Samstag, 11. Oktober 2014

Reisereportage: Zur bunten Kuh



Im Westen der Republik begann meine Reise gen Osten. Es war Zeit, meinem skurrilen Leben ein weiteres ungewöhnliches Kapitel hinzuzufügen, in diesen Tagen, die zwischen Untergang und Hoffnung stehen. Die Reise führte mich in den Wilden Osten. Diesmal reichte der Sprit nicht bis Indien oder gar Indonesien, am Fuße des Erzgebirges endete sie. Die einzige Grenze, die ich überschreite, existiert glücklicherweise nicht mehr. Ich bin aufgebrochen, um einen alten Freund zu besuchen, der sich auf einem Bauernhof der solidarischen Landwirtschaft verschrieben hat. Darüber weiß ich nichts. So ist die Fahrt eine ins Ungewisse. Zwei Monate zuvor hatte ich einige Freunde angeschrieben, um zu erfahren, welche Perspektiven sie entwickelt haben während ich in der Weltgeschichte unterwegs war. Als mir mein Freund von dem Projekt erzählte und anmerkte, dass dort immer gute Leute gesucht werden, begann das Kopfkino: Würde ich dort eine Zuflucht, eine Perspektive oder gar eine Heimat finden können? In Tag- und Nachtträumen versuchte ich mir das Leben dort vorzustellen. Bald verbot ich mir weitere Grübeleien und unrealistische Vorstellungen und befahl mir abzuwarten. Meinen Besuch hatte ich bereits vereinbart. In der Zwischenzeit würde ich nach Griechenland reisen.

Nun war ich zurückgekehrt und bereits auf dem Weg in ein ungewisses Abenteuer – Vorfreude und etwas Bammel im Gepäck. Von unterwegs verschickte ich noch eine SMS an meinen Freund: „Fahrt in den Osten erfolgreich angetreten stop abendliche Kontaktaufnahme zwecks etwaiger Landung auf bunter Kuh stop Oli“. Aus dem sporadisch genutzten Blechkasten lächelte mich bald darauf ein Smiley an. Zwar müsste mein Freund meinen Besuch auf dem Schirm haben, trotzdem ist mein Anruf kurz nach meiner Rückkehr eine Neuigkeit – mein Freund ist ganz der Alte.

Am Abend fuhren wir durch langgezogene Dörfer im Herzen Sachsens, die sich an Landstraßen entlangziehen – einige Weiler sind vollständig mit NPD-Werbung durchzogen. Die AFD erklärt mir, dass wir nicht das "Weltsozialamt" sind und die FDP macht Stimmung mit Law and Order-Romantik. Sie wollen "Diebe und Dealer stoppen". Die etablierten Parteien haben in diesen Weilern freiwillig auf Werbung verzichtet. Die Landtagswahl steht kurz bevor.  Ich verspüre Beklemmung. Schnell schüttle ich den Gedanken ab – bald werde ich in einem Projekt landen, das versucht Strukturwandel aktiv zu gestalten. Ich suche nach echten Alternativen.


Es war schon dunkel als ich den Hof erreiche. Mein Freund erwartete mich. Wir haben uns seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Unsere gemeinsamen Schlachten haben wir während der Ausbildung auf der schwäbischen Alb geschlagen, als wir regelmäßig ein Zimmer teilten. Es war eine großartige Zeit. Von unterwegs hatte ich ihn gelegentlich mit Reiseberichten versorgt. Es hatte Ort gegeben, an denen ich mir ihn nur zu gut vorstellen konnte. Schnell bestätigt sich: wir haben viele Welten gesehen seit unsere Wege sich das letzte Mal gekreuzt haben, doch im Kern sind wir die Gleichen geblieben. 

Dies ist allerdings ein etwas älteres Modell...
Ich schleppte meine viel zu schwere Tasche einen kleinen Steilhang hinauf und stand kurz darauf im Bauwagen meines Freundes – seiner derzeitigen Heimstatt. Die Tasche enthielt mein Manuskript – die Essenz meiner Reisen und Ansichten über die Welt. Es erzählt vom ganzen Ausmaß meiner inneren Zerrissenheit in einer Welt, die in meinen Augen völlig überschleunigt dem Abgrund entgegenrast. Der schmale Grat hatte mich nun zur bunten Kuh geführt. Mein Freund und ich kennen den Grat besser als uns lieb sein kann, uns eint die Kompromisslosigkeit und der unbändige Wunsch nach unseren eigenen Regeln zu leben, uns nichts und Niemanden anzupassen, das uns nicht sinnvoll erscheint. Der Wunsch nach einer anderen, solidarischen Welt, in der wir glücklich sein können.

