Donnerstag, 24. Mai 2012

Tiziano Terzani: Asien und die Globalisierung


Wer den ersten Blog über Tiziano Terzani nicht gelesen hat, kann sich hier noch einmal einen Überblick über seinen Werdegang verschaffen:


Dieser Teil endete mit Terzanis Ausweisung aus China 1984 und seiner bitteren Enttäuschung über die Realisierung des Kommunismus in China, Vietnam und Kambodscha. Terzani zieht es nach Japan. Der Spiegel eröffnet ihm die Möglichkeit ein neues Auslandsbüro in Tokyo zu eröffnen.

Japan sollte die neue Heimat der Familie werden, doch er wird dort niemals glücklich. Japan ist nach seinen Erfahrungen in China ein ganz anderes Extrem: Terzani will ein Japan seiner exotischen Phantasie erleben. Er suchte für die Familie nach einem alten japanischen Holzhaus mit Fenstern aus Reispapier und Tatamis auf dem Boden. Tatsächlich wohnte er anfangs in einem kleinen ryokan, einem hübschen, altmodischen Hotel mit einem Bambusrohr in Garten, in dem nach altem Brauch Tag und Nacht Wasser plätscherte. Er wollte tief in die japanische Kultur eintauchen.

Doch schon bald wurde ihm klar, dass ich mit der Wahl Japans den größten Fehler meines Lebens begangen hatte. Terzani schreibt:

„Ich hatte Jahre lang in einer Kultur der Größe gelebt…Denn Du kannst über China sagen, was Du willst, aber dort war alles groß.  (…)Und auf einmal befand ich mich in einer Kultur des Kleinen, des Details…Größe spürst Du nur im Tod. Im Yasukuni-Tempel oder in den Museen mit all den Schwertern spürst du die Kultur des Todes, des schönen Todes, in der die ganze japanische Romantik liegt.

Er ist außerdem entsetzt über die hohle Geschäftigkeit der hoch technisierten und stark industrialisierten Nation und empfindet die durchorganisierte japanische Gesellschaft als kalt und unmenschlich. Er ist regelrecht abgestoßen. Obwohl er japanisch lernt, kommt er nicht an die Menschen heran. Aus dem modernen Land, das global als erstes den Anschluss an die westliche Moderne und eine dem westlichen Großmächten gleichrangige Position erkämpft hatte, wollte er in „das tropische Asien zurückkehren“, das er so sehr liebte:

Ich hatte schreckliche Sehnsucht nach der Sonne und nach dem Gestank modrigen Gemüses morgens auf dem Gehsteig, dem Geruch der Tropen.

Er hielt die erfolgreiche Modernisierung und den wirtschaftlichen Erfolg Japans für einen „Fluch, der bald auch über den Rest der Welt kommen würde.(…) Denn man darf die modernen Gesellschaften (…) nicht nur nach der Effizienz ihrer Wirtschaftsstrukturen beurteilen; man muss sich vor allem den Menschen ansehen, den sie hervorbringt, und das Leben, das er führt.“ 

Terzani kann die westliche Dominanz genauso wenig als gottgewollt akzeptieren, denn nach seinen Erfahrungen ist er zu der Überzeugung gekommen, dass kein Mensch ein Monopol auf Wahrheit und Werte habe. Sicherlich ist Terzani nicht frei von Arroganz und einer gewissen Egozentrik, die ihm zusätzlich schwer machen, sich anders auf Japan einzulassen und ein anderes Bild zu gewinnen. Seine negative Sicht beeinflussen sicher auch die Desillusionierung nach seinen Erfahrungen in China und nun erlebt er so intensiv wie nie zuvor, welche Fratze der ungebremste Kapitalismus trägt.
Er wird depressiv, durchlebt eine Lebenskrise und die Familie durchlebt ihre schwierigsten Jahre.

Tiziano Terzani schrieb: „…wenn die Gegenwart mich nicht interessiert, suche ich meine Zuflucht in der Geschichte.“

Nicht ohne Stolz schreibt er nicht „eine einzige Zeile“ über die japanische Wirtschaft. Stattdessen schreibt er über den Tod des Gott-Kaisers, über sprechende Maschinen, skurrile Toiletten und das Nachtleben. Am Ende seines Lebens erkennt der ursprünglich extrovertiert stolze und unermüdlich aktive Terzani, dass Japan auch einen positiven Wendepunkt in seiner hektischen Lebensführung als Journalist an vorderster Front darstellt:

Man muss achtsam sein und sich Zeit zum Alleinsein nehmen, zum Schweigen, zum Nachdenken, zum Abstandgewinnen. Und man muss hinsehen…In Japan habe ich damit angefangen…bis ich schließlich die schwerste Bürde abgeworfen habe: meine Identität.

