Donnerstag, 24. Mai 2012

Tiziano Terzani: Asien und die Globalisierung


Wer den ersten Blog über Tiziano Terzani nicht gelesen hat, kann sich hier noch einmal einen Überblick über seinen Werdegang verschaffen:


Dieser Teil endete mit Terzanis Ausweisung aus China 1984 und seiner bitteren Enttäuschung über die Realisierung des Kommunismus in China, Vietnam und Kambodscha. Terzani zieht es nach Japan. Der Spiegel eröffnet ihm die Möglichkeit ein neues Auslandsbüro in Tokyo zu eröffnen.

Japan sollte die neue Heimat der Familie werden, doch er wird dort niemals glücklich. Japan ist nach seinen Erfahrungen in China ein ganz anderes Extrem: Terzani will ein Japan seiner exotischen Phantasie erleben. Er suchte für die Familie nach einem alten japanischen Holzhaus mit Fenstern aus Reispapier und Tatamis auf dem Boden. Tatsächlich wohnte er anfangs in einem kleinen ryokan, einem hübschen, altmodischen Hotel mit einem Bambusrohr in Garten, in dem nach altem Brauch Tag und Nacht Wasser plätscherte. Er wollte tief in die japanische Kultur eintauchen.

Doch schon bald wurde ihm klar, dass ich mit der Wahl Japans den größten Fehler meines Lebens begangen hatte. Terzani schreibt:

„Ich hatte Jahre lang in einer Kultur der Größe gelebt…Denn Du kannst über China sagen, was Du willst, aber dort war alles groß.  (…)Und auf einmal befand ich mich in einer Kultur des Kleinen, des Details…Größe spürst Du nur im Tod. Im Yasukuni-Tempel oder in den Museen mit all den Schwertern spürst du die Kultur des Todes, des schönen Todes, in der die ganze japanische Romantik liegt.

Er ist außerdem entsetzt über die hohle Geschäftigkeit der hoch technisierten und stark industrialisierten Nation und empfindet die durchorganisierte japanische Gesellschaft als kalt und unmenschlich. Er ist regelrecht abgestoßen. Obwohl er japanisch lernt, kommt er nicht an die Menschen heran. Aus dem modernen Land, das global als erstes den Anschluss an die westliche Moderne und eine dem westlichen Großmächten gleichrangige Position erkämpft hatte, wollte er in „das tropische Asien zurückkehren“, das er so sehr liebte:

Ich hatte schreckliche Sehnsucht nach der Sonne und nach dem Gestank modrigen Gemüses morgens auf dem Gehsteig, dem Geruch der Tropen.

Er hielt die erfolgreiche Modernisierung und den wirtschaftlichen Erfolg Japans für einen „Fluch, der bald auch über den Rest der Welt kommen würde.(…) Denn man darf die modernen Gesellschaften (…) nicht nur nach der Effizienz ihrer Wirtschaftsstrukturen beurteilen; man muss sich vor allem den Menschen ansehen, den sie hervorbringt, und das Leben, das er führt.“ 

Terzani kann die westliche Dominanz genauso wenig als gottgewollt akzeptieren, denn nach seinen Erfahrungen ist er zu der Überzeugung gekommen, dass kein Mensch ein Monopol auf Wahrheit und Werte habe. Sicherlich ist Terzani nicht frei von Arroganz und einer gewissen Egozentrik, die ihm zusätzlich schwer machen, sich anders auf Japan einzulassen und ein anderes Bild zu gewinnen. Seine negative Sicht beeinflussen sicher auch die Desillusionierung nach seinen Erfahrungen in China und nun erlebt er so intensiv wie nie zuvor, welche Fratze der ungebremste Kapitalismus trägt.
Er wird depressiv, durchlebt eine Lebenskrise und die Familie durchlebt ihre schwierigsten Jahre.

Tiziano Terzani schrieb: „…wenn die Gegenwart mich nicht interessiert, suche ich meine Zuflucht in der Geschichte.“

Nicht ohne Stolz schreibt er nicht „eine einzige Zeile“ über die japanische Wirtschaft. Stattdessen schreibt er über den Tod des Gott-Kaisers, über sprechende Maschinen, skurrile Toiletten und das Nachtleben. Am Ende seines Lebens erkennt der ursprünglich extrovertiert stolze und unermüdlich aktive Terzani, dass Japan auch einen positiven Wendepunkt in seiner hektischen Lebensführung als Journalist an vorderster Front darstellt:

Man muss achtsam sein und sich Zeit zum Alleinsein nehmen, zum Schweigen, zum Nachdenken, zum Abstandgewinnen. Und man muss hinsehen…In Japan habe ich damit angefangen…bis ich schließlich die schwerste Bürde abgeworfen habe: meine Identität.

Seine Frau Angela versucht ihren Mann, dem morgens schon beim Aufstehen „ein bleischweres Gewicht“ auf den Schultern lastete in dem Land, das sich ihm verschloss, durch alles Mögliche aufzumuntern, so indem sie jeden Morgen mit ihm durch  die kleinen Straßen Tokios schlenderte um neue Cafés auszuprobieren. Es hilft alles nichts. Schließlich zog Terzani sich einige Monate in einer kleinen Hütte im Daigo-Wald am Fuße des Fuji zurück, um ein Buch zu schreiben. Doch das Projekt misslang Tiziano Terzani:

Es gelang mir einfach nicht, die Angst und Beklemmung zu beschreiben, die mich gepackt hatte: die Angst vor der modernen Gesellschaft mit ihrer ungeheuren Entmenschlichung.