Wir begaben uns auf den Innenhof des Vierseitenhofes. Eine fröhliche Runde saß um die brennende Feuertonne, die Begrüßung ist herzlich, schnell fand ich einen guten Draht zu den Anderen. Mein Freund hatte mich als reisender Philosoph angekündigt. Damit bin ich die ideale Ergänzung zum selbsternannten Barbar, der auf dem Hof als Burgvogt agiert und neben dem Schmiedehandwerk in Aufbau und Reparatur des Wirtschaftshofes das Zepter schwingt. Die Nacht dehnte sich unendlich aus, ich bekannte, welch tiefgreifende Frage mich auf den Hof geführt hat – ob dies ein Ort für mich sein könnte , wunderte mich selbst, wie selbstverständlich ich mit den anderen interagierte im Elfenbeinturm trifft man nicht viele Leute. Es gibt dort auch keinen Rasierer und so sah ich mit meinem wilden Vollbart aus wie ein Vagabund auf Heimaturlaub. Seit Langem genoß ich wieder einen Abend in vollen Zügen, ich fühlte mich wohl. Mein Freund verschwand irgendwann spurlos und ich fand mich mit dem Barbaren in einer Scheune wieder. Liebevoll ist der Raum in ein alternatives Wohnzimmer verwandelt worden. Die Scheune weckte in mir Erinnerungswelten – Erinnerungen an meine frühe Kindheit auf einem Dorf. Meine Eltern waren keine Landwirte, aber mein Spielplatz waren die Straßen und Scheunen des Dorfes und mit großer Freude begleitete ich den benachbarten Bauern bei seiner Arbeit. Auch auf Kreta war es für mich als kleiner Junge das größte unseren Freund mit dem Traktor auf die Felder und in die Ölbäume und Weinberge zu begleiten. 

Das Dorf meiner Kindheit ist eine Welt, die ich immer noch vermisse. Eine Welt, der ich Informationen zuordnen kann, aber zu meinem eigenen Unglück keine Gefühle. Dabei war es ein idealer Ort um aufzuwachsen. Doch der plötzliche Wegzug im Alter von 10 Jahren hat alle Emotionen verschüttet. Ich konnte es nicht benennen, aber da war etwas im Raum, das mich im Tiefsten anrührte. Im Dunklen stolperte ich zum Bauwagen zurück und genoß die Stille. Bis die kleine Katze kam, die sich für die nächsten Tage an meine Fersen heften würde.

Am Morgen ging es auf Feld. In den letzten zwei Jahren ist ein beachtlicher Gemüsegarten entstanden. Es war Donnerstag; Ernten stand auf dem Programm. Dienstags und Freitags wird das Gemüse zu den Fresszellen in die Umgebung ausgefahren. Das sind Depots, bei denen sich Ernteteiler wöchentlich mit frischem Gemüse vom Hof versorgen. Dafür zahlen sie einen Monatsbeitrag und teilen sich mit dem Hof gesundes Gemüse, aber auch das Risiko von Missernten. Viele Projekte dieser Art sind nur mit Direktkreditmodellen möglich. Doch ein neues "Kleinanlegerschutzgesetz" könnte dieser Art der Finanzierung ein jähes Ende bereiten. Der Hof zur bunten Kuh wäre davon kaum betroffen, er ist über Jahre gewachsen und Kredite machen nur einen Teil der Finanzierung aus. Für neue Initiativen, die bezahlbaren Wohraum schaffen wollen, Dorfläden betreiben oder soliadarische Landwirtschaft ohne Eigenkapital verwirklichen wollen, könnte sich der Gesetzentwurf aber als fatal erweisen.