Seine Frau Angela versucht ihren Mann, dem morgens schon beim Aufstehen „ein bleischweres Gewicht“ auf den Schultern lastete in dem Land, das sich ihm verschloss, durch alles Mögliche aufzumuntern, so indem sie jeden Morgen mit ihm durch  die kleinen Straßen Tokios schlenderte um neue Cafés auszuprobieren. Es hilft alles nichts. Schließlich zog Terzani sich einige Monate in einer kleinen Hütte im Daigo-Wald am Fuße des Fuji zurück, um ein Buch zu schreiben. Doch das Projekt misslang Tiziano Terzani:

Es gelang mir einfach nicht, die Angst und Beklemmung zu beschreiben, die mich gepackt hatte: die Angst vor der modernen Gesellschaft mit ihrer ungeheuren Entmenschlichung.

Terzani stößt aber auch in Japan auf seine Geschichten. So fand er Hanako Ishi, die Geliebte des weltberühmten Sowjetspions Richard Sorge, der Stalin aus dem mit Deutschland verbündeten Japan das Datum von Hitlers Angriff auf die Sowjetunion verriet - und dafür von den Japanern hingerichtet wurde. Er schreibt über die Yakuza, die Atombombe und die japanischen Traditionen.

1989 reist Terzani noch einmal inkognito nach China und berichtet über das Massaker am Platz des himmlischen Friedens.
Er empfindet seine Zeit in Japan als Scheitern und bricht 1990 seine Zelte ab, um in Bangkok ein neues Büro zu eröffnen. Hier fühlt er sich wieder wohl. Er bezieht mit seiner Familie das „Turtle House“, das zu seinem Refugium wird.

1991 war er zufällig auf einer Reise durch Sibirien, als gegen Michail Gorbatschow geputscht wurde. Statt schnell nach Moskau zu fahren, reiste er langsam durch die Satellitenstaaten Zentralasiens. So konnte er die Implosion des sowjetischen Imperiums aus nächster Nähe beschreiben. Daraus wurde das Buch „Gute Nacht, Herr Lenin.“
Hier begegnet er auch dem Islam und er erkennt, welche immense Rolle er in Zukunft spielen würde.

1993 erwartet ihn ein ganz anderes Abenteuer. Ein Wahrsager in Hong Kong hatte ihn viele Jahre zuvor vor einem Flugzeugabsturz gewarnt. Da sich Terznai als aufgeklärten Menschen versteht, der nichts auf die Weissagungen eines Wahrsagers hält, gibt er darauf anfangs wenig. Doch der Gedanke lässt ihn nicht los und immer wieder denkt er darüber nach, diese Warnung doch ernst zu nehmen. Als er sich schließlich dazu entscheidet, im Jahr 1993 kein Flugzeug zu besteigen, erhält er sogar Unterstützung durch den Spiegel. Dort weiß man um den Spürsinn Terzanis.

So durchbricht Terzani die sterile Routine von Flugzeug – Taxi – Hotel – Taxi – Flugzeug. Es beginnt für ihn ein Jahr völlig andersartiger Begegnungen mit Asien. Mit klap­pernden Bussen, Autos, Fähren, Eisenbahnen reiste er zu den politischen Schauplätzen Südostasiens. Diese Entschleunigung schärfte seine sinnliche Wahrnehmung und verband ihn mit den Kräften, die unter der Oberfläche des Tagesgeschehens wirken. Es deprimiert ihn, das alte Asien zunehmend verschwinden zu sehen. Er wird zum Kritiker des westlichen Lebensstils mit seinem immer weiter wachsenden Materialismus und der einseitigen Globalisierung, die die gewachsenen und wertvollen asiatischen Traditionen untergräbt, verflacht und zerstört:
"Die materielle Gewalt der westlichen Weltsicht hat die östliche überrollt. Asien hat seinen Frieden verloren auf der Jagd nach jener Art von Glück, das uns bereits unglücklich gemacht hat.“

