sich trotz heftiger Verbrennungen immer wieder hinein zu begeben, erschien mir pathologisch. Weit und breit war kein Fight club zu sehen. Also konnte es sich nur um Retardierungen in Kombination mit abgestorbenen Sinneszellen handeln. Destruktives Gesindel!
Da es an einzelnen Stellen auch Magic-Mushroom-Shakes im Angebot gab, war es nur eine Frage der Zeit bis wir schwach wurden. Die Effekte sollten nicht unbemerkt bleiben. Wie gewöhnlich nach der Einnahme von psychedelischen Drogen, brauchte ich ein wenig, um auf den richtigen Pfad zu finden. So suchte ich mir den (nur im Verhältnis) ruhigsten Ort am Strand und beobachtete erst mal die Szenerie: An mir schritten wild bemalte Menschen vorbei. Sie trugen überdimensionierte Brillen und merkwürdige Kopfbedeckungen. Manche hatten sich in Tiger verwandelt, andere waren wohl auf dem Weg zu einem Gottesdienst der Gothic-Jünger; es gab Hippies, die direkt aus den 60`ern eingeflogen waren und manche waren so unkontrolliert in den Farbtopf gefallen, dass jegliche Spekulationen über ihre Herkunft sinnfrei bleiben musste. Die Pilze verstärkten diese Eindrücke. Fasziniert beobachteten wir den Felsen, der am Ende des Strandes wie ein Raumschiff illuminiert war. Auf ihm thronten unwirklich erscheinende Bars, die Chis als eine Plattform im Videospiel Donkey-Kong-Island wiedererkannte. Auch die Affen fehlten nicht.

Einen wunderschönen Guten Abend aus dem Mutantenstadl!
Der Trip kam ihn Wellen. Chris verwandelte sich in einen grinsenden Gummiball. Seine Kinn- und Mundpartie verzog sich zu einer Herzform; genau diese Energie strahlte auch aus seinem Innern durch seine Augen. Gepaart mit Wahnsinn. Ein wildfremder Typ kam dahergelaufen und freundete sich in Sekundenbruchteilen mit Chris an. Höhepunkt dieser Hochgeschwindigkeitsfreundschaft war die rituelle Übergabe eines gelb leuchtenden Neonhalsbandes, das Chris feierlich annahm.

Offensichtlich erfüllte ihn diese Geste mit Euphorie und irrer Freude. Da hatten sich zwei gefunden, um sich kurz darauf wieder auf ewig zu entfremden. Dirk und ich lachten Tränen angesichts der bizarren und auf eine seltsame Weise rührende Szene. Was sich darin spiegelte müsste in einem eigenen Roman erörtert werden, der leider nie geschrieben würde. Dies war das FREAK-Königreich.

Nachdem ich mich etwas ruhiger fühlte, entschied ich mich zu einem Spaziergang über den Strand. Einmal in Bewegung, verwandelte sich meine vorherige Unruhe in ein sehr euphorisches Grundgefühl. Es machte mir nichts mehr aus, all diese verrückt aussehenden Menschen um mich zu haben. Im Gegenteil – ich fühlte mich zugehörig. So schlenderte ich den ganzen Strand entlang. Bei den Satanisten wurde mir die Musik zu heftig; ihr Vibe war erdrückend. Die extrem wilde Form, in der manche tanzten, erschien fast als feindseliger Akt. Umso mehr als es fast keinen Platz gab. Ich drehte um. Inzwischen war ich in einer phantastischen Laune. Ich schlüpfte geschwind tänzelnd durch die Menschenmenge; nach Reden war mir nicht zumute - ich genoss es einfach hier zu sein, lauschte der Musik und beobachtete die Menge.
  
Unglücklicherweise waren Chris und Dirk nach meiner Rückkehr nicht mehr aufzufinden. Ich war wohl länger weg gewesen, als gedacht. Sie hatten selbstverständlich Besseres zu tun, als auf mich zu warten, der ich in fremden Sphären wandelte. Dann feiert halt ohne mich ihr Lutscher!
Gerade am ruhigsten Abschnitt, der mir noch immer am besten gefiel, zog es naturgemäß immer mehr Leute, die sich einfach zu viel zugemutet hatten – die Drogen und der Alkohol quollen aus allen Poren. Der Wohlfühlfaktor nahm ab. Einige waren in einem beängstigenden Zustand und kamen immer nur zeitweise zu sich und verbrachten die meiste Zeit in einem Dämmerzustand, der ihnen hoffentlich gut tun würde. Ich hatte das Trinken eingestellt und arbeitete nur noch gegen die Dehydration.