Vorbereitungen für die Ernteausslieferung
Der Hof befindet sich in der Umstellung auf Demeter. Demeter steht für eine biologisch-dynamische Wirtschaftsweise, die aus Impulsen von Rudolf Steiner entstanden ist. Die Anbauweise gilt als besonders nachhaltig. Eine wachsende Humusschicht ist ein zentrales Ziel des Anbaus. Hierein können große Mengen Kohlendioxid gebunden werden, was dem Treibhauseffekt entgegenwirkt. Wie im biologischen Anbau werden keine Chemikalien eingesetzt. Auf dem Hof werden samenfeste Sorten verwendet, keine Hybride. Die Lebensmittel werden ausschließlich für den regionalen Verzehr produziert. Saisonale Gemüse werden angebaut. Die Felder werden im Wechsel bepflanzt, der Boden soll genug Zeit haben, um sich zu regenieren. Der Hof soll sich zu einem geschlossenen Kreislauf entwickeln. 

Es ist der radikale Gegenentwurf zur Geschäftspolitik von Monsanto, die Kleinbauern in aller Welt mit ihren gentechnisch veränderten Pflanzen, die keine Samen bilden, in die Abhängigkeit zwingt. Auch der Hof zur bunten Kuh ist von Monokulturen umgeben, vor allem Mais wird angebaut, der zur Fütterung der Tiere und für Biosprit dienen wird. Der Großbauer belächelt die Aktivitäten auf dem Hof – aus der heutigen Marktlogik verständlich. Es gibt aber auch einen alten Bauern in der Nähe, der sich sehr über das Interesse an den alten Gerätschaften und Anbaumethoden riesig freut. Eine Besonderheit auf dem Hof ist, dass keine Traktoren eingesetzt werden. Stattdessen gibt es zwei prächtige Pferde, die den Pflug über die Felder ziehen. Das soll verhinden, dass sich der Boden weiter verdichtet. 

 

Die Urbarmachung weiterer Flächen für den Anbau eine Sisyphusarbeit. Manche Abschnitte sind so knüppelhart, dass sich mehr Steine als Ackerboden finden. Es ist eine gewaltige Herausforderung, mithilfe natürlicher Kompostierung und Gründüngung diese Flächen in fruchtbares Ackerland zu verwandeln. Das Wasser muss aus einem Brunnen oder dem nahegelegenen Fluss herangeschafft werden. Ein Regenwasserspeicher oberhalb des abschüssigen Feldes und Kanäle würden sicher Erleichterung schaffen, das ist aber bislang nur eine Vision. Man muss immer bedenken, was eine Gruppe von etwa zehn Menschen heute schon stemmt. Zudem ist viel Integrationsarbeit nötig, mit jedem neuen Bewohner ändert sich die Zusammensetzung. Man ist bereit, jedem Neuankömmling Freiraum zu geben, um sich in den Kreislauf des Hofes einzufügen. 

Der Gemüsegarten zeigt eindrucksvoll, warum sich die harte Arbeit lohnt. Hier gedeihen Tomaten, Zucchini, Mangold, verschiedene Kohlsorten, Kürbisse, Fenchel, Möhren, Gurken, Bohnen, Kartoffeln, Erdbeeren, Rote Beete, Blumenkohl, Zwiebeln, Mais, Erbsen, Salate, Chicorée. Dazwischen stehen Sonnenblumen oder Tagetes. In den beiden kleinen Gewächshäusern wachsen Tomaten, Basilikum und Chilis. Obstbäume und Beeren sind geflanzt worden und sollen das Sortiment vervollständigen. Einige Getreidesorten wachsen am Rande des 20 Hektar großen Areals. Nur hier kommen bei der Ernte Traktoren zum Einsatz. Die Scholle hat sich in ein kleines Paradies verwandelt.








Der Hof und der Garten versprühen eine derbe Romantik. Gerne flanierte ich am Abend noch einmal durch den Garten, lag im Heu oder setzte mich an den Fluss. Auch die abendlichen Runden am Feuer zu guter Musik waren nie langweilig. Doch davon sollte man sich aber nicht blenden lassen – die Arbeit der Gemüsegärtner ist knüppelhart. Und die Herausforderungen beim Erhalt und (Wieder)aufbau des Hofes kaum kleiner. 