Er sieht es als traurige Ironie, dass der „American way of life“ mit seiner Konsumkultur Asien nachhaltiger verändert, als es der Kolonialismus vermocht hatte. Schließlich mündet sein Experiment zu einer außergewöhnlichen Reise:

Von Bangkok reist er über Kambodscha und Vietnam nach China. Von hier aus reist er mit der Transsibirischen Eisenbahn über die Mongolei und Russland bis nach Europa. An Bord eines Containerschiffs fuhr er dann schließlich zurück nach Singapur. Diese Art zu reisen wurde für ihn zur Entdeckung der Langsamkeit. Er fand den Weg zu seinen tieferen Ich, einen Weg, die ihm die traditionellen asia­ti­schen Kulturen besser verstehen ließ. Nun begegnet er viel stärker als zuvor den Verlierern der Globalisierung. Diese reisen schließlich nicht mit dem Flugzeug, sondern er trifft sie am Rande der alten Transport- und Handelswege. Obwohl Terzani niemals aufhörte zu behaupten, dass er nicht an sie glaube, so begann er dennoch, in jedem seiner Aufenthaltsorte nach einem Wahrsager oder einem Weisen zu suchen.
So erfuhr er, dass neben einem "moderneren" Asien, das sich längst dem Geld und der Tech­nik ver­schrieben hatte und in dem die Änderung der Lebens­weise in rasantem Tempo fortschritt, es auch noch ein altes, in den Denk­wei­sen sei­ner Tradition verharrendes Asien gab, in dem Le­gen­den, Mythen, Prophe­zeiungen und Religion noch eine sehr große Rolle spielten.

Bei aller Vernunft stellt sich Terzani die Frage, ob sich die merkwürdige Prophezeiung wirklich erfüllt hätte, wenn er ihr nicht gefolgt wäre? Während sei­ner "fluglosen" Zeit verfolgte er in den Medien aufs Genaueste alle Flugunfälle.
War es ein Zufall, dass genau im Jahr seiner Flugabstinenz ein mit west­lichen Journalisten beladener Helikopter und einem Kollegen, der anstelle von Terzani mitgeflogen war, über Kambodscha abstürzte?

Das Buch, dem diese Reise zugrunde liegt ist besonders gut als Einstieg in die Welt Tiziano Terzanis geeignet:

Fliegen ohne Flügel: Eine Reise zu Asiens Mysterien

Im dritten Blog geht es um die Begegnung mit Indien, seine Krebserkrankung, die folgende Suche nach Heilung und innerem Frieden und sein Vermächtnis:

Tiziano Terzani und seine innere Reise 

Dienstag, 22. Mai 2012

Fundstücke: Graffiti in Athen


Man sieht allerlei Skurriles am Rande des Wegs. In der Rubrik Fundstücke möchte ich Bilder vorstellen, die mich zum Nachdenken angeregt oder zum Schmunzeln gebracht haben.

ein sehr aussagekräftiges Graffiti fand ich an einer Athener Häuserwand vor: Der Mensch will in seiner Unersättlichkeit die Folgen seines Handelns meist nicht sehen. Interessant ist nur, wie der Horizont erobert werden kann...

Sonntag, 20. Mai 2012

Tiziano Terzani: Der Traum von China


„Jeder Ort ist eine Fundgrube. Man muss sich nur treiben lassen. Sich Zeit nehmen, im Teehaus sitzend die Leute beobachten, sich in einen Winkel des Marktes stellen, zum Friseur gehen und dann dem Faden eines Knäuels folgen, der mit einem Wort, einer Begegnung anfangen kann(…) – und schon wird der fadeste, unscheinbarste Ort der Erde zu einem Spiegel der Welt, zu einem Fenster, das sich auf das Leben öffnet, zur Bühne der Menschheit, vor der man endgültig verweilen möchte. Diese Fundgrube befindet sich immer genau da, wo man gerade ist: man muss nur graben.“ 

Tiziano Terzani: Fliegen ohne Flügel - eine Reise zu Asiens Mysterien


In meinem ersten Blog über Persönlichkeiten, die mich stark inspiriert haben, möchte ich mich einer ganz besonderen Person widmen: Tiziano Terzani, einem der größten Reporter des 20. Jahrhunderts.
Er war leidenschaftlicher Journalist, Photograph und Zeichner, Buchautor, unerschrockener Abenteurer, Philosoph und lebenslang Reisender und Suchender.
Es ist eine sehr intensive Auseinandersetzung mit seiner Person und seinen Thesen geworden, um ein möglichst akkurates Bild zu zeichnen. Daher habe ich mich entschieden den ganzen Text auf drei Blogs zu verteilen:

In diesem ersten Teil werde ich auf seine Person eingehen und schildern, wie und warum Terzani nach Asien gelangte und wie er zum wichtigen Zeugen der Zeitgeschichte wurde. Wie es ihm als einer der ersten Journalisten gelingt, nach China einzureisen und warum er schließlich wegen angeblich „konterrevolutionärer Agitation“ des Landes verwiesen wurde.