Terzani stößt aber auch in Japan auf seine Geschichten. So fand er Hanako Ishi, die Geliebte des weltberühmten Sowjetspions Richard Sorge, der Stalin aus dem mit Deutschland verbündeten Japan das Datum von Hitlers Angriff auf die Sowjetunion verriet - und dafür von den Japanern hingerichtet wurde. Er schreibt über die Yakuza, die Atombombe und die japanischen Traditionen.

1989 reist Terzani noch einmal inkognito nach China und berichtet über das Massaker am Platz des himmlischen Friedens.
Er empfindet seine Zeit in Japan als Scheitern und bricht 1990 seine Zelte ab, um in Bangkok ein neues Büro zu eröffnen. Hier fühlt er sich wieder wohl. Er bezieht mit seiner Familie das „Turtle House“, das zu seinem Refugium wird.

1991 war er zufällig auf einer Reise durch Sibirien, als gegen Michail Gorbatschow geputscht wurde. Statt schnell nach Moskau zu fahren, reiste er langsam durch die Satellitenstaaten Zentralasiens. So konnte er die Implosion des sowjetischen Imperiums aus nächster Nähe beschreiben. Daraus wurde das Buch „Gute Nacht, Herr Lenin.“
Hier begegnet er auch dem Islam und er erkennt, welche immense Rolle er in Zukunft spielen würde.

1993 erwartet ihn ein ganz anderes Abenteuer. Ein Wahrsager in Hong Kong hatte ihn viele Jahre zuvor vor einem Flugzeugabsturz gewarnt. Da sich Terznai als aufgeklärten Menschen versteht, der nichts auf die Weissagungen eines Wahrsagers hält, gibt er darauf anfangs wenig. Doch der Gedanke lässt ihn nicht los und immer wieder denkt er darüber nach, diese Warnung doch ernst zu nehmen. Als er sich schließlich dazu entscheidet, im Jahr 1993 kein Flugzeug zu besteigen, erhält er sogar Unterstützung durch den Spiegel. Dort weiß man um den Spürsinn Terzanis.

So durchbricht Terzani die sterile Routine von Flugzeug – Taxi – Hotel – Taxi – Flugzeug. Es beginnt für ihn ein Jahr völlig andersartiger Begegnungen mit Asien. Mit klap­pernden Bussen, Autos, Fähren, Eisenbahnen reiste er zu den politischen Schauplätzen Südostasiens. Diese Entschleunigung schärfte seine sinnliche Wahrnehmung und verband ihn mit den Kräften, die unter der Oberfläche des Tagesgeschehens wirken. Es deprimiert ihn, das alte Asien zunehmend verschwinden zu sehen. Er wird zum Kritiker des westlichen Lebensstils mit seinem immer weiter wachsenden Materialismus und der einseitigen Globalisierung, die die gewachsenen und wertvollen asiatischen Traditionen untergräbt, verflacht und zerstört:
"Die materielle Gewalt der westlichen Weltsicht hat die östliche überrollt. Asien hat seinen Frieden verloren auf der Jagd nach jener Art von Glück, das uns bereits unglücklich gemacht hat.“

Er sieht es als traurige Ironie, dass der „American way of life“ mit seiner Konsumkultur Asien nachhaltiger verändert, als es der Kolonialismus vermocht hatte. Schließlich mündet sein Experiment zu einer außergewöhnlichen Reise:

Von Bangkok reist er über Kambodscha und Vietnam nach China. Von hier aus reist er mit der Transsibirischen Eisenbahn über die Mongolei und Russland bis nach Europa. An Bord eines Containerschiffs fuhr er dann schließlich zurück nach Singapur. Diese Art zu reisen wurde für ihn zur Entdeckung der Langsamkeit. Er fand den Weg zu seinen tieferen Ich, einen Weg, die ihm die traditionellen asia­ti­schen Kulturen besser verstehen ließ. Nun begegnet er viel stärker als zuvor den Verlierern der Globalisierung. Diese reisen schließlich nicht mit dem Flugzeug, sondern er trifft sie am Rande der alten Transport- und Handelswege. Obwohl Terzani niemals aufhörte zu behaupten, dass er nicht an sie glaube, so begann er dennoch, in jedem seiner Aufenthaltsorte nach einem Wahrsager oder einem Weisen zu suchen.
So erfuhr er, dass neben einem "moderneren" Asien, das sich längst dem Geld und der Tech­nik ver­schrieben hatte und in dem die Änderung der Lebens­weise in rasantem Tempo fortschritt, es auch noch ein altes, in den Denk­wei­sen sei­ner Tradition verharrendes Asien gab, in dem Le­gen­den, Mythen, Prophe­zeiungen und Religion noch eine sehr große Rolle spielten.

Bei aller Vernunft stellt sich Terzani die Frage, ob sich die merkwürdige Prophezeiung wirklich erfüllt hätte, wenn er ihr nicht gefolgt wäre? Während sei­ner "fluglosen" Zeit verfolgte er in den Medien aufs Genaueste alle Flugunfälle.
War es ein Zufall, dass genau im Jahr seiner Flugabstinenz ein mit west­lichen Journalisten beladener Helikopter und einem Kollegen, der anstelle von Terzani mitgeflogen war, über Kambodscha abstürzte?

Das Buch, dem diese Reise zugrunde liegt ist besonders gut als Einstieg in die Welt Tiziano Terzanis geeignet:

Fliegen ohne Flügel: Eine Reise zu Asiens Mysterien

Im dritten Blog geht es um die Begegnung mit Indien, seine Krebserkrankung, die folgende Suche nach Heilung und innerem Frieden und sein Vermächtnis:

Tiziano Terzani und seine innere Reise 

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