 
 
Ohne Idealismus und hohes Engagement wäre das Projekt zum Scheitern verurteilt. Es ist ein Experiment – der Hof zeigt die Züge eines großen Laboratoriums. "Aus Scheiße Gold machen" umschreibt es mein Freund der alte Traum der Alchemisten. Der Hof ist ein Paradies für Autodidakten. Es gibt viel Raum auszuprobieren.Verlorenes Wissen muss neu erarbeitet werden. Dabei passieren natürlich auch Fehler. Aber dann probiert man es eben neu. Der Freiraum und die Selbstverantwortung sind Chance und Herausforderung zugleich. Jeder bringt eigene Ideen ein. Alleine um die in die Tat umzusetzen, wäre man viele Jahre beschäftigt.

Es gibt kaum Hierarchien – das Projekt trägt viele anarchische Züge. Nun habe ich nie in einem alternativen Wohnprojekt gelebt, doch von meinen Reisen und der Zeit, als ich über die Occupy-Proteste schrieb und mich mit Gleichgesinnten austauschte, sind mir viele Gedanken sehr vertraut. In letzter Zeit hat man flache Hierarchien etabliert und Zuständigkeiten festgelegt, um Entscheidungsprozesse nicht ins Unendliche auszudehnen. Die Strukturen sind selbsterarbeitet und sehr flexibel. Mit allen Chancen und Problemen, die das mit sich bringt.

Die regelmäßige Mithilfe von Ernteteilern ist fester Bestandteil des Projekts. So können die Konsumenten ein Bewusstsein entwickeln, woher ihre Lebensmittel stammen, welchen Aufwand es bedarf, die zu produzieren, welche Probleme zu lösen sind und wer die Arbeit verrichtet. Auch Besuchern steht die Möglichkeit offen, sich einen Einblick zu verschaffen.

Am darauf folgenden Tag fuhren wir mit einer kleinen Gruppe in einen Forst in der Umgebung. Es gibt auch auf dem 20 Hektar großen Arreal ein Stück Wald, aber es ist sehr überschaubar und vor einigen Jahren von einer Stromtrasse der Bahn durchtrennt worden. Es ist neben dem McDonalds-Schild, das man in der Ferne sehen kann, eines der wenigen Symbole, die andeuten, dass man sich immer noch in der gleichen Welt befindet. Oft komme ich mir vor wie auf einer Zeitreise. Das liegt nicht nur an den vagen Kindheits- und Reiseerinnerungen, die dieser Ort hervorspült. Es gibt wohl kaum einen anderen Ort, an dem man erfahren kann, wie mühsam das Leben unserer Vorfahren gewesen ist. Nichts könnte weiter von der großflächigen, industriellen Agrarindustrie entfernt sein.

Ein Ernteanteiler begleitete uns mit der Kettensäge. Er fällte die Fichtenbäume, die wir dann mit Handäxten und Macheten in ihre Einzelteile zerlegten. Holz wird auf dem Hof immer gebraucht. Noch ist unklar, ob im Winter mit einem Allesbrenner oder einer Wärmepumpe geheizt wird.

In den 10 Tagen betätigte ich mich beim ernten, pflanzen, düngen und kompostieren. Es ist eine ungewohnte Belastung, die mich auslaugt, aber zugleich zufrieden macht. Umso mehr genoß ich den Müßiggang, wann immer sich die Gelegenheit bietet. Es geht nichts über ein Feierabendbier, während man die letzten Tätigkeiten zu Ende bringt.