Tiziano Terzani wurde 1938 in einem kleinen Dorf in der Nähe von Florenz geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Sein Vater verdiente ein kümmerliches Auskommen durch das Aufsammeln der Hinterlassenschaften der Pferde, die die Tram zogen. Das sonntägliche Vergnügen der Familie bestand darin, den Reichen beim Eis essen zuzusehen. Sich selbst ein Eis zu gönnen stand außerhalb der finanziellen Möglichkeiten der Familie. Diese Erfahrung sollte für ihn sehr prägend sein und trotz seiner hohen Bildung, die er sich im Laufe seines Lebens erwarb, verstand er sich immer als Anwalt der Armen. Trotz seiner Herkunft gelingt ihm der Sprung aufs Gymnasium. Wissbegierig wie er ist, träumt er schon früh davon, Journalist zu werden. Zunächst studiert er jedoch Jura an der Eliteuniversität „Scuola Normale“ in Pisa. Hier lernt er die Frau seines Lebens kennen: Angela, die ebenfalls in Florenz aufgewachsen war und ursprünglich aus einer Hamburger Familie stammt. Nach dem Studium arbeitet Terzani für den Schreibmaschinenkonzern Olivetti in der Personalabteilung. Für das Unternehmen ist er in Dänemark, Portugal, den Niederlanden und in Deutschland tätig. Terzani ist inspiriert von der Bürgerrechtsbewegung und lässt sich von den Lehren Lenins und Maos begeistern. Er möchte unbedingt nach China und dort leben. Er ist begeistert von der Utopie eines Gesellschaftskonzepts, das nicht auf dem Kapital beruht und in dem alle gleich sein sollten.

Freilich ist China zu dem Zeitpunkt ein abgeschottetes Land. Doch was sich Terzani in den Kopf gesetzt hat, das verfolgt er mit aller Kraft und Überzeugung. 1966 erhält er ein Stipendium an der Columbia University in New York und beginnt dort Sinologie (Chinesisch) zu studieren. In seiner Begeisterung für China und Mao, möchte er sogar seinen ersten Sohn Folco als „Mao“ taufen, scheitert mit diesem Ansinnen, aber am Standesbeamten in New York – worüber sein Sohn später nicht unglücklich ist…
Nach seiner Rückkehr nach Europa, sucht Terzani nach einer Zeitung, für die er als Korrospondent aus Asien berichten kann. 1971 wird „der Spiegel“ zu seinem Arbeitgeber und sein Traum geht in Erfüllung. Zu dem Zeitpunkt hat der Spiegel kein einziges Büro in Asien, doch man traut dem überzeugenden und sprachgewandten Terzani einiges zu. Zwar ist eine Einreise nach China weiter unmöglich, aber Terzani eröffnet zunächst ein Auslandsbüro in Singapur und einige Zeit später auch in Hong Kong. Später schreibt er auch für die italienischen Zeitungen „Corriere della Sera“ und „La Republica“.