Ich kam mit einem Kroaten ins Gespräch. Als ich ihn das erste Mal an diesem Abend gesehen hatte, war er von grenzenloser Euphorie und kannte nur eine Richtung: direkt geradeaus. Er war so vollgestopft mit Drogen, das es fast physisch weh tat, ihn anzusehen. Er wollte unablässig auf die deutsch-kroatische Freundschaft trinken und erzählte Wirres Zeug von seinen Drogenexzessen mit einem bekannten deutschen DJ und seiner Crew. Er hatte einen Bungalow direkt am Strand gemietet und war von einer Anzahl von Schönheiten umgeben. Inzwischen war es mit ihm rasant bergab gegangen und er schwitzte wie ein Schwein. Er faselte irgendetwas von seiner Freundin, die ihm seinen Geldbeutel geklaut hatte und tatsächlich rannte da eine bescheuert grinsende Dame mit dem begehrten Stück in den freien Raum. Probleme musste man haben!

Der Autor möchts sich an dieser Stelle noch einmal prophylaktisch von jeglichen von ihm geäußerten Aussagen distanzieren

Ich beschränkte mich auf kurze Ausflüge, um die Bars auf dem Felsen zu erkunden und hatte mehr und mehr genug von dem ganzen Treiben. Ich flüchtete mich in philosophische Gedankenspiele. Was waren unsere Motive, die wir hier gelandet waren als wären wir ein Volk von Aliens. Eigentlich ging es noch immer um das Gleiche: Love, Peace und Happiness - so abgedroschen das auch klingen mag.

Die eine Party gab es nicht mehr. Der Individualismus hatte sich längst in einen Fluch verwandelt; die Individualisten fanden einfach nicht mehr zueinander. An verschiedenen Strandabschnitten herrschten andere Subkulturen. Der amerikanische Traum war zur Konkurrenz aller gegen aller verkommen und die Wahrhaftigen mit Toleranz sind zu einer aussterbenden Spezies geworden. Das Mantra: „One world – one love“ machte keinen zum besseren Menschen. Es war hohl geworden.

Die Mythen die sich um dieses Event ranken, sind zu banal um niedergeschrieben zu werden; war die erste Party wirklich eine spontane Geburtstagsfeier gewesen – oder nicht doch eine ausgeklügelte Marketingidee von den Typen, die uns in den ganzen Schlamassel eingebrockt hatten?

Viele Goaner waren jedenfalls froh, nicht mehr ganze Nächte lang der abartigen Musik und den nackten Freaks ohne nennenswerte Devisen ausgeliefert zu sein. Sie hatten die Full Moon Partys im Jahr 2000 verbannt und in Thailand hatte man sich begeistert die Hände gerieben. Wenn die Party auf Ko Pha Ngan jemals ein Geheimtipp gewesen sein sollte, hatte sie sich in einen Alptraum verwandelt; würde sie nicht einen Batzen Geld abwerfen, würde man uns ekelhaften Typen wohl alle im Meer ersäufen. Heute dürfen sich die Wertkonservativen auf der Insel über Full, Half, Black und Shiva Moon freuen; und wenn sie immer noch nicht genug haben, können sie bei jungle experience parties dabei zusehen, wie die letzten Vögel von den Bäumen geblasen werden. 

Und wir?

Die einen tanzten sich in Ektase ihre Seele aus dem Leib; die anderen fielen wie die Fliegen zu Boden. Dazwischen hielten sich viele aufrecht. War dies ein Spiegel unserer Zeit? Ich fürchte; die Hinterlassenschaften sprachen eine deutliche Sprache; obwohl unermüdliche Helfer den Strand rund um die Uhr von Müll befreiten, sah es aus, als hätte die Müllabfuhr den Dreck einer Kleinstadt auf den Strand gekippt. Dazwischen lag eine beachtliche Anzahl von Drogenleichen. Das Meer hatte sich in eine Kloake verwandelt. War dies unser Erbe?