Außer mir, meinem Freund und dem Auszubildenden arbeitete ein junger Spanier unverdrossen auf dem Feld. Er War für drei Wochen nach Deutschland gekommen und hatte sich gezielt für diesen Hof entschieden. Als ich ihn fragte, ob sich seine Freunde vorstellen können, wie hart er arbeitete und warum er das tat, lachte er nur. Meistens arbeitete er gemeinsam mit einer Chilenin, die bereits einige Erfahrung mit der Feldarbeit aus ihrer Heimat mitbringt. Sie ist nach Deutschland gekommen, um ökologische Landwirtschaft zu erlernen. In Chile gibt es nur sehr wenige Initiativen. Später möchte sie ihr neugewonnes Wissen nach Chile zurücktragen. Beide sind Wwoofer. Sprich – sie arbeiten für Kost und Logis. Noch eine weitere junge Wooferin ist auf dem Hof und stellt unzählige Fragen und hofft auf Antworten, die ihr das Studium nicht geben konnte. Sie hat bereits mehrere Höfe besucht und reibt sich damit, wie wenig Struktur auf dem Hof vorgegeben ist. Das Wwoofing ist für mich eine unbekannte Welt. Ich habe zwar schon davon gehört, ein richtiges Bild hatte ich nicht. Und so lauschte ich interessiert ihren Geschichten. Franz ist schon länger auf dem Hof und erzählte von seinen Erfahrungen in Südspanien. Bald würde er mit einer Freundin mit dem Anhalter nach Indien aufbrechen. Es ist schon interessant, an welchen Stellen sich Wege von Menschen kreuzen, die nach Alternativen suchen.


Neben den beiden Pferden bevölkern noch eine Reihe anderer Tiere den Hof. Noch ist der Viehbestand überschaubar, aber die Vielfalt groß. Es gibt zwei Ziegen, eine kleine Schafsherde, eine Milchkuh, sowie ein Rinder mit zwei Kälbern, zwei Bienenstöcke, eine Fraktion freilaufender Gänse und Hühner und zwei Mastschweine. 


 





Baldur, der sich zum Entsetzen des Barbaren, der ohne regelmäßige Wildzufuhr eingeht, immer mehr der vegetarischen Kot annähert, komplettiert den Tierpark.


Ich fokussierte mich auf den Garten. Genau genommen habe ich von allen Bereichen auf dem Hof wenig bis keine Ahnung. Dabei sind alles lebenspraktische Fähigkeiten.

Mir ging es in erster Linie darum, die Bewohner des Hofes kennen zu lernen und es gelang mir schnell, zu allen einen guten Draht aufzubauen. Es ist nicht unbedingt ein Querschnitt der Gesellschaft, den ich hier auf dem Hof antreffe, aber das hätte mich auch überrascht. 
Es wäre sicher falsch den Hof darauf zu reduzieren, aber in vielerlei Hinsicht ist es auch ein Zufluchtsort, eine Chance für Menschen sich zu beweisen und eine andere Form des Zusammenlebens zu gestalten. Ecken und Kanten hat hier jeder, faul ist Niemand. Im Gegenteil – es nötigt mir größten Respekt, was hier entstanden ist und weiter entsteht. Es ist ein faszinierender Lebensraum, man arbeitet direkt für das, was man zum Leben braucht. Es entsteht wieder Kontakt zur Erde und es werden neue Kreisläufe geschaffen, echte Werte. Der wichtigste Wert ist in meinen Augen die Gemeinschaft. Die Herzlichkeit, die ich erlebte, wenn einer der Hofbewohner nach einiger Zeit zurückkehrte, hat mich sehr berührt. 

Orte wie dieser können ein Modell sein, das Anderen Orientierung bieten kann, eine echte Alternative. Es bleibt ein Spagat. Jeder hier hat seine Geschichte mitgebracht und muss zugleich eine hohe Verantwortung übernehmen. Zwar gilt die Regel, dass jeder, das tun soll, was er zu leisten im Stande ist, aber was nicht geschafft wird, bleibt am Ende liegen. Ich bin überzeugt, dass mit solchen und ähnlichen Initiativen unsere Zukunft steht und fällt. Denn ich glaube, dass das aktuelle Wirtschaftssystem mit seiner irrigen Annahme von permanentem, exponentiellen Wachstum bald vor die Wand fährt. Die große Frage wird dann sein, welche alternativen Modelle sich bis dahin entwickelt haben, um Orientierung zu geben für eine Zeit, in der sich die Menschen endlich wieder darauf besinnen, was das Leben wirklich ausmacht. 
  
Ich habe mich manchmal gefragt, wie der Hof in einem Jahr aussehen wird. Es liegen so viele Chancen auf dem Hof, aber auch unglaubliche Herausforderungen. Der Hof wird vollständig bewirtschaftet und ist zugleich eine Dauerbaustelle. Er wird mit viel Liebe, Einsatz und Improvisation am Laufen gehalten. Im Hof steht ein alter Traktor, der überholt wird; alte Maschinen und auch die Pflüge werden im Eigenbau zusammengesetzt.