Er berichtet als Kriegsreporter aus Vietnam. Terzani ist entsetzt darüber, wie schnell er sich an das Grauen des Krieges gewöhnt. Stellt für ihn der erste Tote, den er sieht,  einen Schock dar, so zählt er einige Zeit später nur noch die Anzahl der Leichen. Er gerät immer wieder in gefährliche Situationen, sieht Kollegen sterben. Es ist eine aufregende Zeit für Terzani. Er ist voller Tatendrang. Terzani ist anders als viele seiner Journalistenkollegen: In Vietnam zog er nach offiziellen Verlautbarungen von US-Generälen auf eigene Faust los, um die Behauptungen der Militärs zu überprüfen. Die Kollegen machten sich derweil einen netten Abend in der Bar.
Aufgrund seiner Sympathie für die kommunistische Idee und kritischen Artikeln über den Krieg der US-Amerikaner wird Terzani im März 1975 vom südvietnamesischen Regime des Landes verwiesen. Als die Vietkong zum Sturm auf Saigon ansetzten und die meisten westlichen Ausländer in Panik die Stadt verließen, flog Terzani in letzter Minute aus Bangkok ein, um den Einmarsch der roten Kämpfer und den Wandel hautnah zu erleben. Alle Polizisten, die sonst seine Einreise verweigert hätten, waren bereits geflohen. So wurde er zu einem der wenigen westlichen Beobachter der Ereignisse. Terzani konnte nicht wissen, was die Vietkong in Saigon mit ihm machen würden. Er wusste nur, dass er bei einem der größten Ereignisse in der Geschichte Asiens einfach dabei sein musste – dem Ende des Kolonialismus. Den Sieg der nordvietnamesischen Kommunisten empfindet er als gerecht.
Seine Reportage über die letzten Stunden von Saigon wurde zum Klassiker.

Auch über Kambodscha berichtet er regelmäßig. Zwei Wochen vor dem Sturz Saigons hatten ihn ein paar halbwüchsige Kämpfer der Roten Khmer festgenommen, an die Wand gestellt und ihm eine Stunde lang ihre Revolver auf Augen, Mund und Nase gedrückt – bis endlich ihr Kommandeur auftauchte und ihn laufen ließ. Terzani schrieb zunächst nicht über die Massaker der roten Khmer, wofür er sich Jahre später entschuldigt hat.
Ich denke, er wollte nicht wahrhaben, wie die kommunistische Ideologie pervertiert wurde.
Persönlich ist er jedoch schwer erschüttert vom Genozid während der Schreckensherrschaft der roten Khmer (1975-1979) am eigenen Volk. Der Kalte Krieg war in vollem Schwung: die Vereinigten Staaten, China, und die Sowjetunion versuchten sich in Indochina machtpolitisch zu etablieren und brachten in der Folge nicht nur die gesamte Region aus den Fugen, sondern lösten durch ihre Interventionen auch in den betroffenen Ländern heftige interne Machtkämpfe aus. Eines der größten Opfer dieser Geopolitik war Kambodscha.
Flächenbombardements und ein von den USA initiierter Putsch rechtsgerichteter Generäle gegen den König trieb das Land in die Hände einer der tödlichsten Diktaturen der Weltgeschichte. Aus Kambodscha wurde 1975 plötzlich das "Demokratische Kampuchea", und für die nächsten vier Jahre verschwand das Land aus dem Blick der Weltöffentlichkeit. Die neuen Herren, die Roten Khmer, wollten das kommunistische China Maos an Radikalität übertrumpfen. Über Nacht wollten die Klassenkämpfer aus dem Dschungel das uralte Kulturvolk in eine Agrargesellschaft verwandeln. Zwei Millionen Kambodschaner starben.
Insbesondere die USA unterstützen die wohl schrecklichste kommunistische Diktatur indirekt, nachdem sich die Roten Khmer gegen das kommunistische Vietnam, den Intimfeind der Vereinigten Staaten, gewandt hatten.

Auch die Entwicklungen in Vietnam sieht er mit wachsender Sorge. Auch hier kommt es zu Zwangsumsiedlungen und anhaltendem Unrecht.  
Die politische Entwicklung in Indochina lässt ihn erstmals an seinen Idealen zweifeln, denn viele Menschen sterben, ohne dass wirklich etwas verändert wird. Gräueltaten werden von allen Kriegsbeteiligten begangen. Terzani entwickelt sich durch die Beobachtung der Kriege und ihrer Auswirkungen immer mehr zum Pazifisten. Er muss für sich erkennen, dass Kriege nie etwas Positives bewirken können und dass die Länder oft in dieselben politischen Zustände zurück fallen, in denen sie sich vor dem Krieg befanden.