An dieser Stelle möchte ich den König der Freaks zitieren:


“Strange memories on this nervous night in Las Vegas. Five years later? Six? It seems like a lifetime, or at least a Main Era—the kind of peak that never comes again. San Francisco in the middle sixties was a very special time and place to be a part of. Maybe it meant something. Maybe not, in the long run . . . but no explanation, no mix of words or music or memories can touch that sense of knowing that you were there and alive in that corner of time and the world. Whatever it meant. . . .

History is hard to know, because of all the hired bullshit, but even without being sure of “history” it seems entirely reasonable to think that every now and then the energy of a whole generation comes to a head in a long fine flash, for reasons that nobody really understands at the time—and which never explain, in retrospect, what actually happened.

(…) but being absolutely certain that no matter which way I went I would come to a place where people were just as high and wild as I was: No doubt at all about that. . .

There was madness in any direction, at any hour. If not across the Bay, then up the Golden Gate or down 101 to Los Altos or La Honda. . . . You could strike sparks anywhere. There was a fantastic universal sense that whatever we were doing was right, that we were winning. . . .

And that, I think, was the handle—that sense of inevitable victory over the forces of Old and Evil. Not in any mean or military sense; we didn’t need that. Our energy would simply prevail. There was no point in fighting—on our side or theirs. We had all the momentum; we were riding the crest of a high and beautiful wave. . . .

So now, less than five years later, you can go up on a steep hill in Las Vegas and look West, and with the right kind of eyes you can almost see the high-water mark—that place where the wave finally broke and rolled back.”

Hunter S. Thompson



Die Neunmalklugen unter uns wussten genau, dass wir diese einmalige Zeit nicht miterlebt hatten; und wir teilten mit denen, die seit damals durch die Welt irrten, um den Traum doch noch irgendwo aufzuspüren, das Wissen was diese zurückrollende Welle angerichtet hatte. 

Wann würden wir endlich unsere eigenen Funken erzeugen und unsere Welle lostreten, die eine neue Vision erzeugen könnte nach der die Welt so lechzte? Es war höchste Eisenbahn, um den Ökonomen, den Lobbyisten, den PR-Heinis und den Großkonzernen mächtig in den Arsch zu treten! Niemand würde das für uns übernehmen! 

Don`t blame the guide - he got his own troubles...

An diesem Ort konnte ich nichts Neues finden; Sicher, ich hatte meinen Spaß; es gab Momente, in denen ich strahlend über das ganze Gesicht über den Strand schwebte und ganz im Frieden mit mir war. Nichts konnte mich daraus reißen. Aber Spaß war eben nur eine Seite der Medaille und wenn das Zusammentreffen unserer Generation keine bleibenden Fundamente gießen konnte – was war es wert?

Die Erlebnisse dieser Vollmondnacht machten mich eher nachdenklich: neben den strahlenden Gesichtern, die ganze Romane von Liebe, Erfüllung und tiefem Glück erzählten, las ich in vielen Gesichtern einen desillusionierten, enttäuschten und manchmal verzweifelten Ausdruck. Unerfüllte Wünsche nach Liebe, Verbundenheit und Zärtlichkeit. Von den temporär oder dauerhaft Zerstörten ganz zu schweigen.

Ich war inzwischen ein wenig erschöpft und genervt, dass ich Chris und Dirk nicht finden konnte. Ich war kurz davor, die Insel alleine zu verlassen als sie doch noch auftauchten. Chris war reichlich daneben und faselte ein wenig paranoid davon, dass ich die bösen Menschen am anderen Ende des Strandes meiden sollte. Mit den Bestien war nicht zu spaßen. Das wusste ich schon…

Kurze Zeit später war das vergessen und er tanzte wie der Teufel zu einer Schranzmusik, die meine Eingeweide zittern ließ. Weder Dirk noch ich konnten die Musik ertragen. So ließen wir Chris tanzen und ich zeigte Dirk die Bars auf dem Felsen, von denen aus man bei chilliger Musik einen atemberaubenden Blick über den erleuchteten Strand hatte. Das war das Ende.
Wir packten Chris ein. Der wollte gar nicht weg; doch es wäre unverantwortlich gewesen, ihn dazulassen; vielleicht wäre er für immer verschollen geblieben. Auf eine solche Legendenbildung konnten seine Freunde verzichten. Außerdem fällt das dann doch nur auf den Reiseleiter zurück. 