 


 

Es ist ein Ort, der Nischen bietet. Der neue Koch war erst wenige Tage vor mir angekommen und hatte sich der Küche mit einer Freude und Leidenschaft angenommen, die ansteckend wirkte. Fast alles, was auf den Teller kommt, stammt aus dem Garten. Vor allem Kartoffeln, Zucchini, Suppen, Käse und Salate sind Basis der meisten Gerichte, die in meiner Anwesenheit entstehen. Niemals zuvor habe ich so ausgezeichnetes Gemüse gegessen. Für Abwechslung sorgt ein Biomarkt, der seine nicht verkauften Produkte an den Hof weiterreicht. In der Küche wird Milch zu Käse verarbeitet, Holundersaft hergestellt, Kuchen gebacken. Mit dem richtigen Menschen an dieser Stelle ist dies das Herzstück des Hofes. Gekocht wird auf einem alten Ofen, der mit Feuerholz gespeist wird. In näherer Zukunft soll eine neue, größere Küche entstehen. 


Es hat mich fasziniert, wie viele Emotionen der Hof in mir geweckt hat. Manchmal war es irritierend, wie selbstverständlich es mir vorkam, auf dem Hof zu wirken und zu sein. Ich habe die Gemeinschaft mit den anderen genossen. Doch ich muss auch bekennen, wie viel mir noch fehlt, um mich dauerhaft in eine Gemeinschaft einzufügen und wie weit ich davon entfernt bin, ein eigenständiges Mitglied einer solchen Hofgemeinschaft zu sein. Zumindest scheint es mir so. Die letzten Tage nahm die Melancholie in mir zu. Sie war wohl dem baldigen Abschied geschuldet und der Ungewissheit, ob ich hier einen Platz für mich gefunden hatte. Ich habe das Übernachten auf dem Scheunenboden genossen. Manchmal habe ich stundenlang nur den abendlichen Geräuschen auf dem Hof gelauscht. Es war bereichernd so viel Zeit sinnvoll draußen zu verbringen und es kam mir vor als sei ich viel länger auf dem Hof gewesen.

Es sind hehre Ziele, die die Menschen auf dem Hof anstreben: sie wollen autark sein, neue Gesellschaftsmodelle ausprobieren, in denen Gemeingüter eine zentrale Rolle spielen, in Politik und Bildung wirken. Kooperation soll den elendigen Konkurrenzwahn ersetzen, die Motivation für den Hof zu wirken, soll aus Selbstverantwortung entstehen. Es ist ein gewagtes Experiment, doch zugleich ein wichtiges Zeichen der Hoffnung. Nicht zuletzt ist der Hof ein Bildungsraum, für Menschen, die sich für Nahrungsmittelproduktion und andere Formen von Gemeinschaft interessieren. Die Impulse für das Projekt stammen aus der Mitte der Gesellschaft. Er kommt von Konsumenten, die andere Lebensmittel einfordern und von Menschen umgesetzt, die sich dieser Aufgabe verschreiben. Da ich meine Hoffnung in den Veränderungswillen der Politik weitgehend verloren haben, halte ich diese Impulse von unten für essentiell. Dieses und ähnliche Projekte leisten Pionierarbeit. Und es gibt sie auch in den Städten. Beispielsweise der Prinzesinnengarten in Berlin, Initiativen verschiedener "Transition Towns" oder Repair Cafes, Umsonstläden und andere Projekte, die dazu aufrufen und anregen, die vorhandenen Ressourcen zu teilen und den Zugang zu ihnen, wieder in die eigenen Hände zu nehmen. In Kombination mit alternativen Energiequellen können hier viele Impule entstehen, wie ein autarkes, selbstbestimmtes und erfülltes Leben gelingen kann.