Doch noch glaubt er daran, dass Mao in China ein gerechteres System etablieren wird.
1978 wird sein Traum wahr und er kann nach China einreisen und ein Büro in Peking eröffnen. Seine beiden Kinder schickt er auf die staatliche, chinesische Schule – nicht weil ihnen militärischer Drill und Uniformität gefielen, sondern weil sie finden, man sollte ganz und gar an einem Ort leben, auch im Angesicht von Widerständen. »Sich mit China konfrontieren« bedeutete auch, in ihrem alten Haus in Peking wie die Chinesen Tauben zu züchten.
Das hatte es noch nie gegeben: ein westlicher Ausländer im Reich Mao Tse tungs, der seine Kinder auf eine chinesische Schule schickte…
Er ist weiterhin überzeugt vom chinesischen Modell und möchte mit seiner Familie ein »normales chinesisches Leben zu führen«. In Peking blieben gewöhnlich westliche Diplomaten, Geschäftsleute und Journalisten ganz unter sich – ohne soziale Kontakte zu den Einheimischen.
Trotz Staatsüberwachung fühlt sich Terzani in China wohl. Immer wieder findet er Möglichkeiten, seinen Bewachern zu entfliehen und in Kontakt mit der Bevölkerung zu treten. Doch seine rebellische Art kommt bei den Chinesen nicht gut an.

Manchmal startete er mit seiner Frau und den Kindern zu Streifzügen durchs Land. Sie hievten ihre Fahrräder in den Zug, stiegen irgendwo aus, radelten los und sprachen mit Menschen, die noch nie einen Ausländer gesehen hatten. Für den Geheimdienst waren diese verbotenen Eskapaden des Reporters eine Provokation. Aber es dauerte immerhin fünf Jahre, bis sie die Geduld verloren.
Terzani möchte der chinesischen Kultur und ihren konfuzianischen Wurzeln näher kommen. Er scheut sich nicht vor kritischen Themen und berichtet auch über die unterdrückten Minderheiten, wie die muslimische Volksgruppe der Uiguren.
1980 durfte eine Handvoll westlicher Journalisten nach Tibet einreisen. Während seine Kollegen das staatlich beaufsichtigte Gruppenprogramm absolvierten, schwang er sich auf ein Fahrrad und fährt trotz Verbot zum zehn Kilometer entfernten Kloster Sera, das als eines der schönsten in Tibet gilt, findet dort eine Ruine vor – Folgen der zerstörerischen Kulturrevolution. Von dieser systematischen Zerstörung buddhistischer Kultur berichtet er auch.  Später fotografiert er wiederum heimlich tibetische »Himmelsbestattungen« und am Ende der Reise versteckt er sich während einer Führung im Palast des Dalai Lama und lässt sich einschließen, um sich in Ruhe umsehen zu können.
So war er: fantasievoll, rebellisch, kritisch und unendlich neugierig.

Terzani hatte lange davon geträumt, dass Mao ein neues China der Gerechtigkeit und Brüderlichkeit schaffen würde. Doch nun ist er desillusioniert.
Doch je länger er sich in China aufhält, desto mehr ist er entsetzt über die Folgen der „Kulturrevolution“, die in Wahrheit dabei ist, die alte chinesische Kultur auszulöschen und durch eine neue zu ersetzen. Er muss er sich bitter eingestehen, dass der Mensch nur mit Gewalt gleichgestaltet werden kann.
Die beiden folgenden Zitate unterstreichen sein unsanftes Aufwachen:

"Ich gab die Suche nach den neuen Menschen auf, als mir klar wurde, dass es in China einen alten Menschen gab, einen wunderbaren Menschen mit einer überwältigenden Kultur. Also begann ich diesen Menschen nachzuspüren und dem, was von die­sem großartigen alten China geblieben ist."

"Tatsächlich ist China nicht mehr China, seit Mao, dieser Verbrecher, die Wurzeln jener uralten Kultur ausgerissen hat."

Der Reporter wusste nun, dass Bewusstseinsveränderung nicht durch ideologische Parolen von oben kommen kann, sondern eine Herausforderung für jeden einzelnen Menschen ist. Langsam verschob sich der Fokus des Reporters von der Politik zur Spiritualität, von der Logik zur Intuition, vom Kopf zum Herzen.
Da er sich niemals das Wort verbieten lässt, kritisiert er Deng Xiaoping und die chinesische Regierung sehr scharf und wird daraufhin wegen angeblicher konterrevolutionärer Aktivitäten verhaftet und musste einen Monat in einem Umerziehungslager verbringen, bevor er des Landes verwiesen wurde. Der Hinauswurf aus seinem Traumland trifft ihn trotz seiner Enttäuschung sehr hart und wird zu einem einschneidenden Ereignis in seinem Leben.