Am hoffnungslos überfüllten Pier mussten wir eine Stunde unter Oberklasse-Freaks verbringen, während die Morgensonne begann uns zu blenden und unser verfaultes Fleisch auf Temperatur zu bringen. Viele von denen, die ein Nervenkleiden entwickelt hatten oder körperlich derangierter waren als ein Verlier im Kampf gegen den Riesen Walujew ließen sich von windigen Mafiosi gegen einen tüchtigen Aufschlag auf pompöse Schnellboote ziehen und entschwanden mit einem höhnischen Grinsen – hoffentlich würden ihnen die Knochen gebrochen!
Zur Mittagszeit lagen wir in unseren Kojen im Morning Glory.


Abgesang

Die letzte Party auf Ko Samui fand ohne mich statt. Chris erzählte von seinem Kneipenbesuch und schilderte mir den Auftritt deutscher Rockbands, das Erscheinen von Rockern in Gardeuniform und die Auswüchse der allgegenwärtigen Prostitution auf eine Weise, das ich womöglich etwas verpasst hatte - aus rein gonzopolitischen Gesichtspunkten – doch ich hatte mein Gesicht gewahrt und in jeden Abgrund zu blicken war wohl kaum anzuraten. Mir reichen meine eigenen!

Natürlich ist es töricht von Bangkok, Ko Samui, der Full Moon Party oder noch schlimmer – dem Höllenschlund von Pattaya, den ich für kein Geld der Geld betreten werde – auf ganz Thailand zu schließen – und das werden andere Bildergeschichten noch unterstreichen.
Der Kompagnon von Dirk hatte dazu eine dezidiert andere Meinung und unsere verschiedenen Ansichten führten fast zu einem interstellaren Krieg. Niemals werde ich den Bericht von Dirk vergessen: sein thailanderprobter Freund hatte ihn in ein Hotel in Bangkoks berüchtigten Stadtteil Nana geschleppt, in dem seiner Aussage nach außer den beiden ausschließlich Prostituierte wohnten; sein Compadre hatte ihm immerfort sein Mantra erklärt: „this is thailand“; Dirks Versuche auf die anderen Seiten der Stadt hinzuweisen, wurden schlicht ignoriert und die Erfahrung war entsprechend eindimensional. Er war wohl nicht ganz unglücklich uns kennen gelernt zu haben.

Schließlich verließen wir Ko Samui ohne Wiedersehen und durften auf Ko Pha Ngan eine ganz besondere Erfahrung im Dschungel des Inselinnern machen.

Wir waren froh wegzukommen und die widerlichen und gescheiterten Typen, die sich gerade erwachsende Thai-Frauen für den ganzen Urlaub buchten und sich wie Monarchen aufführten, hinter uns zu lassen. Und mit ihnen die glückssüchtigen Nachwuchsritter, die ihre Schlachten auch ohne uns grandios schlagen würden.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass ich Die Geschichte des Morning Glory nicht kenne und auch keine erhärtbaren Informationen dazu finden konnte. Jegliche Äußerung was es mit diesem Ort auf sich hatte wäre gutmeinende oder böswillige Spekulation. Er war durch seine Auflösungserscheinungen lediglich Kulisse. Wir hatten auch nicht tiefer hinter die Kulissen der Insel blicken können – und das wollten wir auch nicht unbedingt. Auch Gonzojournalismus hat seine Grenzen.

Was andere für Schlüsse aus ihren Erfahrungen auf solchen Full Moon Partys gezogen haben? Hier gibt es das ganze Spektrum – von Erfahrungen, die Einzelnen lebenslang ein Grinsen aufs Gesicht zaubern bis zu schweren Schädigungen, die ebenso memoriert werden – es ist alles dabei. Eines stand hingegen fest: Bangkok hatte Seiten an mir hervorgebracht, auf die ich nicht stolz war. Und an wenigen Orten war ich so zwischen Faszination und Abscheu hin und hergeschwankt wie an den Schauplätzen dieser Geschichte. Es war kinderleicht in einen hedonistischen Wahn epischen Ausmaßes zu verfallen. Alles ist so passiert, wie ich es berichtet habe, aber man hätte sicher auch ganz andere Geschichten daraus destillieren können.
Mich hat jedenfalls der Beat gepackt; mal sehen was sich daraus noch entwickelt... 


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