Die Risiken will ich nicht ausklammern. Ein Biohof, der in unmittelbarer Umgebung liegt, hat vor wenigen Wochen eine Katastrophe erlebt. Der Großbauer, der die benachbarten Flächen bewirtschaftet, hat seine Pestizide dermaßen unbedacht eingesetzt, dass der Hof einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten hat. Ein Großteil der Ernte wurde vernichtet und die Flächen des Biohofs werden frühestens in drei Jahren wieder zertifiertes Biogemüse verkaufen dürfen. 
Im Moment ist der Glaube daran, dass die steigende Weltbevölkerung nur mit hocheffizienter Gentechnik ernährt werden kann, immer noch sehr ausgeprägt. Wenn man sich den Hof zur bunten Kuh anschaut, erkennt man jedoch, wieviel effizienter ein auf Mischkultur basierender Anbau sein kann. Die Probleme liegen viel mehr in unserem ausufernden Fleischkonsum, der Massentierhaltung und den Einsatz von Antibiotika erst erforderlich macht; Biosprit grenzt für mich an Hohn. Welche Folgen die Ernährung mit gentechnisch veränderten Lebensmittel haben wird, können wir bislang nur erahnen. Wer sich aber ausführlicher mit dem Geschäftsmodell von Monsanto und vergleichbaren Firmen auseinandersetzt, den befällt das nackte Grauen.

Auch, wenn ich nicht weiß, ob ich einmal ein ganzes Jahr oder zumindest eine Erntesaison auf dem Hof dabei sein werde, so kann ich sagen, dass ich zu diesem Volksstamm dazugehöre. Hier sind Menschen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen dazu entschlossen haben, etwas zu wagen und ein alternatives Leben in die Tat umzusetzen. Am letzten Abend feierten wir in kleiner Runde in meinen Geburtstag hinein. Der Mond leuchtete in einem magischen Licht. Ob er Abschied oder Neubeginn verhieß, wusste ich nicht zu sagen. Noch immer bin ich zerissen zwischen dem Drang in die Welt zu ziehen und dem Wunsch einmal dort zu landen, wo ich mit Gleichgesinnten Hoffnung und Besorgnis teilen kann. Zugleich treibt mich die Frage um, ob ich mich dauerhaft in einem konkreten Projekt engagieren will, oder lieber von vielen verschiedenen Initiativen berichten soll, um Interessierten von der Existenz solcher Iniativen erzählen kann. Das sind große Fragen, um sie nach diesem intensiven, aber begrenzten Aufenthalt annähernd zu beantworten. Eins ist sicher: es war sehr schön, die bunten Kühe kennengelernt zu haben, und ich werde bald wiederkommen.   
 

Bewusst habe ich mich nicht dazu hinreißen lassen, viel von den Bewohnern selbst zu erzählen. Das hätte dem ganzen eine Menge Flavour gegeben. Aber was mir anvertraut wurde, gehört nicht hierhin. Wer wirklich herausfinden will, warum die Bewohner wild & schön sind, der muss sich schon selbst ein Bild machen!

Nachtrag: Ich habe anderthalb Jahre an dem Projekt mitgewirkt, habe ein schmerzhaftes Zerbrechen der Gemeinschaft erlebt und bin dort nicht glücklich geworden. Ich habe viel in der Zeit über ökologischen Gemüsebau gelernt, leider auch viel über die Schwierigkeiten von Gemeinschaftsbildung. Empfehlen kann ich das Projekt nicht mehr, bin aber von der Idee der Solidarischen Landwirtschaft weiter überzeugt. Weiterhin gilt, dass jeder nur vor Ort herausfinden kann, wie sich das Projekt in den letzten Jahren entwickelt hat.



Weiterführende Links:



mehr Eindrücke und Bilder vom Hof sammelte ich auf meiner letzten Deutschlandtour:


auf großer Deutschlandfahrt - ein Herbstmärchen







2 Kommentare:

  1. Lieber Oli, das hast Du WUNDERSCHÖN geschrieben!!!! Ich freue mich, wenn Du wieder kommst und noch mehr, wenn Du ne Weile bleibst! Drück Dich! Ina

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    1. Liebe Ina! Ich freue mich riesig, dass mein Bericht soviel Zuspruch bei Dir findet! In einer knappen Woche bin ich ja schon wieder bei Euch und dann finden wir sicher Gelegenheit uns ausführlicher zu unterhalten. Ich freue mich drauf! Bis in Bälde, Oleander

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