Im zweiten Teil stehen seine Erlebnisse in Japan und Thailand und seine Erfahrungen mit der Globalisierung in Asien im Fokus:

Tiziano Terzani: Asien und die Globalisierung 

Dienstag, 8. Mai 2012

Sehnsuchtsorte: Santorin




In der Rubrik Sehnsuchtsorte werde ich die Orte vorstellen, die mich auf meinen Reisen am nachhaltigsten beeindruckt haben. Photographien werden im Vordergrund stehen, ein kurzer Text die Stimmung des Bildes unterstreichen. Zunächst werde ich mich den Orten widmen, die ich während meiner ersten Reise von Venedig über Griechenland und Istanbul bis nach Indien kennen gelernt habe.


Blick auf den riesigen Krater Santorins - Zeuge einer gigantischen und tausende Jahre alten Explosion mitten in der Ägäis. Nach der Explosion füllte sich der mehrere Kilometer breite Krater mit Meerwasser. Zurück blieben an den Kraterrändern einige der stimmungsvollsten Inseln des Mittelmeers mit einzigartiger Kulisse: Ein Ort zum Träumen... 

Sonntag, 6. Mai 2012

Aufbruch


Liebe Leser!

Es war wieder an der Zeit für ein neues Projekt. Nachdem ich unmittelbar vor der Vollendung meines ersten Buches stehe und in absehbarer Zeit erneut in den Himalaya aufbrechen werde, stellte sich für mich schon seit Längerem die Frage, wie ich einen weiteren Schritt in Richtung der Verwirklichung meiner Träume gehen kann. 

Nachdem ich bereits 2009 einen englischsprachigen Blog über meine Reisen geführt habe, um mit den Menschen, die ich unterwegs kennen gelernt hatte, in Verbindung zu bleiben, war der nächste Schritt 2011 ein deutschsprachiger Blog über Politik und Gesellschaft, in dem ich meine fundamentalen Probleme mit dem unkritischen Fortschrittsglauben, der bestehenden Ungerechtigkeit auf diesem Planeten und vielen anderen Themen zum Ausdruck bringen konnte. Beides war sehr lehrreich. Gleiches gilt für die Arbeit mit meinem Lektoren und dem Feinschliff während der Editierung und dem Anreichern mit eigenen Photographien.

Nun möchte ich einen weiteren Schritt nach vorne machen und eine Umgebung schaffen, in der ich mein Buch vorstellen und einen Rahmen für zukünftige Reiseberichte schaffen kann. Mein Traum ist Reisereporter zu werden.
In diesem Kontext möchte ich auch einige Schriftsteller würdigen, die mich inspiriert und auf meinen inneren und äußeren Reisen begleitet haben. Lesen war immer eine große Leidenschaft von mir. Bevorzugt habe ich dabei immer Bücher, von denen ich mir einen Erkenntnisgewinn versprach. Manchmal sind das nur einzelne Aspekte, andere Bücher haben mich existentiell berührt und beeinflusst.
Ein weiterer Schwerpunkt sollen eigene Photographien sein. Ich möchte sie in der Reihe „Sehnsuchtsbilder“ vorstellen und mit kurzen Textpassagen verbinden.

Es geht um das Austeigen, das Weg wollen, das Getrieben sein, das Suchen und Finden, die Sucht nach Erfahrung und den Drang nach Freiheit und Selbstbestimmtheit.
Angetrieben werde ich von der Suche nach alternativen Lebensweisen.
Ich versuche den großen metaphysischen Fragen nachzuspüren, suche nach interkulturellen Räumen, betrachte die Folgen der Globalisierung und bin immer auf der Suche nach der eigenen Spiritualität.

Der erste Autor, dem ich mich zuwenden möchte, wird Tiziano Terzani sein, der für mich wie kein anderer Autor ein Vorbild darstellt. Einer der die Themen Ideologie, Globalisierung, Fortschritt mit der Faszination des Reisens, Teil der Geschichte zu sein und sein Streben nach Spiritualität in einen Kontext bringt, wie kaum ein anderer.

Beginnen möchte ich aber mit den Sehnsuchtsbildern meiner ersten Reise, die ich in meinem Buch beschreibe.

Gut vorstellen kann ich mir jederzeit auch Gastbeiträge, die meine eigene Perspektive erweitern.

Ihr seid herzlich eingeladen, mich auf meinen inneren und äußeren Reisen zu begleiten.

Mit den besten Wünschen,

Euer Oleander